Trotzdem, ich wüsste einfach zu gerne, wie es wirklich wirklich war .... Bitte, lieber Herr Kreisler, oder bitte, lieber Herr Lehrer, verratet es uns doch noch, solange ihr noch beide lebt. Ich wäre keinem von Ihnen böse. Versprochen!
Die wissen es doch wahrscheinlich selbst nicht. Beide behaupten ja auch, den anderen nicht zu kennen (was bei Kreisler Übersetzung von Lehrers "While I Hold Your Hand" nicht so wahrscheinlich ist. Die Platte hat er offensichtlich gehört).
Kristin Horn hat mich mal nach einem Konzert schier erwürgt, als ich in einem Gespräch einflocht, daß ich ein Lied, das sie laut eigener Aussage erst 1979 geschrieben hatte, schon 1975 von ihr gehört hatte. Es war übrigens auch 1975 im FOLKmagazin abgedruckt, was die Klärung in diesem Fall sehr vereinfacht.
Zum Thema "Plagiate" hier ein Fundstück aus dem Göttinger "Musikblatt" (3/1982):
Heinrich Lempken: Eine gründliche RevisionDer geschätzte Leser wird sich noch erinnern an jene schier endlose, unerbittlich-detaillierte Diskussion über Heinrich Lempken und Gottlob Egonius Schramm, die ausgebrochen war, im Anschluß an den Artikel „Wandlungen eines Volksliedes“ von Burkhard Ihme im Musikblatt 6/80. Es kam dabei u.a. zu dem großen Leserbriefauftrltt des bekannten Herrn Baldur Müller-Blättle. Die Debatte schien beendet mit Dr. Klarabella Schultes erschöpfendem Beitrag in Heft 3/80. Zu früh gefreut: gerade noch rechtzeitig zu diesem Heft trag der folgende Beitrag ein von Dr. Karl-Heinz MisteIe aus Memmelsdorf.
Mit Interesse habe ich die Auseinandersetzung über Heinrich Lempken im Musikblatt (9/80, 10/80, 1/81 und 3/81) verfolgt. Bei allem wissenschaftlichem Anspruch (den aber weder Müller-Blättle noch Dr. Klarabella Schulte einzulösen vermögen) kann doch nicht verborgen bleiben, daß hier auf dem Forschungsstand von 1972 diskutiert wird.
Die neuere Lempken-Forschung ist zu Ergebnissen gekommen, die die Historie in völlig neuem Licht erscheinen lassen. Ich mochte hier einen kurzen Abriß geben, der auch im Anschluß an den Artikel „Wolf Biermann - das Verhältnis von Text und Musik“, (mb 7/80 -9/80) von Interesse sein sollte.
Das überraschendste Ergebnis dürfte die (einige Widersprüche in der bisherigen Lempken-Rezeption doch aufklärende) folgende Tatsache sein: während bisher das gesamte Werk Heinrich Lempken (1923-1947) zugeschrieben wurde, ist man heute dahin gelangt, den Zwillingsbruder Erich Lempken (1923-1794) als den schöpferischeren der beiden anzusehen. Erich und Heinrich waren, wie das so häufig bei eineiigen Zwillingen vorkommt, zutiefst verfeindet, was sich auch in kontroversen politischen Ansichten niederschlug.
Während Heinrich, der Ältere, immer als das literarische und alchimistische Genie galt, schon früh künstlerische Interessen entwickelte (erhalten ist eine Ilias-Dramatisierung aus dem Jahre 1729), verbrachte Erich seine Freizeit lieber mit Rugbyspielen auf den Feldern seiner oberschwäbischen Heimat. Sein erstes Eingreifen in die Welt der Literatur war zugleich ein Angrifl auf den ungeliebten Bruder. Als Heinrich Lempken 1941 mit Hilfe einiger Manuskripte aus der geheimen Bibliothek Gottlob Egonius Schramms (wie er in den Besitz dieser Papiere gelangte, konnte nie restlos geklärt werden 1) ein Weichgummi entwickelte, dessen praktische Bedeutung für sein ausgedehntes Liebesleben von Erich schnell erkannt wurde (sehr zum Unwillen des keuschen und pietistischen Bruders), verfälschte Erich, um sich für die vermeintliche Bevorzugung Heinrichs durch den Vater zu rächen, die zum Abdruck im „Literaturblatt der gebildeten Stände“, bestimmten Seiten des Verseepos „Glycion und Thrasimachos“ durch sexuelle Anspielungen, (die Dr. Klarabella Schulte [mb 3/81] zu naheliegenden, dem Autor aber nicht gerecht werdenden Schlüssen führten). Erst 1751, also vier Jahre nach Heinrichs Tod, erschienen die ersten Gedichte Erich Lempkens in den „Marburger Illustrierten Blättern“, unter dem Pseudonym Erich Glasbrenner. Nur vereinzelt veröffentlichte er unter dem Namen Lempken; diese Gedichte wurden von der frühen Lempken-Forschung dem Bruder Heinrich zugeschrieben. Eines dieser Werke ist auch „Zu Frankfurt an der Lahn“, das 1774 als Reaktion auf Herders Volksliedbegriff (abgedruckt in der im gleichen Jahre erschienenen Sammlung „Alte Volkslieder“) entstand. (Ihmes Datierung eines Flugblattes mit diesem Text auf das Jahr 1756 erscheint deshalb etwas unwahrscheinlich. 3)
War Heinrich Lempken obrigkeitstreu und national gesinnt (was eine spätere Vereinnahmung durch konservative und faschistische Kräfte begünstigte), so blieb Erich Lempken ein unbequemer Kritiker seiner Zeit, der seine Feder den unterdrückten Massen der Bauernschaft und des entstehenden Proletariats lieh. Während Heinrich Lempkens Hauptwerk „Franck und frey gebohren“ ihm zu einer gewissen Popularität verhalf, blieb Erich, trotz großer Beliebtheit seiner Gedichte (nach dem Verbot der „Illustrierten Blätter“ vor allem in der „Fackel des Geistes“ und der den Lehren Voltaires verpflichteten „EImshuder Chronik“ abgedruckt) Zeit seines Lebens ein Unbekannter, da er, um der scharfen Zensur zu entgehen, unter nicht weniger als 137 Pseudonymen schrieb (sein Fortsetzungsroman „Die Reise in den Winter“, erschien unter wöchentlich wechselnden Autoren-Namen).
Dies macht auch erklärlich, wieso Erich Lempkens Werk in der Literatur-Geschichte nahezu unerwähnt blieb. Einzig die Gedichtsammlung „Nur der Freiheit verpflichtet“,1769 unter dem Pseudonym Ludwig Löwe erschienen, bot die Möglichkeit, einen größeren Teil seines Werkes im Zusammenhang zu lesen.
Doch auch dieses Buch geriet in Vergessenheit und wurde erst 1953 von einem aus Hamburg in die DDR eingereisten Brecht-Schüler in der Berliner Universitätsbücherei wiederentdeckt.
Von der frischen Sprache inspinert, versuchte er sich an Gedichten ganz im Gestus des alten Meisters. Doch von den Ergebnissen selber enttäuscht, begnügte er sich von da an mit der Aktualisierung der Gedichte Erich Lempkens, und diese Adaptionen, nicht ungeschickt gemacht, verhalfen Wolf Biermann, von den politischen Lagern zwar unterschiedlich bewertet, zu großer Bekanntheit. Die Popularisierung dieser Lempkenschen Gedichte ist zweifellos Biermanns größtes Verdienst, wenn auch das Verschweigen der wahren Autorenschaft dieser Texte verstimmten sollte, selbst wenn sich darin der würdige Schuler Bert Brechts zeigt, der sich ja seinerzeit durch das Plagieren der Lieder Wedekinds und Kiplings hervortat.
Zum Schluß noch ein Textbeispiel eines Gedichts von Erich Lempken aus dem Jahre 1767, das in der Bearbeitung durch Biermann sehr bekannt wurde:
Du, laß dich nicht erhärten
durch Fürsten-Lumperei!
Bei ihren Hofkonzerten
in bunten Rosengärten
bist du doch nicht dabei.
Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittern Zeit.
Die feigen Pfaffen zittern,
wenn wir erst Lunte wittern,
drum halte dich bereit.
Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das ist’s, was sie bezwecken:
wir soll’n die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.
Du, laß dich nicht vergrämen
durch falsche Schergen-List.
Sie können uns nicht zähmen,
wenn wir die Waffen nehmen,
bis dies Land unser ist!
Bleibt als Fazit: Wer seine Klassiker kennt, ist schon auf dem halben Weg. Wer von ihnen gut zu klauen weiß, ist immer einen Schritt voraus.
Karl-Heinz Mistele
Anmerkungen:
1) Ein Zerbrechen der Freundschaft zwischen Heinrich Lempken und E. G. Schramm (Schulte mb 3/81) ist nicht belegt, dafür aber eine weitere Botanisierungs-Exkursion 1743 zur Kultivierung der Cardamine pratensis (Wiesenkresse) aus der Gattung der Kreuzblüter.
2) Ein weiteres „Volkslied“ dieser Art ist Goethes „Heideröslein“, das dieser Johann Gottfried Herder als Ergebnis seiner Forschungen verehrte.
3) In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, daß das in mb 6/80 abgedruckte, von Aragorn und Schulte Heinrich Lempken zugeschriebene „Maienlied“ erstmals in dem Sippen- und Sittenroman „Die Familie des Grafen Auerbach“ (1796) abgedruckt ist, was eine Autorenschaft des Roman-Verfassers Rudolph Hessling (bekannt vor allem durch sein Hauptwerk „Das Leben des Grafen Federigo Confalonieri“) nahelegt.
Musikblatt 3/1982, Seite 17Musikblatt 3/1982, Seite 18