War gestern bei Georg Schramm im Münchner Lustspielhaus. Hier mein persönlicher Eindruck.
Herzlicher Gruß
Alexander
DER LEGITIME ERBE VON HÜSCH UND BERNHARD
Georg Schramm mit seinem Programm „Thomas Bernhard hätte geschossen“ im Lustspielhaus München, 20.6.2006
Georg Schramm ist zur Zeit wahrscheinlich der brillanteste Kabarettist Deutschlands. Er tritt zunächst als Referent auf und stellt „Deutschland helfen – aber wie?“ vor, als Vertreter der Stiftungsinitiative „Leben – jetzt“. Das bildet den Rahmen des fulminanten Soloprogramms. Dieser Rahmen wird zu einem wunderbaren Plädoyer für mehr soziale Gerechtigkeit in Deutschland. Der Referent erstellt eine Kosten-Nutzen-Analyse für Langzeitarbeitslose, der zufriedene Arbeitslose solle her, er kriegt 1.600 Euro Geld pro Monat – und er möge bitte nach 30 Jahren sterben, dann geht sich die Rechnung aus. Der Referent präsentiert auch das Wachstumskonzept „Vorfahrt für Deutschland“. Als Oberstleutnant Sanftleben denkt Schramm über Nachwuchs für Kriegseinsätze nach: „Ab drei Söhnen gibt´s Krieg!“ Schramm ist ein großartiger Analytiker, er zieht eine bissige Zwischenbilanz der politischen und sozialen Situation. Das bewältigt er als grandioser Schauspieler, der von einer Sekunde auf die andere die Rollen zu wechseln versteht, sich nur marginal umkleidend. Rentner Dombrowski schimpft über die Gesundheitsreform, und im Warteraum einer Arztpraxis treffen sich die Einzelschicksale: etwa ein Mann, der alle nur denkbaren Medikamente zu sich nimmt, oder ein Hüftroboter-Fan – geniale Charakterstudien, wie dann auch der alte Sozialdemokrat. Oberstleutnant Sanftleben setzt sich mit dem Soldatentod und mit amerikanischen Söldnern auseinander. Herr Dombrowski gerät erneut in Rage, wenn es um den Fernsehwahnsinn zwischen Talkshows und Dschungelcamps geht - und angesichts der Tatsache, dass die Vollbeschäftigung Vergangenheit ist, die Politiker aber weiterhin daran verbal festhalten. Scharfe Kritik geht in Richtung deutscher Bundespräsident Köhler, aber auch einige andere Politiker kommen schlecht weg bei Georg Schramm, ihnen wird die Maske von der Gesichtsfassade gezogen. Dombrowski fordert, etwas zu tun. Man könne etwa einen Pharmareferenten erschießen. Doch Dombrowski wird erschreckend stiller in seinen Ereiferungen, er hat jetzt einen Revolver in der Hand. Das Ende ist bitter ernst, das Lachen ist dem Publikum ziemlich im Halse stecken geblieben. Man erinnert sich an Hanns-Dieter Hüsch. Der konnte das genauso. Schramm ist, was das Niveau und die emotionale Reife betrifft, der legitime Erbe der großen Kleinkunst eines Hüsch. Und man denkt an Thomas Bernhard, mit seinen unvergleichlichen Monologen. Zum innigen Schaudern dann der Ausklang, wenn Dieter Hildebrandt vom Band einen Text aus Thomas Bernhards „Stimmenimitator“ liest, in dem es ums Erschießen der Besucher, die während einer Theatervorstellung an den falschen Stellen lachen, geht.