Gestern war ich beim Konzert von Konstantin Wecker im Berliner Tempodrom - dank der Hilfe eines lieben Freundes auf Freikarten - was gut war, denn die Karten kosteten bis zu 40 Euro. (In diesem Zusammenhang darf ich erzählen, dass Dieter Hildebrandt verbietet, dass man mehr als 30 Euro bei seinen Abenden verlangt.)
Vorweg: es war ein richtig schönes Konzert.
Er war mit drei Musikern angereist, die alle Multi-Intrumentalisten waren - ich bin sicher, jemand von Euch kennt die vollen Namen, mein Gedächtnis ist da mangelhaft. Der Jo, der immer mit ihm spielt, ein hervorragender Pianist, ein sehr guter Trompeter, und ein interessanter Gitarrist. Dann ein Lenz, der ein grossartiger Bassist ist, und ein ausreichender Cellist. Und ein Afghane (hafik?), der ein mehr als glänzender, ein absolut hinreissender Percussionist ist und ein wirklich guter Schlagzeuger.
Wecker erzählte uns nachher, dass er ursprünglich in einem Saal in Ostberlin hätte spielen sollen, und ziemlich entsetzt war, als er erfuhr, dass es das tempodrom wird. Mit Recht. Der Saal ist die Hölle. Zu kalt, aktustisch irre schwer zu bespielen und fast ein Ding der Unmöglichkeit, irgendeine Stimmung zu erzeugen.
Und es war auch so: Die Akustik war leider ziemlich schlecht. Der (mitgebrachte) Tontechniker hatte den Auftrag, dass die Textverständlichkeit über alles gehen sollte. Kann ich verstehen, obwohl das mit der Textverständlichkeit auch zum Teil Sache des Sängers wäre, und da ist Wecker manchmal doch a wengerl schlampig. (Das ist aber okay, da man die Texte eh alle kannte

) Leider klangen die zwei Klaviere (ein Bösendorfer, das andere konnte man nicht sehen, was es war) mehr nach bontempi, den Bass hörte man nur manchmal, es hat stellenweise sogar leicht gekoppelt, das Cello war zu leise (manchmal: gnädiger Weise - ich bin bei Cello EXTREM heikel) - aber ich kenne die tontechnischen Schwierigkeiten und es ist durchaus glaubhaft, dass mehr oder weniger das bestmögliche gemacht wurde. Die Stimme war indes perfekt, fand ich.
Das Konzert begann mit einer Art Liebeslied an's Publikum, das mir weniger gefiel. Ich empfand es als musikalisch uninteressant und auch ein bissel runtergeratscht - ein Lied, das textlich viel mehr hätte in's Herz treffen können, aber ich meine, die Angst vor Kitsch war zu gross. Ein, wie meine, "verschenktes Lied", schade, denn es könnte fadengrad in's Herz treffen - und das tat es nicht. Kam nicht sonderlich an.
Und dann steigerte sich das Konzert langsam immer mehr - in der zweiten Hälfte war es dann perfekt, (dann hatten sich auch einige Leute in der Pause aus der Garderobe wieder ihre Mäntel geholt, und die Kälte war nicht mehr sooo quälend) aber auch auf der Bühne kriegte man mehr und mehr das Gefühl: jawoll. Das isses. Wunderbare Improvisationen, tolle musik, die "guten alten Lieder" inklusive "Willy" (!!), "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist", "Genug ist nicht genug" - alle Lieblingslieder des Publikums - gemischt mit seltener gespielten aber mir persönlich oft näheren Songs, auch: "Sage nein!" und den "alten Kaiser", herrliche Balladen, einfach perfekt) wunderbare Zwischentexte und ein Wecker in Hochform. Immer wieder dachte ich: die Zeit hat sich nicht verändert, auch die politischen Lieder stimmen nach wie vor, was sich verändert hat ist der Wille zur Zuständigkeit in den Menschen. Selten wurde Wecker in den Moderationen aktuell-politisch, meist waren es Erzählungen, was zu den Liedern geführt hatte, was in seinem (lesenwerten) Buch "Kunst des Scheiterns" stand, Gedichte wurden vorgetragen, Texte verlesen - niemals langweilig, notabene! - aber ich hätte mir mehr aktuelle Anmerkungen gewünscht, und ich hatte den Eindruck, viele im Publikum auch: sie wollten wieder ihren "Stellvertreter in der Empörung" auf der Bühne. Gross der Applaus, als er Mehdorn kurz kritisierte. Das Publikum war übrigens zum überwiegenden Teil über 50 - aber nicht nur.
Wie gesagt: die zweite Hälfte war wesentlich dichter, da waren sowohl Publikum als auch Bühne endlich in Hochform (soweit das eine kalte hohe Halle wie das tempodrom zulässt) - und (aber) er fand und fand kein Ende. Fast vier Stunden dauerte das Konzert, und ich fand: das war zu lang. Ich halte es eher mit den Krautfleckerln der Tante Jolesch: man sollte immer ein wenig Hunger zurücklassen. Allein, das ist sicher schwierig, wenn man nach zähem Anfang endlich so richtig Spass hat am Konzert. Aber ich persönlich denke: viele würden früher nochmal in ein Wecker-Konzert gehen, wenn sie gestern nicht so einen Overkill an Wecker gehabt hätten - egal, wie sehr man Krautfleckerl liebt, man kann sich auch überfressen daran, und dann dauert es, bis man wieder Lust darauf hat.
Auch hier - wie beim letzten Weckerkonzert in der Philharmonie - denke ich mir: er könnte etwas besser beraten werden, die Leute um ihn sind irgendwie stehengeblieben, und man hat den Eindruck, es wird mehr die vergangene Zeit erzählt als die heutige wahrgenommen - nämlich: das heutige publikum bedient. Es wird nicht darauf geachtet, NEUES Publikum anzusprechen, sondern eher darauf, die alten zu halten. Und ich finde: kann nicht beides möglich sein?
Er spricht viel über seine 60 Jahre, was ich persönlich verstehen kann, ich spreche auch viel über mein Alter, weil ich es nicht fassen kann. Aber: er WIRKT nicht so, und er hätte es nicht nötig. Er ist noch genauso ein Berserker, ehrlich, wütend, liebestoll, lebendig, kraftvoll - und das gefällt auch jungen Leuten, auch für sie könnte er ein "Stellvertreter des wütenden Ausbruchs" ein Ventil und zugleich ein Trigger für tatsächliches Handeln sein - wie schade, dass er diese Rolle nicht mehr will: die Gesellschaft bräuchte sie.
Er zwingt mich, die Zeit, in der er ein Vorbild für mich war, als Erinnerung zu erleben, anstatt weiter und wieder neu Rôle model zu sein - und das tut mir Leid, denn er hätte eigentlich die Kraft dazu.
Aber trotzdem: Wermutstropfen hin oder her: es war ein schönes und erfüllendes Konzert.
Auch das Bier mit den Musikern nach der Show war total fein, übrigens, auch wenn sie alle nach einigen Bieren doch etwas anlassig wurden.

Sind echt liebe Jungs! Alles in Allem bin ich sehr dankbar, dass ich das Konzert erleben durfte - aufgrund des Bahnstreiks hatten wir noch dazu eine Karte "zuviel" - das war einerseits auch ein kleiner Wermutstropfen - aber ich konnte die Karte dann an unsere Dagmar weitergeben, und wir haben den Abend ungemein genossen!!!!!!