In meinem ganzen Leben habe ich noch NIE einen Künstler erlebt, mich eingeschlossen, der nicht auch irgendwo mehr oder weniger offen, verdeckt, verdrängt, versteckt, verschämt, verschwiegen, verharmlost, verleugnet, unerwähnt, selbstverständlich, tu-normal, usw. NICHTS mit Sucht zu tun hatte.
Hihi, der Satz ist jetzt murks, dank heißem Brei. Das hast du jetzt davon. 8-)
Ich sehe auch nicht einen Zusammenhang zwischen Künstler und Sucht. Ähnlich wie Guntram. Zumindest sehe ich keinen Zusammenhang, der nicht auch für "Chefarzt und Sucht," oder "Arbeitsloser und Sucht "gelten würde. Dass Künstler mehr denken oder fühlen als z.B. Professoren und Hebammen, halte ich für ein Vorurteil.
Ich denke, dass es einige Kriterien gibt, die Süchte begünstigen. Und einige treffen eben auch auf Künstler zu.
Wer viel Zeit mit sich allein verbringt, muss sich beschäftigen. Das gilt für diejenigen, die "einsam und ganz oben" sind, wie für diejenigen, die jeden Abend alleine in einem Hotelzimmer sind. Es gilt für die, die an Schreibtischen vor leeren Blättern sitzen, wie für diejenigen, die am Klavier vor leeren
Gläsern Stuhlreihen sitzen. Auch wer Existenzängste hat, weil er freischaffend oder arbeitslos ist, verfällt leicht in das weiche Bett der Süchte. Denn sie schaffen einen gewissen Abstand zu den eigenen Lebensumständen. Eine Hilfe aus diesen Umständen herauszukommen sind sie dabei aber sicher nicht, denn sie rauben einem eben die Energie, die man zur Bewältigung bräuchte. Aber, was sag ich, es ist ja Binse...
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass z.B. Alkohol schon den Neocortex zum rattern bringt, und einen dadurch auf komische Ideen kommen lässt. Die kann man dann aufschreiben und ggf am nächsten Tag nachvollziehen. Das ist einerseits verführerisch, leitet aber über kurz oder lang von der Sucht zur Abhängigkeit. Wer trinkt um zu schreiben, oder um sich von seinen Lebensumständen zu "erholen", schafft sich selbst Abhängigkeiten, die er dann auch noch mit sich rumschleppen darf. Gerade Süchte kosten Energie.
Das gilt aber eben auch für den Arzt, der sich nach zwölf Stunden Dienst und fünfzehn Gebärmutterhalsentfernungen bis zum nächsten Morgen auf die Pritsche legt und seinen Flachmann runternuckelt.
Ich denke, dass es gesellschaftlich Künstlern noch am ehesten zugestanden wird, dass sie mit ihren Süchten oder gar Abhängigkeiten kokettieren. Bei einem Postbeamten oder einem Hausarzt spräche man schnell von dem was es ist: Krankheit. Dies setzt natürlich voraus, das sie es vorher eingestanden und nicht- wie Usus- verheimlicht haben. Nur haben
die beiden scharfe Konsequenzen zu befürchten. Nicht so der Künstler: Ihm wird es- ganz vorurteilsgemäß- zugestanden, dass er ungesund lebt. Da liegt die Hemmschwelle es zuzugeben niedriger, und es wird sogar offen als zum Künstlerleben dazugehörend empfunden. Ist doch super: der Künstler "freut" sich über seinen Blankoscheck, und der Rezipient hat seinen vermeintlichen Bohémien.
Ähnelt, was den Grad der Ungesundheit angeht, dem menschenverachtenden Vorurteil vom "Kreativsein dank Armut". Im Endeffekt trägt jeder diese Vorurteile in sich, und niemandem nützen sie etwas, weil sie falsch und irreführend sind.
Viele Worte, dabei ist es doch eh allen klar...
"Verbogeny is one of the pleasurettes of a creatific thinkerizer." 
Peter da Silva