Heute in "Neues Deutschland":
Avantgardisten des Prekariats
Eine aktuelle Studie des Deutschen Kulturrates zeigt: Viele Künstler leben in Armut
Von Simone Schmollack
Der Maler Neo Rauch hat kürzlich ein Bild verkauft. Im Grunde ist das nichts Außergewöhnliches. Der Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und Begründer der Neuen Leipziger Schule hat schon viele Bilder gegen Geld getauscht. Das Besondere am letzten Deal ist der Preis, den er für sein Werk bekommen hat: 663 450 Euro. Damit ist Neo Rauch auf Platz zwei der Rangliste der teuersten zeitgenössischen Künstler gerauscht. Neo Rauch ist 46 Jahre alt. Bis zum Jahre 2008 sind alle seine Bilder bestellt und verkauft. Die meisten davon sind noch nicht einmal gemalt.
Jost B. verkauft auch Bilder. Der 45-jährige Maler und Bildhauer nimmt für eine Zeichnung bis zu 800 Euro. Eine Triptychon geht für 2200 weg, Mengenrabatt muss sein. Bei jedem Verkauf hat er ein schlechtes Gewissen: »Ist das nicht zu teuer?« Der Bochumer kennt die Lage auf dem Kunstmarkt genau so gut wie die Lage auf dem Arbeitsmarkt und mag den Leuten ungern solche Summen für seine Kunst abknöpfen. Obwohl er weiß, dass sie so viel und noch mehr wert ist. Aber er kennt auch seine Situation und weiß, dass er mit dem Preis nicht weiter runter gehen kann. Er ist auf jeden Cent angewiesen. Sein Atelier kostet 400 Euro im Monat. »Das ist billig«, sagt er. Die Wohnung ist eher ein Verschlag. Deshalb schläft er öfter, als es ihm lieb ist, im Atelier. »Dort habe ich Licht und Platz.« In manchen Monaten verdient er gar nichts, in anderen bis zu 1500 Euro. Je nach Nachfrage. »Ich kann nichts planen, nichts ist sicher.« Doch die monatlichen Festkosten bleiben, auch die Abzüge für die Lebensversicherung, die seine Rente darstellt.
Kein einziges Bild
Als vor anderthalb Jahren Hartz IV in Kraft trat, war das Land verunsichert. Auch die Kunstsammler taten sich plötzlich schwer. Das hat Jost B. zu spüren bekommen. Über ein halbes Jahr hat er kein einziges Bild und keine Plastik verkauft. Nicht mal eine kleine Zeichnung für 60 Euro ist er losgeworden. Er hat sich einen Job als Taxifahrer gesucht. Fortan saß er täglich zehn Stunden in einem alten gelben Benz und hat Touristen, Kranke und Alte durch die Stadt kutschiert. Manchmal bekam er dafür ein großzügiges Trinkgeld, manchmal ein nettes Wort. Und als Lohn zwischen 900 und 1100 Euro. In dieser Zeit aber konnte er keine Kunst machen und hat sich nicht mehr als Künstler gefühlt. Eine fette Depression rückte an.
Ein niedriges Einkommen
Laut einer Studie, die der Kulturrat und die Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität jüngst durchgeführt haben, beträgt das Jahreseinkommen von Malern, Schriftstellern, Tänzern, Sängern, Schauspielern 11 000 Euro, also gerade mal 900 Euro im Monat. Nun sind die niedrigen Einkommen von Künstlern allgemein bekannt. Aber eine Studie, die exakt darüber Auskunft gibt, wie sich die Honorare mit dem Alter der Befragten verändern, wie sie sonst leben und wie hoch der gefühlte Ertrag für Kunst ist, gab es das letzte Mal 1973 in den alten Bundesländern. Offensichtlich ist der Drang groß, die Situation von Künstlern besser zu kennen, um daraus eine Idee für alternative Lebens- und Arbeitsmodelle und einen Mehrwert für die Gesamtgesellschaft abzuleiten. Das Prekariat als Avantgarde! Worüber Jost B. nur milde lächeln kann, scheint für andere einen Argumentationsreiz zu besitzen. Denn so wenig die Künstler auch verdienen, so die Studie, sind sie mit ihrer Gesamtsituation nicht unzufrieden. Sie schätzen die Selbstständigkeit und das Gefühl von Unabhängigkeit und schöpferischer Freiheit. Das sagt auch Jost B. »Eigentlich müsste ich mir mal einen Bürojob suchen, um mich einigermaßen zu sanieren und um mit 45 nicht noch immer wie ein Student zu vegetieren.« Er hat im Internet nach Stellen gefahndet. Aber als er die Angebote las, wurde ihm endgültig klar, dass er in festen Strukturen nicht arbeiten kann. »Ich bin Künstler und das bleibe ich, egal, was ich mache. Dafür muss ich dann wohl oder übel auch die Unsicherheit in Kauf nehmen.«
Finanziell ging es Künstlern – mit einigen mehr oder weniger berühmt gewordenen Ausnahmen – noch nie sonderlich gut. Doch jetzt, so scheint es, spitzt sich die Lage noch einmal zu, sie wird als prekär bezeichnet. Seit der Jahrtausendwende haben soziale Netze zunehmend größere Löcher bekommen und Künstler fallen durch die Hartz IV-Regelung mit als erste aus der letzten sozialen Sicherungsmöglichkeit heraus. Sie haben größere Schwierigkeiten als andere nachzuweisen, wovon sie gelebt haben, wenn sie bei längerer Auftragsflaute doch mal gezwungen sind, Sozialleistungen zu beantragen. Arbeitslosengeld bekommen sie nicht, denn sie arbeiten freischaffend. Gab es früher die (etwas lockerer gehandhabte) Sozialhilfe, greift nun das harte Hartz IV-Gesetz. Doch bevor die erste Zahlung fließt, müssen Sparbücher (die fast nie vorhanden sind) und Lebensversicherungen (die meist gering ausfallen) weitgehend aufgebraucht sein. Die Betroffenen werden nicht nur ihrer Würde beraubt, schlimmer noch, ihnen wird die letzte Möglichkeit genommen, sich durch die Lebensversicherungen eine Rente anzusparen.
Trotzdem ziehen Künstler ein Leben in Unsicherheit dem abgefederten Dasein vor. Nicht, weil es sonderlich attraktiv ist und besonders kreativ macht, sich von Monat zu Monat neu überlegen zu müssen, wie Miete, Kleidung und Nahrungsmittel finanziert werden, sondern weil ihre Berufe fast nur freiberuflich ausgeübt werden können.
Die Untersuchung ist zwar nur, wie die Verfasser betonen, eine Stichprobenerhebung, dennoch lässt sich ein Trend erkennen: 66 Prozent der Befragten betrachten ihre Kunst als Haupterwerb, alle anderen Tätigkeiten, die mitunter den Broterwerb bilden bzw. ergänzend wirken, sind in Künstleraugen Zu- oder Nebenerwerb. Das Einkommen unterscheidet sich je nach Sparte, Alter und Geschlecht: Je jünger die Betroffenen, desto weniger verdienen sie, Männer kriegen mehr als Frauen und Wort- und bildende Künstler etwas mehr als Musiker und darstellende Künstler. Schriftsteller unter 30 erhalten durchschnittlich 11 000 Euro jährlich, Schriftstellerinnen unter 30 bis zu 8900 Euro. Dichter zwischen 50 und 60 Jahren erschreiben sich etwa 18 000 Euro im Jahr, Dichterinnen 2000 Euro weniger. Musiker zwischen 30 und 40 verdienen rund 9000 Euro jährlich, Musikerinnen der gleichen Altersspanne rund 1500 Euro weniger. Bildhauerinnen und Malerinnen zwischen 40 und 50 leben von etwa 9000 Euro im Jahr, ihre männlichen Kollegen von knapp 12 000 Euro. Vereinfacht lässt sich sagen, dass der Verdienst der Frauen mit jedem Lebensjahrzehnt etwa um 1000 Euro jährlich steigt, der der Männer um 2000 Euro.
Kunst als Haupterwerb
Davon kann man nicht leben. Und das hat in den wenigsten Fällen etwas mit der Qualität der Kunstwerke zu tun. Konnten bis vor wenigen Jahren lediglich zwei Prozent aller Künstler von der Kunst leben, so sind es heute immerhin schon vier Prozent. Dank zahlreicher Stipendien, befristeter Werkverträge, Preisgelder, Studienaufenthalte. Inzwischen nimmt auch in Deutschland cultural sponsoring ein wenig Form an, in Amerika ist das seit Jahren ein ganzer Industriezweig. Kunstinteressierte vermögende Privatpersonen gründen Stiftungen oder stellen Preisgelder in nicht geringen Höhen zur Verfügung, lassen Künstlerhäuser bauen und unterstützen einzelne Künstler aus aller Welt. In Deutschland werden die kommunalen Ausgaben für Kunst und Kultur sowie die Zuwendungen für Frauenprojekte meist als erste gekürzt, wenn es heißt: Wir müssen sparen. Das ist ein altes Lied. Und als vor wenigen Wochen in Chemnitz Bürgermeisterwahlen stattfanden, machte der CDU-Kandidat Detlef Nonnen Kunst und Kultur zu einem Wahlkampfthema. Er könne getrost auf Kunst und Kultur verzichten, das koste doch nur Geld, sagte er. Gewonnen hat schließlich die Kandidatin der SPD Barbara Ludwig, die sich ausdrücklich für Theater, Malerei und Film aussprach.
In einem Punkt ist die Erhebung des Kulturrates ein Novum. Sie hat erstmalig untersucht, in welchen Haushalten die Befragten leben und ob sie Kinder haben. Im Alltag können auch Künstler sehr irdisch sein. Frauen leben häufiger in Zweipersonenhaushalten und zum größten Teil von ihren Partnern, Männer eher allein. Schriftstellerinnen und literarische Übersetzerinnen haben häufiger Kinder als andere Künstlerinnen. Trotzdem spielten Kinder und Kinderbetreuung beim Motiv, sich in der jeweiligen Kunstsparte selbstständig zu machen, eine eher untergeordnete Rolle. 80 Prozent der Künstler gaben an, vom Gehalt der Partner zu profitieren bzw. von ihnen durch unbezahlte Mitarbeit unterstützt zu werden.
Jost B. hat keine Kinder und zur Zeit auch keine Frau. Das ist einerseits ein Glück, »weil ich nur für mich selbst sorgen muss«. Andererseits fehlt ihm ein Stück seelische Geborgenheit, die eine Liebe bietet und die ihn in psychischen Krisensituationen stützen könnte.
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=96340&IDC=4