ADAM SCHAF HAT ANGST
Buch und Musik: Georg Kreisler
Uraufführung:
Berlin, Berliner Ensemble, 04.12.2002
Akteur: Tim Fischer
Regie: Werner Schroeter
Thomas Dörschel - Klavier
Neuinszenierung:
Hamburg, Schmidt Theater, 13.10.2006
Akteur: Tim Fischer
Regie: Georg Kreisler
Rüdiger Mühleisen - Klavier
Link mit Fotos:
http://www.tivoli.de/index.php?id=event803 Die CD:
Persönliche Eindrücke:
DER GEORG KREISLER VIRTUOSE
Georg Kreislers „Adam Schaf hat Angst“ im Münchner Prinzregententheater und auf CD, 10.11.2007
Die Idee wurde vielfach erprobt und auch hier erfolgreich übernommen: Man nehme bereits vorhandene passende Songs bzw. Chansons und bastle um sie herum eine Geschichte. Im großen Stil verdienen die Komponisten und Texter von ABBA über Boney M. bis zu Queen und Udo Jürgens damit Geld, Georg Kreislers „Heute Abend: Lola Blau“ und jetzt „Adam Schaf hat Angst“ gehören zu den anspruchsvollsten und gleichzeitig sinnvoll einfach zu verwirklichenden Beiträgen dieser Machart des Musicals, bauen doch beide auf jeweils nur eine Hauptperson, einen musikalischen Begleiter und einige Zuspielungen vom Band sowie, was das Bühnenbild betrifft, auf wenige notwendige Requisiten auf (je nach Inszenierung erweiterbar). Erlebt Lola Blau ein Emigrantenschicksal, so blickt der alt gewordene Schauspieler Adam Schaf, unterstützt mit den vielfach herrlich zynischen Chansons von Georg Kreisler, auf sein Leben zurück.
Das Prinzregententheater ist zu drei Viertel voll, man wartet gespannt auf Tim Fischer, der dieses vom Autor höchstpersönlich inszenierte Werk erstmals in München vorstellt. Der „Lola Blau“ Kenner im Publikum wähnt sich im „Schlussbild“ einer „Lola Blau“-Inszenierung: eine Bühnengarderobe, ohne Kulisse, nur mit Requisiten eingerichtet. Rechts steht der Flügel mit dem (nehmen wir es vorweg: souveränen) Pianisten Rüdiger Mühleisen, der zum Publikum schaut. Ein gebrechlicher alter Mann, den die Jazz Big Band im Theaterraum dahinter nervt (auf der CD ist es „Foyer-Lärm“), stellt sich uns vor, er singt von der „Gewohnheit“ und präsentiert uns den Text seiner kleinen Rolle eines Reiseführers, alles, was ihm, dem einst gefeierten Schauspieler, geblieben ist an gegenwärtiger aktiver Kunstausübung. Wenn er spricht, erinnert dieser „alte“ Tim Fischer auf der CD an eine Mischung aus Marcel Reich-Ranicki und Otto Schenk, auf der Bühne schimmern diese stimmlichen Vergleichsangebote aber weniger durch. Dann singt er, wie man „mit den Köpfen gegen die Wand“ schlägt, dazu werden Zitate von Angela Merkel eingeblendet. (Diese Nummer fehlt auf der CD.) Gesanglich lehnt sich Tim Fischer stark an Georg Kreislers Gesangsstil an, teilweise mutiert die Diktion in eine virtuose Übersteigerung von Kreislers ganz typischem Vortragsstil. Adam Schaf beginnt sich zu erinnern, er legt die Alterskleidung und Perücke ab, der junge Tim Fischer demaskiert politisch brillant die „Schwärmerei“ und legt auf dem „Weg zur Arbeit“ einen Trenchcoat an, mit dem Hut am Kopf marschierend und dabei alle Mitbürger demaskierend, die sich´s nach dem Zweiten Weltkrieg gerichtet haben und unbehelligt weiter machen, als wäre nichts gewesen. Eine starke Nummer!
Tim Fischer schafft einen spannenden Spagat zwischen Outrage und Zurücknahme. Es ist faszinierend, ihm zuzuschauen, wie er jede musikalische Nummer meistert, er bleibt aber ein Virtuose, dem man oft verblüfft zuschaut, mit dem man aber nur selten wirklich mitlebt.
Kreislers bitterböse Abrechnung mit „Gelsenkirchen“ ist die längste Musiknummer des Programms. Sie „schreit“ geradezu nach Applaus. Das Publikum hat bis jetzt gespannt verfolgt was alles passiert ist, nun entlädt sich dieser erste Applaus befreit über Tim Fischer. Der ist gleichzeitig Showbühnenprofi wie Theaterschauspieler und weiß professionell damit umzugehen. Auch die Schnellsingnummer „Meine Freiheit, deine Freiheit“ ebnet den Weg zum sicheren Applaus. Selbst das bitterböse Lied vom „Staatsbeamten“, wo es sehr direkt ums „Arschkriechen“ geht, wird heftig akklamiert. Jetzt ist das Publikum endgültig „mitten drin“, der Abend längst eine brillante Mischung aus Tim Fischer Entertainment Abend und tragikomischer Lebensbilanz eines Schauspielers geworden. Sein „Sekretär“ hat noch gerätselt, ob er Mann oder Frau ist, Adam Schaf hingegen hat trotz erkannter Homosexualität geheiratet, wohl um das Lied „Die Ehe“ unterzubringen. Über Goethe-Institute gelangen wir zu einem Wien-Block mit einer Neutextierung der „Kleinen Nachtmusik“ und Gedanken zu „Oper, Burg und Josefstadt“.
Tim Fischer setzt sich eine Clownmaske auf, und er äußert eine allgemeine Angst. Plötzlich ist er sehr ernst. Die Szene ist beklemmend inszeniert. Er singt „Wenn ihr lachen wollt“, und allen im Theater bleibt dabei das Lachen im Halse stecken. Der stärkste Eindruck des Abends, die am meisten unter die Haut gehende Nummer! Das Ende des Liedes geht mit bösem Lachen ab, Stille, Versteinerung. Dann – wie zum Hohn – der Donauwalzer vom Band.
Pause.
Auf der CD schlüpft Tim Fischer nun verbal in ein Frauenkostüm (einer Kollegin), im Prinzregententheater tritt er ohne weiteren Kommentar einfach als Frau auf. Als hätten die Tim Fischer Fans nur darauf gewartet, verwandelt sich die seriöse Theateratmosphäre in ein Show-Tollhaus. Sie fressen ihm diese Facette seiner Kunst aus der Hand, spenden begeisterten Auftrittsapplaus. Die dazu gehörende Nummer ist „Immer wenn, immer dann“. Und Fischer setzt sich, kurz mal nur Entertainer, nicht Adam Schaf, verbal drauf, stolz ins Publikum rufend: „Sieht doch gut aus an mir!“ Jubel im Theater. Jetzt geht es um Liebe und Sex. „Wenn die Mädchen nackt sind“ (nicht auf der CD, aber von Fischer bereits zuvor für eine Kreisler CD eingespielt) wird optisch mit zahlreichen an die Bühnenwand projizierten Aktfotos aufgepeppt, zwischendurch auch einmal ein nackter Mann, vom Publikum amüsiert zur Kenntnis genommen. Weitere Höhepunkte der Aufführung sind die Lieder „Wenn ich lieben dürfte“ und vor allem der wunderbare Walzer „Träume“.
Adam Schaf hat noch 20 Minuten bis zu seinem Auftritt, die Inspizientin wird ihm bis zum Ende die Zeit angeben, er liest Zeitung und lässt sich herrlich zynisch über die Änderungen der Preise und Charaktere von Menschen (nicht auf CD) und die Mächtigen und Reichen („Sie sind so mies“) aus, und er nimmt uns mit auf die „Reise nach Jerusalem“, dabei wieder alt werdend (Perücke auf, umziehen). „Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen.“
Das Ende ist ähnlich resignativ wie das von „Lola Blau“. Die Inspizientin mahnt, er muss sofort auf die Bühne. Tim Fischer darf natürlich noch nicht von der Bühne, der heftige Applausorkan erzwingt eine Zugabe: „Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen“, diesmal nicht als alter Schauspieler, den Stock für den Auftritt suchend, sondern als einfaches Lied. Das Publikum nimmt es als Zugabenlied und verabschiedet Tim Fischer, den Georg Kreisler Virtuosen, trotz der bitterbösen Aussage sehr herzlich. Man darf gespannt sein, ob sich „Adam Schaf hat Angst“ so wie die „Lola Blau“ dereinst von Tim Fischer verselbständigen wird und andere Inszenierungen folgen werden.
Die CD (SONY/BMG 88697044612), im November 2006 im Hansa Studio Berlin eingespielt, macht die bei der Aufführung manchmal undeutlichen Texte verständlicher und offenbart damit den grandiosen Zynismus Georg Kreislers genauso wie die zur akustischen Schau gestellte Virtuosität Tim Fischers, ergänzend zur teilweise androgynen optischen von der Aufführung, noch besser. Außerdem enthält sie einen Einführungstext und von Georg Kreisler kommentierte Szenenbilder der Aufführung.