Eisler meets Tucholsky

Begonnen von angel, 05. November 2005, 16:56:48

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angel

Ich bekam eben Besuch von einem Freund, der von einer Veranstaltung der Kurt-Tucholsy-Gesellschaft kam.
http://www.tucholsky-gesellschaft.de/

Zur Zeit findet eine Tagung der Kurt-Tucholsky-Gesellschaft in Berlin in Zusammenarbeit mit der Hanns-Eisler-Gesellschaft statt.

Im Rahmen dieses Kongresses ist morgen um 11 Uhr im deutschen Theater ein Chanson-Matinee. Im Programm heißt es dazu:

"EISLER MEETS TUCHOLSKY

Vierzig Texte von Kurt Tucholsky hat Hanns Eisler in mehr als dreißig Jahren vertont. Der Schauspieler Ernst Busch war die treibende Kraft: »Oft kam er schon am frühen Morgen zu mir«, erinnerte sich Eisler später, »und brachte Texte, die er gerne singen würde.« So entstanden bereits 1930 Eislers erste Kompositionen zu Texten aus der Versfabrik des Theobald Tiger. Auch später ließ Busch nicht locker, eine Schallplatten-Edition mit Tucholsky-Liedern zu realisieren. Anlässlich der Verleihung des Kurt Tucholsky-Preises für literarische Publizistik sind die Lieder jetzt wieder live zu hören - vorgetragen von Margit Bendokat, Gisela May, Barbara Ferun, Katrin Klein, Katherina Lange, Kathrin Wehlisch, Rainer Basedow, Gabor Biedermann, Holger Daemgen, Wolfgang Häntsch, Udo Kroschwald, Maxim Mehmet, Ilja Richter, Peter Siche, Bernd Stempel, Peter Wittmann. Am Klavier: Nikolai Orloff. Zusammenstellung und Leitung: Volker Kühn."
http://www.deutsches-theater.berlin.net/programm/dtextra_detail.php?sid=670

Dies werde ich mir nicht entgehen lassen.  [smiley=old_smiley.gif]


Maexl

*heul* warum muss ich immer am arsch der welt wohnen? *grml*  :'(

Bastian

Na komm, dafür ist dort die Luft besser.
::)

whoknows

Oja. DAS würde mich auch SEHR interessieren...aber leider: keine Zeit. Sauerei.

angel

#4
Ich war dort und habe das Matinee genossen. Hier die 16 Lieder, die vorgetragen wurden.

1.  Der Graben
2.  Heute zwischen Gestern und Morgen
3.  Lied vom Kompromiß
4.  Rosen auf den Weg gestreut
5.  Einigkeit und Recht und Freiheit
6.  Sommerlied
7.  Das alte Vertiko
8.  Feldfrüchte
9.  An den deutschen Mond
10.  Der Priem
11.  Wenn die Igel in der Abendstunde
12.  Ideal und Wirklichkeit
13.  Die Nachfolgerin
14.  Mutterns Hände
15.  Einkäufe
16.  Weißensee

Viele dieser Lieder und Texte (alle, die das Verhalten der Sozialdemokratie auf's Korn nahmen) sind natürlich hochaktuell und erhielten sehr viel Applaus.

Ich fand Ilja Richter mit "An den deutschen Mond" am beeindruckendsten.

Ich habe die Titel mit den Liedertexten verlinkt, sofern ich sie im Internet gefunden habe. Aber leider existiert z.B. u.a. der 1932 geschriebene Text "Heute zwischen Gestern und morgen" ...  :(

Die umfangreichste Textsammlung im Internet ist hier sowie im Tucholsky-Net zu finden.

Maexl

egal - ich hab eine TucholskyGA... muss nur wissen aus welchem Jahr.

angel

#6
Hi Maexl, ne GA mit Bibliografie habe ich auch. Diese befindet sich im letzten Band der GA.

Heute bekam ich von diesem Freund eine CD mit Tucholsky-Liedern geschenkt, worüber ich mich sehr gefreut habe.

Hier noch die Texte von der obigen Auflistung, die nicht im Internet sind:

[size=15]Heute zwischen Gestern und Morgen[/size]

Wie Gestern und Morgen
sich mächtig vermischen!
Hier ein Stuhl - da ein Stuhl -
und wir immer dazwischen!
Liebliche Veilchen im März -
Nicht mehr.
Proletarier-Staat mit Herz -
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben -
denn wir leben
in einer Übergangszeit - !

Geplappertes A-B-C
bei den alten Semestern.
Fraternité - Liberté -
ist das nicht von gestern?
Festgefügtes Gebot?
Nicht mehr.
Flattern die Fahnen rot?
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben -
denn wir leben
in einer Übergangszeit - !

Antwort auf Fragen
wollen alle dir geben.
Du mußt e tragen:
ungesichertes Leben.
Kreuz und rasselnden Ruhm -
Nicht mehr.
Befreiendes Menschentum -
Noch nicht.
Noch ist es nicht so weit.
Denn wir leben -
denn wir leben
in einer Übergangszeit - !


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[size=15]Einigkeit und Recht und Freiheit[/size]

Was die Freiheit ist bei den Germanen,
die bleibt meistens schwer ikognito.
Manche sind die ewigen Untertanen,
möchten gern und können bloß nicht so.
Denn schon hundert Jahr
trifft dich immerdar
ein geduldiger Schafsblick durch die Brillen.
Doof ist doof.
    Da helfen keine Pillen.

Was Justitia ist bei den Teutonen,
die hat eine Binde obendrum.
doch sie tut die Binde gerne schonen,
und da bindt sie sie nicht immer um.
Unten winseln die
wie das liebe Vieh.
Manche glauben noch an guten Willen...
Doof ist doof.
    Da helfen keine Pillen.

Was die Einigkeit ist bei den Hiesigen,
die ist vierundzwanzigfach verteilt.
Für die Länder hat man einen riesigen
Schreibeapparat gefeilt:
Hamburg schießt beinah
sich mit Altona;
Bayern zeigt sich barsch,
ruft: "Es lebe die Republik!"
Jeder denkt nur gleich
an sein privates Reich...
Eine Republike wider Willen.
Deutsch ist deutsch.
    Da helfen keine Pillen.

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[size=15]Das alte Vertiko[/size]

Zu Haus, in unsrer guten Stube,
da stand, gleich neben dem Trümloh,
mit einem Griff an jdem Schube
ein altes braunes Vertiko.
Es war verziert und reich gedrechselt
mit Knöfen, Knöpfen weit und breit;
den Stil hat niemand nicht verwechselt:
    Diß war noch aus der Muschelzeit.

Mir schiens ein Sinnbild unsres Lebens.
So kam zu mir in jungem Jahr,
leicht schielend, aber nie vergebens,
ein Mädchen schön und wunderbar.
Ich habe gern mit ihr gemuschelt;
und wenn mein kleiner Anton schreit,
mit Silberblick sich an mich kuschelt...
    Der ist noch aus der Muschelzeit.

Das gute Kind! Heut machts noch Faxen,
es inkelt mit und ohne p;
doch ist der Junge mal erwachsen,
dann kommt er in die SPD.
Da gibt es Leute, die noch glauben
an Taktik, Maß, Gerechtigkeit...
Das will ich ihnen auch nicht rauben.
      Mein Gott, ihr seid
      ja so gescheit ...
    Und stammt noch aus der Muschelzeit.


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[size=15]Die Nachfolgerin[/size]
- aus: Die Frau spricht -

Ich habe meinen ersten Mann gesehn -
der ging mit einer!
Hütchen, Rock und Bluse (Indanthren)
und zwei Kopf kleiner!
Sie muß ihn wohl ins Büro begleiten ...
Über den Geschmack ist nicht nicht zu streiten.
    Na, herzlichen Glückwunsch!

Sein Gehirn ist bei der Liebeswahl
ganz verkleistert,
wenn er siegt, dann ist er allemal
schwer begeistert.
Ob Languettenhemd, ob teure Seiden -
seinetwegen kann man sich in Säcke kleiden ...
    Na, herzlichen Glückwunsch!

Frau ist Frau. Wie glücklich ist der Mann,
dem das gleich ist!
Und für sowas zieht man sich nun an!
Als ob man reich ist!
Das heißt: für ihn ... ?
      Wir ziehen unsre Augenbrauen
    für und gegen alle andern Frauen.

Immerhin erwart ich, daß ers merken kann;
ich will fühlen, daß ich reizvoll bin.
Dreifach spiegeln will ich mich: im Glas, im Neid, im Mann.
    Und der guckt gar nicht hin.

    Liebe kostet manche Überwindung ...
    Männer sind eine komische Erfindung.

whoknows

Die sind NICHT im internet? Ich dachte, die gehören zu den bekannteren Texten von ihm - jedenfalls sind doch die Schlusszeilen gerade von diesen dreien in den alltäglichen Sprachgebrauch übergegangen.
Ich hab auch eine GA (muss man doch, oder?) und ich dachte, jetzt kommen gnaz neue, unbekannte Texte..... :-?

angel

whoknows, diese Texte sind jetzt im Internet, also hier, waren es vorher aber nicht, ich habe mittels Google lange danach gesucht...
Ich konnte gestern nacht nicht schlafen und so habe ich sie halt aus den Büchern abgeschrieben. Da ich flott tippen kann, hat's auch nicht allzu lange gedauert. Aber bald werde ich auch einen Scanner haben und dann geht sowas noch schneller...