ANDREAS FREIHEIT
Andrea Eberl und Bastian Kopp mit „Alles lacht in mir – Lieder über das Leben“ im Lokal „Nachtschwärmer bei Ernst“ (Berlin - Wedding), 7.10.2005
Die 1964 in Wien geborene, von Geburt an blinde Liedermacherin Andrea Eberl verbrachte in den 90ern einige Jahre in Hamburg, ehe sie nach Köln übersiedelte. Von ihr liegen im Jahr 2005 drei Maxi CDs vor. 1994 brachte sie unter dem Namen Andrea Anschi „Dialog im Dunkeln“ (Maxi CD Eigenproduktion Nr. 47110815) auf den Markt. „Dialog im Dunkeln“ (Musik Claudia K. / Text Andrea Anschi) ist ein ansprechend arrangierter Popsong, der die Sensibilität der Dunkelheit einfängt. Im zweiten Lied „Ich bin blind“ (Musik Claudia K. / Text Andrea Anschi und Claudia K.) thematisiert Andrea selbstbewusst ihr angebliches Handicap, teilweise mit Rap-Passagen. Die von Rudi Mille professionell im Blue Note Studio aufgenommene und programmierte Maxi CD hört man als eine beachtliche Talentprobe der Künstlerin. Noch viel persönlicher hört sich die 2003 entstandene Maxi CD „Es lacht in mir“ (wave sounds o. Nr.) an: ganz authentisch wirkende Klavierballaden mit sehr ehrlich empfundenen Texten. „Alles lacht in mir“ (Musik Andrea Eberl und Richard Schütz / Text Andrea Eberl) ist ein wunderschönes, das Sein bejahendes Lied. „Die Freiheit der Gedanken“ (Musik Andrea Eberl und Richard Schütz / Text Andrea Eberl) bedeutet gleichzeitig das Bekenntnis zum Lebenspartner. „Toleranz Opus 69 Variation 21d“ (Musik Andrea Eberl / Text Götz Widmann) dreht sich um das Wasser, die Luft, die Liebe und das Gute, ein großartiger Text von Widmann, in der vorliegenden Fassung von Pianist Richard Schütz wie John Lennons „Imagine“ musikalisch eingefangen. Und die „Frau mit Alkohol“ (Musik Andrea Eberl und Richard Schütz / Text Andrea Eberl) besingt bluesig und selbstbewusst ein an sich heikles Thema. Andrea arbeitet die Grundstimmungen der durchwegs nur mit Klavier (von Richard Schütz) begleiteten Lieder in ihrem Gesang sehr differenziert aus. Die dritte Maxi CD „Demo 2004“ (Eigenproduktion o. Nr.), eigentlich schon aus dem Jahr 2001 stammend, aber um ein Lied ergänzt, setzt im ersten Lied wieder auf ein einfaches großteils elektronisches Pop-Arrangement. „Große Frau“ (Eberl / Krutwig) ist ein Freundschaftslied, im Refrain feierlich mit Bläsern aus dem Computer unterstützt. „Souvenir von Dir“ (Eberl / Viehböck), wieder eine wirklich wunderschöne Klavierballade (das ist das neue Lied!), gehört auch jemandem, den Andrea sehr gern hat. Es erklingt in zwei Versionen: als Duett mit Guido Krutwig - und solo. Rockig ist „Meine Freiheit“ (Eberl / Roslan) arrangiert. Darin singt sie wieder selbstbewusst: „Ich kann sein wie ich bin, wenn´s mir gut geht.“ „Wird das wieder gut?“ (Eberl / Scheidt) kommt akustisch als sanfter Popsong mit Rockelementen daher. Andrea beschreibt, wie es ihr geht, wenn sie den falschen Ton getroffen hat. Geht man von den CDs aus, ist Andrea eine sehr persönlich dichtende Liedersängerin, die ihre Chansontexte gerne in griffige, oft balladeske Klänge setzt. Auf ihrer Homepage
www.andreaeberl.de kann man auch zu einigen Songtexten lesen, wie sie entstanden sind. Die Empfindungen und Gedanken dieses authentischen Menschen konnte man also am 7.10.2005 im Hinterraum einer Berliner Kneipe mit kleiner Bühne hören. Typische Berliner Kneipenatmosphäre vor Beginn, ein paar lautstarke Originale leben die Lebensweisheit aus, die man erst gewinnt, wenn der Alkohol dafür gesorgt hat, die Alltagsprobleme wenigstens irgendwie zu ertragen. Auch der rührige Kneipenwirt ist nicht mehr ganz nüchtern, als er die etwa zehn Zuhörer des Abendprogramms begrüßt. Im Lauf des Konzerts werden dann im Hintergrund immer wieder Kneipenbesucher, Zaungäste gewissermaßen, herein lauschen, und einige bleiben auch da. Andrea singt stehend mit Mikrophonständer vor sich, und Pianist Bastian Kopp sitzt rechts vor ihr am Pianino. Andrea ist nicht sehr groß. Sie hat derzeit blondes kurzgeschnittenes Haar und trägt eine dunkle Brille. Irgendwie sieht sie unscheinbar aus. Aber in dem Moment wenn sie zu singen beginnt, öffnet sich eine Welt – Andreas musikalische Welt, die den Hörer mitnimmt in ihre erlebten, gelebten Gedanken und Empfindungen. Sie versucht gar nicht den Eindruck zu vermitteln, professionelles Coaching in Anspruch genommen zu haben. Und gerade dadurch wirkt sie besonders herzlich, ganz ehrlich in ihrem Auftreten und erst recht in ihren Liedinterpretationen. Die kommen von innen heraus, das spürt man in jeder Nuance. In Bastian Kopp dürfte sie den idealen Pianisten für ihre Chansonauftritte gefunden haben. Bastian hat schweizerische und holländische Wurzeln, er sieht aber auch aus wie einer dieser umwerfend attraktiven Italiener, die einen Raum betreten, und sofort kann man alle Mädchen vergessen (egal was vorher war), denn die sind natürlich nur mehr auf ihn fixiert. Bastian hat sich so in die Lieder eingelebt, dass er alles auswendig beherrscht. Sein farbenreiches Klavierspiel gibt jedem Lied die nötige Grundstimmung, über der Andrea sich frei bewegen kann. Er vereint die unbedingt nötige Professionalität des routinierten Klavierbegleiters mit der sehr berührend mitzuverfolgenden Fähigkeit, mit der Sängerin mitzuatmen. Er schaut sie fast immer an während er Klavier spielt, seine Hände laufen von selbst über die Tasten. Noch deutlicher sieht man dieses optische Einfühlen bei den beiden Liedern, die er neben ihr auf der Bühne mit der Gitarre begleitet. Andrea geht kein Risiko ein, sie fängt mit einem ihrer schönsten Lieder an, der Widmann-Vertonung „Toleranz Opus 69 Variation 21d“ – damit weiß der Hörer, in welche Richtung dieser Abend laufen wird: ansprechende, poetische Texte, in nicht zu komplizierte, die Worte behutsam bis griffig direkt auffangende Musik gehüllt. Das zweite Lied „Sing mich träumend, lächelnd“ unterstreicht die Authentizität der Künstlerin. Auch wenn die Umwelt sich einmischt, es ist gut, man selbst zu bleiben. Andrea leitet die meisten Lieder mit kurzen einführenden Worten ein. Spätestens nach „Alles lacht in mir“ ist man ganz im Bann dieser Lieder. Und dann beginnt Bastian Kopp mit ordentlichem Groove zu spielen. Man denkt: Aha, das nächste Beziehungslied! Aber die Pointe steckt im Refrain: Es geht um die „Schwarze Lederjacke“. Bastian singt die zweite Stimme dazu, und dieses Lied ist ein echter Hit! Für eine Bürokollegin entstand das Lied „Es scheint in dir die Sonne“, komponiert vom ungemein begabten Jung-Kabarettisten und Schauspieler Flo Stanek aus Eichgraben in Niederösterreich. Das erste Lied, das Bastian mit Gitarre begleitet, handelt von einer Lehrerin, die sich in der Maturaschule durchaus beeindruckend für Andrea gut durchgesetzt hat: „Das Besondere an ihr“. Vor der Pause gibt es noch „Die Freiheit der Gedanken“. „Große Frau“ gleich nach Wiederbeginn widmet Andrea diesmal einer anwesenden Besucherin, die sich tapfer durch eine schwere Krankehit durchkämpft. Und ihrer besten Freundin gehört das großartige „Souvenir von Dir“. „Sie denken über mich nach“ hat zum Thema, wie sich Andrea einmal benutzt gefühlt hat und sich wünscht, mit jemandem zusammen zu sein, der sie versteht. Dieses Lied ist voll Melancholie. In dieselbe Kerbe schlägt „Wird das wieder gut?“ Bastian nimmt erneut die Gitarre. Die ist jetzt etwas lauter im Verstärker zu hören, aber auch Andrea singt das Lied „Meine Freiheit“ kräftiger als andere Lieder. Sie erklärt, dass dieser Song das Gefühl einfängt, wie es ist, in eine neue Stadt zu ziehen – also (sehr optimistisch) den Neuanfang. Ihr erstes Lied „Ich fühl mich wie ein Lied“ entstand 1987, Andrea singt „Doch trotzdem war´s einmal dein Lieblingslied“, hier ist es das nachdenklich stimmende, poetische offizielle Konzertfinale: „Früher war ich mal dein Frühlingslied!“ Immerhin hören wir zwei Zugaben, das Publikum ist hörbar angetan vom Gebotenen. „Die Frau mit Alkohol“ und (mit von Andrea gewünschtem Publikumschor) „Dialog im Dunkeln“ beschließen das Konzert. Hauspianist Robert Bowness-Smith und Lokalmatador Siegmar Falk leiten bald mit Georg Kreislers „Ich hab ka Lust“ die sicher obligate lange Nach-Konzert-Nacht bei den „Nachtschwärmern“ ein. Man wünscht Andrea Eberl viele Auftrittsmöglichkeiten wie diese und (bitte gemeinsam mit Bastian!) eine CD mit all den Liedern des Konzertprogramms.