Jörg Immendorff wirkt gezeichnet von seiner schweren Krankheit. Als die Richter eintreten, muss ihm sein Anwalt helfen, sich zu erheben. Der 59-jährige Kunstprofessor räumt sofort alle Vorwürfe der Anklage ein, gesteht seinen Kokainkonsum und seine Sex-Orgien.
Aber der Vorsitzende Richter Jochen Schuster will es ganz genau wissen. «Haben Sie gedient? Sind Sie sexuell normal veranlagt? Hatten Sie schon früher Kontakt zu Prostituierten? Haben Sie mal an der Steuer vorbei ein Bild verkauft?» Der Prozessauftakt vor dem Düsseldorfer Landgericht wird für den renommierten Maler zum quälenden Verhör. Richter Schuster kennt kein Pardon.
«Das wäre ja auch noch schöner», entfährt es ihm, als Immendorff beteuert, nie in der Kunstakademie gekokst zu haben. Der Maler schildert, wie er vor zehn Jahren «aus leichtsinniger Neugier» die Partydroge in Clubs auf der Düsseldorfer Königsallee ausprobiert hat. Vor fünf Jahren habe sich die Bedeutung des weißen Pulvers für ihn aber völlig verändert.
Nach der niederschmetternden Diagnose, an der Nervenkrankheit ALS unheilbar erkrankt zu sein und bald zu ersticken, hätten ihn «extreme Angstschübe» geplagt. Allmählich sei er «zum Krüppel geworden», sagt Immendorff. Kokain sei sein Mittel gegen die Panikattacken, aber auch sein Instrument zum Stillen seiner «Lebensgier» geworden.
Mal drei, mal fünf, mal zehn Gramm habe er gekauft, sich in Hotels eingemietet, Prostituierte bestellt und sich mit Kokain, Pornofilmen und Alkohol «über meine körperlichen Gebrechen hinweggetäuscht und euphorisiert». Das Kokain habe er in einen Aschenbecher geschüttet und dann mit Strohhalmen oder Geldscheinen geschnupft. Er habe sich in den Hotelsuiten «sexuell amüsieren wollen», räumt der Maler ohne Zögern ein - eine «erotische Inszenierung» ohne Geschlechtsverkehr. «Meine Familie war die eine Seite, meine Lebensgier eine andere.
» Richter Schuster bohrt weiter, bis Immendorff genug hat: «Meine sexuellen Bedürfnisse möchte ich hier nicht weiter erörtern.» Aber der Jurist nennt die Namen der Prostituierten, will mehr wissen. «Laut Prognose meiner Ärzte habe ich über meine Zeit gelebt. Wenn mir danach war, habe ich mir das Recht genommen, Prostituierte einzuladen», sagt der Maler sichtlich verärgert.
Der Richter konfrontiert den Künstler mit Zeugenaussagen der Damen: «Der kam schon mal mit weißer Nase aus dem Nebenzimmer.» Doch diesmal behält Immendorff die Fassung: «Dem ist nichts hinzuzufügen.» Die Zuschauer im Gerichtssaal schauen betreten.
Der Beuys-Schüler Immendorff war vor knapp einem Jahr in der Suite eines Düsseldorfer Luxushotels mit neun Prostituierten und mehreren Gramm Kokain von Polizisten erwischt worden. Er muss nun mit einer Haftstrafe und dem Verlust seiner Professur rechnen.
Von der Fassade der weltweit angesehenen Kunstakakademie unweit des Gerichts hing für kurze Zeit am Montag ein Solidaritäts- Transparent für den suspendierten Kunstprofessor. Die erwarteten Studentenaktionen blieben zum Prozessbeginn aber aus: «Das wär vor 30 Jahren ganz sicher anders gewesen», meinte der Akademie-Pförtner lakonisch.
hg/dpa
20.07.2004