Kunst und Kultur  in Deutschland

Begonnen von Sandra, 12. Oktober 2004, 18:32:57

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Sandra

Ich hab mal eine Frage an Euch:
was, meint Ihr, hat dazu geführt, dass Kunst und Kultur in Deutschland so einen niedrigen Stellenwert haben? Dass man in Deutschland geisteswissenschaftliche Unis schliessen will, mit dem Argument, ein paar Kilometer weiter gibt es eh eine Wirtschaftsuni. Dass Kunst auf öffentlichen Plätzen so gut wie garnicht vorkommt, und wenn, dann nicht "grundlos", sondern immer weil halt irgendwas gerade gefeiert werden muss.
Dass kulturelle Ereignisse immer nur einem Spezialpublikum vorbehalten bleiben und auch nciht öffentlich rezipiert werden.
Dass die öffentlcih-rechtlichen Sender nicht mal eigene Kulturnachrichten haben.
Was hat dazu geführt - und auch: ist das wirklich so schlimm? Ist wirtschaft nicht im Mment wichtiger?

Dagmar

#1
Ich beobachte mit zunehmender Tendenz etwas, dass ich die Totalökonomisierung der Lebensverhältnisse nennen möchte. Egal in welchem Lebensbereich - ich finde das überall vor (und es läßt mich immer fassungsloser und wütender werden):

Ich könnte diese Wahrnehmung auch "schneller, effektiver, gewinnbringender für mich, mich, mich und nochmal mich - und dann komme nochmal ich" nennen. Was sich nicht schnell (am besten jetzt) rechnet, rentiert sich nicht. Was investiert wird, soll sofort zurück kommen, mindestens in der gleichen Höhe des Investments, eigentlich lieber mit Rendite, möglichst hoch, versteht sich. Was man abgreifen kann, wird sofort mitgenommen, wenn es nichts kostet (sei es tatsächlich Geld oder aber Energie, Kraft, Engagement, Einsatz). Dass etwas einen Selbstzweck haben kann, dass eine Sache aus sich heraus lohnend ist, dass immer etwas irgendwann irgendwo zurück kommt, wenn etwas gegeben wird, das gerät darüber völlig in den Hintergrund. Von Werten spreche ich besser erst einmal gar nicht.

Im privaten Leben ist eine unfassbare Rücksichtslosigkeit die Folge davon. Im gesellschaftlichen Leben zählt nur, was sich rechnet. Und Kultur rechnet sich nicht nach diesen seltsamen Maßstäben. Kultur ist innerhalb eines totalökonomischen Denkens und Handelns ein reiner Zuschussbetrieb: Überflüssig. Auch für den "User" ist Kultur mindestens überflüssig, wenn nicht gar lästig: Keine Zeit, man müsste sich einlassen, was bringt das? Soll man das viele Geld doch lieber nehmen, und etwas effektives damit anfangen.

Natürlich gilt das nicht für jeden, aber es ist eine zunehmende Tendenz. Nehmen wir die öffentlich-rechtlichen Sender. Ein gutes und aktuelles Beispiel, das zeigt, wie vielschichtig sich Totalökonomisierung auswirkt:

Das beginnt mit der Gebührenanpassung. Durch meine Tätigkeit für die ARD habe ich da einen recht guten Insiderblick: 88 Cent sind nach einem einjährigen Tauziehen bewilligt worden. Was hätte das ausgemacht, wenn der Bürger und die Bürgerin 11 Cent mehr im Monat hätte bezahlen müssen (ELF CENT!). nix! Die Konsequenz dieser Entscheidung ist aber, dass den öffentlich-rechtlichen durch diese 11 Cent pro Bürgerin und Bürger Millionen von Euro in den Etats fehlen. Also muss jetzt drastisch gespart werden. Es ist jetzt schon, wenige Tage nach der Entscheidung zur Gebührenanpassung klar, dass an der Kultur gespart wird. Der WDR hat angekündigt, sich deutlich aus kulturellem Engagement im Bundesland NRW zurück zu ziehen (nachzulesen im Interview mit Pleitgen im Spiegel von dieser Woche). Intern läuten da noch ganz andere Sparglocken. Da geht die Totalökonomisierung weiter. Warum Rückzug aus kulturellen Aktivitäten und nicht aus seichten Nachmittagsshows? Gefragt ist, was Quote bringt. Dies ist bekanntermassen nicht die Kultur, womit wir wieder beim Rezipienten angelangt wären.

Ich habe guten persönlichen Kontakt zu einigen Kulturredaktionen in der ARD: Deren Redakteure und Entscheidungsträger kämpfen wie die Löwen um ihre Formate und Sendeplätze. Sinnlos, wenn die Intendantenrunde beschließt Kultursendungen auf Sendeplätze zu verschieben, zu denen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung tief schnarchend im Bett liegt. Solche Sendeplatzentscheidungen gehen zu Lasten der Kultur und zu Gunsten quotenträchtiger Sendungen. Und: Solche Sendeplätze ziehen noch weniger Quote, was eine erneute Legitimierung dafür bietet, den Sendeplatz noch ungünstiger zu setzen bis zu dem Punkt, dass die Kultursendung eigentlich abgeschafft werden könnte, weil sie eh' keiner mehr guckt. Die Medaille hat zwei Seiten, die andere ist nämlich der Legitimierungsdruck Öffentlich-Rechtlicher. Wenn's eh' keiner mehr guckt, kann man die auch abschaffen. Also muss das Angebot so sein, dass die Quote die eigene Existenz legitimert. Mit Kultur ist das nicht zu machen, also wird sie in ein Ecklein verbannt, wo sie nicht allzu sehr stört, nix kostet und nicht weiter auffällt.

Der Ehrlichkeit halber muss man allerdings sagen, dass im Vergleich mit den Kommerziellen die Öffentlich-Rechtlichen immerhin überhaupt noch für ein qualitatives Kulturangebot gerade stehen.

Das Ganze ist für mich allerdings nur EIN Phänomen der Totalökonomisierung, das sich in allen anderen Lebensbereichen ebenfalls wie eine Krake breitmacht.

Ein schönes Buch zu dem Thema: Fritz Reheis, Entschleunigung. Abschied vom Turbokapitalismus.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Bastian

Ich kann Dagmar nur zustimmen. Und was ist "Wirtschaft" eigentlich? Jetzt wo die großen Kinos verhungern- nur wenige Jahre nachdem sie die vielen Kleinen plattgetreten haben- könnte man auf den Gedanken kommen, dass dieselben zehn Euro auch in einem Theater ausgegeben werden könnten. Auch das ist "Wirtschaft". Eule nach Athen, ich weiß.

Wenn, wie ich meine, KULtur die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner NAtur ist, dann ist wohl auch klar, was durchbricht, wenn diese Auseinandersetzung nicht mehr stattfindet. Das Privatfernsehen hat sich das Publikum herausgefiltert, das blöd genug ist jeden billigen Mist zu ertragen. Diese Zuschauer werden sich nicht mehr beschweren, wenn sie beim Bügeln irgendwann nur noch einen kostenpflichtigen Sinuston vorgesetzt bekommen. Und sie werden nicht einmal merken, dass man nachts um drei nicht mehr bügeln sollte.

Stimmen Sie diesen halbgaren Gedanken zu, dann wählen sie 0137- blabla.
Sagen sie "nein", dann wählen sie ebenfalls 0137- blabla

Sandra

#3
Ich war gestern bei meiner adoptierten Familie, in der Broadway Bar. Die beiden, Bela & Marta kamen gerade aus Paris zurück. Und sind fest entschlossen, sobald sie das Lokal losgeworden sind (also kanns noch dauern ;)) nach paris zu gehen - weil:
Ich habe mir ellenlange Suadas anhören müssen, wie toll es in Paris ist (auch in Budapest - aber da wollen sie nicht hin), dass da die Künstler noch brennen für ihren Beruf, dass es jede Menge Theater gibt, und Interesse für diese Theater, und wieviel Kultur (ka wunder, die Grande Nation ist sehr beharrend auf ihrem Ruf - die wissen auch, wieviel es letztlich auch bringt) es dort noch gäbe, im Vergleich zu Wien, wo sie jetzt ein Theater mehr als Musical -bühne machen, und noch a Opernhaus, keinen Interessiert hier mehr der off-Mainstream betrieb - und wie hier alle nur auf's Geld schauen,  und immer dieselben Gesichter an den Futtertrögen sitzen, keiner versucht mehr etwas Neuem eine chance zu geben und bla.
Er hat Recht. trotzdem habe ich mir als Deutschland-geübte gesagt: Es geht uns in wien kulturell noch absolut gold gegenüber Germanien. Hier gibt es noch eine mittelschicht - etwas, was es in Berlin zb überhaupt nicht mehr gibt - die gemässigt Kulturinteressiert ist, es gibt Theater für alle Schichten ,für gutbürgerliches Publikum, für Hochkulturinteressierte - und ja, es gibt sogar noch off-bühnen und menschen, die sich für underground oder Grenzerweiterung interessieren. (Chansons allerdings nicht, leider :-[)
Ich bin immer verblüfft, wenn ich hier meine wöchentliche Kultursendung abbiege, wie viel hier los ist, subventioniert wird, auch anders wahrgenommen und gefödert - im Vergleich zu Deutschland - wo Kultur tatsächlihc als unwichtig empfunden wird (was sich bald bitter rächen wird, nb) Was es hier an ausstellungen, performances, Theater, Musikalischen Workshops, diskussionsrunden etc gibt, in den kleinsten Ortschaften - es ist immer noch ziemlcih beeindruckend, finde ich. Allein wenn man sich anschaut, was in Deutschland für Plakate hängen, und was in Österreich merkt man den Unterschied. die Menge an kulturellen Angeboten ist beachtlich. Und die Rezeption auch. Es wird WAHR-genommen. Das ist der Unterschied.
Trotzdem ist es natürlich auch in Ösiland zu merken, dass die  guten Seiten der kakanischen Sitten zunehmend nachlassen, und es immer mehr in Richtung Event-Kultur geht, anstatt gehaltvollem, interessantem theater/etc.
Die Menschen agieren, wie Dagmar richtig sagt, kurzsichtig - und ich werde dann immer wieder gefragt, warum ich so selten spiele, und wenn ich spiele, warum so wenig Leute da sind. Denn das Interesse, der Hunger nach etwas geistnahrung ist schon da - er ist halt nicht so mehrheitsfähig, dass er grosse Konzerne (und auch der Staat versteht sich als solcher) befriedigen kann.

Trotzdem war es witzig, gestern in Wien die Litanei zu hören, die ich in Deutschland immer loslasse - und zu sehen: stimmt - auch in Wien geht es bergab, ist es schwieriger geworden, in die Cliquen des Kulturbusiness reinzukommen - ich sehe oft noch Wien so, wie es vor vielelicht 5 Jahren war - aber es  gibt leider auch eine rasante Entwicklung  seichtwärts hierzulande. So gesehen beneide ich alle, die rein musikalisch arbeiten: Bela kann jederzeit überall auf der Welt was machen: er ist nciht der sprache so verhaftet.

Aber was ist das Fazit aus all dem?
ich für mich möchte versuchen, den Medien ein Schnippchen zu schlagen: äusserlich massentauglicher werden, das heisst mit beats, loops und lauter so Zeugs, das ich  eigentlcih für nicht unbedingt notwendig erachte. Aber Inhaltlich gleichbleibend - wenn geht.
Man kann natürlcih auch weiter mit dem Kopf durch die Wand wollen, künstlerisch. Aber dann sollte man - wie Dagmar - ein florierendes Nebengeschäft haben....

Andrea

Wie lange waren Bela und Martha in Paris? Wie oft sind sie in Paris, um wirklich Einblick in die Szene zu haben? Ich meine: Ich hab früher immer, wenn ich Freunde in Deutschland besucht habe, gesagt: Dort ist die Musikszene besser als in Österreich, und die Österreicher kommen aus ihrem Land nicht raus - auch mit Deutsch-Rock nicht, der in Deutschland eine zeitlang hoch im Kurs war. - Ich hatte immer das Gefühl, wenn man in Österreich Erfolg hat, dann nur in Österreich, und weiter kommt man nicht. Aber deutschsprachige Sängerinnen wie Jule Neigel hörten zumindestens ein paar Leute in Österreich auch. Womit man über die Grenzen hinaus bekannt werden konnte - zumindestens früher -, waren Dialekt-Lieder von z.B. Ambrosz oder Fendrich oder so. Deshalb hab ich immer gesagt: Wenn man aus Deutschland kommt, hat man den größeren Erfolg im deutschsprachigen Raum. Da will ich hin. Aber damals hab ich die Situation von außen beurteilt oder von Kurzreisen. Beim  näheren Hinschau'n ist mir dann klar geworden, dass das alles nicht generell stimmt und dass hier die Szene sich verliert, weil die Städte viel zu groß sind z.B. und aus wasweißich für anderen Gründen noch. Im Prinzip hat man's hier eventuell viel schwerer, weil hier alles nicht so überschaubar ist wie im kleinen Österreich.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

Das ist vielleicht auch ein Punkt. ein Weiterer ist aber, dass sie - zB in Frankreich eine ziemlich hohe quote haben, was französische Musik im Radio betrifft, und eigenproduktionen beim Fernsehen. Das gibt es im deutschsprachigen Raum nicht. In frankreich - und in Italien - müssen die Radiosender mindestens 60% Muttersprachliche Musik senden - das unterstützt die heimischen Kräfte enorm.
Und in Österreich...seit Du weggegangen bist, hat sich ö3 zB geweigert, Ambros und co zu spielen - das hat sich inzwischen etwas gändert, aber damals gab es einen enormen einbruch in der Szene, und bis heute hat sie sich kaum erholt - die Liedermacherschiene, meine ich jetzt. Eben Fendrich, Danzer, Ambros - die haben einen Fankreis, der bleibt bestehen (Fendrich konnte dann als Showmaster und weil er ein paar Sommerhits hatte, wieder ein bissel reüssieren, Danzer ist bis heute total out) - aber es kommt nix nach.(Die kabarett-schiene, besser Comedy mit ein bissel kabarettistischen Anklängen, haben dann das Loch gefüllt. Hader, Dorfmeister, O.lendl, und wie sie alle heissen - es gibt tonnen von ihnen)
Die österreicher punkten gerade im englischsprachigen Ausland ganz gross mit Elektronischer Musik. Sofa Surfers, Kruder/Dorfmeister und wasweissichnochwer - die sind alle überall anders bekannter, als bei uns.

Die Zeiten haben sich total geändert, seit Du weg bist. ALS Du weg bist, da WAR in Deutschland leichter was zu erreichen als bei uns. Jetzt ist es schwieriger geworden. Auch weil die Deutschen eben ihren Kulturauftrag vergessen, vor lauter Angst vor der Rezession.
Jeder guckt nur auf seinen eigenen Stall - und da kommt dann das zum Tragen, dass es eben mehrere grosse Städte gibt die nur um ihren eigenen Bauchnabel kreisen, und nicht nur einen Wasserkopf, von dem alles ausgeht - wie Du sagst. Obwohl in Ösiland inzwischen die Bundesländer ertaunlich aktiv geworden sind.

Hier ist es aber auch nciht einfacher. Was mir gefällt, in Deutschland im Gegensatz zu Österreich: Die Deutschen nehmen als grosse Stars eher Leute, die in irgendeiner Weise ANDERS sind, als sie. Als Identifikationspunkte. Sogar der...wie hiess der komische Junge der dann gegen einen Laster geknallt ist, der mit irgendeiner Reality-Schiene plötzlich hyperpopulär war? Einer, der einfach nur jung und dumm war, und mit Charme immer zu allem und jedem seinen Senf dazu gegeben hat.  Komische Brillen, schmales Gesicht. Sogar DER hat etwas, das  Otto Normalverbraucher nicht hat. Nicht "meins" -  aber er ist ANDERS.
In Österreich wird man  ein Star, wenn man theoretisch auch der Verkäufer an der Supermarktkasse sein könnte. Nur die, die ganz besonders "normal" sind, werden vom Publikum akzeptiert. DIE Hausfrauentusse, die Elfi Ott - nur zum Beispiel.  Bei jeder Castingshow gewinnen die absolut durchscnittlichsten. Wenn man bei jemandem Ausstrahlung, Charakter oder gar Eigenheiten erkennen kann - und seien sie noch so rudimentär - der ist sofort weg vom Fenster. Aussergewöhnliche Menschen - egal ob sie unangenehm oder angenehm aussergewöhnlich sind - die werden hier abgelehnt.

Aber das grundsätzliche Phänomen, dass eben alles, was auch nur a bissel zum denken anregt, oder zur Stellungnahme , nicht mehr angenommen wird, das ist überall im deutschsprachigen Raum so. In Ösiland noch ein bissel langsamer - wie immer (es hat ja nicht nur Nachteile, wenn man alles a bissel später mitmacht) aber es kommt auch hier. Kultur und Denken und Nachhaltig arbeiten - das ist alles out. Zuschütten mit möglichst viel gleichzeitig und nur nix, was an der oberfläche kratzen könnte  - dahin geht's.
meine Hoffnung ist nur, dass das Pendel dann irgendwann wieder in die andere Richtung ausschlägt....

Andrea

Ich glaube, es war auch in Österreich lange Zeit so, dass soundsoviel Prozent heimische Musik gespielt werden musste - zu Zeiten, als Ö3 noch gut war. - Jetzt machen die, denk ich, nur noch Einheitsbrei. Ich fände es gut, wenn die Sender auch im deutschsprachigen raum in die Pflicht genommen würden, deutschsprachige Musik zu spielen.
Wir haben heute beim Konzert von Götz Widmann beobachtet, dass viele Leute, sobald Götz neuere Lieder mit tieferem Sinn gesungen hat, anfingen sich miteinander zu unterhalten, als käme die Musik gerade von der CD. Im ersten Teil saßen wir weiter hinten, im zweiten an der Bühne und überall das gleiche. Sobald er lustige Lieder, lieder übers Kiffen, über den Alkohol, übers Wichsen gesungen hat, die natürlich auch teilweise ihren ernsten Kern hatten, erinnerte sich das Publikum wieder an ihn. Und dann war da so eine Tusse, die lachte betont laut an den falschen Stellen und sprach mit ihrem Partner dauernd so laut, als wollte sie die ganze Zeit sagen: "Ich bin wichtig. Hört mir alle zu." Und links neben mir saß ein Pärchen, da war die Frau auch nicht besser. Ich hab mir gewünscht, nicht blind zu sein, ganz bestimmt auf die zugehen zu können und - zumindest der ersten beschriebenen Wahrscheinlichblondine - eine zu scheuern. Und hinten bekamen Dagmar und ich einen blöden Spruch von so 'nem Jungwichser rein gedrückt, weil wir erst "Psst!" sagten und ich dann: "Wenn ihr Quatschen wollt, geht in die Kneipe." hinterher warf.
Götz hat eine sehr schöne, sehr tief gehende neue CD gemacht. Er versucht auf eine sehr sensible Weise die Leute mitzunehmen auf die "andere" Seite, hab ich den Eindruck. Er und ich haben darüber auch schon einmal gesprochen, dass das schwierig werden wird, und der Großteil seiner Texte ist ja auch über Drogen usw. Aber ich glaube, die Zeit ist für ihn durch. Er ist nächstes Jahr auch 40, und irgendwann haben andere Dinge Priorität. Mal schau'n, wie sich das entwickelt, ob er irgendwann nicht mehr 300 Leute an einem Abend hat. Heute waren's 390 zahlende. Also waren wir insgesamt über 400 Leute.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Guntram

#7
Traurig ist es wenn alles erst per Gesetz verordnet werden muß.

Die Radiosender sollten eher aus eigenem Antrieb (pures Wunschdenken von mir) überlegen ob sie ihr Programm nicht etwas anderes außer die Charts rauf und runter spielen. Würden sie auch mehr Sachen von außerhalb den Charts spielen kämen diese vielleicht auch dort hin, weil das Publikum dann überhaupt die Chance bekommt es zu hören.

Besonders die öffentlich rechtlichen sollten hier nicht so auf die Quoten schauen wie das Kaninchen auf die Schlange.

Auf der anderen Seite muß ich aber feststellen wer will hat heute mehr Möglichkeiten seine Kulturhunger zu stillen als früher. Man muß nur wollen. Ihr seid vielleicht ein bischen von der Großstadt verwöhnt.

Die Spartenkanäle (stehen meist in keiner Programmzeitschrift) der öffentlich rechtlichen Sender z. B. ZDF Kulturkanal, BR alpha usw. bringen heute weit mehr als früher, vor Satelit und Privatfernsehen, wo Kultur im Fernsehen meist aus Heidi Kabel, Willi Milowitsch und Komödiestadel bestand und der Rest nach Mitternacht kam.

Wenn ich mich bei uns in der Gegend so umschaue, wir sind hier zwar nur 40 km von Frankfurt weg, aber Provinz. Aschaffenburg Stadt ca. 60000 Einwohner, der Landkreis ca. genausoviel. vor 20 Jahren wurden um 9 Uhr die Gehsteige hochgeklappt. Ein Theater ohne festes Ensemble, eine kleine Kneipenszene, und ca. 3 Discos im Umkreis. Wer auf ein Konzert wollte, Jazzkeller, Theater etc. mußte nach Frankfurt oder Würzburg.

Heute hat Aschaffenburg zwei Hallen in denen Künstler aller Art stattfinden, plus zwei im Landkreis wo die Gemeinden (je ca. 7000 Einwohner) ein für ihre Verhältnisse abwechslungsreiches Kulturprogramm anbieten (lokale und überregionale Größen). Alle die früher max. nur bis Frankfurt kamen treten also auch hier auf. Dazu kommen im Sommer div. Open Air z. B. Klassik im Schloßhof, Kommz (2 Tage Kulturfestival). 2 Kleinkunstbühnen (eine ist die Heimat von Urban Priol, da wurde Diesjahr der Salzburger Stier verliehen - übrigens eine Ohrfeige für die Stadt die wollten ihm kurz vorher eine Teil der Subventionen streichen), eine  ich sag mal "Kneipe" hat fast täglich Live-Programm mit vielen bundesweit bekannten Soloisten/Gruppen. Viele andere Sachen die auf Privatinitiativen zurückgehen. Mir ist vor kurzem auf aufgefallen, welche Unmenge an Gallerien es inzwischen gibt.

Also bei uns ist der Kunstbetrieb vielfältiger als je zuvor. Natürlich geht´s auch um Geld, diejenigen die Privatbühnen betreiben kämpfen um jeden Euro Subvention, aber sie haben auch Fördervereine die zusätzlich Geld bringen oder der Mitglieder sich freiwillig ohne Vergütung abends an die Kasse setzen. Ich glaube das alles zählt mehr als staatlich geförderte Prestigeobjekte und bei denen allein die Verwaltung Unsummen verschlingt.

Der Staat muß sicher die Kultur fördern, als Gegengewicht zur rein kommerziellen Schiene, aber das Publikum muß auch bereit sein es anzunehmen und muß die Veranstaltungen besuchen. Es bringt nichts leere Sitzplätze zu fördern und volle Häuser vor die Hunde gehen zu lassen. Nur weil es die Förderrichtlinien so vorschreiben.

Noch zum Schluß: Über Kunst auf öffentlichen Plätzen kann man sicher sehr streiten. In Aschaffenburg wurde vor ein paar Jahren, im Rahmen einer Aktion Kunstobjekte in der Öffentlichkeit, in einem innerstädtischen Park ein Piano aus Beton auf die Wiese gestellt. Hat natürlich eine Riesendiskussion ausgelöst, weil am Anfang keiner wußte was das eigentlich soll (Die Aktion war wohl geheim ;D ).

Da hab auch ich mich gefragt was an dem Ding Kunst ist und vor allen Dingen so teuer sein soll. Jeder Maurer hätte mit ein paar Schaltafeln und paar Sack Zement, Sand und Wasser das Ding wesentlich billiger da hinstellen können.

Aber über Kunst und Geschmack läßt sich hervorragend streiten. :-*
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Guntram

Eins paßt hier vielleicht auch noch:

Oper Burg und Josefstadt

Herrscht in Indien Hungersnot, herrscht in Spanien Franco,
prügelt man die Zukunft tot, hat jedes Land sein Manko,
dämmert schon der Untergang, scheint die Welt schachmatt,
hat der Wiener Oper, Burg und Josefstadt.

Hat man in Berlin bereits Hebbel abgeschworen,
spielt man in der tiefsten Schweiz nix wie lebendige Autoren,
hat man selbst in Düsseldorf Wagner ein bissl satt,
wir ham unsere Oper, Burg und Josefstadt.

Da lassen wir nix drauf kommen,
die ham wir, die bleiben uns, die nimmt uns keiner weg.
Da lassen wir nix drauf kommen,
der Meinrad, der Reinhardt, der Liewehr, was weiß ich wer.
Man muß nichts von Kunst verstehen, wenn man keine hat,
wir ham unsere Oper, Burg und Josefstadt.

Da spielt man noch den Schmäh, genau wie eh und je,
da kann uns nix passieren, weil das kennen wir ja eh.
Wir lauschen Goethes Werken, tun unsern Pathos stärken,
und wenn wir nichts verstanden haben, dann brauchen wir uns nix merken.

Was brauch ich die Gegenwart, lassen wir die dem Broadway,
wem tat je der Muliar oder die Elfi Ott weh,
heute spielt die Degischer, früher war`s die Schratt,
wir ham unsere Oper, Burg und Kammerspiele, Raimund-, Bürger-, Volkstheater, Kärntnertor, den Löwinger, den Simpl und die Josefstadt.

Da lassen wir nix drauf kommen,
da sitzt man, da lacht man, da trifft man seine Leut.
Da lassen wir nix drauf kommen,
sobald ein Stück heraus ist, den Vorhang auf und aus ist`s.

Mögen andere Länder jetzt ihre Kunst entschleiern,
wir haben einen Mozart gehabt, heute tun wir ihn feiern,
unsere Philharmoniker spielen ihn schon vom Blatt,
wir haben unsere Oper, Burg und Josefstadt.
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Sandra

Ja, es hat sich viel getan, und wer will - und vor allem: wer es gelernt hat!!! - der kann sich schon sein Hirn füllen. Das stimmt.
Das ändert aber nichts daran, dass die Selbstausbeutung von diesen Leuten -und jenen, die die Kunst machen, bzw möglich machen, enorm sein muss. Und dass weiterhin von den Firmen und vom Staat mehr darauf gesetzt wird, K&K (Kunst&Kultur)mit Events zu ersetzen. - Die Leute LERNEN nicht mehr, WO sie ihr Hirn füllen könnten - und also tun sie's nicht.

Zum Klavier auf grüner Wiese: Es gibt viele Kunstprojekte, wo man sich fragt, was soll es. Ich denke aber, dass vor allem eine Diskussion darüber wesentlich ist - und die hat bei dem Klavier offenbar stattgefunden - und DAS bringt Leute dazu, nachzudenken.

Das Lied - das in  manchen - eher älteren - Teilen der Österreichischen Gesellschaft heute noch genauso stimmt - zielte auf einen Punkt, den GK damals in vielen Moderationen und Liedern (etwa auch Schnitzler in Hollywood) angeprangert hat: Damals hat man in österreich kaum österreichische neue Autoren gespielt. Schnitzler war das Neueste. Man hat sich überhaupt nicht um die moderne K&K gekümmert.
DAS hat sich radikal geändert. Heute werden mehrheitlich junge bzw neue Autoren auf die Bühnen gebracht, jedenfalls in Wien. Die Jelinek, der Bernhard, der Fian, der Mitterer und wie sie alle heissen - sie alle wären ohne das Burgtheater, das Volkstheater - und manchmal erstaunlicherweise sogar die Josefstadt, (als Ausnahme, die die Regel bestätigt ;) ) nicht zu ihrem Ruhm gekommen.
Erst seit etwa 2 oder 3 jahren zeigt sich hier wieder ein rückläufiger Trend. Aber grundsätzlich wird vor allem in Burg und Josefstadt schon nach modernen Autoren und Inszenierungsweisen gesucht.

Und @ Andrea - bzw Götz. Ich kenne ihn nicht. Hab von Dir das erste Mal von ihm gehört. Und bin bass erstaunt, dass er 400 Leute im Publikum hat. Wie gesagt: Ich kenne ihn nicht, und hab nix von ihm gehört. Aber ich finde, wenn jemand auf einer Bühne steht und singt - und die Leute haben notabene gezahlt, um ihn zu hören! - und dann unterhalten sie sich laut, während er singt, dann stimmt etwas mit der ART des Vortrags nicht, dann kann er die Leute nicht im Bann halten - das hat  meiner Erfahrung nach meist weniger mit dem Inhalt der Lieder zu tun, als mit der Art der Präsentation. Und auch mit dem Rahmen - wenn es ein Lokal mit tischen ist, wo es nciht dunkel wird, wenn der Vortrag beginnt, zB, dann ist es schwieriger, die Leute zu "kriegen".
wie gesagt: ich war nicht da, und ich kenne ihn nicht. Aber ich finde es sonderbar, wenn 400 Leute kommen (soviele kommen zu mir nicht, brummel.) und die dann reden.

Andrea

#10
Natürlich haben nicht alle geredet. Aber mir fallen die auf, die reden. Mir, die ich oft bei Götz' Konzerten war und bin, fällt eben sofort auf, wenn sich etwas ändert. Bei den liedern, die dieses Publikum mitsingen konnte, waren sie ruhig oder haben mitgesungen. Aber sobald ein ernstes Lied kam, wurde es auf jeden Fall unruhiger. Das liegt nicht an der darbietung, das liegt daran, dass die Leute von Götz Widmann nur die Lach-Nummern oder viele Lachnummern gewohnt sind., und genau die erwarten sie. Bei ihm  wird sich das Phänomen, dass weniger Leute kommen,  nicht gleich bemerkbar machen, weil die ernsteren Songs schleichend mehr und mehr werden.  Vielleicht fällt ihm zwischendurch ja wieder eine lustige nummer ein.
Bei dir zu Hause, Sandra, liegt, glaub ich eine CD von Götz Widmann. Ich glaub jedenfalls, dass ch dir eine geschenkt habe.
Und: Ich würd mir für dich ja auch die 400 oder mehr Leute wünschen. Aber dein Publikum ist ein anderes Publikum, nämlich eins, das zuhören kann. Götz' Publikum ist ein junges Publikum, das drauf eingestellt ist, zu lachen, kiffen und saufen. Davon können viele Leute nicht zuhören, sondern sie müssen sich selbst darstellen.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Dagmar

#11
Trotzdem verstehe ich es auch nicht wirklich - ich habe die eine oder andere Spekulation, aber keine wirkliche Idee, warum das so ist:

Man könnte sagen, dass Götz als Liedermacher mit frechen Texten zu Themen, die junge Leute sehr ansprechen, ein Publikum etabliert hat. Ich bin gespannt, was er über seine Tour und die Zahlen in den anderen Städten berichten wird. Er kommt aus Bonn und ist hier sehr bekannt. Viele Leute kommen da deshalb zu seinen Konzerten.

Wir haben ja gestern abend schon darüber gesprochen, dass mit seinen neuen Liedern der Schuss nach hinten los gehen kann: Er hat sich weiter entwickelt, die Stücke sind ruhiger und nachdenklicher mit anspruchsvolleren Texten geworden. Und da hat Andrea ja schon berichtet, was während der Präsentation dieser Stücke passiert ist: Unruhe und viel Gequatsche. Das mag an Götz liegen - glaube ich aber nicht. Bei seinen "Gassenhauern" sind alle da und grölen mit. Vielleicht schafft er es, wenn er behutsam genug vorgeht, sein Publikum langsam in einer anderen Zielgruppe zu gewinnen. Ich wünsch' es ihm. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es ihm dann irgendwann auch so geht, dass da noch 60 Leute sitzen.

Es ist schon ein großer Unterschied im Anspruch - auch an das Publikum -, ob Du Stücke machst, in denen es um "Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4" geht (ein zwar witziger aber - ehrlich gesagt - auch recht platter Text mit sehr eingängiger Melodie). Das finden junge Leute super, auch weil es ihrer Lebensphase der Rebellion entspricht. Oder Texte wie in seinem neuen Stück "Walther von der Vogelweide" - ein Stück, das mir sehr gut gefallen hat, mit sensiblen Tönen und einem tiefer greifendem fast philosophischem Text - da quatscht dann das Publikum und hört kaum noch zu.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als Flo und ich auf dem Liedermacherfestival in Kevelaer die Anna gemacht haben. Das Stück kam ja insgesamt trotz aller Schräge recht gut an. ABER: Ich hatte mich bevor Flo und ich loslegten kurz vorgestellt auch mit dem Genre, das ich eigentlich singe. Und ich habe sofort aus dem Publikum, aber auch später gehört "Chansons - ach Du Scheiße".

Ich glaube, dass es das Image ist, das Publikum zieht. Daniel Kübelböck - der Typ den Sandra erwähnt hat, der der gegen den Gurkenlaster fuhr, hat es bar jeden aber wirklich jeden musikalischen Könnens bis auf die vorderen Plätze einer gigantischen Casting-Show gebracht. Er hat einen Typus verkörpert, der bei girlies ziemlich ankam. Götz verkörpert auch einen Typus, den Typ "outlaw". Chansons haben dagegen ein Image "für alte Leute".  Ich erlebe mit meinem Programm - gerade in den letzten Wochen - "Brecht = verstaubt, sehr schwer zu verdauen" Ist einmal etwas ettikettiert, ist es immer sehr schwer, dass das Wahre oder individuell künstlerische hinter dem Ettikett noch wahrgenommen wird.

Wie gesagt: Meine Ausführungen sind nichts mehr als Spekulationen, weil ich auch rätselnd vor so einer Publikumsgröße wie gestern abend stehe.

Mich würde sehr interessieren, wie Eure Meinung dazu ist: Wir haben jetzt verschiedene Blickwinkel zu den Ursachen und Hintergründen diskutiert. Aber: Wie kann man diese Kulturmüdigkeit verändern? Kann man das überhaupt?
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Andrea

Bisher waren in den letzten zwei Jahren immer zwischen 100 und 350 Leuten  bei Konzerten von Götz. Ich glaube nicht, dass das bei dieser Tour anders sein wird, denn noch überwiegen die leicht verdaulichen Lieder. Spannend wird's für uns Beobachter, denke ich, wenn die nächste Tour startet - die zur nächsten CD.  -
Janina, die den Suport gemacht hat, hat auch ihre erste CD vorgestellt. Die Lieder sind gut, aber sie spricht zu wenig zwischen den Songs. Das Mädel ist aber auch erst zwanzig. Die wird noch.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

Es gibt hier eine Volksmusik-Schlager gruppe, die enorm beliebt ist - füllen Säle mit bis zu 4000 Leuten. Viertausend! Seit die angefangen haben, auch nachdenklichere Sachen zu machen, wandert das Publikum ab. Sie haben wieder aufgehört, und machen dasselbe wie bisher.

Bassmeister

Und genau das würden sie wohl spielen, wenn es wirklich eine Quotenregelung für deutscheMusik im Radio geben würde. 60% des tages deutschen Schlager? Nee danke.

Ich denke in zeiten von Video und programmierbaren DVD-Recordern dürften doch wirklich interessierten Menschen Sendezeiten nichts mehr ausmachen. Wenn ich was sehen will, dann ist das  mir auch möglich.

Was das Interesse betrifft - hmm - da bin ich zum Einen ratlos, zum anderen stört mich aber auch das Gejammer etwas.
Mensch - Musik ist doch ne Lebensäußerung! Wunderbar! Jedes größere gesellschaftliche Ereignis hatte passende Lieder und Bilder und und und, die Kunst entstand aus dem Leben heraus und hat den menschen zum einen die Sinne geschmeichelt (und damit den Inhalt schmackhaft gemacht) und gleichzeitig die (moralische oder humoristische oder spirituelle) Botschaft rübergebracht. Bis... ja bis ein gewisser Historismus einsetzte. Altes wurde glorifiziert und das "neue" war herb und schwierig und so richtig wollte es keiner hören (ich rede jetzt vor allem von der Musik. In der Bildenden Kunst mag vielleicht der Photoapparat das Bild "entmenschlicht" haben, Natur und Kultur - natürliches und menschliches wurden so getrennt.)
Nun frage ich mich - warum versucht man etwas aufrecht zu halten, was man ständig irgendwie erklären, irgendwie rechtfertigen muß, vor dem geneigten Zuhörer? Ich habe an anderer Stelle schon mal geschrieben, daß ich es leid bin, meine Musik irgendwie immer jemandem "andrehen" zu müssen. Es war, ist  und bleibt ein Zuschußgeschäft. Leider (und zum Glück) ist es aber auch nicht  mit geld zu bezahlen, ich meine, wenn ein Sponsor mir für ne Konzertorganisation 10000 Euro in die Hand drückt, bedeutet das noch lange nicht, daß das Konzert auch gut wird! Und was, wenn nicht? Nicht auszudenken.
Zu diesem "Rechtfertigen müssen" gehört für mich auch, wenn die Kulturschaffenden immer wieder davon reden, wie wichtig das doch sei, daß es das gibt und wie es gebraucht werde. Vielleicht habe ich davon einfach schon zuviel gekriegt, meine Eltern arbeiten beide im Orchester, da gab es auch schon ab und an solche Gespräche.
Inzwischen fände ich es auch ziemlich ideal, wie Dagmar es macht: einen Job, der das Leben sichert (leider geht es aber derzeit  nicht nur der Kultur, sondern auch allen anderen Branchen nicht gut) und dann seine eigenen Projekte spielen, das was einem liegt, was einem auf der Seele brennt... Dagmar, Du hast meine tiefe Bewunderung!

Ich bin mal einer Frau nach Kitzbühel hinterhergereist (tragische Liebesgeschichte, doch das gehört nicht hierher) und deren Eltern waren Bauern dort. Ganz einfache Leute, aber in allen Ecken und Enden des Hauses standen Instrumente rum, jeder konnte so ziemlich alles gut sopielen und abends haben die sich hingesetzt und richtige Volksmusik gemacht. Mit Herz und ohne Mikrophon. Das hatte was!

Wie ist das mit dem Interesse? In einer Zeit, in der man mit allem "zugeschüttet" wird? Unser Hirn und unsere Seele ist noch auf "Mangelwirtschaft" eingestellt, vielleicht sogar noch letzte Kriegs-Auswirkungen... Aber inzwischen herrscht der Überfluß, es gibt von allem zuviel nur zuwenig Zeit, wahrzunehmen, zu empfinden, zu genießen. Man muß sehr sehr gründlich auswählen, was einem selber wichtig ist, aber niemand hat einem gezeigt, wie man auswählt. Denn die Vorausetzungen zu Zeiten unserer Eltern waren ganz andere.

Das hörte ich in einem Vortrag von Elisabeth Lukas. Sie beschreibt dann ganz toll und ganz ausführlich, wie jede/r Einzelne den Weg von der Selbst-Verwirklichung zur Welt-Verantwortung findet. Und wenn man sich verantwortlich fühlt ist auch wieder Interesse da...
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Andrea

Zitat:
Und genau das würden sie wohl spielen, wenn es wirklich eine Quotenregelung für deutscheMusik im Radio geben würde. 60% des tages deutschen Schlager? Nee
danke.
Wer spricht denn von deutschen Schlagern? Die haben doch schon längst mehrere Platt- (Tschuldigung Blatt)-Form. Schon mal was von Deutsch-Pop oder Deutsch-Rock gehört? Ersterer scheint gerade wieder in zu sein. Und dann gibt's noch Liedermacher usw.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

#16
@ Bassmeister:Sehr schön gesagt. Danke schön :-*

Man muss die Herzen der Menschen öffnen, damit sie bereit sind, sich EINZULASSEN. Und man muss ihre Hirne öffnen - das obliegt den Eltern und der Schule.
Wenn man mal auf Kunst "angefixt" ist, kommt man eh nciht mehr davon los...

Zyankalifreund

Wie wahr, wie wahr!
Wenn es einen einmal gepackt hat, dann lässt es einen nie wieder los.
Ich glaube jedoch nicht, dass die Eltern und Schule etc. diese Öffnung zur Kunst wirklich beeinflussen können. Das ist meiner MEinung nach individuell und hängt vom Charakter, Experimentierfreude, Toleranz.. ab.

Jeder muss sich allein auf die Suche nach sich selbst machen. Bei diesem Prozess bleiben einige bei der Kunst hängen, andere jedoch finden ein anderes Plaisir.

Sandra

#18
Oh nein, ich glaube schon, dass da die Eltern und die Schule Einfluss nehmen können. Denn wenn du schon als Kind "gute" Musik hörst, und sie Dir erklärt wird findest du viel schneller Spass daran. Oder  in's Theater gehst - die Schwellenangst im Erwachsenenleben ist dann nicht mehr so hoch.
Genauso, wie wenn Du als Kind zB früh übst, vieles an unbekannten Speisen auszuprobieren.
Genauso, wie man als Kind schon dazu erzogen werden kann, verschiedene Kulturen spannend zu finden, oder Fremdenscheu zu werden.
Und genauso, wie es hilft, wenn du von klein auf viele schöne Bücher zu lesen bekommst - dann liest Du als Erwachsener auch lieber.
Weisst du, klar, es gibt Menschen, die haben den Hang zum Kulturgenuss einfach in sich drin - da kommt es dann irgendwie raus. Aber es gibt auch Menschen, die müssen das lernen - und da ist es dann Glückssache: Kommen sie irgendwann drauf, dass es geil sein kann, sich eine Symphonie live anzuhören?
Wenn Du etwas schon als Kind machst, scheint es Dir eher zu einem erfüllten Leben dazu zugehören, denke ich.
Und es ist auch kein Zufall, dass  Kinder von kulturinteressierten Eltern eher auch so werden, als Kinder von Eltern, denen Kulturelle Angelegenheiten wurscht sind. Mit Glück haben die dann ein spätes Aha-Erlebnis. Oder eben auch nciht.

Klar, Du kannst der Sohn von Madam Kultur persönlich sein - wenn es Dich nicht freut, nützt das auch nix. Trotzdem wirst Du dann mit Kultur immer noch anders und respektvoller umgehen - auch wenn sie Dir wurscht ist.
 Klar, der Charakter und die persönliche Neigung spielen mit. Aber es spielt auch mir: Wann wird Dir was - und vor allem: WIE wird es Dir erkärt. Wie wird es Dir nähergebracht?
Im englischen gibt es den schönen Ausdruck "acquired taste". Zum Beispiel gibt es die Katzenminze. Die meisten Katzen sind ganz deppert drauf - WENN sie es einmal gelernt haben. Einfach so, ohne dass sie es kennen, ist es ihnen wurscht. Es ist ein acquired taste.
Und es gibt viele Dinge, schräge Musik zum Beispiel, schwierige Stücke, Gedichte lesen - das sind acquired tastes. Das muss man lernen, um es zu mögen.

Bassmeister

Ich weiß nicht, ob ich - nur weil ich Schütz und sein Umfeld mag - das nun unbedingt auch meinem Kind näher bringen will. Denn das ist was sehr sehr spezielles und unter seinen Freunden wird mein Sohn da nicht viel mit anfangen können (eigene leidvolle Erfahrung in der Kindheit) Vielmehr will ich ihn dazu bringen, wach in die Welt zu schauen und das was er sich für interessiert voll unterstützen, dabei vielleicht sogar selber noch neues kennen lernen. Von "draufgedrückter" Kultur halte ich (als Ex-DDR-Kind) nämlich überhaupt gar nix.
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Andrea

#20
Ich denke, es kommt darauf an, WIE man dem Kind Kultur nahe bringt. Es geht dabei gar nicht um draufgedrückte Kultur, sondern darum, Allgemeinbildung - kulturelle Allgemeinbildung - an das Kind heranzuführen. Kinder gehen gern ins Theater, wenn sie das Gefühl kriegen, etwas zu dürfen, was auch Erwachsene tun. Opern sind vielleicht zu schwer und Synfonien, aber vielleicht auch nicht. Ich mochte sowas als Kind nicht hören, und eine Oper mag ich, glaub ich, immer noch nicht. Aber ich war gern im Theater. Kinder sagen, was sie nicht mögen. Aber ausprobieren kann man's doch auf jeden Fall.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Andrea

Sinfonieen? Ich kann das da oben nicht mehr ausbessern.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

Naja, im ersten posting war's vorne falsch, dafür im zweiten hinten. ;D

Ich meine ja auch nicht ,das Du Deinen Niclas, kaum dass er krauchen kann  in den fliegenden Holländer mitnimmst - mein Pappa hat dasbei mir gemacht, und ich hab mich für klassische Musik erst sehr sehr spät zu begeistern begonnen...Natürlich muss es Kindgerecht sein.
Aber es gibt Kinderopern, es gibt Peter und der Wolf - nur live zu empfehlen, oder sonstiges - Du gibst ja einem Kind auch nciht Schiller zu lesen, sondern Pippi Langstrumpf.
Man kann über kulturelle Dinge reden, man kann es einfach interessant finden, sich über Musik zu unterhalten (was gerade bei Dir, Bassmeister, sicherlich nicht schwer ist ;)) oder man kann Musik einfach nicht wahrnehmen, oder nur bei RTL-Radio.

Sandra

Was ich sagen will - irgendwie komme ich über die "Bearbeiten" funktion nicht mehr rein - wenn mein Vater mich früher kindgerecht für Klassische Musik interressiert hätte - indem er mit mir in Kinderopern geht, beispielsweise, oder mir die Oper mit Plattenspieler und auf lustig erklärt, oder mit mir in gute Konzerte geht - dann muss ich nicht als Erwachsene, zwischen Geldverdienen und Liebeskummer und Hausputz plötzlich draufkommen, dass es ja doch sehr schön sein kann, und mühsam lernen: Woran höre ich, dass dieser Geiger gut spielt, und Andre Rieux schlecht?
als Erwachsene ist es Glückssache, mal plötzlich ein Augen (bzw Ohren) öffnendes Stück zu hören, und sich zu interessieren (WENN man das "sich interessieren" als Kind gelernt hat, was ja auch noch dazu kommt, wie Du richtig sagst, Bassmeister). Und dann muss man lernen, was als Erwachsener viel schwerer ist, als als Kind. Die Zeit muss man haben, das grundsätzliche Interesse daran - und ich finde, dadurch sind mir eingentlich Jahre velroren gegangen, die ich, hätte ich mich früher damit beschäftigt, mit dem Genuss von guter Musik hätte bessser verbringen können.

Man muss lernen, dass andre Rieux ein unbegabter Geiger ist. Wir wissen, wie viele Menschen ihn für toll halten. Oder Vanessa Mae. Die halten ihn für toll, weil sie es nie besser gelernt haben.
Man hält auch holländische Supermarkttomaten für gut, wenn man nie in Spanien eine vom Strauch gepflückt hat.

Bastian

Ich denke Kinder suchen es sich selbst aus. Aus den Dingen, die sie bei den Eltern sehen. Kluger Satz. Niclas wir dir irgendwann ständig unten auf die Saiten hauen und am Steg rumzupfen... Bis er dann irgendwann eine eigene Band gründet, in der er dann Moped spielt.

Meine Eltern erzählen mir, dass ich in meinem Laufgitter stehend eingeschlafen sein soll, wenn mein Vater Klavier gespielt hat. Also ich fand das damals wohl so entspannend, dass es mich selbst in der Vertikalen weggehauen hat, und ich stehenblieb. Am Gitter hängend versteht sich. Und ich konnte lange Zeit nur einschlafen, wenn ich aus dem Wohnzimmer die Pastorale von Beethoven gehört hab (Nummer sechs, hä?). Also, ich bin schon direkt auf die Sümpfonien losgegangen. "Peter und der Wolf" ist auch super, oder die "Kindersinfonie". Oder "Bilder einer Ausstellung" von Murkski. Sind doch alles gute Stücke. Nicht nur zum Einschlafen ::).

Heute ist es allerdings genau andersrum: Wenn ich Musik höre, kann ich überhaupt nicht einschlafen. Und wenn ich schlafe, kann ich nicht stehen.