Günter Wallraff und der Rassismus

Begonnen von Bastian, 28. Februar 2012, 17:11:31

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Bastian

ZitatPredigt von oben
Ganz oben
Günter Wallraff. Overcover
Ihr da unten, wir da oben.

Stimmt, das klappt ja wunderbar.

Da hatte ich doch erst vor Kurzem diese letzte Enthüllungsdoku vom ihm gesehen, wo er sich afrikanesk schminkt und sich diskriminieren lässt.
"Schwarz auf weiß".
War zum Teil schon erschreckend und "enthüllend". Aber eben auch befremdlich, zu sehen, wie Wallraff den Afrikaner gibt, wie er ihn sich also selbst vorstellt: Ganz klar, dass er da in zu großen bunten Hemden rumlaufen muss und immer ein-zwei Plastiktüten mit sich rumschleppt. Irgendwie hat Wallraff die unangenehme Tendenz, sich immer selbst gleich mit zu enthüllen...

Clas

Moin, moin,

einererseits... wenn er nun die Rassismen erleben und dokumentieren will, jetzt nicht die, die den Arzt oder Pfleger mit dunkler Haut treffen, sondern den irgendwo im halblegalen lebenden Asylbewerber, der irgendwie versucht, durchzukommen: Solche Leute haben kein Geld für irgendwelche Taschen und ich würde, bis zum Beweis des Gegenteiles zubilligen, dass das Klischee zur Maske und Rolle gehört, deren Wirkung und Resonanz er da testet und dokumentiert. Vielleicht kommt er damit dem Vorurteil, das er belegen möchte, auch entgegen und läd es ein wenig ein, sich zu äußern, aber es brauchte ja nicht mitzugehen. Ich sehe aber bis auf weiteres keinen Grund, anzunehmen, dass er selber glaubt, es entspräche afrikanischem Wesen, in bunten und zu großen Hemden und mit Plastiktüten einherzugehen. Meine Kritik an der Maske wäre eher, dass die Haarfarbe an Kopf und Bart ein wenig zu wenig meliert ist für das ja doch nicht mehr ganz junge Gesicht. Es wirkt gefäbt. Es gibt ja Männer, die sich ihr Haupthaar färben, aber es irritiert und fordert mich zu einer Gründlichkeit des Hinsehens heraus, an der ihm eigentlich nichts liegen kann.

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Karlsruhe ist, zum Beispiel, eine schöne Stadt mit recht freiheitsinniger Haltung und freundlichen Menschen, im Schnitt. Als dunkelhäutiger Plastiktütenträger wirst Du aber hochwahrscheinlich mindestens eine anlasslose Personenkontrolle auf offener Straße erleben, wenn Du da eine Woche herumläufst oder mit der Straßenbahn fährst. Hintergrund ist der Umstand, dass die Leute teils im Landkreis untergebracht werden und dürfen den dann nicht verlassen, auch nicht zum einkaufen oder jemanden zu besuchen, in die Stadt. Wenn sie nun jemanden, Freund, Familie, wen immer,  besuchen wollen, der auch im Kreis untergebracht ist, aber auf der anderen Seite der Stadt, müssen sie mit der Straßenbahn durch. Drum rum fährt keine. Das dürfen sie aber nicht, und dieses Unrecht, das sie da begehen, muß geahndet werden. Daher die Kontrollen.

Mir scheint das schikanös und rassistisch zu sein.

Neu dort ankommende werden zunächst in Karlsruhe untergebracht. Wenn da nun eine Familie auf der Flucht getrennt worden ist, dürfen die früher gekommenen und vielleicht schon im Kreis eingewiesenen ihre Angehörigen dort nicht einfach besuchen. Tun sie es doch und werden erwischt, setzt es ein Bußgeld und irgendwie negative Gummipunkte in Form von Aktennotizen...

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Wenn sich nu aber am Ende der kommenden Amtszeit herausstellen sollte, dieser Gauck sei gar kein Gauck, sondern Günter Wallraff: Dann fühlte ich mich auch ein wenig gefoppt...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

Hallo Clas,

ja, die Perücke wirkt wie gefärbtes Haar. Der ganze Wallraff wirkt ziemlich gefärbt, und man merkt einfach, dass da was nicht stimmt. (Nebenbei: Ich hatte ursprünglich mal vor, zu dem Film einen eigenen Thread aufzumachen und einen längeren Beitrag zu schreiben. Vielleicht spalte ich den Thread irgendwann mal ab.)

Die Befremdung, die man in diesem Bild empfindet, wird man- oder besser wurde ich- den ganzen Film über nicht los. Zwar gibt es einige- und nicht wenige- Passagen, in denen seine Maske beim Gegenüber anscheinend zieht, und die Kamera fängt die rassistischen Reaktionen dann ein. Aber in manchen Szenen (irgendwo auf einem Volksfest setzen sich bespielsweise Leute um, weil er sich in ihrer Nähe hinsetzt) gäb es auch alternative Erklärungen für deren Verhalten. Die könnten einfach gedacht haben: "Was ist denn das für ein Freak?" und ein Problem mit Freaks haben... Durch seine auffallend schlechte Makerade hat er eine Fehlerquelle in sein Experiment reingenommen, die er hätte ausschließen müssen.

Oder anders gesagt:
Ceci n'est pas un chinois.

Ich frage mich: Warum hat er diese Fehlerquelle einbezogen? Man fragt sich, warum überhaupt Wallraff sich verkleiden und schminken muss, um Rassismus zu dokumentieren. Wo doch schon auf dem Foto eindeutig ein junger Mann zu sehen ist, der die Figur viel besser verkörpert. Ohne Perücke, Theaterschminke und gespieltem Akzent. Sicher, man kann sagen, Wallraff will den Rassismus am eigenen Leib spüren und muss es deswegen selbst tun. Aber das ist dann auch schon das einzige Argument für den schlechten Mummenschanz. Und ich würde sagen, die Selbsterfahrung sollte bei einer Dokumentation in der es um die Nöte anderer geht, in die zweite Reihe zurücktreten. Gerade weil die Wirkung über die versteckte Kamera eh Bände spricht. Und das kann der Film wiederum gut.

Da gibt es eine Szene, in der Wallraff bei einem Fußballspiel die Nähe von aggressiven Fußballfans sucht. Und die Reaktionen auf ihn sind für den Zuschauer ziemlich verstörend und beängstigend. Die durchschauen die Verkleidung anscheinend nicht, es ist ihnen auch vollkommen egal, wen sie da vor sich haben, Hauptsache raus mit dem hässlichen Zeug. Und der Zuschauer, der Rassismus noch nie hat erfahren können, kann in der ersten Person erfahren, wie sich Häme, Geringschätzung und Hass anfühlen.

Das ist meines Erachtens die Stärke des Films. Aber die Frage bleibt: Wieso tritt Wallraff selbst so in den Vordergrund. Und wieso treten die, um die es gehen soll, bis an die Schluchtkante zurück? Es gibt genügend Afrikaner in Deutschland, die täglich dem Fremdenhass ausgesetzt sind und davon auch berichten. Aber die an-den-Rand-Gedrängten kommen in Wallraffs Doku seltsamerweise nicht zu Wort. Er drängt sie selbst an den Rand.

Dadurch entstand bei mir der Eindruck, dass es in dem Film nicht um Afrikaner sondern um Wallraff geht.

Grüße
Bastian

Bastian

So. Habs mal aus dem Wulff-Thread hierhin verschoben.

Clas

#4
Moin Bastian,

nicht geweißelt halt, sondern geschwärzelt. Und kommt den Rassismen entgegen, vielleicht, um sie da abzuholen, wo sie sind...

Ich hab den Film nicht gesehen, und ich halte schon für möglich, dass die etwas plumpe Maske Fehlermöglichkeiten bietet. Andererseits ist der volktümliche Rassist auch dumm und plump, und wie Du schreibst: Er fällt drauf rein.

Ob ihm das zu denken gibt, wenn er hinterher im Film sehen kann, dass sein Rassismus da eigentlich einen gefakten Gegenstand hatte, weiß ich nicht... Ein theoretisch geeignter Ansatz wäre da ja zu sehen. 

Über Rassismus klagende echte Afrikaner im Zusammenhang mit dokumentierten Situationen, wären natürlich authentischer. Bei den Niedriglöhnern oder im Hartz klebenden ist das auch so. Wallraff aber funktioniert anders. Da ist immer auch unterschwellig mit drin, dass das geschehende Unrecht ein verschärftes ist, weil es den guten Günter betrifft, mit dem sich der Leser/Zuschauer identifiziert... Und Günter gewöhnt sich nicht an allem und wenn er Abstumpfung an sich bemerkt, teilt er das mit. Es wird dadurch etwas deutlicher, warum sowas eigentlich möglich ist, warum das Leute mitmachen oder mit sich machen lassen, und dass dazu eben hauptsächlich die Gegebenheiten Voraussetzung sind und Gegenwehr in sinnvoller Weise häufig nicht erfogt. Vielleicht auch noch gar nicht mal der gute Günter, sondern einfach jemand, der notiert und mitteilt, wie er das erlebt und auf diese Weise Zeuge ist.

Ein weiterer Grund ist sicherlich, dass Günter davon lebt.

Gruß Clas




"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

#5
ZitatDa ist immer auch unterschwellig mit drin, dass das geschehende Unrecht ein verschärftes ist, weil es den guten Günter betrifft, mit dem sich der Leser/Zuschauer identifiziert...

Das ist wohl wahr. So bitter das auch ist, dass viele sich nicht mit dem echten Ali oder Kwami identifizieren können oder wollen. Wahrscheinlich hast du recht, dass der "latente" Rassismus manches Normalzuschauers einen Wallraff als Projektions- oder Spiegelungsfläche braucht, um überwunden zu werden...

Auch was Wallraffs Analysen und Meta-Gedanken angeht stimme ich Dir zu.
Ich hatte den Eindruck, dass der Film auch in diesem Punkt magerer ausfällt als frühere Ehrfahrungsberichte. Ich müsste ihn mir aber auch nochmal ansehen.

Ich hab mal geschaut. Wen's interessiert: Wenn man bei der Google Video Suche nach langen Videos sucht, findet man die Doku.

Grüße
Bastian

Heiko

Ich schätze Wallraffs Arbeit sehr!
Aber mit der Maske für diesen Film geht es mir ähnlich. Frisur, Teint, Bart, irgendwas passt nicht, bleibt untypisch. Ich fand ihn als Ali einfach überzeugender, was wiederum wunderbar meine eigenen Rassismen spiegelt. Ich kann mich an eine Äußerung von Wallraff erinnern, dass er in der Frage der Authentizität seiner Rolle (des Kwami) von Menschen mit hautfarbbedingten Kompetenzzusprüchen positives Feedback bekommen hat, und welche sein maskiertes Aussehen als ostafrikanisch, vielleicht in Äthiopien verortet, einordnen würden.

Problematisch wir es häufig auch, wenn Humor sich des Themas bedient. Wie die taz am Donnerstag artikelt, versucht auch ein Witzezeichner des diesjährigen Polizeikalenders das Thema Polizei und Rassismus aufzunehmen.
http://www.taz.de/Rassismusvorwurf-in-Bayern/!88719/
Und es ist ja auch wirklich unfair, mit welcher Aggressivität die Rassismus-Keule gegen die Polizisten, die doch nur ihre Pflicht tun, geschwungen wird ...


"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

#7
Zitat
ZitatDa ist immer auch unterschwellig mit drin, dass das geschehende Unrecht ein verschärftes ist, weil es den guten Günter betrifft, mit dem sich der Leser/Zuschauer identifiziert...

Das ist wohl wahr. So bitter das auch ist, dass viele sich nicht mit dem echten Ali oder Kwami identifizieren können oder wollen. Wahrscheinlich hast du recht, dass der "latente" Rassismus manches Normalzuschauers einen Wallraff als Projektions- oder Spiegelungsfläche braucht, um überwunden zu werden...

Das wäre die Gelegenheit auf Georg Kreisler und sein Stück "Sodom und Andorra" zu kommen. Kreisler nimmt es ja Frisch übel, daß Andri in Wahrheit gar kein Jude ist, er also "zu Unrecht" verfolgt wird.

Nicht, daß das Kreislers Stück wirklich gut machen würde ...

Clas

#8
Moin Burkhard,

also, wenn ich die Wahl habe, finde ich Sodom und Andorra besser und unterhaltsamer als dieses Stück vom Max, welches natürlich auch deutliche Gebissspuren meiner Lehrerin trägt, die es in der Schule mit uns zerkaut hat und wollte, dass wir merken, dass es sich mit Antisemitismus befasst, und dass es subtile Regieanweisungen enthält, wie Kirchenglocken in der Ferne, Vogelgezwitscher und was da sonst so steht und die Handlung mit unserer Realität verbindet... Wochenlang.

Aber Max bleibt Max und Max ist gut.

Hochhuths Stellvertreter, der ja auch irgendwie zum Thema gepasst haben könnte, dagegen missfiel ihr: Das sei kein Theater. Sicher muss man den nicht ungekürzt spielen und die Regieanweisungen als Fließtext einblenden, aber als Lesestück für in der Schule... Draußen vor der Tür... Da kann man Alliterationen unterstreichen, grün. Das ist ein expressionistisches Stilmerkmal. Unterstreichen Sie bis zur nächsten Stunde... Nehmen Sie hingegen Max...

Den Kreisler fand sie nicht so gut. Sein Anliegen ist ihr wohl nicht mal zu Bewußtsein gelangt.

-

Dieser Kalenderhumor aus dem Humorkalender für angewandte Polizisten... Ich finde die Zeichnungen schlecht. Ich finde die Darstellungen rassistisch, aber so isser halt, der doitsche Hamur. Und wenn man sich anlässlich einer Demo mal die gebotene Beamtenschau zu Gemüte führt: so richtig verwunderlich ist das ja auch nicht, dass da ein Publikum für sowas ist. Und die Bemerkungen, Ostfriesenwitze oder welche über Blondinen fänden die Leute ja auch nur einfach komisch: Ich finde die seit je diskriminierend.

Warum finden Männer Blondinenwitze lustig?

Weil sie sie verstehen.

Das gilt vermutlich auch für Polizeibeamte und diese Kalenderwitze.

Bestimmt nicht für alle Polizisten, aber in irgendwelchen Kommentaren liest man leider wenig davon, dass es auch welche gibt, die das ausdrücklich doof finden... Gab es nicht mal so eine Vereinigung kritischer Polizisten? Wo ist deren Stellungnahme?

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

Hab's mal in ein neues Thema verschoben:
Rassismus in Polizeikalendern

Grüße
Bastian

Clas

Moin Bastian,

ja, der Ordnungssinn. An sich aber finde ich das jetzt gar nicht so weit OT, schließlich geht es Wallraff auch um die Demaskierung der Polizeikalenderkonsumenten. Aber meinethalben, es sei. Wie wir aber bei dieser stringenten Leitung den Weg zurück zum größten anzunehmenden ck finden sollen...? Ich mag eigentlich mäandrierende Diskussionen... und suchte schon nach einer Schleife zum Wulff zurück...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

Tja, jetzt ist eben Kreativität gefragt.

Nein, es war nicht der Ordnungssinn eher mein Spieltrieb.
Aber mit Forenfunktionen ist es ein bisschen wie mit Körperfunktionen. Wenn man sie immer unterdrückt, dann laufen sie irgendwann leer ab. Das kann plötzlich und ganz unerwartet sein.