Wenn man nun aber die Rezeption anguckt: Ist da des Getöses nicht ein weniges zu viel getöst? Bei gleichzeitigem Schweigen zum Inhalt?
Ich hab den Eindruck, dass sich da die Geister scheiden. In der Bewertung, was Getöse ist und worin der Inhalt des Textes besteht, meine ich.
Ich habe es zum Beispiel nicht als Getöse empfunden, sondern war eher überrascht, dass schon in den ersten zwei Tagen nach Erscheinen so viele Analysen zu lesen waren, in denen der Text sorgfältig zerpflückt und die Kernaussagen herausgearbeitet wurden. Anscheinend gibt es noch Journalisten, die es verstehen, hart am Text zu arbeiten.
Inhaltlich ist ja- zieht man das Theater ab- nicht viel Fleisch am Knochen:
- ein paar Sachaussagen, wie die Tatsache, dass Israel mit an Wahrscheinlichkeit grenzender Sicherheit Atomwaffen hat und von Deutschland hin-und wieder ein U-Boot bekommt. Die Tatsachen sind ja nun lange bekannt und ebenso lange gibt es Kritik daran. Also erzählt und Grass in diesen Punkten nix neues.
- und es gibt ein paar steile Behauptungen, wie die Verdrehung Israel könnte oder wolle gar "das iranische Volk auslöschen". Und- wie ich finde- der Gipfel: Israel gefährde den Weltfrieden. Nicht Syrien, wo seit Monaten geschlachtet wird. Nicht die umliegenden Nachbarländer, die aus einer Vielzahl von Gründen Terror u.a. gegen Israel finanzieren. Nicht der Iran, der tatsächlich auf dem Weg zur A-Bombe ist, und der Israel von der Landkarte tilgen möchte. Nein, laut Grass gefährtet Israel den Weltfrieden.
Heißt das umgekehrt, dass laut Grass Israel für den nächsten Weltkrieg verantwortlich ist?
OK, das gehört schon in den Bereich der Interpretation und ich will nicht tösen. Israel hat jedenfalls keinem Staat der Welt mit einem solchen Angriff gedroht. Umgekehrt gibt es kein anderes Land in der Welt, dass wie Israel seit seinem Bestehen solchen Drohungen ausgesetzt war und ist.
Grass stellt das in seinem "Gedacht" (W.Biermann) auf den Kopf und so wurde der Text inhaltlich auseinandergenommen. Als tösend habe ich da nur der ad Hominem gerichteten Vorwurf des Antisemitismus empfunden. Es hätte gereicht, dem
Gedicht anti... Klischees vorzuwerfen.
Aber es gibt auch die andere Sichtweise, nach der das nicht der Inhalt des Gedichts sei. Wenn ich das richtig verstehe geht es da eher um die mögliche
Botschaft des Textes, die da lauten könnte: "Atomwaffen sind schlecht. Wir brauchen Kontrollen. Und Israel darf da keine Ausnahme sein."
Auch gut. Das kann ich unterschreiben.
Wer dies als die Kernaussage des Gedichts ansieht (und den Rest ausblendet), mag der Auffassung sein, es würde bis jetzt am Inhalt vorbeigeschrieben. Ich sehe das nicht so.
Und wenn er noch so drum bittet: warum bitte erhält er da nicht ein bleiches Nein?
Reine Menschlichkeit. Grass würde das nicht überleben.
Hach, eigentlich ist mir doch eher nach tösen.
Avi Primor sagt gutes, ruhiges zum Thema. Und
Schirrmacher hat eine schöne Analyse. Lauter gute Stimmen, aber ich muss gestehen, im Moment stehe mir Broder (oder ich ihm) näher als sonst. Vielleicht in einem anderen Beitrag.
Grüße
Bastian