Hallo Peter und andere,
du meinst, wer kritisiert, soll gehen? Soll er sich doch eine andere Welt suchen, wenn es ihm hier nicht gefällt, wer bösartig ist, ist also irgendwie krank? Wenn Du schreibst: "Lass die Leute in Frieden, die es sehen und hören wollen, UND DENEN ES GEFÄLLT." kann ich darauf nur folgendes entgegnen: in Marburg zum Beispiel gefällt es Tausenden jeden Winter auf's neue, sich in eisiger Kälte auf dem Marktplatz den Nazifilm "Feuerzangbowle" anzuschauen und ich kritisiere es; den Studenten gefällt es, mit Transparenten durch die Gegend zu rennen auf denen "Ohne Bildung werd ich Terrorist" zu lesen ist, und es scheint ihnen zu gefallen; trotzdem kann ich sagen, wie abstoßend ich diese Form der Relativierung finde. Wenn Millionen von Leuten die CDs von Xavier Naidoo kaufen, schließe ich daraus, daß ihnen sein völkisches reaktionäres Singsang gefällt, was nicht heißt, daß ich sie in Frieden lassen muß. Ich muß überhaupt nicht einverstanden sein, wenn es egal sein soll, ob jemand vor Nazideutschland fliehen mußte oder ob jemand sich diesem unvorstellbaren Wahn - freiwillig - angeschlossen hat. Wenn dann heute jemand mit diesen Liedern auf der Bühne steht und es vermeidet, das Wort Antisemitismus auch nur in den Mund zu nehmen (wo es doch im Text steht), dann ist es klar, daß es GEFÄLLT, mir aber bleibt da alles im Halse stecken und ich habe tatsächlich wenig Lust, zu applaudieren; wenn das für Dich gleichbedeutend ist mit "krank und menschenverachtend", ist das eher Dein Problem.
Du führst den Musikkritiker an, fein,ich könnte jetzt mit anderen Liedern kontern, in denen es genau um diese Wiener Heiterkeit und Normalität geht, aber das ist völlig unerheblich, weil ich gar nicht behaupte, in Kreislers Sinne zu reden, sondern in meinem eigenem. Und ich bin extrem genervt von der Banalisierung deutscher und österreichischer Normalität und eben auch von der Banalisierung von Georg Kreisler, wie ich sie an diesem Abend sah. Es ist doch auffällig, daß die meisten Intellektuellen ihn irgendwie ganz toll finden, und er trotzdem nie die Anerkennung hatte, die ihn wirklich ernst genommen hätte.
Interessant übrigens auch die Sprache, die Du verwendest: die zwei Frauen an dem Leander- Abend werden zu "dämlichen Tussen" oder auch zu "Pennerinnen" (und das, weil sie nicht applaudieren und freundlich gucken) - sie und ich (oder nur sie oder nur ich? auch egal) haben einen "kranken menschenverachtenden Charakter" - manchmal kann man den aufklärerischen Gehalt eines Textes schon anhand solcher Worte ermitteln.