Ich tu´s jetzt hier rein. Man könnte es auch in den Dagmar Anuth Thread geben.
Habe die Reise nach Berlin nicht bereut.
Macht´s den Abend weiter, BITTE!
KEIN GEGEN-, SONDERN EIN MITEINANDER!
"Brecht vs. Kreisler“ in der Neuköllner Oper (Berlin), 11.9.2006
Die Klischeebilder hat man im Kopf: Brecht-Vertonungen kommen fast immer mit einen anklagenden Ernst daher, eine sehr direkte Schärfe und Härte durchzieht den Vortrag. Dagegen Georg Kreisler, der freundliche Herr am Klavier, der äußerlich so verbindlich und liebenswürdig vorträgt, und der dabei mit einer grandiosen Leichtigkeit die Abgründe des Menschseins besingt, dass einem das Lachen brutal im Halse stecken bleibt. Beides Menschenbeobachter von Gnaden, Brecht wie Kreisler, allenfalls aber sich findend im Zynismus der Entlarvungen, weniger in der musikalischen Umsetzung. Umso reizvoller die Zusammenstellung! Dagmar Anuth und Bastian Kopp wagen den Versuch. Ein spannendes Konzept: Themenschwerpunkte suchen und entsprechendes Liedmaterial koppeln. Ort der Premiere dieses Programms „Brecht vs. Kreisler“ ist die Neuköllner Oper in Berlin – ein Restaurant mit Seitenflügel samt kleiner Bühne, genannt „Café Götterspeise“. Immerhin sicher an die 50 wenn nicht mehr Leute finden sich ein, einmal nicht seicht, sondern anspruchsvoll klug unterhalten zu werden. Es braucht zwei Nummern, um Dagmar Anuths Gesangsmikro gut wortdeutlich einzustellen, und etwa genauso lang, bis die Menschen im Restaurant verstehen, dass lautes Reden diesfalls eher stört (und wohl das Lokal wechseln, denn die im Restaurant bleiben, applaudieren fortan mit). Der musikalische Rahmen überrascht und ist doch sinnfällig, weil er einem Mann gerecht wird, der mindestens das Niveau von Brecht und Kreisler hat: Ernst Stankovskis „Geh zu den Gauklern“ eröffnet, seine „Wahrheit“ beschließt die eineinhalb Stunden. Bald sind dem Zuhörer die Zusammenhänge klar. Dagmar Anuth berichtet über Brechts Leben und trägt, von Bastian Kopp am Klavier begleitet, Brecht-Vertonungen vor. Bastian Kopp hingegen erzählt zu und bringt am Klavier passende Kostproben aus dem Georg Kreisler Leben und Repertoire. Unter die Haut geht gleich ein Kreisler-Text über Ex-Nazis, die den Systemwechsel nach dem Krieg schadlos überstanden haben. Da fügt sich Brechts Ballade von der „Judenhure“ Marie Sanders perfekt ein. Bastian Kopp trägt Kreislers „Ausländer“ auf Schweizerdeutsch vor. Auf ihn als Interpret war der Schreiber besonders gespannt, er kannte ihn bisher nur als (exzellenten) Begleiter. Dagmar Anuth spielt wie schon im März in Strümpfelbach, beneidenswert attraktiv wie sie nun mal aussieht, mit immensem Engagement die Diva. Sie ist keine Diva, aber sie tut alles, was sie mit wohl freundlichen Regieassistenten in sicher unglaublich detailintensiver Probenarbeit erarbeitet hat. Keine Nuance bleibt un-interpretiert, jede Textphrase hat ihre „optische“ Auflösung mit entsprechenden Bewegungen und passender Mimik. Man spürt, dass Dagmar Anuth dieses Repertoire mit Leib und Seele, mit Liebe und großartigem Willen auf die Bühne bringt. Es ist keine Kritik hier zu schreiben, dass ihr genau dieser eine, winzige Schritt fehlt, der „die natürliche Diva“ ausmacht. Dafür, dass Dagmar Anuth diese Kunst neben voll forderndem Beruf und Familie ausübt, ist ihre Leistung einfach sensationell gut. Bastian Kopp, der Entertainer am Klavier, hat es da leichter. Er kann aber auch bei den Kreisler Liedern mit seinem völlig natürlichen Talent nahezu „mit links“ punkten, wo andere nach zwanzig Übungsjahren nicht hinkommen. Wie schon bekannt besticht er als Begleiter mit unglaublich stilsicherem und einfühlsamem Klavierspiel, und diesmal kommt eben auch der Georg Kreisler in ihm zum Vorschein, fast zu viel Georg Kreisler, zu wenig Bastian Kopp, der Georg Kreisler singt. Als würde er sich vor dem Schöpfer dieser grandiosen Lieder wie ein österreichischer Major der K.u.K-Zeit hochallerlöblichst verbeugen, imitiert er manchmal Kreislers Intonation wie ein Klon, bereit zur völligen Selbstaufgabe. Er bringt die Lieder gut, er macht sie keineswegs zur Parodie. Aber ein wenig mehr „koppen“ darf er schon (so wie beim Schweizerdeutschen, da ist er gar nicht Kreisler, sondern nur Kopp) – oder? Das Thema Soldatentum, mit Brechts „Kälbermarsch“, mit Brechts „Ballade vom Soldaten“, mit Kreislers „General“ – kein „versus“, vielmehr klug ausgedachte und verinnerlicht gebrachte Ergänzung. Wir erfahren, wie unterschiedlich die beiden Emigranten die Zeit des Zweiten Weltkrieges verbracht haben und hören Lieder zum Wohlstand und zur Verzweiflung, zur Unzulänglichkeit menschlichen Strebens – und „Nicht genug“ von Kreisler sowie „Denn wie man sich bettet, so liegt man“ von Brecht. Sehr wichtig ist Dagmar Anuth, herauszustreichen, wie Brecht die Frauen ausnutze, sie für sich arbeiten ließ. Da bröckelt es schon ganz schön vom Denkmal des „großen“ Dramatikers. Brecht, Kreisler und die Frauen, die Beziehungen: „Die Zuhälterballade“, „Surabaya-Johnny“ (ein ganz intensiver Höhepunkt des Abends!), „Die Ehe“, „Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit“. Es folgt „Das Lied von der harten Nuss“ (Brecht). Charmant bringt Bastian Kopp Kreislers „Warum kann ich dich gestern nicht mehr lieben“, und wirklich berührend, in wunderbar gespielter Lethargie, ist „Ein Abend zu zweit“. Dieses Duett schreit geradezu nach mehr davon! Immerhin drei Zugaben werden uns gewährt: Dagmars Interpretation „Himmelsstrahlen“, Bastians Version vom „Lied über gar nichts“ und Georg Kreislers großartiges Finale des Musicals „Heute Abend: Lola Blau“, „Viel zu leise für mich“. Da denkt man daran, dass Dagmar eigentlich (wenn sie denn die Zeit dafür hätte) auch vieles aus der „Lola Blau“ großartig bringen könnte. Bei den Zugaben sind beide sehr gelöst, die Spannung der Premiere ist dem Aufatmen über den guten Ablauf gewichen. Das Publikum zeigt sich jedenfalls höchst angetan vom Gebotenen. Der Schreiber denkt an das Konzertprogramm „Haydn singt Heller“, und so wie dort niemand Tom Haydn kannte, kennt jetzt niemand Dagmar Anuth und Bastian Kopp. Aber man kennt Brecht und Kreisler – vielleicht hilft das beim Versuch, dieses anspruchsvolle und nachdenkenswerte Programm im deutschen Sprachraum zu verkaufen. Die beiden (Dagmar und Bastian) hätten es verdient!