Jakob Augstein - ein Antisemit?

Begonnen von Bastian, 08. Januar 2013, 18:32:30

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Bastian

Überall lese ich, dass Jakob Augstein vom Simon Wiesenthal Center als einen der 10 schlimmsten Antisemiten 2012 eingestuft worden sei. Tatsächlich findet man ihn auf dem neunten Platz dieser Liste (pdf), in Gesellschaft einiger zweifellos zurecht nominierten Persönlichkeiten und Gruppen, wie Ahmadinedschad oder der Muslimbruderschaft. Zwar ist im Titel von
Zitat"2012 Top Ten Anti-Semitic/Anti-Israel Slurs"
die Rede, also Beleidigungen/Verleumdungen. Aber durch das Broder-Zitat, das das Simon Wiesenthal Zentrum sich zu eigen macht, muss die Nominierung wohl doch ad hominem verstanden werden.

Vorab: Ich muss zugeben, dass mir Jakob Augstein nur mäßig bekannt ist. Zum einen als jemand, der den großen Namen seines (sozialen) Vaters trägt. Zum anderen aus der durchgescripteten Fernsehsendung "Augstein und Blome", in der er mir als angestrengter Duellant eines auf mich ebenso angestrengt wirkenden Nikolaus Blome aufgefallen ist. Das Format soll wohl die Nische von "Hauser und Kienzle" füllen, erreicht aber in Punkto Unterhaltung bei weitem nicht das Format jener Sendung. Will damit sagen: Was ich gesehen habe, hat mich nicht sonderlich neugierig nach mehr Jakob Augstein gemacht. Deswegen habe ich seine Kolumnen bis dato nicht gelesen.

Aber die Aufregung über seine Äußerungen und die Aufregung über seine Nominierung haben mich dann doch neugierig gemacht.
Ich meine, in der Diskussion zwei Positionen zu erkennen:

- Die eine geht davon aus, den Antisemiten anhand seiner Äußerungen erkennen zu können. Hat man genug gefunden, was so oder ähnlich in judenfeindlicher Rhetorik angebracht wird, erlaubt- möglicherweise erfordert- dies, die Person als Antisemiten einzustufen.

- Die andere besteht- grob gesagt- darin, Äußerungen so weit gelten zu lassen, wie sie nicht ausdrücklich und offensichtlich im Wortlaut als judenfeindlich erkennbar sind.

Jede der beiden Positionen hat eine gewisse Berechtigung, aber es hat auch jede der beiden Positionen einen gravierenden Haken:
Um mit der Letzteren zu beginnen: Sie erlaubt weitgehend Kritik, macht einen offenen Diskurs möglich. Sie unterschätzt aber die Tatsache, dass der Judenhass sich nur selten unkaschiert zeigt. Sie toleriert ein großes Maß an Zuschreibungen, Unterstellungen und Stimmungsmache, ohne dagegen Einspruch zu erheben. Möglicherweise bis es zu spät ist.

Auch wenn ich daher in der Praxis öfter zur Ersteren tendiere, hat sie das Problem logisch inkonsistent zu sein. Wie schon in der Beschneidungsdebatte sichtbar wurde, führt der Schluss
"Wenn A, dann B.", also gilt auch "Wenn B dann A."
in die Irre. (Die These "Wenn jemand ein Antisemit ist (A), ist es wahrscheinlich, dass er gegen etwas Jüdisches opponiert (B)." lässt sich nicht umstellen zu "Wenn jemand gegen etwas Jüdisches opponiert (B), ist er ein Antisemit (A).") Zudem hat die erste Herangehensweise weniger das Argument, sondern primär eine Einordnung der Person zum Ziel.

Wie schätzt Ihr Augsteins Äußerungen ein? Rechtfertigen sie es, dass man ihn als Antisemiten bezeichnen kann?

Burkhard Ihme

Sandra Kreisler hat sich auf Facebook auch sehr über Augstein ereifert, find ich aber nicht mehr, nur das:

ZitatSchön gesagt. Wir haben es wieder mit einer praktischen Umkehrung zu tun. Zitat "Nicht Augsteins Texte sind also der Skandal, mit denen er die Vorurteile eines gewissen linken Milieus bedient. Sondern die Wiesenthal-Leute sind es, weil sie sich als Kronzeugen Henryk M. Broder besorgt haben, der seit Jahren eine innige Fehde mit Augstein führt."

Irgendwo hieß es in der Facebook-Diskussion auch "Man darf Israel natürlich kritisieren, aber es kommt darauf an wie". Das trifft zwar bei jedem Thema zu, aber bei den wenigsten droht die Höchststrafe "Antisemit".

Wer Mugabe kritisiert, wird nur bei sehr extremer Wortwahl bzw. Argumentation als Rassist gebrandmarkt, selbst bei Mbeki ist Kritik ungestraft möglich (bei Mandela wäre ich mir da nicht mehr ganz so sicher).

Bastian

Und für sein "Wie" entschuldigt sich nun Henryk Broder:

ZitatAugstein liefert die Begleitmusik zu Ahmadinedschads Vernichtungsfantasien. Mag sein, dass es ihm nicht bewusst ist, was er da tut, aber er tut es.
Ich habe über Jakob Augstein auch geschrieben, er sei "der kleine Streicher von nebenan..., der nur Dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen..."
Das war vollends daneben. "Nicht hilfreich", würde die Kanzlerin sagen. Jakob Augstein ist weder ein kleiner noch ein großer Streicher, er verlegt nicht den "Stürmer", sondern den "Freitag", er ist verantwortlich für das, was er heute macht, und nicht für das, was er in einem anderen Leben möglicherweise gemacht oder nicht gemacht hätte.
Ein Hühnerstall ist kein KZ, die Moslems sind nicht die Juden von heute. Ich habe solche Dramatisierungen bei anderen immer kritisiert. Und nun bin ich in dieselbe Falle getappt.
Dafür entschuldige ich mich. Und nur dafür.

http://www.welt.de/kultur/article112708625/Das-war-nicht-hilfreich-Ich-entschuldige-mich.html

Eine Einladung an Augstein. Bin mal gespannt, wie Augstein darauf reagiert. Möglicherweise nimmt er sein "Wie" auch endlich stärker unter die Lupe. Für die Diskussion darüber, wo die Grenzen zu ziehen sind, wäre es sicher gut.
Nur was macht das Simon Wiesenthal Zentrum, falls Augstein sich nicht ausdrücklich entschuldigt? Rabbi Abraham Cooper hatte eine solche Entschuldigung Augsteins ja als Bedingung für ein Gespräch gefordert, und nun lässt Broder es mit seinem abgewerteten Zitat alleine dastehen...

Hä? Muss Augstein jetzt das SWC retten?

Burkhard Ihme

Das SWZ muß zumindest mal sehen, was sie da verlautbaren lassen. Autoren dafür verantwortlich machen, was andere nach der Lektüre dann anstellen, ist schon sehr weit von einem demokratischen Rechtswesen entfernt. Und würde die Hetze, Michel Friedmann würde durch sein Auftreten den Antisemitismus befeuern, ja legitimieren.

Burkhard Ihme

Auf Facebook:

ZitatSandra Kreisler: Ah, ok - Menschen ticken halt anders. Ich bin nicht so, jedenfalls. Entweder ich seh ein Unrecht entstehen (und bin halt auch aufmerksam gegenüber "kleinen Anfängen" (wo dann alle sagen "Das ist doch kein Antisemit" - zum Beispiel, aber ich erkenne schon den Weg.) oder ich seh's nicht, auch wenn es vorher andere Unrechte gegeben hat.

Bastian

#5
Hm, den Satz verstehe ich nicht. Und den Kontext finde ich unter dem Link nicht- Facebook ist ein schwarzes Loch.

Ich denke, das Problem ist, dass antijüdisches Ressentiment sich heute in einer Weise äußert, dass es kaum mehr von einfacher einseitiger Darstellung oder -Sichtweise zu unterscheiden ist. Ich finde, dass das SWC da eine gute Chance schlecht genutzt hat. Wenn man auf Äußerungen aufmerksam machen möchte, ist es ungut, wenn man selbst ad-hominem austeilt, wie durch das zu-eigen-gemachte Broder-Zitat geschehen. Das hat das Wiesenthal-Zentrum mittlerweile auch selbst erkannt, und rudert vom "Er ist ein Antisemit"- Vorwurf zurück. Er steht aber so in der Liste.

Was hat Augstein geschrieben:
Zitat"Es ist dieser eine Satz, hinter den wir künftig nicht mehr zurückkommen: 'Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden.' Dieser Satz hat einen Aufschrei ausgelöst. Weil er richtig ist. Und weil ein Deutscher ihn sagt, ein Schriftsteller, ein Nobelpreisträger, weil Günter Grass ihn sagt. Darin liegt ein Einschnitt. Dafür muss man Grass danken. Er hat es auf sich genommen, diesen Satz für uns alle auszusprechen."
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-guenter-grass-israel-gedicht-a-826163.html

Grassens Satz, den Augstein zitiert, war und ist ein grausames Spiel mit Betonungen:
"Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden."
"Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden."

Den Satz kann man natürlich gelten lassen, wenn man der Auffassung ist, dass Atommächte grundsätzlich den Weltfrieden gefährden. Auch wenn man kritisieren möchte, dass Israel mit der Geheimhaltung spielt und keine Kontrollen zulässt. Tatsächlich steht da aber "Israel gefährdet den (...) Weltfrieden.", und wer da nicht missverstanden werden möchte, schreibt es anders.

Nun gut, das hatte Grass mit seiner "letzten Tinte" geschrieben, und das vom SWC angebrachte Zitat lässt sich eindampfen zu einer Zustimmung Augsteins zu Grass. Mehr sehe ich da nicht. Ich würde inhaltlich einigem deutlich widersprechen, zum Beispiel, dass Grass diese Sätze für uns alle, also auch mich, ausgesprochen habe und wir/ich ihm dafür dankbar zu sein habe(n). Einen Teufel werde ich tun! Ich habe Grass nicht für die Bedienung antisemitischer Klischees kritisiert, um ihm heute zuzustimmen.

Der restliche Artikel liest sich dann doch eher wie ein Rundumschlag. Er kritisiert Grassens Gedicht für seine Schwächen. Augstein unterschlägt auch nicht, dass Israel von Feinden umgeben ist und Ahmadinedschad Israel auslöschen will.

ebenda:
ZitatMit der ganzen Rückendeckung aus den USA, wo ein Präsident sich vor den Wahlen immer noch die Unterstützung der jüdischen Lobbygruppen sichern muss, und aus Deutschland, wo Geschichtsbewältigung inzwischen eine militärische Komponente hat, führt die Regierung Netanjahu die ganze Welt am Gängelband eines anschwellenden Kriegsgesangs.

Israel hat der Welt eine Logik des Ultimatums aufgedrängt: Es will gar nicht beweisen, dass Iran eine Bombe hat."
Die "jüdischen Lobbygruppen" sind ein Element antisemitischer Verschwörungshypothesen. Typisch auch die Kombination mit den USA. Tatsächlich gibt es in den USA Lobbyismus von jüdischer, besser israelischer Seite. Und das ist auch gut so, es wäre schlimm, wenn es nicht so wäre. Lobbies sind politisches Alltagsgeschäft. Und wer meint, "Israel", oder "die Juden", oder "die Zionisten" seien in den USA maßgebend, der möge sich die folgende Aufstellung ansehen. Der größte Geldgeber sind die Vereinigten Arabischen Emirate:
http://www.propublica.org/article/adding-it-up-the-top-players-in-foreign-agent-lobbying-718
Gut, über die Emirate wollte Augstein nicht schreiben, sein selbstgesetztes Thema gibt es nicht her. Aber Augsteins "jüdischen Lobbygruppen" geben es eben auch nicht her.

Was hat Augstein noch geschrieben?
ZitatDas Feuer brennt in Libyen, im Sudan, im Jemen, in Ländern, die zu den ärmsten der Welt gehören. Aber die Brandstifter sitzen anderswo. Die zornigen jungen Männer, die amerikanische - und neuerdings auch deutsche - Flaggen verbrennen, sind ebenso Opfer wie die Toten von Bengasi und Sanaa. Wem nützt solche Gewalt? Immer nur den Wahnsinnigen und den Skrupellosen. Und dieses Mal auch - wie nebenbei - den US-Republikanern und der israelischen Regierung.
http://www.spiegel.de/politik/ausland/mohammed-film-wem-nuetzt-die-welle-der-wut-in-der-islamischen-welt-a-856233.html#ref=rss
Ein dämlicher Artikel.
Die "Cui bono?" Frage zu stellen, weil in den Arabischen Staaten Menschen gegen ihre Regimes und ein Schmähvideo protestieren und Chaos herrscht, ist nicht nur dämlich; das muss man wollen. Anstatt nach dem Warum zu fragen, fragt er "Wem nützt's?" Da bedient Augstein verschwörungshypothetische Klischees (Juden und Amis als Strippenzieher). Selbst wenn es eine Tatsache ist, dass die US- Republikaner und die Israelische Regierung das ausgeschlachtet haben (dem lässt sich kaum widersprechen), basiert der gesamte Artikel auf dieser Verdrehung von Ursache und Wirkung. Und die muss man wollen. So schreiben tatsächlich auch Antisemiten. Und da liegt das SWC meiner Meinung nach richtig, wenn es die Alarmglocke läutet.

Soweit erstmal wieder, die Pflicht ruft.

Grüße
Bastian

Bastian

ZitatInzwischen ist der Beruf des Israelkritikers ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Anders als bei weniger einträglichen Berufszweigen wie dem Syrien- und Irankritiker bietet der öffentliche Raum dem Israelkritiker ein dankbares Betätigungsfeld. Auffallend allerdings, dass sich der Israelkritiker, obwohl von zahlreichen Gesinnungsgenossen umgeben, stets als Teil einer bedrohten Minderheit wähnt, umzingelt von jüdischen Verleumdern, die nur auf das nächste Stichwort warten, um gnadenlos zuzuschlagen. Und hier haben wir sein psychologisches Hauptmotiv: Der Israelkritiker verkörpert die verfolgte Unschuld. Er ist ein Opfer der Verhältnisse, die von dunklen, anonymen Mächten beherrscht werden. So ist er auch ein Revoluzzer, ein Revolutionär. Die perfekte Rolle für einen deutschen Intellektuellen, der gern solidarisch ist mit den Unterdrückten dieser Welt. Wenn andere aus Angst schweigen müssen, spricht er die verfemte Wahrheit offen aus: Täter sind nun die anderen. Was für eine Befreiung!
http://www.welt.de/print/die_welt/literatur/article112895403/Die-Legende-vom-Tabu.html

Bastian

#7
Auch sehr lesenswert: Christian Berkels offener Brief an Jakob Augstein:

Zitat... Er spürte die Hand seiner Mutter auf seinem Knie: "Du bist auch zu einem Teil Jude." Er verstand nicht recht. "Nicht ganz?" "Nein ..." "Bin ich ganz deutsch?" "Nein ..." Der Junge spürte, wie ihm sehr heiß wurde. Wenn sein Spielzeug nicht ganz war, dann war es kaputt. Das wusste er. "Ich will aber ein ganzer Deutscher sein." Er fühlte sich, als hätte er diese Worte erbrochen. Nichts bewegte sich mehr. Aus der Ferne hörte er die Stimme von Onkel Walther, er sah in sein bleiches Gesicht und dachte, dass er sterben würde: "Sie lernen es nie, sie lernen es nie, es ist im Blut." "Walter", hörte er die Stimme seiner Mutter, "er ist noch ein Kind ..." Sie klang nicht überzeugend. Dem Jungen sprangen die Tränen aus den Augen. Er starrte auf den Boden und versuchte, sich die Linien der Steine einzuprägen. "Hingucken, hingucken", hämmerte es durch seinen Kopf, während seine Augen zufielen. Sehr geehrter Herr Augstein, wir haben eine Geschichte, wir können daran arbeiten, die disparaten Teile zu integrieren, aber zu glauben, wir könnten damit unneurotisch umgehen, egal ob jüdisch, deutsch oder deutsche Jugend, das erscheint mir absurd.

Vielleicht sollte ich auch den Link posten, wenn ich was empfehle...
Da:
http://www.welt.de/print/wams/kultur/article112906572/Ein-offener-Brief-an-Jakob-Augstein.html

Bastian

... und hörenswert der Vortrag von Leo Elser an der Universität Freiburg vom 30.11.2012:

(youtube)

Dauert etwa eine Dreiviertelstunde, aber man kann ja währenddessen etwas sinnloses tun.

Grüße
Bastian

Bastian

ZitatSimon-Wiesenthal-Zentrum verschärft Ton
Cooper: Augstein ist Antisemit 
Der Ton zwischen dem Simon-Wiesenthal-Zentrum und dem Publizisten Jakob Augstein wird deutlich härter. Weil er die Chance habe verstreichen lassen, sich für seine israelkritischen Texte zu entschuldigen, sei Augstein ein Antisemit, heißt es aus Los Angeles.
(...)
Als Begründung für seine persönliche Attacke nannte Cooper ein "Spiegel"-Streitgespräch, das Augstein mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, Dieter Graumann, geführt hatte. Er habe dabei die Chance verstreichen lassen, sich für seine israelkritischen Texte zu entschuldigen und seine Äußerungen zu relativieren.

http://www.n-tv.de/politik/Cooper-Augstein-ist-Antisemit-article10045741.html