Beschneidung ist strafbar

Begonnen von Bastian, 26. Juni 2012, 18:15:05

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Bastian

Die Beschneidung ist mal wieder in aller Munde.
Mittlerweile spricht selbst der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann, von einem "beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht" und von einem "unerhörten und unsensiblen Akt."

...

äh... Mooment...

... ich glaub...

Nein! Da stimmt was nicht... Definitiv nicht! Das hat er so nicht gesagt, das kann ich so nicht stehenlassen, nachher versteht es noch jemand richtig. Also nochmal von vorn:

Zitat"Der Zentralrat der Juden in Deutschland sieht im Urteil des Landgerichts Köln, das die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Körperverletzung bewertet hat, einen beispiellosen und dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dr. Dieter Graumann:
,,Diese Rechtssprechung ist ein unerhörter und unsensibler Akt."

http://www.zentralratdjuden.de/de/article/3705.html

So ist es richtig.

Verzeihung
Bastian

Clas

Moin Bastian,

ja, hm, nicht einfach für einen Goi...

für mein spontanes Gefühl gibt es da zumindest einen Anfangsverdacht auf Körperverletzung. Bei Mädchenbeschneidung ist sich ja die Welt inzwischen ziemlich einig, dass das ein Akt der Barbarei ist. Nur die noch praktizierenden Barbaren und Barbarinnen sehen das anders. Bei den Jungen...

Ich weiß nicht, wie es dabei zugeht, ich stelle es mir schmerzhaft vor und möchte für scharfe Gegenstände, die dort (und überhaupt) an mich oder meine Kinder gewendet werden sollen, na, sagen wir: näherliegende und zwingendere Begründungen. Einer Religion beitreten, die das von mir fordert oder fordert, dass ich das bei meinen Kindern machen lasse: Ich danke schönstens.

Und zuletzt wird es wohl darauf hinauslaufen, das Recht auf körperliche und seelische Unversehrtheit abzuwägen gegen die Freiheit, dies zum Wohlgefallen Gottes an wehrlosen Kindern zu missachten. Wenn es nun nur Muslime wären, die sowas täten: Ich hätte keinen Zweifel, wie das gewertet würde.

So aber?

Hm, ja, nicht einfach für einen Goi, zumal einen deutschen Goi...

Weißt Du, ob es da eine weitere Instanz geben wird?

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

#2
Hallo Clas,

von einer weiteren Instanz weiß ich nichts. So wie ich das verstanden habe, hatte die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Arzt erhoben, nachdem sie mitbekommen hatte, dass der kleine Junge wegen Nachblutungen erneut ins Krankenhaus musste. "Einfache Körperverletzung", trotzdem Freispruch wegen des "unvermeidbaren Verbotsirrtums". Ich weiß nicht, ob da eine Revision möglich oder gewollt ist. Bin auch juristisch nicht bewandert genug, um einzuschätzen, was von Seiten anderer möglich ist.

Der "unvermeidbare Verbotsirrtum" ist, denke ich, eine der Crüxe. Bis dato gab es, soweit ich weiß, keine Rechtsprechung, die Beschneidung eindeutig ins Strafrecht einsortierte. Und das ist jetzt anders. Auch werden sich beschneidungswillige Ärzte zweimal überlegen, ob sie an einem nicht zustimmungsfähigen Kleinkind eine medizinisch nicht indizierte Beschneidung durchführen. Schließlich gibt es nun eine Urteilsbegründung, in der die Beschneidung als "einfache Körperverletzung" gewertet wird, und die darf ein Arzt nicht einfach so begehen.

Ich denke außerdem schon, dass wir Gojim da mitreden dürfen. Ich kann keinen Unterschied machen zwischen dem Wohl eines jüdischen Kindes, einem muslimischen oder einem wasweißich freikirchlichen Kindes (so man Kleinkindern überhaupt diese Etiketten verpassen kann/sollte). Und es geht mir nahe, wenn einem von ihnen Leid zugefügt wird. Das ist natürlich keine juristische Begründung, sondern eine aus Neigung. Aber wenn nun von Seiten muslimischer und jüdischer Zentralorgane gewettert wird, das Urteil sei ein "dramatischen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften" o.ä., dann finde ich das anmaßend. Es heißt ja nicht nur, dass die Religionsgemeinschaften "selbst" (?) bestimmen können sollen, was das Kind will und ob es Schmerzen erleiden soll.
Es bedeutet s.o. auch folgerichtig, dass ich bei Gewalt gegen Kinder toleranter sein soll, wenn sie sich gegen jüdische und muslimische Kinder richtet.

Hab lange überlegt, ob ich das so schreiben soll. Aber ich komme zu keinem anderen Schluss...

Wo ich als Nichtjude und Nichtmuslim naturgemäß schlecht mitreden kann, ist die Frage nach der Bedeutung der Beschneidung. Also der Wichtigkeit, die der Ritus für die Menschen hat. Das kann man als Außenstehender nur schwer beurteilen. Ist die Beschneidung wirklich unverzichtbar? Wie schlimm wäre ein Verzicht? Wäre der überhaupt möglich, ohne das einem etwas fehlt? Vielleicht liest jemand mit, der dazu etwas schreiben möchte?

Grüße
Bastian

michael

Hallo,
körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Selbstbestimmung sind Rechte des einzelnen Individuums - nicht Rechte einer Religion. Natürlich geht die Freiheit / Gesundheit des Kindes vor, insbesondere vor den abstrusen Ideen, welcher Körperteil verändert werden muss. Eine absurde Vorstellung - eine Religion fordert die Verletzung von Kindern - und das soll erlaubt sein? Nein.
Als Erwachsener / mündiger Mensch kann mensch sich ja auf jeden religiösen (jetzt hätte ich beinahe Quark gesagt) einlassen - sofern ich die Rechte anderer nicht beeinträchtige, aber die sollen bitteschön die Kinder in Ruhe lassen!

Anke

#4
Interessantes Thema.

Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob man überhaupt irgendeinen nicht krankheitsbedingten Eingriff an Kindern unternehmen sollte oder darf:

http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Beschneidung_von_Jungen_und_M%E4nnern.html#Folgen_der_Beschneidung
ZitatDie Ägypter beschnitten ihre Sklaven um sie herab zu würdigen und sie als Sklaven kenntlich zu machen. Alle Nachkommen der Sklaven wurden ebenfalls beschnitten. In der Zeit der Babylonische_Gefangenschaft um etwa 600 v. Chr. übernahmen und ritualisierten die Juden diese Praktik. Unter Moses wurde die Beschneidung von Neugeborenen ("milah") zur Pflicht die am 8. Tag nach der Geburt stattzufinden hat.
Mit anderen Worten: Die Juden haben ihre Versklavung verinnerlicht und ihr Zeichen sogar zu einer "religiösen" Pflicht hochstilisiert!  :o
Allein das schon sollte den jüdischen Gelehrten und Anführern zu denken geben.
(Zwar war es in der Wüste eine nützliche hygienische Maßnahme. Aber dieses Zeichen der Sklaverei hätte man nach Ankunft im gelobten Land als erstes abschaffen können.)=

Ich persönlich glaube, dass der sehr vielen Juden anhaftende leichte Masochismus u.a. in der aufgezwungenen und erlittenen Beschneidung begründet ist.  :-[
ZitatDer Prophet Mohammed der ohne oder zumindest mit einer sehr kurzen Vorhaut zur Welt kam empfahl die generelle Beschneidung von Knaben. Diese wird daher auch heute noch bei Moslems als ein Zeichen der Religionszugehörigkeit im Kindesalter durchgeführt. Die Beschneidung ist aber im Islam kein unverzichtbares Glaubensgut da sie nicht im Koran selbst sondern lediglich in der Sunna erwähnt wird.
Wenn das stimmt - dann war es bei Mohammed der Wunsch, als unfehlbar-makellos zu gelten.
Auch das ist kein religiöser Grund.


Burkhard Ihme

Nur mal als Hinweis: In den USA gibt es einen höchst umstrittenen Comic um "Foreskin-Man", der sich gegen die Beschneidung richtet.

http://www.spiegel.de/kultur/literatur/agit-comic-foreskin-man-mit-plasmastiefeln-in-den-peniskampf-a-771325.html

Clas

Moin Anke,

dieses Schönreden aus hygienischen Gründen halte ich auch für nicht wirklich zwingend, Wüste hin oder her. Überzeugt mich nicht. Wird auch für Mädchenbeschneidung angeführt, und auch da ist das Blödsinn. Außerdem ist Wüste und Hygiene keine Religion...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

Interessant sind auch die Solidaritätsbekundungen der christlichen Religionsvertreter. Die Kollision religiöser Vorschriften mit säkularem Recht macht wohl einige unruhig.

Die Chirurgen des Jüdischen Krankenhauses in Berlin setzen die Beschneidungen jedenfalls vorerst aus:
ZitatNicht nur jüdische und muslimische Verbände übten daraufhin scharfe Kritik an dem Urteil. Dieser Kritik schlossen sich auch die beiden Volkskirchen in großer Deutlichkeit an. Schon jetzt seien im Jüdischen Krankenhaus Berlin zwei geplante Beschneidungen vom Operationsplan abgesetzt worden, erläuterte Chefarzt Graf.

,,Was machen wir jetzt?"
Von den rund 300 Beschneidungen des vergangenen Jahres in seinem Haus seien über ein Drittel religiös motiviert gewesen, berichtet er. Die Mehrheit davon sei nicht an jüdischen, sondern an muslimischen Jungen vorgenommen worden.

http://www.taz.de/Urteil-zu-religioesen-Beschneidungen/!96390/

Wird tatsächlich Karlsruhe entscheiden müssen?

Clas

Moin, moin,

hygienisch durchaus sinnvoll... elementare Bedeutung...  Dunner di dat!

Man kann die Stelle auch waschen.

Und es würde dem Verständnis weiter helfen, wenn da mal erläutert würde, worin die elementare Bedeutung denn besteht. Warum ist ohne Beschneidung jüdisches Leben nicht möglich?

Mir scheint, die Verlautbarungen sind wuchtig, aber ich erkenne wenig Substanz.

Sicher ist ja: man kann beschnitten und unbeschnitten leben. Einen echten intrasubjektiven Vergleich, was nun besser ist, kann man für die Beschneidung von Kleinstkindern nicht anstellen. Angenommen, es wäre im weiteren Leben egal, bliebe immer noch der nicht nachvollziehbar notwendige Eingriff, der sicher nicht schmerzfrei ist.

Was nun die geplusterten Kirchenfürsten gar nicht beschneidender Religionen betrifft: Deren Problem verstehe ich nicht.

Oder der EuGH?

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Heiko

#9
Geht schon irgendwie unter die Haut ...

Ich finde Bastian hat eingangs den entscheidenden Aspekt benannt - den der Selbstbestimmung. Bei dieser Diskussion wird wiedermalst deutlich, dass Kinder kulturübergreifend als Eigentum der Elternen betrachtet werden. Eine unbestreitbare Sorgepflicht wird dabei zur scheinbar legitimen Erziehungsgewalt umdefiniert.

Ein Problem ist allerdings, dass es für die Beschnittenen selber meist kein Problem darstellt und sie sich (später) nicht als Opfer einer ritualisierten Reproduktion gewaltsamer Praktiken verstehen. Im Gegenteil: es finden häufig starke Identifikationen statt, was ja ziemlich normal ist. Es fällt nun mal grundsätzlich leichter die Unterdrückung anderer zu erkennen, aber die eigene zu ignorieren.
Und eben nicht nur zu ignorieren, sondern als positives Persönlichkeitsmerkmal zu intergrieren. Schlagende Väter behaupten auch stets, dass es ihnen auch nicht geschadet hätte.

Hygienische Notwendigkeit?

ZitatMan kann die Stelle auch waschen.
Ganz genau ... also sofern die Religion erlaubt sich dort anzufassen.

Zitatder sehr vielen Juden anhaftende leichte Masochismus
Ah interessant, ist dieser Masochismus eigentlich verwandt mit dem weiblichen Masochismus?


Schön wäre es, wenn Religionsfreiheit endlich als Freiheit von Religion und nicht der Religion verstanden würde.
"I would prefer not to."

Bastian

#10
ZitatMit anderen Worten: Die Juden haben ihre Versklavung verinnerlicht und ihr Zeichen sogar zu einer "religiösen" Pflicht hochstilisiert! 
Allein das schon sollte den jüdischen Gelehrten und Anführern zu denken geben.

Ja, wobei gerade die Orthodoxesten unter den Orthodoxen sich hüben wie drüben naturgemäß und pflichtgemäß am allerwenigsten bewegen. Noch mehr würde mich interessieren, ob die heutigen, eher säkularen Muslime und Juden der Beschneidung noch diesen hohen Stellenwert beimessen. Im Moment hört man ja nur die lauten Stimmen der Hardliner. Wenn man aber nach denen ginge, soll das Zusammenleben nicht mehr möglich sein. Aus diesem Quatsch schließe ich, dass einfach nur die Oberen für die Lösung ausscheiden, und wir Normalos es richten müssen. Haben wir jüdische oder muslimische Leser, die dazu evtl. etwas sagen können?

Wie wenige Katholiken sehen heute noch die Notwendigkeit jeden Sonntag ihren Heiland aufzuessen... Kann es sein, dass es auch etliche Juden und Muslime gibt, die gar nicht soo ein Riesenproblem damit hätten, auf das Beschneiden zu verzichten?

Grüße
Bastian

Clas

Moin, moin,

ein wenig zum Thema findet sich hier: http://www.publik-forum.de/religion-kirchen/artikel/der-knabe-unterm-messer-online . Ob die dort gegebene Darstellung der religiösen Bedeutung so zutrifft, weiß ich nicht. Wenn ja, wäre man bei der Frage, was der Wille Gottes sei, und wie man den erkennt. Warum er so lautet, wird sich kaum zweifelsfrei feststellen lassen...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

#12
Zitatkörperliche Unversehrtheit, Freiheit, Selbstbestimmung sind Rechte des einzelnen Individuums - nicht Rechte einer Religion.

Das ist das Problem.
Also das der Religionen, mein ich. Ich nehme an, deshalb sind die Reaktionen auf das Urteil auch so scharf. Mir ist jedenfalls keine Religion bekannt, die das Recht auf Selbstbestimmung des Individuums anerkennen oder dulden würde... Und die Individuen, die einer Religion angehören, verzichten auf dieses Recht ja gerade aus freien Stücken- was will man da machen? Und so bestimmt die Religion, wie Eltern zu entscheiden haben, was ihr Kind wollen soll. Und, wie immer in Glaubensdingen, verteigen die Gläubigen ihre Fremdbestimmung gegen jede Ermunterung zur Emanzipation...
Hätte auch gut in den Atheismus- Thread gepasst.)

Wenn ich mir die Dikussionen zu dem Thema im Netz durchlese, wird mir jedenfalls mulmig. Da wird mit einer Absolutheit rechtgehabt, dass es nicht gutgehen kann.

Wieso nicht denken, diskutieren, gemeinsam beschließen, was zuträglich ist und was nicht? Es gibt im Judentum z.B. die Möglichkeit später beschnitten zu werden. Nämlich dann, wenn ein Kind noch zu schwach ist den Eingriff zu verwinden (soviel zur angeblichen Ungefährlichkeit). Und so ganz gleichberechtigt hat der gute Unaussprechliche auch nicht gedacht. Beschnitten werden nur die Jungs- für die Mädchen gibt es die Hollekreisch- Zeremonie. Ich will jetzt gar nicht werten, wie das genderrollenspezifisch zu werten ist, im Gegenteil: Warum juxt man nicht auch die Knaben mitsamt der Wiege in die Luft? Tut nicht weh und macht sicher Spaß. Bei Mädchen funktioniert es doch auch, und was ist bitte jüdischer als die mütterliche, weibliche Linie? Oder ist Wiegenfliegen zu unmännlich? Dann halt ne Holleaeroplane- Zeremonie, Hollekettcar, wasweißich...

Will ja niemandem reinreden, eher ermuntern kreativ zu werden und selbst was zu entscheiden.

Ach, zu Selbstbestimmung noch etwas:
Als Argument für die Beschneidung wird häufig eine Empfehlung der WHO angebracht, die darauf abzielt die Verbreitung des HIV einzudämmen. Ich halte die Empfehlung generell für sehr hinterfragbar, will aber auf einen andern Punkt hinaus.
Die WHO schreibt nämlich:
ZitatCountries should ensure that male circumcision is provided with full adherence to medical ethics and human rights principles, including informed consent, confidentiality, and absence of coercion.
http://www.who.int/hiv/mediacentre/news68/en/
(Hervorhebungen von mir)
Entscheidend für die Empfehlung ist also laut WHO, dass medizinethische Standards und Menschenrecht(sprinzipien) eingehalten werden sollen, zuvorderst das medizinische Prinzip der informierten Einwilligung. Und die Beschneidung soll nicht unter Zwang vorgenommen werden (die Vertraulichkeit lass ich mal beiseite).

Das ist conditio sine qua non. Nochmals: non.
Das müsste doch eigentlich genau zum Nachdenken anregen. In meinen Augen jedenfalls ist das WHO-Beschneidungsargument in Punkto medizinisch nicht gebotener Beschneidung von Säuglingen hinfällig.

(Mal eben Vorschau ... hab ich schon genug geschrieben...?)
Ich finde nein.

Grüße
Bastian

Bastian

ZitatOder der EuGH?

Laut Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf ist eine gesetzliche Ausnahmeregelung wahrscheinlicher.
Zitat
Wie wird es weitergehen? Denkbar erscheint der Weg zum Bundesverfassungsgericht, der freilich langwierig ist. Außerdem sprechen die stärkeren verfassungsrechtlichen Gründe gegen die Beschneidung. Damit bleibt der Weg über den Gesetzgeber, der (analog der Zulässigkeit des religiös motivierten Schächtens) eine Ausnahmeregelung schaffen kann. Vermutlich wird es bald die ersten Vorschläge zu einer solchen gesetzlichen Regelung der Beschneidung geben
http://hpd.de/node/13709

Anders als die Religionen ist so ein Rechtsstaat eben flexibel...

Burkhard Ihme

SAT 1 läßt Sonntags Nachts immer gerne irgendwelche Geistliche oder Gläubige Laien auf die Zuschauer los, allerdings, ohne daß dies im Fernsehprogramm gelistet wäre. Deshalb in der Mediathek schwer zu finden, wenn überhaupt. Jedenfalls hatten sie da gestern so einen Mönch, der selbstverständlich darauf beharrte, daß Beschneidung in die Religionsausübung und damit in die Entscheidungskompetenz der Eltern fällt. Den hätte ich jetzt gerne zur Beschneidung von Mädchen gehört.

Clas

Moin, moin,

wenn nun tatsächlich die gesetzliche Sonderregelung kommt: Bräuchte man da nicht schleunigst einen Schutzverein, der dagegen ist? Welche, die die Beschneidung für gut halten, gibt es ja offenbar...

Ja, und dann zersplittert sich die Bewegung dagegen wahrscheinlich bereits im Entstehen in solche, die primär gegen Juden oder Muslime sind und die ärgern wollen und solche, die Kinder schützen wollen...

Zur Geschichte, und vielleicht auch ein wenig zur Notwendigkeit: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/1800972/ Ein Interview mit Michael Wolfsohn.

Den Schluss, für Erwachsene sei das gefährlich, Kindern aber mache das nicht viel aus, halte ich aber nicht für zwingend...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

#16
In das selbe Horn hat der von mir doch so geschätzte Rafael Seligmann auch gestoßen: Säuglinge spüren den Schmerz nicht so.
Phoenix-Runde vom 4. Juli 2012

Ich finde, ein verheerendes Argument...

Überhaupt finde ich, nachdem die Debatte nun schon ein paar Tage läuft, immer bemerkenswerter, dass von Seiten der religiösen muslimischen, wie jüdischen Befürworter entweder nur dogmatisch "argumentiert" wird (z.b. "... wird seit 4000 Jahren praktiziert, also ist es gut!"), oder wahlweise mit modernen, komplett außerreligiösen Argumenten, wie der AIDS- Bekämpfung, Papillomavirus, die 75%igen Amerikaner oder Ähnlichem. Aus welchem der alten Bücher wollen sie das haben?

Die religiösen Befürworter haben schlicht kein eigenes überzeugendes Argument, außer dem, dass es nun mal so sein muss, basta.
Wenn Dogma nicht zieht, berufen sie sich auf weltliche, wissenschaftliche Erkenntnisse oder vermeintliche rechtliche Ansprüche, die ihnen zustehen. Allesamt Errungenschaften der säkularen, sich immer mehr aufklärenden Welt. Eben der Welt, gegen die sie sich (Muslime und Juden, ausnahmsweise gemeinsam) auflehnen. Sekundiert von den christlichen Kirchenvertretern. Ich empfinde das als hochgradig schizoid. Oder durchsichtig, jenachdem.

Am besten finde ich in diesem Zusammenhang den Bezug auf die "Religionsfreiheit":

Lieber Mullah, Lieber Rebbe, lieber Ratz:
Von Religionsfreiheit steht in Euren Büchern nichts.
Religionsfreiheit ist Menschenwerk.

;)

Gute Nacht
Bastian

Heiko

Zitat
Anders als die Religionen ist so ein Rechtsstaat eben flexibel..
Hallo Bastian,
ja schon, das stimmt, so ein Rechtsstaat lässt sich bisweilen wirklich ziemlich beugen,
aber immerhin reichte auch die Flexibilität der Religionen ganz offensichtlich aus, um mit nur notwendigsten Anpassungen Jahrtausende zu überdauern. Das müsste irgendein Rechtsstaat erstmal toppen.

ZitatBräuchte man da nicht schleunigst einen Schutzverein, der dagegen ist? [...]
Ja, und dann zersplittert sich die Bewegung dagegen wahrscheinlich bereits im Entstehen in solche, die primär gegen Juden oder Muslime sind und die ärgern wollen und solche, die Kinder schützen wollen...
Hallo Clas,
ich empfinde auch die Gesellschaft von Kinderbeschützern leider nicht als grundsätzlich saubere Sache. Zu viele, die es als Vehikel benutzen. Du sprichst von jenen, die nur ärgern wollen. Dann gibt es auch welche, die zum Schutze der Kinder die Todesstrafe fordern, was wahrscheinlich schon eine gemäßigte Fassung ihrer Folterphantasien darstellt. Erst gestern lief mir so ein Exemplar im Supermarkt entgegen.
Sicher, das wird in dieser Debatte nun nicht gerade gefordert. Trotzdem wirkt so ein Schutzverein wie Zwangsbeglückung und ein Angriff auf die Identität dieser Menschen. Ob den Kindern geholfen würde, die nach einem Rechtsschutz plötzlich unter dubioseren Umständen im Privaten beschnitten würden, weiß ich nicht. Verstehe zwar, dass man sagt, wir wollen sowas hier nicht haben, ich ja auch nicht. Aber ist es doch bitte die Aufgabe der Menschen und der entsprechenden Religionsgemeinschaften selbst, sich von solchen Relikten zu befreien. Natürlich gerne auch von außen unterstützend, aber bitte nicht mit diesem rechthaberischen Wir-sind-ja-schon-so-viel-weiter-Gestus.
Stattdessen sollte lieber vor der eigenen Tür gekehrt werden, da liegt genug Dreck. Es sollte die eigene Unterdrückung analysiert und beseitigt werden, (für mich) beispielsweise die penetrante Einimpfung von preußisch-protestantischer Leistungsethik, die letztlich geistig beschneidet.


Grüße Heiko
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

ZitatIn das selbe Horn hat der von mir doch so geschätzte Rafael Seligmann auch gestoßen: Säuglinge spüren den Schmerz nicht so.
Phoenix-Runde vom 4. Juli 2012

Ich finde, ein verheerendes Argument...
Aber doch ganz im Sinne Georg Kreislers:

Keiner denkt mehr an den Lehrer Harald,
der ein Kind erwürgte und entfloh,
denn das Kind war höchstens sieben Jahr alt;
in dem Alter merkt man's noch nicht so.

Bastian

Achja, der Zirkus in Flammen ist das. Ich hatte beim Schreiben schon so das Gefühl, dass ich das schonmal irgendwo gehört hatte...

Mich erschrecken so manche Argumente, die da vorgebracht werden. Von Seiten der Befürworter, wie seitens mancher Gegner. Das in vielen Kommentarspalten gelesene "Hier gilt das Grundgesetz, wem's nicht passt, der kann gehen."- Argument, zum Beispiel. Das haut voll in die Kerbe und bestätigt genau die Befürchtung von Juden und Muslime, sie seien in Deutschland nicht erwünscht.

Ich hätte allerdings auch nicht gedacht, dass man noch über die steile These "Babies empfinden keinen Schmerz" diskutieren muss. Darüber und über das "Beschneidung schadet nicht"- Argument gibt es einige Studien, die das klar widerlegen:
http://www.circumcision.org/studies.htm

ZitatAber ist es doch bitte die Aufgabe der Menschen und der entsprechenden Religionsgemeinschaften selbst, sich von solchen Relikten zu befreien.
Da sagst Du was Wahres. Das "selbst" in "selbstverschuldet" ist wohl auch das Wichtigste am Kant. Ich hoffe, dass eine schnelle gesetzliche Sonderregelung nicht dazu führt, dass die Diskussion wieder ad acta gelegt wird.
Das "Jewish Cirumcision Center" hat da eine sehr interessante Seite, auf der die Beschneidung kritisch beleuchtet wird, und Alternativen zur Beschneidung vorgeschlagen werden.
http://www.jewishcircumcision.org/info.htm
Auch die anderen Unterseiten sind lesenswert.

Grüße
Bastian

Heiko

#20
Hallo Bastian,

nicht zu vergessen das frei Geborene des überall in Ketten Liegenden, um einen weiteren Klassiker der Aufklärung zu bemühen. Aber ob selbstverschuldet in Ketten und unmündig? Würde sagen, kollektiv, also für die Gemeinschaft der Menschen, die solche Praktiken nicht infrage stellen, trifft es sicherlich zu. Dem Baby oder Kleinkind würde ich im Einzelfall nicht unbedingt "Selbst schuld!" sagen wollen.
(Überhaupt scheint Ent-Schuldung ein Gedanke der Stunde, wenn ich den Haip um Graebers "Schulden - Die ersten 5000 Jahre" betrachte. Die seit 2008  peinlich verstellte Politik zur Banken- und Staatenrettung dürfte hingegen eher Um-Schuldung sein.)

Der Link ist gut, das Rabbi-Zitat zeigt, dass zumindest im Jüdischen gewisse Dinge nicht so einheitlich und fundamental sind, wie oft vermittelt wird. Ob auch vergleichbar liberale muslimische Gemeinschaft zu finden wären? Und was ist mit Initiativen von betroffenen Jungen und Männer, die den Nachkommenden das gleiche "Schicksal" ersparen wollen?

Gruß Heiko
"I would prefer not to."

Bastian

ZitatUnd was ist mit Initiativen von betroffenen Jungen und Männer, die den Nachkommenden das gleiche "Schicksal" ersparen wollen?

Die sind wohl rar. Aber mir ist heute genau dazu ein sehr lesenswerter Artikel untergekommen. Geschrieben von Gil Yaron, einem israelischen, jüdischen Arzt, der sich nach einigem Ringen und Überlegungen gegen die Beschneidung seines Sohnes entschieden hat.

Auszug:
Zitat
"Das Urteil der nichtjüdischen Richter in Köln sollte Anlass für zwei urjüdische Akte sein: nachdenken und diskutieren. Wir brauchen keine Rechtssicherheit, sondern eine Denkpause. Juden sollten die kommenden 15 Jahre in Deutschland nutzen, um sich zu vergegenwärtigen, warum sie ihre Söhne beschneiden: ob sie das wirklich wollen oder nur aus Angst davor tun, anders zu sein. Die Feier des Brith am achten Tag nach der Geburt könnte ein wichtiger symbolischer Akt werden, in dem der Vater nicht seinen Sohn zu seiner Religion verdonnert, sondern sich selbst dazu verpflichtet, ihm ein bedeutungsvolles Judentum vorzuleben und zu übermitteln.

Wenn meine Erziehung zum Judentum dazu führt, dass mein Sohn eines Tages als mündiger, überzeugter Jude von seinem Vater fordert, ihn endlich zu beschneiden, dann werde ich seinen Wunsch erfüllen, mit Liebe, Stolz und Schmerz. Aber nicht früher."

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/beschneidungsdebatte-unsere-seltsame-tradition-11827726.html

Eine hoch respektable Einstellung, wie ich finde.

Burkhard Ihme


Clas

#23
Moin, moin,

schräg, schrill und reichlich steil ist ja fast die ganze Diskussion... Argumente mit geringem Steigungswinkel dafür scheint es ja kaum zu geben. Jedenfalls werden kaum welche vorgebracht. Die Dagegen versuchen, mitzuhalten.

"In dem Alter merkt man's noch nicht so" ist ja im Lied offensichtlich Zitat, und passt gut hierher, und hat hier möglicherweise einen Ursprung. Schade, dass man nicht mehr fragen kann. 

Für mein Empfinden überschlägt es sich aber, wenn die Shoah als Vergleich bemüht wird. Nicht beschneiden zu dürfen, liegt doch Welten davon, und mir scheint der Vergleich vor allem die damaligen Opfer zu kränken und auch zu missbrauchen. Mein Rudiment von religiösem Empfinden hält das für sündhaft; und ich im übrigen für taktlos und für eine ahnungslos verübte Grausamkeit, weil es die noch Lebenden erinnert und ihr Erlittenes in Beziehung setzt und damit relativiert. Ist das Folge der Gnade der späten Geburt? Oder meinen sie das im Ernst?

Andererseits: Rabbiner sind zwar religiös und vielleicht eifrig, aber gebildete Menschen, die wissen sollten, was sie sagen. Vielleicht haben sie es anders gesagt, als das Radio es wiedergab. Eine Richtigstellung habe ich aber noch nicht gehört.

Dann gab es da im Radio einen Pädagogikprofessor, zu dessen aktivem Primärwortschatz es gehörte, von Eltern zu sprechen, die das Recht hätten "ihren Knaben" beschneiden zu lassen, und der von den "selbsternannten Kinderschützern" in dem Zusammenhang erstmal Kinderschutz vor Armut verlangte. Ohrlöcher führte er auch an.

Einerseits ist das Problem Kinderarmut insgesamt wohl wirklich gewichtiger, andererseits war das Thema Beschneidung. Also ein anderes. Ein Verweis, was das Gegenüber zunächst und besser erstmal abarbeiten sollte, bevor es dem angesprochenen Thema wieder nahetreten dürfe, zeugt auch nicht gerade von stringenter Argumentationsarbeit am Thema... Und dieses Possessivpronomen, dieses besitzanzeigende Fürwort, bezogen auf den Knaben... Ich mag eigentlich auch alte Worte, aber irgendwas schmeckt mir da nicht. Vielleicht dieser Possessivanspruch, der es einschließt, ein Stück abzuschneiden.

Und was die Ohrlöcher betrifft: Ich hätte vom Rechtsgefühl her kein Problem, die als Körperverletzung ebenfalls zu verbieten, wiewohl mir die Verletzungstiefe geringer zu sein scheint. Geschäftlich dagegen...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

#24
Ja, die Shoah-Vergleiche sind schwer bis gar nicht zu ertragen.
Eine schwierige Aufgabe aber auch, gerade im Fall der Juden. Da soll man ein selbstgewähltes Stigma hinterfragen, das als Zeichen der Religionszugehörigkeit der Verfolgung in all den Jahrhunderten getrotzt hat. Eine schwierige Konstellation...

Der Ton bleibt also scharf. Auch die Österreicher Religionsgemeinschaften reagieren gemeinsam auf das Urteil des Kölner Landgerichts:

ZitatVon der Bundesregierung fordern die Religionsvertreter ein "eindeutiges Bekenntnis", das diese "Feindseligkeiten" beendet und weiterhin freie Religionsausübung gewährleistet. "Ein Bescheidungsverbot entspricht der geistigen Vertreibung von Juden", manifestiert Oskar Deutsch, Präsident der israelitischen Kultusgemeinde http://www.ikg-wien.at/ .
(...)
"Für Muslime ist die Beschneidung seit 1.500 Jahren ein religiöser Akt und wie Fingernägel schneiden", betont Fuat Sanac, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich http://derislam.at . Dagegen zu opponieren sei ein Schlag gegen die Religionsfreiheit und die "unwürdige" Debatte aus dem Ausland "hier friedlich zu beenden". Für Moslems sei die Beschneidung elementar und "Tradition des Propheten, dem man gehorchen muss".
http://www.pressetext.com/news/20120727014

Das Bild ist für's Album: Wie vereint doch die Katholische Kirche, die Evangelische Kirche, der Islam und das Judentum zusammenstehen können...

Grüße
Bastian

[Edit: Link korrigiert]
[Edit: noch'n Link korrigiert]