Hurra, wir sterben

Begonnen von h-j-urmel, 05. Dezember 2022, 20:27:36

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h-j-urmel

1971 war für das musikalische Kabarettprogramm "Hurra, wir sterben" von Georg Kreisler Premiere im Renitenz-Theater Stuttgart. Besonders große Bedeutung wurde diesem Stück anscheinend nicht beigemessen. Es sind kaum Kommentare hierzu zu finden. Wurde anscheinend auch wenig gespielt.

Was mir lange nicht bekannt war, ist die Existenz eines weiteren musikalischen Stückes mit dem selben Titel, das einige Jahre nach Kreislers Uraufführung auf die Bühne kam. Der Autor ist Klaus Budzinski, der Mann, der Georg Kreisler des Plagiates der vergifteten Tauben bezichtigt hatte. Inhaltlich unterscheiden sich beide Theaterstücke vollkommen voneinander. Die komplett identische Namensgebung ist für mich sehr befremdlich, zumal Klaus Budzinski über die Arbeit von Georg Kreisler Bescheid wusste.

Fragen direkt an Klaus Budzinski können nicht mehr gestellt werden. Er ist Jahrgang 1921 und wäre jetzt 101 Jahre alt.

Burkhard Ihme

Mir ist Klaus Budzinski in erster Linie erinnerlich durch seine Textsammlung "Vorsicht, die Mandoline ist geladen – Deutsches Kabarett seit 1964" von 1970. Da kommt Kreisler gar nicht vor, allerdings Rolf Schwendter und einige Liedermacher unterschiedlicher Ausprägung wie Franz Josef Degenhardt, Walter Mossmann, Wolf Brannasky, Hannes Stütz und Dieter Süverkrüp. Die vor 1964 gegründeten Kabarettensembles werden nicht erwähnt.

h-j-urmel

Bei dem Buch "Vorsicht, die Mandoline ist geladen" geht es um rein deutsches Kabarett, nicht um deutschsprachiges Kabarett. Da ist für Georg Kreisler kein Platz. Klaus Budzinski hat viele Bücher geschrieben zu Kabarett, Musik, Chanson. "Die Muse mit der scharfen Zunge". Vom Cabaret zum Kabarett. "Pfeffer ins Getriebe". So ist und wurde das Kabarett. "Wer lacht denn da?". Kabarett von 1945 bis heute. "Darf ich das mitschreiben?" Kurze Begegnungen mit großen Leuten. In diesen Büchern kommt Georg Kreisler in unterschiedlicher Gewichtung vor.

Im letzteren Buch "Darf ich das mitschreiben?" gibt Klaus Budzinski dem "Kreisler-Kapitel" die Überschrift "Wer hat die Tauben im Park vergiftet?"
In diesem Buch schreibt Klaus Budzinski ...."Sein markaberes Chanson vom Taubenvergiften im Park, wiewohl seinem geistigen und kompositorischen Lehrer Tom
Lehrer nachempfunden, entspricht in der Seelenlage durchaus seinem wiengebeugten Naturell."

Budzinski schicke ein Exemplar des Buches an Georg Kreisler und glaubt, er habe Georg Kreisler damit mitten ins Herz getroffen. Georg Kreisler warf dem Klaus Budzinski daraufhin Verleumdung vor.....

Georg Kreisler erwähnt in irgendeinem Buch Budzinski und dessen Verhalten ihm gegenüber.  Er schreibt Klaus Budzinski habe ihn (Georg Kreisler) anfangs hoch gelobt und auch das Lied über die Tauben. Später sei er dann umgeschwenkt und habe sich den Plagiatvorwerfern angeschlossen.

Burkhard Ihme

Zitat von: h-j-urmel am 06. Dezember 2022, 15:26:04
Bei dem Buch "Vorsicht, die Mandoline ist geladen" geht es um rein deutsches Kabarett, nicht um deutschsprachiges Kabarett. Da ist für Georg Kreisler kein Platz.
Dann hätte aber Rolf Schwendter auch fehlen müssen, der war Österreicher. Kreisler fehlt möglicherweise, weil er schon vor 1964 aktiv war. Waren allerdings Hüsch, Süverkrüp und Degenhardt auch. Es gibt keine wirklich überzeugende Erklärung.

Zitat von: h-j-urmel am 06. Dezember 2022, 15:26:04
Im letzteren Buch "Darf ich das mitschreiben?" gibt Klaus Budzinski dem "Kreisler-Kapitel" die Überschrift "Wer hat die Tauben im Park vergiftet?"
In diesem Buch schreibt Klaus Budzinski ...."Sein markaberes Chanson vom Taubenvergiften im Park, wiewohl seinem geistigen und kompositorischen Lehrer Tom
Lehrer nachempfunden, entspricht in der Seelenlage durchaus seinem wiengebeugten Naturell."

Das "Nachempfunden" ist ja noch eine Petitesse gegenüber dem unverschämten "seinem geistigen und kompositorischen Lehrer". Wie kann man auf so einen blühenden Unsinn kommen? Kreisler war sechs Jahre älter und viel länger im Geschäft, und seine kompositorischen Lehrer waren eher Schönberg und Eisler.

h-j-urmel

Es gibt für fast alles Erklärungen. Die "Mandoline" ist zunächst ein Buch über das deutsche Kabarett seit 1964. Und als ob die HerausgeberDeinen Einwand vorausgesehen hätten, ist folgender Hinweis zu beachten: "Der Band enthält außerdem Texte einzelner Liedermacher, die hier nicht fehlen durften. Darunter Texte von..." -

Burkhard Ihme

Texte von Schwendter dürfen überall fehlen. Und ich schätze Wolf Brannasky, aber 1970 war sein Werk doch recht überschaubar.

h-j-urmel

Liedermachern steht kaum einer näher, als Du, wenn überhaupt. Ich vertraue Deiner Einschätzung zu diesen Künstlern. Ich hatte bisher zu keinen der beiden genannten Liedermachern einen Bezug.
Wir entfernen uns aber immer mehr von "Hurra, wir sterben" und Klaus Budzinski.

Burkhard Ihme

#7
Grade hier auf degenhardt.tv im Bericht über die Essener Songtage gesehen:


Rolf Schwendter beschwert sich, dass auf den Essener Songtagen zu wenig diskutiert und zu viel Musik gemacht wurde (12:33), und Klaus Budzinski trat wiederholt aus dem Brainpool der Songtage zurück (14:25).

Außerdem zu sehen Rolf Ulrich Kaiser, und wenn ich mich nicht täusche rennt auch Reinhard Hippen mal durchs Bild. Mitorganisator Henryk M. Broder hab ich nicht entdecken können. Vielleicht sah er 1968 einfach völlig anders aus als wir ihn seit den 90er Jahren kennen.

Heiko

#8
Zitat von: h-j-urmel am 05. Dezember 2022, 20:27:36
1971 war für das musikalische Kabarettprogramm "Hurra, wir sterben" von Georg Kreisler Premiere im Renitenz-Theater Stuttgart. Besonders große Bedeutung wurde diesem Stück anscheinend nicht beigemessen. Es sind kaum Kommentare hierzu zu finden. Wurde anscheinend auch wenig gespielt.

Im Begleittext der Preiser-CD gleichen Namens von 2000 steht:
ZitatZum Kabarettprogramm wäre noch zu sagen, daß der Süddeutsche Rundfunk in Stuttgart anläßlich des 75. Geburtstages von Georg Kreisler gerade diese Produktion zur Sendung brachte – ein Beweis, daß dieses Programm auch nach 26 Jahren noch in Erinnerung war.

Und hatte Kreisler mit dem zweiten Lied des Programms ("Treten Sie näher!") nicht auch ne Wette gewonnen? Ein paar Jahre zuvor, mit einem Intendanten, von einer kleinen Radiosendung oder vielleicht auch der Heißen Viertelstunde, bei ihm alles machen zu dürfen. Dieses Lied über Franz Josef Strauß durfte am Ende aber nicht gespielt werden und GK hat eine Kiste Wein gewonnen. Fragt bitte nicht, wo genau ich das gelesen habe ...

Ich mag auf der CD aber auch vor allem die angehängten Lieder eines älteren Herrn, vorgetragen von Philipp von Zeska, aufgenommen 1967 in Wien.
"I would prefer not to."

h-j-urmel

Die Geschichte mit der Wette erzählte Georg Kreisler schon mal bei Interviews. Auf die Bemerkung von Georg Kreisler, dass seine Lieder zensiert werden
und verschiedene Rundfunkanstalten seine Lieder nicht spielen oder erst sehr spät in der Nacht, versprach der Redakteur, Georg Kreisler könne schreiben, was er wolle, er würde sein Lied senden. Der Wetteinsatz war die genannte Kiste mit Wein. Beim Text des Liedes geht es bekanntlich um Franz Josef Strauß.

Wie von Heiko erwähnt bekam Georg Kreisler den Wein geschickt.


"Hurra, wie sterben" wurde in Stuttgart uraufgeführt. Die Übertragung durch den Süddeutschen Rundfunk zum 75 Geburtstag war demnach eine feine Geste, ein schönes Geburtstagsgeschenk. Zu Stuttgart, vordergründig zu dem Renitenz-Theater und dessen Gründer Gerhard Woyda hatte Georg Kreisler ein inniges Verhältnis.

Im Programmheft zum Jubiläum 25 Jahre Renitnz-Theater steht zu Kreislers Stück:  "Das Programm regte das Publikum zur Diskussionen an, und es entstanden jeden Abend Streitgespräche über einzelne Themen. Damit war das Ziel erreicht."



Heiko

Hallo Urmel,
schön, dass du meine Erinnerung bestätigst. Es ist immer erfreulich, wenn das Gedächtnis sich als zuverlässig erweist.

Hinsichtlich des Programms würde ich mich noch zu der Behauptung hinreißen lassen, dass kein anderes von Kreisler so nahe am allgemeinen 68er-Gefühl dran war.

Grüße Heiko
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

"Schützen wir die Polizei" war unter diesem Gesichtspunkt eigentlich aktueller (auch heute noch, und das unter einer gar nicht intendierten Headline).