Heute Abend: Lola Blau

Begonnen von Alexander, 01. April 2005, 12:01:57

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Alexander

"Heute Abend: Lola Blau"

"Musical für eine Schauspielerin: Die Lebensgeschichte der imaginären Kabarettsängerin Lola Blau erzählt ein jüdisches Künstlerschicksal des 20. Jahrhunderts.
1938 muss Lola Blau aus Österreich in die Schweiz emigrieren, wo sie als Nachtclubsängerin auftritt. In Amerika macht sie Karriere als Showstar, begleitet von Einsamkeit, Alkohol und Tabletten. Als sie nach Österreich zurückkehrt, muss sie feststellen, dass sich die Menschen dort wenig verändert haben.
Georg Kreisler schrieb dieses Musical 1971 und es wurde schnell zu einem viel gespielten Erfolgsstück."
(Vorschautext Burgtheater Wien)
 
Uraufgeführt am 17.10.1971 im Kleinen Theater in der Josefstadt (Wien) in einer Inszenierung von Conny Hannes Meyer mit Topsy Küppers als "Lola Blau".

Ich habe mehrere CD´s mit Aufnahmen dieses Werks, zudem habe ich in den letzten Jahren einige Inszenierungen in Wien, München, Wuppertal und Augsburg gesehen (Berichte folgen in den nächsten Monaten). Und nachdem ich 1997 im Wiener Theater Pygmalion Dorina Pascu am Klavier bei diesem Werk als Einspringer begleiten durfte, war ich "auch schon mal drin".

Habe vorgestern eine Vorstellung in Wien gesehen, gestern eine in Augsburg. Unterschiedlicher kann man dieses Werk nicht auf die Bühne bringen. Für mich war es eine  faszinierende Vergleichsmöglichkeit.

30.3.2005, Kasino am Schwarzenbergplatz (Wien), Christiane von Poelnitz als "Lola Blau", Johannes Falkenstein am Klavier. Konzentration auf und Identifikation mit  "Lola". Intensiv-exzessiv. Totales Mitleben. Ohne Pause. Grandioses Zusammenspiel Lola-Pianist. (Der spielt übrigens alles auswendig.) Leichte Mikro-Verstärkung. Unbedingt empfehlenswert - nächste Vorstellung am 3.5.2005!

31.3.2005, Parktheater im Kurhaus Göggingen (Augsburg), Monika Herwig als "Lola Blau", Christian Auer am Klavier. Eine Theaterinszenierung (Gastspiel des Theater im Rathaus, Essen) von Manfred Zapatka mit viel Bühnenbildwechsel, ein Nebendarsteller mit drei Monologen (in Wien weggelassen), Zeitkolorit optisch und akustisch viel aufwendiger als in Wien - aber insgesamt distanzierter, weniger nah "am Publikum". Eine Pause. Abstimmung Lola-Pianist routinierter als in Wien. Ohne Mikro. Heute (1.4.2005) noch eine Aufführung in Augsburg. Dann Sa 02.04 19:30 Stadttheater (Amberg), So 03.04 19:30 Stadttheater (Amberg), Mi 06.04 20:00 Stadthalle (Landstuhl), Mo 11.04 20:00 Aula des Städt. Gymnasiums (Wetter), Fr 15.04 19:30 Kur- und Stadttheater (Bad Salzuflen).

Beide Produktionen verzichten auf das Lied "I hab a Mäderle". In Wien hörte man auch nicht "Frau Schmidt", in Augsburg nicht das "Wiener Wäschermädel" in der Glanznummer "Im Theater ist nichts los".

Genauere Berichte folgen demnächst!

Derzeit auch dort im Spielplan (Beispiele):
Landestheater Detmold (Kleine Bühne im Grabbe Haus) ab 6.4.2005 elf Vorstellungen bis 30.6.2005
Chamäleon - Erstes Linzer Variete Theater Wiederaufnahme: ab 23.4.2005 neun Vorstellungen bis 1.7.2005

Empfohlen sei auf jeden Fall die Do-CD mit Topsy Küppers (Preiser Records 90044). Wenn man die hört, kann man sich nicht vorstellen, dass jemals jemand anderer diese Rolle "rüberbringen" wird können. Aber es ist wohl wie bei Nestroy (von dem man sich angeblich zu Lebzeiten nicht vorstellen konnte, dass seine Darstellungskunst und damit verbunden seine Stücke weiter leben werden, weil sie so einmalig durch ihn geprägt waren) oder auch bei Qualtinger ("Der Herr Karl"). Irgendwann verselbständigt sich die Kunst.


,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Alexander

DIE GEBORENE ENTERTAINERIN

An Kuohn macht ,,Lola Blau" zum Ereignis, Kirche in der City (Wuppertal), 1.10.2004

... Regisseur und Bühnengestalter Ralf Budde begnügt sich mit einfacher Ausstattung: ein angedeuteter Kleiderschrank, ein Paravent mit Spiegel, in beiden Ansichtskarten eingesteckt, ein Tisch, ein Stuhl. Der Aufgang zur Galerie im für diese Veranstaltung grandios geeigneten Kirchenraum wird zur Schiffsreling, drei Rettungsreifen am Geländer genügen zur Verdeutlichung. An Kuohn singt unverstärkt – und fesselt das Publikum, obwohl sie nicht auftrumpfen muss. Ihre souveräne Natürlichkeit von Darstellung und Gesang ist das Ereignis schlechthin. Sie tritt aus dem Publikum auf, mit dem Lied ,,Weder – noch", und am Ende geht sie (die Melodie noch mal zur Klavierbegleitung summend) durch das Publikum wieder ab. Pianist Stefan Hüfner weiß die Klavierstimmen einfühlsam einzusetzen. Zitate von Hitler spricht An Kuohn zwischendurch in objektiviertem Tonfall, von Hüfner dunkel am Klavier begleitet – geniale Lösung für die Einflechtung der Zeitgeschichte. Man erspart sich einen zweiten Darsteller, An Kuohn spricht auch Dialogszenen alleine. Als Linzer Zimmerwirtin versucht sie den Tonfall der Aufnahme mit Küppers nachzuahmen. Natürlich bleibt An Kuohn eine ,,internationale" Lola Blau, sie wird nicht zur Wienerin. Das stört aber keineswegs. Ihre gelegentlichen Annäherungsversuche an die österreichische Sprachmelodie wirken (für den Wiener im Publikum) herzlich und sympathisch. Gerne kokettiert sie mit Männern im Publikum, etwa im Lied ,,Die Wahrheit vertragen sie nicht". Stefan Hüfner, der die nuancierte, in jedem Detail stimmige Darstellungsweise der Kollegin kongenial (stets mit hörbar großem Respekt vor Kreislers Original-Klaviersätzen!) zu unterstützen weiß, trägt An Kuohn durch die Ausdruckspalette der Chansons. So schlüpft sie in die Rollen ihrer Lieder, mit Kostümen, mit Empfindung, mit für jede Szene sinnvoller Positionierung. Weggelassen werden u.a. ,,I hab a Mäderle", das laut Stefan Hüfner den Ablauf etwas bremsende ,,Der Herr ist mir fremd" und – etwas überraschend - die große langsame Schlussnummer ,,Zu leise für mich". Dafür lassen sie mit Kreislers Bearbeitung der Mozart´schen ,,Sonata facile", betitelt ,,Wo sind die Zeiten hin", ein sonst kaum berücksichtigtes Kleinod im Programm. Allein diese Nummer zeigt die unglaubliche Souveränität von An Kuohn. Sie wirkt in keiner Phase angestrengt oder bemüht, niemals aber auch überheblich oder schlampig. Diese genau getroffene Mitte macht´s aus: Der Zauber, die Magie einer lebendigen Rollengestaltung, die unter die Haut zu gehen vermag.

Nächste Vorstellung: 17.4.2005, Kirche in der City (Wuppertal)
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Maexl

klasse, du machst mir richtig appetit auf all die vorstellungen...

ahja, habe ich schon erwähnt, dass die schauspielgruppe im maxim gorki (berlin) eine tolle vorstellung gegeben hat... hab von ihnen das hauptmann-stk. gesehen. das wurde vom hauptdarsteller genial performiert ^^

Alexander

,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

Gefällt mir gut, sieht aus, wie eine ganz klassische Aufführung ohne grosse Mätzchen. sowas find ich ja immer dann am Besten, wenn das Stück und der Text tragen.
Lustig ist, dass praktisch jeder das "Zu leise für mich" am Schminktisch abschminkend inszeniert - irgendwie naheliegend...
Und nette Zitate für Rosel finden sich auch auf der Seite.
Zum Beispiel:
ZitatJeder Mensch muss vor allem versuchen, die Hindernisse, die die Sonne verstellen, für sich und seine Mitmenschen aus dem Weg zu räumen.
Georg Kreisler



Andrea

Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Nase

Lustig ist, dass praktisch jeder das "Zu leise für mich" am Schminktisch abschminkend inszeniert
noja, so stehts im Text.. :) Aber so wie man Kreisler nicht totsingen kann, kann man ihn glaub ich auch nicht totinszenieren.
Nur eins, mein Bester; in der Welt ist es selten mit einem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltiglich, als Abfälle zwischen einer Habichts- und eine

Sandra

Hehe, ja, so steht's im Text. Aber wann hat einen Regisseur schon interessiert, was im Text steht ?

Nase

Nur eins, mein Bester; in der Welt ist es selten mit einem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltiglich, als Abfälle zwischen einer Habichts- und eine

Alexander

LOLA BLAU: ZWEI VARIANTEN

,,Heute Abend: Lola Blau!" von Georg Kreisler, am 30.3.2005 erlebt im Kasino Schwarzenbergplatz (Wien) - und am 31.3.2005 im Parktheater Göggingen (Augsburg)

Das sind wohl die Extrempole des Herangehens an den Stoff: In Wien die Reduktion auf Hauptdarstellerin und Pianist im nahezu leeren Raum, in Augsburg eine Theaterinszenierung mit Bühnenbild, Pianist und Nebendarstellern. Beide Varianten haben ihren Reiz. Der Inhalt bleibt gleich: Die politisch naive jüdische Künstlerin Lola Blau emigriert zu Kriegsbeginn über Linz und Basel in die USA, macht dort Karriere als Sängerin, verfällt aber dem Alkohol und Tabletten und kehrt schließlich nach Wien zurück, wo sie als Chansonette resigniert altert. Eine Traumrolle für Frauen, und so manche hat sich seit der durch Topsy Küppers geprägten Uraufführung 1971 in Wien der Herausforderung gestellt. Georg Kreislers wunderbar vielfältige Chansons verlangen der Darstellerin breite stilistische Vielfalt ab. Den zeithistorischen Hintergrund bietet man meist vom Band, mit Radioausschnitten, mit Geräuschkulissen. Es gibt aber auch Inszenierungen, die Lola selbst diese Zusammenhänge in den Mund legen.
Die Wiener Aufführung erhält schon durch das Ambiente eigenes Flair. Man erreicht den noblen Saal über breite Stiegenaufgänge mit rotem Teppich, ein Haus der Feste und Bälle, die Wiener Gründerzeit schwingt mit. Nichts vom Originaleindruck dieses Saals wird kaschiert. Die hohen Fenster zum Schwarzenbergplatz und die feinen Tapeten sind der Bühnenhintergrund. Nur Klavier, Couch, Kleiderständer und wenige weitere Requisiten werden benötigt. Sinnvoll integriert sich ein stillgelegter Wasserhahn ins Geschehen. Das Burgtheater bietet Ensemblemitglied Christiane von Poelnitz die Möglichkeit, ihre mit Regisseur Torsten Fischer 1999 im Schauspiel Köln erarbeitete ,,Lola Blau" zu präsentieren. Reduktion auf sie, in einem durch gespielt, fast zwei Stunden lang: Christiane von Poelnitz geht bis ins kleinste Detail nuanciert bis an alle Grenzen – eine exzessive Rollengestaltung! Bei ,,Sie war liab" zeigt sie eine Verbrennung im Kleinen zum Wort ,,stirb". In dieser Sekunde  wird allen eiskalt im Saal. Zu ,,Die Wahrheit vertragen sie nicht" steht das Klavier in der Bühnenmitte. Als sie sich am Schiff nach Amerika umzieht, baut sie das zu einer eigenen, habnackten Nummer aus. Der zeithistorische Hintergrund wird nur dezent aus dem Off eingestreut. Der Abend gehört Christiane von Poelnitz und ihrem Pianisten Johannes Falkenstein, keiner Inszenierung rundum. Lola ist mit einer Krone am Kopf und mit Flügeln die Freiheitsstatue, sie malt auf ihr Negligee rote Brustpunkte und ein rotes Schamdreieck und kokettiert im Lauf der weiteren Aufführung damit: ,,Sex is a Wonderful Habit"! Wie einige andere Darstellerinnen lässt Christiane von Poelnitz ,,Ich hab a Mädele" aus. Grandios hingegen wie sie immer spielt, ,,noch nicht ganz so weit zu sein", wie die Souveränität des Ungeschickt-Spielens aufgefangen wird in einer scheinbaren Natürlich- und Herzlichkeit. Im amerikanischen Jubel, im nicht enden wollenden Applaus hängt sie sich immer teurere und schwerere Mäntel um und verfällt zusehends. Man bewundert die Schauspielerin, wie sie mit all den Mänteln der Alkoholsucht darstellerisch auch noch alles abgewinnen kann. Sensationell ist Pianist Falkenstein mit dabei. Die beiden spielen die Aufführung bis in winzigste Nuancen genau einstudiert und doch niemals kalt. Falkenstein spielt das ganze Werk, alle Lieder auswendig, so kann er sich auf die Darstellerin total konzentrieren, mit ihr mitgehen, mitfühlen, mitleben. Er ist wunderbar dezent und gleichzeitig ungeheuer präsent. Die zwei sind eins bei ,,Lola Blau". Gesanglich lotet Christiane von Poelnitz die Facetten der Chansons großartig aus, sie singt leicht verstärkt. Seltsamerweise fehlt auch die ,,Frau Schmidt" auf der Rückfahrt nach Europa. Diese Nummer wird sonst eigentlich schon gemacht. Fast immer geht es im Sinne der Geschlossenheit nach den Liedern gleich weiter, kein Atemholen zum Applaus ist eingeplant. Als das Lied ,,Zu leise für mich" ausklingt, gibt es keinen Hinweis, wo Leo verblieben ist. Das fehlt schon irgendwie. Insgesamt gesehen ist diese Wiener Aufführung aber eine famose Leistung von Christiane von Poelnitz und Johannes Falkenstein. Als Zugabe bringt Christiane für die Kostümbildnerin, die Geburtstag hat, lasziv mit dem Mikro spielend ,,Ein Traum geht zu Ende" (,,Du wirst schon sehen, was du davon hast").
Das Parktheater im Kurhaus Göggingen (Augsburg) atmet auch konservative Atmosphäre. Ein Konzert- und Theatersaal in Gold, der aber diesmal leider mehr halbleer als halbvoll bleibt. Der Regisseur sitzt im Publikum. Es ist der bekannte Schauspieler und Theatermacher Manfred Zapatka. Heinz Rühmann singt vom Band von ,,Li-Li-Li-Liebe", und eine echte Theaterkulisse tut sich auf, zunächst die Pension Aida darstellend. Ein praktikables, aber im Vergleich zu vielen anderen Inszenierungen teures und aufwendiges Bühnenbild. Zapatkas Produktion ist das Gastspiel einer Produktion des Theaters im Rathaus aus Essen, die am 17.3.2003 dort Premiere hatte und jetzt durch Deutschland tourt. In den Zwischentexten orientiert sich Zapatka ziemlich genau an der Fassung, wie man sie von Topsy Küppers´ CD her kennt, auch mit den Geräuscheinblendungen zum zeithistorischen Hintergrund. Die Szenen zwischen den Liedern sind gegenüber Wien viel exponierter. Das ist eine richtige Theaterinszenierung. Der (routinierte) Pianist Christian Auer sitzt an der Seite in der ersten Loge. Man sieht eine Filmzuspielung: die Nazis marschieren auf. Diese ,,Lola Blau" erlebt man nicht so unmittelbar wie in Wuppertal oder in Wien. Zapatka ist das Theater-Umfeld sehr wichtig. Die Dekorationen sind reizvoll gestaltet. Beim Auftritt in Basel wirkt der Pianist auf der Bühne mit. Zapatkas Lola Blau ist die damenhafte Monika Herwig, die als Typ durchgehend reifer, erwachsener, aber auch distanzierter wirkt als Christiane von Poelnitz in Wien. Sie singt unverstärkt und trägt doch mit ihrer Stimme – eine beachtliche Leistung! Auch sie spart das ,,Mädele" aus – dieses Lied mit seinem jüdischen Idiom ist für viele wohl eine zu große Herausforderung. Bei ,,Sie ist ein herrliches Weib" kokettiert Monika Herwig mit einer Frau in der ersten Reihe. Die Augsburger Aufführung macht in der Mitte eine Pause. Die Bühne der Szenen in Amerika zeigt Hochhäuser, Lola singt auf einem Lorbeerkranz-Podest. Das Lied ,,Ich hab dich zu vergessen vergessen" nimmt man zu schnell, auch zu beiläufig. (Man hat halt doch die nach wie vor nicht besser denkbaren Versionen von Topsy Küppers im Ohr!) Als Nebendarsteller wirkt Burkhard Heim mit. Er hat drei Monologe, als Passagier, als Herr Schmidt und als Portier – leider geraten die langatmig. Sie bremsen hier den Fluss der Aufführung, statt diese zu vertiefen. Es ist übrigens noch eine weitere Nebenrolle dabei, als Garderobiere sehen wir Simone Königer. Grandios gerät die Glanznummer ,,Im Theater ist nichts los". Aber da scheut sich Monika Herwig leider vor dem ,,Wiener Wäschermädel". Für die die das komplette Werk kennen ist jedes Mal auffallend, wo die Grenzen der Darstellerinnen liegen. (Am ,,einfachsten" wird die Lola Blau wohl von einer echten Wienerin oder zumindest Österreicherin bewältigbar sein.) Georg Kreisler hat ja dann auch Mozarts Sonata facile zu einer Nummer ausgebaut. In Wien fehlte diese Nummer, in Augsburg ist sie wieder zu hören – mit Monika Herwig als Sandlerin, mit Plastiksäcken auf einer Parkbank. Monika Herwig tendiert gesanglich etwas zur Soubrette. Die Aufführung schließt schön abgerundet, auch wenn ,,Tralala – so ist das Leben" etwas zu schnell daher kommt. Wie am Vortag endet das Stück mit dem Ausklang von ,,Zu leise für mich". Dann schließt sich der Vorhang, wie im ,,echten" Theater. In Wien die exzessive Performance zweier extrovertiert alles gebender Leute, in Augsburg eine seriöse Theaterinszenierung – zwei völlig verschiedene Varianten ,,Lola Blau".


Fortsetzung folgt - wahrscheinlich nach dem 8.6. (Münster) ...
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

#10
Das ist sehr spannend zu lesen - und so, wie ich mir das jetzt vorstelle, hätte ich die Wiener Aufführung gerne gesehen, die deutsche nicht.
Du irrst allerdings in zwei Dingen:
* Das Stück ist nicht für eine Wienerin geschrieben. Topsy ist keine, und kann bis heute auch nicht (damals noch viel schlechter!) wienerisch. (Ich habe allerdings immer auch etwas Bauchweh, wenn das Stück von einer  Nicht-Wienerin sehe - das liegt aber daran, dass das JÜDISCHE, was die Lola haben sollte, im wienerischen eher seine Entsprechung findet. Und von einer Jüdin habe ich es noch nie gesehen...)
und
* Die Mozart Sonate entstand viel früher, wurde für das Stück verwurstet - so wie die meisten Lieder in der Lola nur für das stück genommen - nicht extra dafür geschrieben wurden. Ausnahmen sind meines Wissens nur die "alten Tränen",  "Zu leise"und die erste Fassung "im theater ist WAS los" . Einige Zeilen wurden allerdings für das Stück umgeschrieben. so ist jedenfalls meine Erinnerung. (keine Gewähr)

Übrigens hatte Topsy damals auch eine "auf der Bühne umzieh-Nummer", da sang sie dazu die deutsche Version von "the Man I love" - es war ein ziemlicher Skandal, damals, sie hatte einen Hautfarbenen Body an, der nur Blümchen auf den drei neuralgischen Punkten hatte, es war die eine Amerika-shownummer, danach kam das "Heut will ich mich besaufen" von Tamar Radzyner.

Alexander

Zitat(Ich habe allerdings immer auch etwas Bauchweh, wenn das Stück von einer  Nicht-Wienerin sehe - das liegt aber daran, dass das JÜDISCHE, was die Lola haben sollte, im wienerischen eher seine Entsprechung findet. Und von einer Jüdin habe ich es noch nie gesehen...).

Genau das meinte ich mit dem Satz über das Wienerische. Und bei all den Versionen, die ich bis jetzt "gesammelt" habe, ist Topsy Küppers, von wo auch immer sie kommt, für mich "am nächsten an der Lola dran". Ist aber oft so, dass man sich irgendwann irgendwo "festhört" und dies dann als Maßstab nimmt. Geht mir auch bei den Mahler-Symphonien so, da habe ich immer die  Bernstein-Aufnahmen im Kopf.
Ich bin mir schon bewusst, dass "Lola Blau" kaum Original-Lieder aufzuweisen hat, sehe das aber nicht als Nachteil. Für mich ist es brillant zusammengestellt. Geht man die Musik- und Theatergeschichte durch, wird man auf viele "Meisterwerke" stoßen, die "von irgendwo hergeholt sind".
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

jaja, so meinte ich das auch garnicht, dass das ein nachteil sei.
Und stimmt, es ist schwierig, wenn man sich an einer Fassung eingehört hat,  andere Variationen leicht zu "kaufen" - ausser, sie sind SO anders, oder so fesselnd, dass man das original vergisst. Deswegen wundere ich mich ja zb, dass robbie Williams mit seinen sinatra songs so einen Erfolg hat...

Andrea

Interessant, Vergleiche von Inszenierungen eines Stückes zu lesen, das ich 1. noch nicht kenne und wovon ich 2. das Bühnenbild während der Aufführung nicht mitkriegen würde. Auf jeden Fall möchte ich das Stück und/oder die CD mal hören. Wahrscheinlich fehlen auf der CD die im Stück gesprochenen Teile. Oder?
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Alexander

Es gibt bereits mehrere CD-Aufnahmen von "Heute Abend: Lola Blau!" Die Aufnahme mit Topsy Küppers (Preiser Records) läßt sich wie ein Hörspiel hören. Es gibt aber auch Aufnahmen, wo nur die Lieder drauf sind.
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Dagmar

Ich habe eine sehr schöne Aufnahme der Lola Blau: Ewa Teilmanns ist die Lola und Wilhelm Rodenberg ist virtuos am Klavier. Die gesprochenen Texte sind alle auch darauf. Es ist eine komplette Version.

Ich habe immer davon geträumt, die Lola Blau einmal zu machen - und träume das eigentlich immer noch. Aber ich traue mir das (noch?) nicht zu. Ich traue mir das sprachlich vor allem nicht zu, da muss ich mal noch lange üben  :-/
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Alexander

#16
DIE SOUVERÄNE

Ewa Teilmans als ,,Lola Blau" im Wolfgang Borchert Theater (Münster/Westfalen), 8.6.2005

Ewa Teilmans spielt eine souveräne Lola Blau. Sie spielt die junge Naive zu Beginn des zweiten Weltkriegs genauso souverän wie die Chansonette für alle Reiseklassen auf der Überfahrt nach Amerika, den dem Alkohol zusprechenden Sexstar ebenso überzeugend wie die desillusionierte älter gewordene Kabarettistin in Wien. In ihrem sympathischen Kleintheater nutzt sie die leere Bühne mit den notwendigen, variablen Requisiten und wechselnden Kostümen (besonders originell das Amerika-Dirndl!) geschickt aus. Am linken Bühnenrand sitzt Pianist Martin Speight, gleichzeitig Requisiteur und Stichwortgeber, am schwarzen Pianino. Man sieht und hört die übliche, sinnvolle ,,Heute abend: Lola Blau"-Sparversion, beeindruckend inszenatorisch verfeinert mit Scharzweiß-Diaprojektionen zur Zeitgeschichte und zu Lolas Lebenslauf (vor allem Plakate), dazu das Radio und die Kriegsereignisse aus dem Off. Die drei Monologe kommen auch vom Band, die Herren Berger und Schmidt sehen wir dazu als Diaprojektionen. So souverän Ewa Teilmans durch die genialen Chansons von Georg Kreisler wandert, so gelingt ihr erst gegen Schluss, wenn die Lola das Alter erreicht, in dem die Darstellerin gerade selbst ist, sich von bewundernswert anzusehender Virtuosität und sichtbarer Routine einer seit einigen Jahren laufenden Produktion wie von selbst zu lösen und eins zu werden mit der Figur, die sie verkörpert. Das ist die Magie des Theaters: Man wird vom Außenstehenden, vom Zuschauer zum Mitlebenden, zum Mitwirkenden. Nicht mehr Ewa Teilmans singt ,,Wo sind die Zeiten dahin" und ,,Zu leise für mich", ausschließlich Lola Blau hören wir bei diesen Liedern. Alle allzu prägnant einstudierten Rubati in Abstimmung mit dem Pianisten, sehr publikumsfreundlich zur Textverdeutlichung ausgearbeitet, alle zuvor gekonnt kaschierten stimmlichen Höhenprobleme an diesem Abend (Ewa Teilmans hat eine sympathische, helle Stimme, ideal für die Lola Blau, sie singt unverstärkt) lenken nicht mehr ab. Was bleibt, ist die Hochachtung vor einer der wenigen ,,Lola"-Darstellerinnen, die alle Musiknummern (bis auf die Schweizerin bei ,,Im Theater ist nichts los") bringt, auch die Jüdin und die Wienerin (vor denen viele zurückschrecken), der bleibende Eindruck einer souveränen Leistung und die Gewissheit, dass gute Akteure nicht nur in Rollen schlüpfen können, sondern sie manchmal wirklich ,,sind". Bei Musicom ist eine CD dieser Produktion erschienen (von Dagmar schon angesprochen), mit Pianist Wilhelm Rodenberg, aufgenommen im August 2000 auf der Bühne der freien Waldorfschule Münster.


Fortsetzung folgt - wahrscheinlich nach dem 18.6. (Varietetheater Chamäleon, Linz) ...
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

#17
Klingt interessant. Was mich interessieren würde:
Zitat(besonders originell das Amerika-Dirndl!)

was war das originelle daran? Denn ein  Amerika-Dirndl hatte schon Topsy an . Halt sehr Klischee "Sound of music" so stellen sich die Amis ein Dirndl vor, Knielang und mit Petticoat und viel rosa und so.
Überhaupt klingt deine Erzählung (Posters, Dias, Stimmen vom Band) so, als hätte der Regisseur die Ur-Lola gesehen. Mir ist das ja die liebste, weil schlüssigste Variante.

Dagmar

#18
Das hast Du sehr nett geschrieben @Alexander. ich schätze Deine Texte hier im Forum und erlebe die Art, in der Du schreibst, wirklich als Bereicherung. Ich schätze auch sehr die CD von Ewa Teilmanns, das habe ich ja schon geschrieben. Ich bewundere im übrigen auch die großartigen Leistungen von der Teilmanns - nicht nur auf der Bühne.

Nur: Die Inszenierung, die Du beschreibst, erscheint mir sehr klassisch, wenig innovativ, "same procedure as every year", also für meinen Geschmack eher uninteressant. Ich finde es nebensächlich, ob eine Stimme Höhenprobleme hat, das verplätschert sich. Viel spannender ist, ob die Inszenierung einen eigenen neuen und kreativen Stil bekommen hat. Und das scheint mir nicht so - jedenfalls nach Deiner Beschreibung nicht.

Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Sandra

Prinzipiell gebe ich Dir Recht - andererseits: gerade bei so zeitbezogenen Stücken wie der Lola weiss ich nciht wirklich, was man "neu interpretieren" sollte - da scheint mir, siehe oben, eine klassische auch die schlüssigste Interpetation. Aber vielleicht liegt das ja auch daran, dass ich es eben schon so lange kenne, und so oft gesehen habe, dass ich da unfelxibel bin.

Alexander

Vielen Dank Sandra und Dagmar für die konstruktiven Reaktionen auf meine "Hobby-Kritiken". Ich kenne die Originalproduktion mit Topsy Küppers optisch nicht (dank Sandra erfährt man hier aber so einiges), habe nur die Preiser-Do-CD davon. Damals hätte man halt eine Fernsehaufzeichnung machen sollen. (Vielleicht gibt´s die ja?)
Mein Anliegen hier ist es prinzipell, die Inszenierungen so zu beschreiben, dass man sich ein Bild davon machen kann, auch ohne sie gesehen zu haben. Natürlich fließt der persönliche Eindruck ein, er soll aber (für mich gilt das bei Kritiken immer) ausgehen vom Respekt vor dem Originalwerk (so es denn "Qualität hat" - alles Gummi, ich weiß) und nicht prinzipiell von der Befindlichkeit des Kritikers, die sich möglicherweise unfair auf das Beschriebene niederschlägt, "nur weil ihn die eigene Frau nicht drübergelassen hat".
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

#21
Ich finde allerdings schon, dass eine eigene Meinung des Kritikers einfliessen sollte - ich lese gerne, wenn jemand von aussen einen Blick wirft, und zum Beispiel sagt: Nicht immer Tonsicher, oder "wirkt linkisch" oder eben "souverän" - ich finde, dazu sind Kritiken da. Daas ist mir manchmal ein bisschen zu objektiv, in Deinen Kritiken, es sind für mich eher Nacherzählungen. Ich finde, Du bist da schon zu vorsichtig. Und gerade Du könntest Dir das nämlich gut leisten, denn: Es sollte ein Kritiker sein, der wenigstens ein bisschen von der Sache versteht, und man sollte "durch seine Augen" sehen - und sich dessen bewusst bleiben können. So empffinde ich das wenigstens
Ich mag es allerdings sehr, wenn wirklich das Stück oder Auftritt beschrieben sind, und es fachlich besprochen wird. Und mag an dir Deine Genauigkeit, man kann sich wirklich was drunter vorstellen, wenn Du beschreibst - ich hatte kürzlich (in Bonn) eine Absolute Lobeshymne in einer Zeitung, aber der Verfasser hat sich die Hälfte des Artikels darüber ausgelassen, was ich anhatte. Durchaus positiv, aber da hätte bitteschön doch ein Satz genügt, wenn ihm das auffiel - durch diese Äusserlichkeit fand ich die ganze Kritik nicht mehr ernstzunehmend - er lobt meine Kleidung, und meine Figur und zitiert dann aber die Stücke falsch - da ist mir das ganze Lob wurscht. Ja, er hat auch über die Interpretation geschrieben, aber eben: die Hälfte waren Äusserlichkeiten - das ist mir einfach zuviel - es sei denn (und diesen Eindruck machte er aber nicht) wenn die Äusserlichkeiten tatsächlich bei der rezeption im Vordergrund standen - wenn man also bei einer Aufführung das Gefühl hat, die Kostüme und Bühnenbild spielen die Hauptrolle - dann wäre das verständlich.
Und das gefällt mir , wenn ich Deine kritiken lese: Du bist sehr ausgewogen, gibst ein Bild von dem Abend und sagst dann, was passiert ist. Allerdings würde ich mir schon öfter auch mehr persönliche Gedanken von Dir wünschen - Du schreibst praktisch nciht, ob und warum es Dir gefällt oder Du es schlecht findest. Und das möchte ich persönlich schon auch lesen, bei einer Kritik.
Zum Beispiel: Ich hatte einen Abend, letztes Jahr im Unterhaus, und da war ich nciht gut. Das Publikum mochte es - die mögen es immer - aber mein Pianist und ich wussten: Wir waren schon besser. Wir haben "gepumpt" wie meine Mutter das nennt - also es war kein Fluss, wir haben "gemacht", "erzeugt" und das ist dann nciht echt, und das spürt man eben. Und die Kritik war auch mau - die schrieben eben, dass die emotionen manchmal nicht glaubhaft waren, und manchmal an der Grenze zum Kitsch. Und sie hatten Recht damit (ich weiss die Worte nicht mehr ganz genau). Natürlich war es nicht schön für mich zu lesen, und sie sagten auch Dinge (oder empfanden den Grund für meine Ausstrahlung anders/falsch) die ich so nicht gesagt hätte, und klar, man freut sich nciht über schlechte Kritiken - ABER: Die Kritik handelte vom fachlichen. Und daher habe ich sie schätzen können - viel mehr als die Hymne in Bonn.

Alexander

O.K., ab Linz (nächste Woche) wird´s weniger "rücksichtsvoll".
Ich möchte nur wirklich aufpassen, persönliche Befindlichkeit und Vorurteile hintanzustellen (ich lese auch aus beruflichen Gründen seit Jahren unzählige Kritiken und "kann ein Lied davon singen", wenn schon kein eigenes, so zumindest "Der Musikkritiker" von Georg Kreisler ...).
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

Stimmt, es ist ein schmaler Grad zwischen Urteil und Vorurteil.
Oder Aburteil....
Aber gerade weil Du so vorsichtig bist, denke ich, kannst du dir das schon leisten.
Ausserdem, wenn Du es klar machst, wo Dein Urteil beginnt, und die Nacherzählung endet... :-*

Alexander

Fuhr gestern von München nach Linz, um "Heute abend: Lola Blau" mit Ursula Ruhs im Chamäleon Theater zu besuchen. Wegen des schönen Wetters und wegen der wenigen Voranmeldungen wurde die Vorstellung abgesagt. Ich wäre der einzige Zuschauer gewesen. Karte für 30.6. gekauft, Bericht folgt danach.
Wer die nötigen CDs zu Hause hat, kriegt auch so seine "Lola Blau". Habe mich um Mitternacht für das Original entschieden. Hier die persönliche Hörerfahrung:


DAS UNERREICHTE ORIGINAL

Zum Hörspiel ,,Heute abend: Lola Blau" von Georg Kreisler mit Topsy Küppers

,,Heute abend: Lola Blau", Text und Musik von Georg Kreisler, wurde in einer Inszenierung von Conny Hannes Meyer im Kleinen Theater in der Josefstadt am 17.10.1971 uraufgeführt. Die junge, politisch naive jüdische Schauspielerin und Sängerin Lola Blau muss mit Kriegsbeginn von Wien aus über Linz und Basel in die USA emigrieren und kehrt nach einer Karriere als Show- und Sexstar incl. alkoholbedingten Abstürzen kabarettistisch resignierend nach Wien zurück. Bei Preiser Records erschien die Plattenproduktion dazu, 1990 auch als Do-CD (90044) aufgelegt. Dies ist das Dokument eines großartigen Werks, welches an einem persönlichen Schicksal die Zeit von 1938 bis nach dem Krieg in Form eines Hörspiels mit Chansons einfängt. Den zeitgeschichtlichen Hintergrund besorgen Radioeinblendungen und Tagesschlager. Die meisten Chansons vertiefen Lolas Gefühlswelt, ein paar sind gekonnte, intelligente Shownummern. Die persönliche Tragik der Beziehung zwischen dem genialen Autor Georg Kreisler und der grandiosen Interpretin der Lola Blau, seiner damaligen Noch-Ehefrau Topsy Küppers, in einem langjährigen Rechtsstreit dokumentiert, soll hier nicht im Mittelpunkt stehen. Hört man die Aufnahme, ist man gebannt und erschüttert – die Tragik der Emigranten des 20. Jahrhunderts wie die geradezu beängstigend gut ausgefeilte Interpretation durch Topsy Küppers nehmen total gefangen. Die hörspielartigen Überleitungen zwischen den Chansons leben vom Lokalkolorit der Umgebungen (Wien, Schweiz, USA). Zwar sind die beiden Pianisten Heinz Hruza und Georg Kreisler bei den Credits genannt, man verschweigt aber die Sprecherinnen und Sprecher der markanten kleinen Nebenrollen. Die Zimmerwirtin zu Beginn spricht breiten Wiener Dialekt, Lola meldet sich am Telefon – ganz die junge, naive, hoffnungsvolle Künstlerin – mit bewusst erotischem Tonfall, um nach dem Erkennen des anderen Gesprächsteilnehmers in einen natürlichen Sprachduktus zu wechseln. Vom ersten Lied an erweist sich Topsy Küppers als kongeniale Chanson-Interpretin zwischen Sprechgesang und für ihre Zwecke fulminant wechselnden Gesangsnuancen. Sie gewinnt jedem Lied den nötigen Charakter ab, und das ist in den etwa 100 Minuten Spieldauer des Werks eine wahrlich großartige Leistung. Die Psychologie der Lieder ist nuanciert ausgearbeitet. Man hört, wenn man genau aufpasst, dass sie keine Wienerin ist. Doch Topsy Küppers ,,spielt" die Wienerin genauso intensiv und vielseitig wie alle anderen Rollen, in die Lola zu schlüpfen hat. Ihre Stimme steht bei der Aufnahme schön im Vordergrund. Man versteht jede winzigste Nuance. ,,Sympathie" oder ,,Weder noch" sind so verinnerlicht, wie ,,Die Wahrheit vertragen sie nicht" oder ,,Sie ist ein herrliches Weib" den nötigen ,,Drive" haben. Am Schiff nach Amerika spricht der jüdische Passagier Herr Berger die Lola an. Man vermutet es und es liegt nahe: Das ist Georg Kreisler selbst, der uns als Herr Berger begegnet. ,,Sex is a wonderful habit" wird von Topsy Küppers fast gehaucht, es ist das Lied, das sie als Sängerin in den USA einführt. Der Hall erzeugt die Konzertatmosphäre. Und die große Shownummer, von Kreisler freigestellt, ist bei Topsy das Lied ,,Fängt´s schon wieder an" (Musik: Gordoni), mit Bigband begleitet. Der Hörspielcharakter unterstreicht sich, als Lola zu einer Instrumentalpassage vor sich hin sinniert, Zitate aus dem Lied ,,Sie war liab" wiederholt. Der Zuhörer beginnt mit ihr zu hinterfragen, welche Rolle ein Künstler auf der Bühne eigentlich spielt, wie weit er er selbst bleibt in dem was er tut. Georg Kreisler zitiert sich akustisch selbst mit einem englischen Lied aus der ,,Georg Kreisler Show" – letzter Beweis des autobiographischen Hintergrunds dieses Werks. Die große Shownummer nach der Rückkehr nach Wien, in der sich Lola Blau einem Theaterdirektor in verschiedenen Nationalcharakteren vorstellt, spart die Schweizerin aus. (Das ist die einzige Kürzung bei Topsy Küppers, viele Nachfolgerinnen werden mehr weglassen als sie.) Topsy Küppers´ Aufnahme ist eine starke Vorgabe für künftige Darstellerinnen der Lola Blau, die vielen Farben, mit denen sie die Lieder auslotet, scheinen wenig Spielraum für neue Facetten offen zu lassen. Beim Lied ,,Heut will ich mich besaufen" ist Tamar Radzyner für den Text genannt, bei ,,Wo sind die Zeiten dahin" wird allerdings Mozart als Komponist (der Sonata facile) verschwiegen. Das wunderbar nachdenkliche Schlusslied ,,Zu leise für mich" wird ganz langsam interpretiert. Hier merkt man, wie die Zeit schneller geworden ist. Etliche Coverversionen lassen sich weit weniger Zeit für dieses Finale. Fazit: Die Reverenzaufnahme des Werks, Vorbild und Maßstab. Wer die Aufnahme im Ohr hat, wird jede andere an ihr messen.
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)