LOLA BLAU: ZWEI VARIANTEN
„Heute Abend: Lola Blau!“ von Georg Kreisler, am 30.3.2005 erlebt im Kasino Schwarzenbergplatz (Wien) - und am 31.3.2005 im Parktheater Göggingen (Augsburg)
Das sind wohl die Extrempole des Herangehens an den Stoff: In Wien die Reduktion auf Hauptdarstellerin und Pianist im nahezu leeren Raum, in Augsburg eine Theaterinszenierung mit Bühnenbild, Pianist und Nebendarstellern. Beide Varianten haben ihren Reiz. Der Inhalt bleibt gleich: Die politisch naive jüdische Künstlerin Lola Blau emigriert zu Kriegsbeginn über Linz und Basel in die USA, macht dort Karriere als Sängerin, verfällt aber dem Alkohol und Tabletten und kehrt schließlich nach Wien zurück, wo sie als Chansonette resigniert altert. Eine Traumrolle für Frauen, und so manche hat sich seit der durch Topsy Küppers geprägten Uraufführung 1971 in Wien der Herausforderung gestellt. Georg Kreislers wunderbar vielfältige Chansons verlangen der Darstellerin breite stilistische Vielfalt ab. Den zeithistorischen Hintergrund bietet man meist vom Band, mit Radioausschnitten, mit Geräuschkulissen. Es gibt aber auch Inszenierungen, die Lola selbst diese Zusammenhänge in den Mund legen.
Die Wiener Aufführung erhält schon durch das Ambiente eigenes Flair. Man erreicht den noblen Saal über breite Stiegenaufgänge mit rotem Teppich, ein Haus der Feste und Bälle, die Wiener Gründerzeit schwingt mit. Nichts vom Originaleindruck dieses Saals wird kaschiert. Die hohen Fenster zum Schwarzenbergplatz und die feinen Tapeten sind der Bühnenhintergrund. Nur Klavier, Couch, Kleiderständer und wenige weitere Requisiten werden benötigt. Sinnvoll integriert sich ein stillgelegter Wasserhahn ins Geschehen. Das Burgtheater bietet Ensemblemitglied Christiane von Poelnitz die Möglichkeit, ihre mit Regisseur Torsten Fischer 1999 im Schauspiel Köln erarbeitete „Lola Blau“ zu präsentieren. Reduktion auf sie, in einem durch gespielt, fast zwei Stunden lang: Christiane von Poelnitz geht bis ins kleinste Detail nuanciert bis an alle Grenzen – eine exzessive Rollengestaltung! Bei „Sie war liab“ zeigt sie eine Verbrennung im Kleinen zum Wort „stirb“. In dieser Sekunde wird allen eiskalt im Saal. Zu „Die Wahrheit vertragen sie nicht“ steht das Klavier in der Bühnenmitte. Als sie sich am Schiff nach Amerika umzieht, baut sie das zu einer eigenen, habnackten Nummer aus. Der zeithistorische Hintergrund wird nur dezent aus dem Off eingestreut. Der Abend gehört Christiane von Poelnitz und ihrem Pianisten Johannes Falkenstein, keiner Inszenierung rundum. Lola ist mit einer Krone am Kopf und mit Flügeln die Freiheitsstatue, sie malt auf ihr Negligee rote Brustpunkte und ein rotes Schamdreieck und kokettiert im Lauf der weiteren Aufführung damit: „Sex is a Wonderful Habit“! Wie einige andere Darstellerinnen lässt Christiane von Poelnitz „Ich hab a Mädele“ aus. Grandios hingegen wie sie immer spielt, „noch nicht ganz so weit zu sein“, wie die Souveränität des Ungeschickt-Spielens aufgefangen wird in einer scheinbaren Natürlich- und Herzlichkeit. Im amerikanischen Jubel, im nicht enden wollenden Applaus hängt sie sich immer teurere und schwerere Mäntel um und verfällt zusehends. Man bewundert die Schauspielerin, wie sie mit all den Mänteln der Alkoholsucht darstellerisch auch noch alles abgewinnen kann. Sensationell ist Pianist Falkenstein mit dabei. Die beiden spielen die Aufführung bis in winzigste Nuancen genau einstudiert und doch niemals kalt. Falkenstein spielt das ganze Werk, alle Lieder auswendig, so kann er sich auf die Darstellerin total konzentrieren, mit ihr mitgehen, mitfühlen, mitleben. Er ist wunderbar dezent und gleichzeitig ungeheuer präsent. Die zwei sind eins bei „Lola Blau“. Gesanglich lotet Christiane von Poelnitz die Facetten der Chansons großartig aus, sie singt leicht verstärkt. Seltsamerweise fehlt auch die „Frau Schmidt“ auf der Rückfahrt nach Europa. Diese Nummer wird sonst eigentlich schon gemacht. Fast immer geht es im Sinne der Geschlossenheit nach den Liedern gleich weiter, kein Atemholen zum Applaus ist eingeplant. Als das Lied „Zu leise für mich“ ausklingt, gibt es keinen Hinweis, wo Leo verblieben ist. Das fehlt schon irgendwie. Insgesamt gesehen ist diese Wiener Aufführung aber eine famose Leistung von Christiane von Poelnitz und Johannes Falkenstein. Als Zugabe bringt Christiane für die Kostümbildnerin, die Geburtstag hat, lasziv mit dem Mikro spielend „Ein Traum geht zu Ende“ („Du wirst schon sehen, was du davon hast“).
Das Parktheater im Kurhaus Göggingen (Augsburg) atmet auch konservative Atmosphäre. Ein Konzert- und Theatersaal in Gold, der aber diesmal leider mehr halbleer als halbvoll bleibt. Der Regisseur sitzt im Publikum. Es ist der bekannte Schauspieler und Theatermacher Manfred Zapatka. Heinz Rühmann singt vom Band von „Li-Li-Li-Liebe“, und eine echte Theaterkulisse tut sich auf, zunächst die Pension Aida darstellend. Ein praktikables, aber im Vergleich zu vielen anderen Inszenierungen teures und aufwendiges Bühnenbild. Zapatkas Produktion ist das Gastspiel einer Produktion des Theaters im Rathaus aus Essen, die am 17.3.2003 dort Premiere hatte und jetzt durch Deutschland tourt. In den Zwischentexten orientiert sich Zapatka ziemlich genau an der Fassung, wie man sie von Topsy Küppers´ CD her kennt, auch mit den Geräuscheinblendungen zum zeithistorischen Hintergrund. Die Szenen zwischen den Liedern sind gegenüber Wien viel exponierter. Das ist eine richtige Theaterinszenierung. Der (routinierte) Pianist Christian Auer sitzt an der Seite in der ersten Loge. Man sieht eine Filmzuspielung: die Nazis marschieren auf. Diese „Lola Blau“ erlebt man nicht so unmittelbar wie in Wuppertal oder in Wien. Zapatka ist das Theater-Umfeld sehr wichtig. Die Dekorationen sind reizvoll gestaltet. Beim Auftritt in Basel wirkt der Pianist auf der Bühne mit. Zapatkas Lola Blau ist die damenhafte Monika Herwig, die als Typ durchgehend reifer, erwachsener, aber auch distanzierter wirkt als Christiane von Poelnitz in Wien. Sie singt unverstärkt und trägt doch mit ihrer Stimme – eine beachtliche Leistung! Auch sie spart das „Mädele“ aus – dieses Lied mit seinem jüdischen Idiom ist für viele wohl eine zu große Herausforderung. Bei „Sie ist ein herrliches Weib“ kokettiert Monika Herwig mit einer Frau in der ersten Reihe. Die Augsburger Aufführung macht in der Mitte eine Pause. Die Bühne der Szenen in Amerika zeigt Hochhäuser, Lola singt auf einem Lorbeerkranz-Podest. Das Lied „Ich hab dich zu vergessen vergessen“ nimmt man zu schnell, auch zu beiläufig. (Man hat halt doch die nach wie vor nicht besser denkbaren Versionen von Topsy Küppers im Ohr!) Als Nebendarsteller wirkt Burkhard Heim mit. Er hat drei Monologe, als Passagier, als Herr Schmidt und als Portier – leider geraten die langatmig. Sie bremsen hier den Fluss der Aufführung, statt diese zu vertiefen. Es ist übrigens noch eine weitere Nebenrolle dabei, als Garderobiere sehen wir Simone Königer. Grandios gerät die Glanznummer „Im Theater ist nichts los“. Aber da scheut sich Monika Herwig leider vor dem „Wiener Wäschermädel“. Für die die das komplette Werk kennen ist jedes Mal auffallend, wo die Grenzen der Darstellerinnen liegen. (Am „einfachsten“ wird die Lola Blau wohl von einer echten Wienerin oder zumindest Österreicherin bewältigbar sein.) Georg Kreisler hat ja dann auch Mozarts Sonata facile zu einer Nummer ausgebaut. In Wien fehlte diese Nummer, in Augsburg ist sie wieder zu hören – mit Monika Herwig als Sandlerin, mit Plastiksäcken auf einer Parkbank. Monika Herwig tendiert gesanglich etwas zur Soubrette. Die Aufführung schließt schön abgerundet, auch wenn „Tralala – so ist das Leben“ etwas zu schnell daher kommt. Wie am Vortag endet das Stück mit dem Ausklang von „Zu leise für mich“. Dann schließt sich der Vorhang, wie im „echten“ Theater. In Wien die exzessive Performance zweier extrovertiert alles gebender Leute, in Augsburg eine seriöse Theaterinszenierung – zwei völlig verschiedene Varianten „Lola Blau“.
Fortsetzung folgt - wahrscheinlich nach dem 8.6. (Münster) ...