Heute Abend: Lola Blau

Begonnen von Alexander, 01. April 2005, 12:01:57

0 Mitglieder und 2 Gäste betrachten dieses Thema.

Guntram

Respekt und *Applaus

Dem Fazit kann ich mich voll und ganz anschließen.
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Alexander

ONE-WOMAN-SHOW

,,Heute abend: Lola Blau!" von Georg Kreisler im Varieté Theater Chamäleon (Linz), 30.6.2005

Unter den vielen ,,Lolas Blaus", die landauf landab von Wien über Basel und die USA zurück nach Wien ihre Karriere Revue passieren lassen, ist Ursula Ruhs (neben Stella Fürst, vor ein paar Jahren in Wien) sicher eine der attraktivsten: eine schlanke blonde Frau mit ,,endlosen" Beinen, die mit ihren Reizen auch nicht geizt. Eine Mischung aus Hildegard Knef und Dagmar Anuth. Sie bestreitet die Aufführung in dem netten Kleintheater (so eines mit Tischen) im wahrsten Sinn allein, nur zwei Techniker ,,begleiten" sie. Die kleine Bühne wird zum Guckkasten, das Stück zur One-Woman-Show. In der Mitte eine Kiste, hinter dem Vorhang die bei diesem Stück obligate Filmleinwand, die übliche Spar-Dekoration (z. B. ein Wandausschnitt mit dem Radio darauf), seitliche Türen, an denen die NebendarstellerInnen nur als ihre Kleidung hängen, alle Stimmen vom Band – und die Musik? Die kommt auch vom Band! Das ist unendlich schade! Und es macht die eigentlich ambitioniert wirkende Inszenierung von Daniel Pascal billiger, zumal Arrangeur und Pianist Andreas Neubauer – von der Tongebung her eindeutig ein versierter Jazzer - die Lieder teilweise reizvoll im Jazzquartett arrangiert hat, mit Violine, Bass und Schlagzeug. Wenigstens gibt die im Foyer erhältliche CD mit Studioversionen dieser Fassungen einen lebendigeren Eindruck der Abstimmung zwischen Sängerin und Musikbegleitung. Keine Chance zur Spontaneität auf der Bühne, Ursula Ruhs (sie singt übrigens auch leicht verstärkt, Mikro an der Stirn) agiert in ihrem Bühnen- und Geräuschkorsett (Bühne: Konstantin Jenny) zwar souverän, aber dann doch auch eingeengt. Den Liedern fehlt die Nuancierung des Moments. Dabei wäre ein großes Potential vorhanden. Ursula Ruhs ist eine facettenreiche Chansonette, keine Sängerin, im Tonfall die ideale ,,Lola Blau". Für das musikalische ,,Herunterabsolvieren" entschädigt wenigstens das abwechslungsreiche Kostümpanorama (Kostüme: Gertrud Manzenreiter): diese Frau sieht in jedem Kostüm unglaublich attraktiv aus. Man gönnt ihr Verschnaufpausen, etwa bei den Monologen aus dem Off. Da ist sie hinter der Bühne. Und dann wieder: Ach, wäre nur Live-Musik dabei! Regisseur Pascal hat doch ganz gute Ideen zu den Liedern, zu ,,Sie ist ein herrliches Weib" zum Beispiel zieht sich die Lola hinter einem Klappstuhl um. Man kommt sich vor wie in einem Film mit einer Liveperson darin. Im zweiten Teil (nach der Pause) hängen seitlich weiße Vorhänge, die lassen sich in die Mitte hochziehen – Bühnenbild zu ,,Sex is a wonderful habit". Als Shownummer hat man ,,Makin´ Whoopie" gewählt, Ursula Ruhs strippt dazu als Schattenprojektion hinter der Leinwand. Ein besonders schönes Musikarrangement, mit Violine und Klavier, bietet ,,Alte Tränen", Lola im zerbombten Wien. Wieder verpufft die Wirkung mit der Kälte der Klänge vom Band. Eine geschickte weitere Verschnaufpause gibt es vor ,,Im Theater ist nichts los", das komplizierte Telefonat mit dem Theater wird nämlich auch vom Band eingespielt. Und natürlich leidet gerade ,,Im Theater ist nichts los" besonders darunter, nicht mit Livemusik unterstützt zu werden. Selbst das Telefonat mit Leo in Wien kommt vom Band. Mozarts Sonata facile (,,Wo sind die Zeiten dahin") singt Ursula Ruhs (leicht gekürzt) als Putzfrau. Ursula Ruhs gehört der Abend, gehört der Applaus – es ist ihre One-Woman-Show. Aber ,,Heute abend: Lola Blau!" hört sich besser an mit Livemusik!

Fortsetzung folgt - voraussichtlich nach dem 8.7. (Stuttgart) ...
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Dagmar

#27
ZitatEine Mischung aus Hildegard Knef und Dagmar Anuth.

Ach Du meine Güte  :o  *rot werd'*

Sga mal, schaust Du Dir ALLE Lola Blaus in der Republik gerade an? Das fasziniert mich ja! Ich habe immer davon geträumt und tue es immer noch, EINMAL die Lola Blau zu machen. Ich traue es mir - vor allem sprachlich - nicht wirklich zu. Um so mehr fasziniert mich, dass Du hier von allen möglichen Aufführungen berichtest, wobei ich mir allerdings - was die letzte Kritik betrifft - etwas weniger Aufmerksamkeit auf die äußere Attraktivität der Darstellerin gewünscht hätte.

Danke ansonsten - sehr spannend zu lesen. Bin gespannt auf die nächste Fortsetzung.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Alexander

Ich schaue mir die "Lola Blaus" an, wo ich an freien Tagen gut anreisen kann (dann meist mit Nachtzügen und/oder Billigtickets wieder zurück). Im September möchte ich nach Detmold, da gibt es aber nur wenige Karten, man muss schnell sein am ersten Vorverkaufstag.
Suche bei www.google.de, wann wo gespielt wird und gleiche danach den Kalender ab.
(Erstaunlich und erfreulich, wie präsent dieses Stück ist!)
Ich habe (hier schon erwähnt) 1997 eine junge Deutsch-Rumänin am Klavier bei diesem Stück begleitet. Es fordert jedes Lied total heraus, man muss sehr wandlungsfähig sein und vor allem - glaube ich - viel Kraft haben, um den Bogen durchzuhalten, ohne "einzugehen". Mir gefallen am besten Vorstellungen mit sicht- und hörbarer Interaktion zwischen Interpretin und Pianist, wo beide aufeinander eingehen, nicht nur einstudiert, sondern wirklich aus dem Moment heraus. Das habe ich  bisher nur in Wien und Wuppertal erlebt (Stella Fürst - Marcelo Onofri im Theater in der Drachengasse bzw. später im Theater im Rabenhof, Christiane von Poelnitz - Johannes Falkenstein im Casino am Schwarzenbergplatz, An Kuohn  - Stefan Huefner in der Kirche am Elberfeld Wuppertal).
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

#29
Ich kenne nur die Stella Fürst -Lola, und ich fand die auch in weiten Strecken sehr gut gelungen. Stella war jedenfalls gut, und der Pianist auch. Was ich nciht so mochte, ist, dass ich manchmal den Eindruck hatte, der Regisseur hat nicht auf die Stärke des Stückes vertraut, und fast alle Liedwiederholungen (und wenn ich mich richtig erinnere, sogar den Herrn Schmidt und den Herrn Berger?) gestrichen.

Guntram

Du scheinst eine besondere Art von Sammler zu sein.

Wieviele Lola Blaus kennst du denn? Ich habe die hier beschriebenen nicht gezählt.

Von wievielen hast du den die CDs?
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Alexander

#31
CDs: Topsy Küppers, Jutta Czurda, Stella Fürst, Ewa Teilmans, Ursula Ruhs.
Die genauere "Statistik" folgt morgen! Bis dann!
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Alexander

#32
Alexanders "Lola Blau"-Statistik, Stand 6.7.2005 (speziell für Guntram):

Besuchte Vorstellungen (jeweils genannt sind Regie, Hauptdarstellerin, musikalische Leitung/Klavier)

24.5.1997
Theater Pygmalion Wien
Elemer Kincses, Dorina Pascu, Eusebiu Apostolache

25.5.1997
Theater Pygmalion Wien
Elemer Kincses, Dorina Pascu, Eusebiu Apostolache

27.6.1997
Theater Pygmalion Wien
Elemer Kincses, Dorina Pascu, am Klavier der Schreiber

11.3.1998
Theater Pygmalion Wien
Geirun Tino, Alice Stampach Voith, Eusebiu Apostolache

19.10.1999
Theater in der Drachengasse Wien
Catharina Roland/Christian Feichtinger, Stella Fürst, Marcelo Onofri

12.3.2000
Rabenhof Wien
Catharina Roland/Christian Feichtinger, Stella Fürst, Marcelo Onofri

28.11.2003
theater ... und so fort München
Harald Gilbers, Daniela Nering, Stefanie Knauer

1.10.2004
Kirche in der City Wuppertal
Ralf Budde, An Kuohn, Stefan Hüfner

30.3.2005
Kasino am Schwarzenbergplatz Wien
Torsten Fischer (Regie 1999), Christiane von Poelnitz, Johannes Falkenstein

31.3.2005
Parktheater im Kurhaus Göggingen Augsburg
Manfred Zapatka (Regie Theater im Rathaus Essen 2003), Monika Herwig, Christian Auer

8.6.2005
Wolfgang-Borchert-Theater Münster
Ewa Teilmans (Regie nicht genannt), Ewa Teilmans, Martin Speight

30.6.2005
Varietétheater Chamäleon Linz
Daniel Pascal, Ursula Ruhs, Andreas Neubauer

Geplant:

8.7.2005
Theater in der Altstadt Stuttgart
Richard Beck, Susanne Heydenreich, Alexander Reuter

Zwischen 23.9.2005 und 18.1.2006
Landestheater Detmold (Kleine Bühne im Grabbe-Haus)
Juliane Wulfgramm, Ulrike Wahren, Ulrich Zippelius

Verfügbare CD-Aufnahmen:

Topsy Küppers, Georg Kreisler, Heinz Hruza (1971)
Preiser Records 90044 (2 CD)
Studioaufnahme, Hörspielfassung

Stella Fürst, Marcelo Onofri (1999)
Produziert: Studio Christian Kolonovits 1999
Studioaufnahme, nur Lieder

Jutta Czurda, Thomas Fink (1999)
Stadttheater Fürth STF-03
Live-Mitschnitt des Stadttheaters Fürth (u.d.T. "Czurda singt Kreisler")

Ewa Teilmans, Wilhelm Rodenberg (2000)
MUSICOM 010908
Aufgenommen im August 2000 auf der Bühne der Freien Waldorfschule Münster

Ursula Ruhs, Andreas Neubauer (musikal. Leitung) (2003)
Real Treat Records 0189
Studioaufnahme Dezember 2003, nur Lieder (Untertitel  "Ursula Ruhs singt Georg Kreisler")

"Traumbesetzung":
Regie: Sandra Kreisler
Lola Blau: Dagmar Anuth
Klavier: Bastian Kopp
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

#33
ZitatRegie: Sandra Kreisler
Lola Blau: Dagmar Anuth

Umgekehrt, bitte: Dagmar kann nicht jiddeln. :-* ;)


Übrigens immer mein Hauptkritikpunkt bei den Lola Blaus dieser Welt: wenn ein Weisser sich schwarz anmalt, um einen Schwarzen zu spielen, wird es schief angeschaut.
Und wieso dürfen die goyischsten Goyim eine Jüdin spielen? Nämlich (ausser Stella, da ging's) meist welche, die wirklich aber sowas von NICHTS jüdisches an sich haben, und es auch nicht derspielen....
Ich weiss ja nicht, wie's anderen Leuten geht, aber wenn so ne richtige Deutsche "Weder noch" singt, krieg ich ne Gänsehaut.

Bastian

#34
Sei doch nicht immer so antischmidtisch!  ::)

ZitatUmgekehrt, bitte: Dagmar kann nicht jiddeln.

OK:

Regie: Dagmar Anuth
Klavier: Alexander Kinsky
Lola Blau: Bastian Kopp
Licht: Andrea Eberl & Sandra Kreisler

Alexander

#35
Zitat Bastian:
Lola Blau: Bastian Kopp

Ob und wie da wohl der Strip inszeniert werden wird ...
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Guntram

Kann man das dann auch auf DVD bekommen? ;D
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Dagmar

ZitatDagmar kann nicht jiddeln.

Stimmt. Das alleine würde mich aber nicht abhalten. Ich kann vor allem keinen ungarischen Dialekt, auch mein Berlinerisch hört sich eher Kölsch an. Französiiiisch kriege ich hin. "Im Theater ist was los" würde ich völlig versieben.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Alexander

DURCH DEN ZYNISMUS DES 20. JAHRHUNDERTS

,,Heute Abend: Lola Blau", Theater der Altstadt (Stuttgart), 8.7.2005

Ein kleines Theater, eine große Bühne. Ähnlich Ewa Teilmans in Münster erlebt man in Stuttgart eine ihr facettenreiches Können ausspielende resolute Intendantin. Susanne Heydenreich agiert akustisch unverstärkt, sie kostet die leere Bühne (im Hintergrund nur drei weiße Wände für Auf- und Abgänge und für die Projektionen) aus, was dazu führt, dass sie sofort weniger gut verständlich wird, wenn sie aus der Tiefe der Bühne spricht oder singt. Alexander Reuter, wie ein Souffleur in der Mitte vor der Bühne mit seiner obertonlos  abdämpfenden Clavinova postiert (ach hätte er nur ein Klavier zur Verfügung!) weiß die Künstlerin behutsam zu stützen, der Klavierpart wird der Bühnenakustik gerecht, er setzt teilweise auf dezente Reduzierung und spart Füllfloskeln aus. Damit Susanne Heydenreich die ausgefeilte Detailregie von Richard Beck auch während der Lieder ausspielen kann, sind die meisten etwas langsamer als von Aufnahmen oder anderen Aufführungen her gewohnt. Lola Blaus naiv beginnender und resignierend endender Weg wird in dieser Inszenierung begleitet vom zynischen Kontrapunkt des etwa auch aus dem Film ,,Schtonk" bekannten Aufeinanderpralls von Schlagern wie ,,Davon geht die Welt nicht unter" mit den Filmbildern fallender Bomben aus Flugzeugen. Selten hat eine ,,Lola Blau"-Arbeit diesen Zynismus konsequenter durchgezogen, hat Jubelbilder und heitere Schlager mit Zerstörung oder  Transporten ins KZ derart brutal gekoppelt. Die ,,Verschnaufpausen" für die Darstellerin sind nicht allein Auffächerung des zeitgeschichtlichen Hintergrunds, sie kommentieren diesen niederschmetternd direkt. Alle Stimmen kommen vom Band, es gibt keine Nebendarsteller. Eine dezent kluge Lichtregie gibt dieser ,,Lola Blau" Farbe. Susanne Heydenreich spart das ,,Mädele" aus, sie ist mit dieser Entscheidung nicht die einzige Darstellerin im deutschsprachigen Raum. (Schade ist es auch um die hier nicht enthaltenen ,,Alten Tränen".) ,,Sex is a wonderful habit" gibt es obligat mit USA-Dirndl. Als Shownummer hören wir ,,Big Spender", da beweist Susanne Heydenreich, dass sie nicht nur (wie in den meisten Chansons) sehr ausdrucksstark und mit viel Gefühl für die Musik sprechsingen kann, sondern auch eine hervorragende Musical-Singstimme hat. Im zweiten Teil trägt sie durchwegs eine schwarze Perücke. Und wieder ähnlich wie Ewa Teilmans verschmilzt sie vollends mit ihrer Rolle, wenn sie das Rollenalter erreicht, in dem sie selbst gerade ist. (Vorher schaut man mehr zu ,,wie sie das macht", jetzt ,,ist man mit ihr drin".) Zum absoluten Höhepunkt wird ,,Im Theater ist nichts los", gleichzeitig virtuos und wirklich gelebt, dieses ,,Casting" vor einem Theaterdirektor. Statt ,,Wo sind die Zeiten dahin" (Mozarts ,,Sonata facile") hören wir in Stuttgart ein aktualisiertes zeitkritisches, sehr bissiges Chanson von Georg Kreisler über die miesen Erfolgsmenschen von heute. Fazit: Eine weitere vielschichtige Aufführung!
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Maexl

welches kreisler-chanson?

Sandra

Die miesen Erfolgsmenschen? Das "Kapitalistenlied" oder "Sie sind so mies"?

Alexander

,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

Gute Nummer. In der Aktualisierten Fassung von GK himself, oder umgedichtet auf GANZ aktuell?

Alexander

Der Pianist hat mir gesagt, dass die Umdichtung von ihnen aktualisiert wurde.
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Alexander

EINE IDEALE LOLA BLAU

,,Heute Abend: Lola Blau" von Georg Kreisler in der Kleinen Bühne (Grabbe Haus) des Landestheaters Detmold, 23.9.2005

Keine Frau wagt sich an diese Rolle der österreichischen und jüdischen Schauspielerin und Sängerin, die im Zuge einer Vorstellung vom noch etwas unbeholfenen politisch naiven Talent in Österreich und Basel über den in Alkoholismus mündenden Showstar in Amerika zur resignierenden Chansonsängerin im Wiener ,,Café Kaiserschmarrn" altert, keine Frau, die sich nicht die meisten Kreisler-Chansons in ihrem Facettenreichtum gleichzeitig souverän (wie man in einem Quasi-Einpersonenstück eben sein muss) und doch brüchig (wie diese Lola Blau eben ist) selbst zutraut – eine Gratwanderung, die jede ,,Lola Blau" wie auch das Publikum voll fordert. Sie muss die Kraft und das Durchhaltevermögen haben, die anspruchsvollen Liedtexte in allen Nuancen, in aller tiefenpsychologischer Wirkung zu entfalten. Sie muss die Balance halten können, einer reinen Virtuosennummer der Vielseitigkeit auszuweichen, also Schauspielerin zu bleiben, mit der man sich identifizieren kann. Den Weg der Bühnenfigur sollte der Theaterbesucher im Idealfall mit genauso differenzierter Anteilnahme mitgehen können: Das Beobachten der Leistung dieser einen Person möge zum Hinterfragen der eigenen Position zum Zeitraum nach 1938 führen. Der Schreiber dieser Zeilen hat im Lauf eines Jahres Vorstellungen in völlig verschiedenen Inszenierungen in Wuppertal, Augsburg, Wien, Münster, Linz, Stuttgart und jetzt in Detmold besucht. Egal welche Regieideen für ,,Abwechslung" sorgen: Das Stück steht und fällt mit der ,,Lola Blau". Keine Frau geht mit so einer Rolle auf die Bühne, die nicht all diese kleinen Nuancen, die in jeder Textzeile stecken, bis ins winzigste Detail erarbeitet und ,,intus" hat. Einige trauen sich das Lied ,,Ich hab a Mädele" (wohl wegen des jüdischen Idioms) nicht zu, andere sparen aus dramaturgischen Gründen (Angst vor Langatmigkeit) die eine oder andere Nummer aus – aber in allen sieben Vorstellungen sieht und hört man ganz großartige, individuelle ,,Lolas".  Hat man einen innerlich aufwühlenden, sehr bewegenden Theaterabend hinter sich (und das Wunder des Theaters wie auch des Musiktheaters oder eines Konzerts, natürlich auch des Betrachtens von jeder anderen Kunst oder des Buchlesens) besteht ja darin, für die Zeit der Hinwendung genau ein Teil jener Welt zu sein, die ,,geboten" wird), ist man geneigt, die eben besuchte Vorstellung als die beste von allen zu bewerten. Die Vielfalt der Gestaltungskraft und die Substanz des Stückes an sich machen es dem für dieses Genre offenen Besucher leicht, ,,mitfühlend" dabei zu sein. Ulrike Wahren in Detmold gelingt es wie nur ganz wenigen, nicht nur die Lola Blau in allen Facetten zu spielen, sie IST Lola Blau. Und es wird NICHTS weggelassen, keine einzige Musiknummer. Trotzdem kommt keine Sekunde Langeweile auf. Die Inszenierung von Juliane Wulfgramm verzichtet (wie so oft) auf ein Bühnenbild, notwendige Requisiten wie Tisch und Stuhl, Koffer mit Inhalt oder Kleiderständer reichen aus, die Schauplätze zu imaginieren. Es gibt hier auch keine Bild- oder Filmprojektionen. Das akustische Material wird von der Originaleinspielung mit Topsy Küppers (erschienen bei Preiser) übernommen: die alten Schlager, die zeitgeschichtlichen Dokumente, sogar die Monologe der Männer-Nebenrolle(n) und Georg Kreislers Liedausschnitte. Diese Theaterarbeit ist total auf Ulrike Wahren zugeschnitten. Sie singt und spricht ohne Verstärkung, nur manchmal eine Spur zu leise. Ihre Sprechstimme ist heller als andere Lolas, die unterschiedlichen Gesangs-Farben bewältigt sie mit phänomenaler Vielfalt an Technik und Engagement. Sie lässt wie schon erwähnt keine einzige Musiknummer aus und gibt sich jeder absolut glaubwürdig hin. Natürlich ist Ulrich Zippelius am schwarzen Pianino im rechten Bühnenbereich genauestens abgestimmt mit ihr, und trotzdem ist die Abstimmung zwischen Künstlerin und Pianist das einzige wirkliche Manko der Aufführung. Denn diese Abstimmung verläuft nach dem Motto: Da kann nichts passieren (hier genauso positiv wie negativ gemeint). Zippelius verbreitet vom Klavier aus genau die souveräne, beiläufige Routine bis zum nebensächlichen geschwinden, auch lautstarken Umblättern der Notenkopien, der Ulrike Wahren in ihrer grandiosen Authentizität der Rollengestaltung in jeder Minute dieses Abends niemals zu erliegen droht. Zippelius bleibt streng am Original-Klavierauszug (was ja nicht so übel ist), als Schiffspianist kann er etwas ,,über den Tellerrand" präludieren, das dient auch zur Überbrückung der Umkleidepausen. Bei den Kostümen hat man nicht gespart, Ulrike Wahren bietet neben allem anderen auch eine opulente Kostümshow, in der es ihr umso leichter fällt, sofort die Lola in der Lebensphase zu sein, die gerade ansteht. ,,Die Wahrheit vertragen sie nicht" gibt sie als Putzmädel, dazu holt sie einen älteren Herrn aus dem Publikum auf die Bühne. Das kommt an, da wacht das Publikum auf. So großartig wie sonst keine andere lebt sich Ulrike Wahren als Dame in den ,,zweitältesten Frauenberuf der Welt" ein. Und nuanciert trifft sie den jüdischen Tonfall beim ,,Mädele" und beim ,,herrlichen Weib" (auf einem Tisch im Publikum agierend, wieder mit Leuten kokettierend) auf der Schiffsreise in die USA. Damit räumt sie vor der Pause ab. Bei ,,Sex is a wonderful habit" ist der Pianist ins Geschehen einbezogen. Als Shownummer wählt sie (wie so manche andere) ,,Making Whoopie". Das ist einer der absoluten Höhepunkte: Wie Ulrike Wahren zwischen lasziver Erotik in Stimme und Gehabe und fast nicht mehr zu verbergender Alkoholsucht diese Nummer ,,übersteht", das ist geniale Bühnenkunst. Diese Frau hat natürlich auch die Kraft, aus ,,Im Theater ist nichts los" das Allerbeste rauszuholen. Wie sie sich vor dem imaginären Direktor als improvisierende Schlagersängerin eines eigenen Liedes, als Chansonette, als Wienerin, als Ungarin, als Berlinerin aufführt, das zeigt Lust und Können dieser Rollen gleichermaßen fulminant. Wenn sie sich dann ,,Zu leise für mich" resignierend abschminkt, ist das das Finale einer rundum beeindruckenden Leistung. Der Pianist, mit dem nichts passieren kann, zehrt am ehrlich enthusiastischen Applaus mit. Nicht nur ,,Heute Abend: Lola Blau" ist eine Reise in die nette nordrhein-westfälische Kleinstadt Detmold wert, aber – solange dieses Stück auf dem Spielplan steht – ein guter Grund für eine solche Reise.
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

Wow. Macht Lust, es zu sehen! Danke schön!
Ist diese Frau eigentlcih bekannt? Bin ich ungebildet, wenn ich noch nie von ihr gehört habe?

Alexander

#46
Das war die mit diesem Link (mit Videosequenzen!):

http://www.landestheater-detmold.de/programm/main.cfm?highlight=832
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

#47
Ja, nach Ansicht des Videos kann ich Dir nur Recht geben: Sie ist wirklich gut! Schön, dass es doch noch Menschen gibt, die wirklich was können in diesem Genre!

Bassmeister

#48
Oh! Die ist ja wirklich klasse! Als ich in dem Stück mal drin war, war ich noch zu jung dazu. Hätt große Lust, es noch einmal zu sehen! In Knechtstedten hab ich es nun doch nicht geschafft.

Die Aufnahme ist akustisch interessant. Kunstkopf-Stereo? Macht Euch den Spaß und hört Euch das Video mal mit Kopfhörer an!

ZitatBin ich ungebildet, wenn ich noch nie von ihr gehört habe?

Hast Du so viel Angst davor, ungebildet zu sein? Du fragtest mich das bei Heinrich Schütz zuvor schon einmal.
 :D
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Sandra

#49
*Kicher* na auf jeden Fall hab ich einen unstillbaren Bildungshunger.... zumindest in einigen Bereichen.