Hier noch ein Artikel zur Kreisler-Biografie,
die am 10. November 2005 in der "Berliner Zeitung" erschien:
[size=20]Wir sind doch alle Terroristen[/size]
[size=15]Eine Biografie über den großen alten Mann des Kabaretts behauptet:
Georg Kreisler gibt es gar nicht[/size]
von Christian Buckard
Im Frühjahr 1945 erhält Georg Kreisler, Verhörspezialist der US-Armee in Wiesbaden, den Auftrag Julius Streicher zu vernehmen. Streicher, in Hitler-Deutschland Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes "Der Stürmer", macht auf den jungen Soldaten einen völlig vertrottelten Eindruck. Auf die Frage nach seinem Beruf antwortet Streicher: "Volksschullehrer." Kreisler: "War da nicht noch etwas?" Streicher druckst herum. Schließlich gesteht er: "Gauleiter." Nach dem Verhör bedankt sich Streicher bei Kreisler: "Sie waren ja nett zu mir. Aber die Juden haben mir sehr zugesetzt." Darauf Kreisler trocken: "Na, vielleicht haben Sie angefangen."
Kann man nach Erlebnissen wie diesen etwas anderes als Kabarettist werden? Georg Kreisler, der 1938 mit 16 Jahren als Jude aus Wien fliehen musste, ist bis heute der genialste und radikalste Kabarettist des deutschen Sprachraums. Lieder wie "Taubenvergiften", "Der Tod, das muss ein Wiener sein" und "Gelsenkirchen" haben ihm den Ruf eingebracht, Meister des schwarzen Humors zu sein.
Doch wer Kreislers "Everblacks" nur als wunderschön vertonte makabre Witze begreift, der macht es sich zu leicht. Geradeso wie seine Liebeslieder, "Frühlingsmärchen" und die "nichtarischen Arien" sind Kreislers Geschichten von Serienmördern und gesellschaftlich respektierten Alt-Nazis unnachahmliche Beschreibungen der Wirklichkeit. Die Trauer des aus Wien Vertriebenen maskiert sich mit Spott und Zorn, wenn Kreisler mit kräftiger Stimme von einem neuen und besseren Wien singt:
"Wie schön wäre Wien ohne Wiener! / So schön wie a schlafende Frau! / Die Ringstraße wär noch viel grüner, / Und die Donau wär endlich so blau."
Über das "Wien ohne Wiener" lachten die Österreicher noch, doch beim "Taubenvergiften" hörte der Spaß auf. Kreislers Lied über das Liebespaar, das im Park gutgelaunt mit Arsen und Zyankali Tauben mordet, war in Funk und Fernsehen verboten.
Die nun von den Journalisten Hans-Juergen Fink und Michael Seufert vorgelegte Lebensgeschichte Kreislers ist die erste Biografie über den Kabarettisten, Dichter, Komponisten, Dramaturgen und Dirigenten. Die Tatsache, dass Kreisler erst jetzt, rund 60 Jahre nach Beginn seiner Bühnenkarriere im amerikanischen Exil, die Aufmerksamkeit der Biografen fand, ist symptomatisch für die öffentliche Wahrnehmung des stets Unbequemen: Obwohl das Publikum Kreisler bei seinen Live-Auftritten stets begeistert feierte, wurde er von den Radio- und Fernsehanstalten in Deutschland und Österreich weitestgehend ignoriert. Dies gilt auch für die 80er-Jahre, als Kreisler mit seiner Frau und Kollegin Barbara Peters in West-Berlin lebte.
"In den zwölf Jahren", so erinnert sich Kreisler, "die ich dort gelebt hatte, hatte ich keinerlei Angebot eines Berliner Theaters, kein Angebot eines Berliner Verlegers, kaum Fernsehen oder Rundfunk bekommen. Ich hatte immer auf eigenes Risiko gespielt. Die Hausherren waren weder zu einer meiner Vorstellungen gekommen noch hatten sie sonst Kontakt gesucht, ich hatte lediglich mit Bürodamen zu tun."
So verpasste man in West-Berlin die Chance, Kreisler einen seinem Können angemessenen Wirkungsraum zu geben. Vielleicht hatte man ja auch nur Angst davor, dass Kreisler live im Fernsehen singen würde:
"Wir sind doch alle, alle, alle Terroristen. / Es lebt in ganz Deutschland kein Demokrat. / Wir sind Terroristen gegen die Frauen, / gegen die Kinder, die uns vertrauen, / aber nicht einer gegen den Staat."
Der heute 83jährige Kreisler war und ist ein Anarchist, ein Unangepasster, ein Unberechenbarer, der Albtraum politisch korrekter Intendanten.
"Georg Kreisler gibt es gar nicht" ist eine längst überfällige Hommage an den großen alten Mann des Kabaretts. Finks und Seuferts Buch ist dabei keine jener Biografien, die mit Blick auf die Auflage das Privatleben ihres "Sujets" durchforsten. Es ist auch kein Buch, das nur für verschworene Kreisler-Fans interessant wäre, denn es erzählt auf jeder Seite vom exemplarischen und doch einzigartigen Leben eines Exilanten und Weltbürgers im finsteren 20. Jahrhundert: Von Kreislers gefährlicher Jugend im antisemitisch verseuchten Wien der 30er Jahre, der Flucht nach Hollywood, seiner Zusammenarbeit mit Hollywood-Drehbuchautor Walter Reisch und Charlie Chaplin, Begegnungen mit Marlene Dietrich, Billy Wilder und Friedrich Hollaender, mit dessen Tochter Philine Kreisler eine kurze und stürmische Ehe führte.
Einen Plattenerfolg hatte der Österreicher mit amerikanischem Pass in den USA nicht. Schon die Privatvorstellung des Soldaten Kreisler vor Dwight D. Eisenhower, dem Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa, hatte in einem Fiasko geendet. Die Generäle hatten offensichtlich eine andere Art von Humor. Keine amerikanischen Plattenfirmen wollte Kreislers 1947 auf Vinyl gepressten Songs vertreiben. Schon deren Titel ("Please, shoot your husband", "I hate you", "It's great to lead an antiseptic life") riefen bei den Produzenten nacktes Entsetzen hervor.
Fink und Seufert holen das amerikanische Plattendebüt Kreislers jetzt nach: Dem Buch liegt eine CD mit sechs großartigen Songs bei, mit denen Kreisler in einem New Yorker Club Erfolge gefeiert hatte. "Georg Kreisler gibt es gar nicht"? Oh doch. Und wie!
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Foto: Hans-Juergen Fink, Michael Seufert:
Georg Kreisler gibt es gar nicht. Die Biografie. Scherz, Frankfurt am Main 2005. 319 S. mit Audio- CD, 24,90 Euro.