Musikkritiker

Begonnen von Burkhard Ihme, 26. Mai 2024, 18:27:58

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Burkhard Ihme

Georg Kreisler hätte sicher seine Freude an dieser Kritik an Musikkritikern gehabt.

https://www.academia.edu/37379576/Zur_Musikkritik?email_work_card=title

Kann man wahrscheinlich nur lesen, wenn man bei academie.edu registriert und angemeldet ist.

Ein paar Sätze aus der Einleitung.


Zur Musikkritik

von Johannes Kreidler


Die ZEIT hat es geschafft, in zwei Sätzen über mich drei sachliche
Fehler (zwei falsche Zahlen, ein Werktitel inkorrekt)
unterzubringen. Seitdem traue ich keiner Information der ZEIT mehr.
Ein Darmstädter Kritiker unterstellte drauflos, bar der Wahrheit (hat
eigentlich jemals ein Kritiker Recherche betrieben?), ich hätte
Claqueure angeheuert. Er übersetzte außerdem den Namen des
Stücks definitiv falsch doch hielt sich für befugt, vom ganz hohen
Ross auf das Werk spucken zu dürfen.
Ein Autor schrieb einen ganzen Fachzeitschriftenaufsatz gegen
mich, auf Basis einer nicht-autorisierten Partitur. Dadurch wurden
mir Aussagen in den Mund gelegt, die ich nie von mir gegeben habe,
wurden Falschinformationen gestreut, solange sie nur der These
dienten; nebenbei wurde offenbar, dass er die Komposition gar nicht
in der Konzertfassung, auf die er sich berief, gehört haben konnte.

Ein Vertreter der NMZ hielt sich ebenfalls für qualifiziert, sich
despektierlich über eine Musik öffentlich äußern zu können, bei
deren Aufführungen er nicht gesehen ward.
Ein Journalist der NZfM bekannte mir gegenüber, dass er das
kontroverse Buch, bei dessen Rezension er für eine Seite Partei
ergriff, gar nicht durchgelesen habe.
Ein Redakteur der MusikTexte verriss ein Werk von mir, da es an
dem Provokationsanspruch gescheitert wäre. Nur: Nirgends hieß es,
dass das Werk provozieren solle, im Werk nicht, im Programmtext
nicht, von keinem der Mitwirkenden wurde derlei verlautbart. Er hat
ein irriges, sinnwidriges Maß an das Stück gelegt; wahrscheinlicher
aber war es ein Vorurteil, der Stil Strategie, um eine künstliche
Fallhöhe zu generieren, von der er das Stück stoßen konnte.
Ich würde als weißer, westlicher Mann von einer privilegierten
Position aus agieren hielt mir ein weißer, englischer
Universitätsprofessor vor. Ein anderer Publizist verglich mich in
einer auflagenstarken Musikzeitung mit Faschisten.
Schreiber, die sich sichtlich überhaupt keine Mühe geben, etwas zu
verstehen, dem Gegenstand nicht das elementarste Interesse
entgegenbringen, die sich nur produzieren wollen, ad personam
gehen (man hat in Konzertberichten auch schon wieder der
Darmstädter Kritiker über meine Kleidung hergezogen, selbst
meine blasse Hautfarbe hielt das SZ-Feuilleton für
kolportierenswert), bis hin zum spanischen Musikwissenschaftler,
der seitenlang jedes nur auffindbare Material gesammelt hat, das
seiner Ansicht nach gegen mich spräche (auch Stücke, in denen ich
nur Ausführender war), und der danach trachtete, mich intellektuell
öffentlich zu überbieten. Ich kannte ihn bis dahin gar nicht, habe ihm
nichts getan, wie auch keinem anderen seiner Zunft.
Und dann war da noch der Kritiker der NMZ, der mich in der
Konzertpause freundlichst um ein Gespräch bat, das ich ihm
natürlich nicht verweigerte; er lobte mir gegenüber die
Neuschöpfung, um hinterher einen Totalverriss darüber zu
veröffentlichen. Das muss dieses Verhalten sein, wofür der
Ausdruck »hinterfotzig« erfunden wurde. Ob solcher Erlebnisse
könnte man an der Menschheit verzweifeln. Komponisten haben am
besten keine Psyche.