Tom Lehrer vs. Georg Kreisler: Plagiate

Begonnen von Guntram, 12. August 2007, 23:29:11

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Burkhard Ihme

Zitat von: Bastian am 25. Juni 2013, 02:37:38
Sollte es eine solche nicht geben, halte ich es alles in allem für sehr unwahrscheinlich, dass Tom Lehrer (bei aller Hochachtung vor seinem außerordentlichen musikalischen Gespür) aus einem Gedankenprotokoll eines Live-Auftritts Georg Kreislers von vor 1953 eine sprachlich und musikalisch derart baugleiche Kopie hätte anfertigen können.
Aber umgekehrt hätte also Kreisler das gekonnt. Interessanter Schluß: Weil Kreisler der bessere Musiker ist, hat er "Taubenvergiften" von Lehrer geklaut.


Ich bleibe dabei: Solange nicht bekannt ist, wann Lehrer "Poisoning" geschrieben hat, bleiben das letztlich haltlose Thesen.


Hat denn jetzt jemand Bronners Autobiographie und kann uns verraten, woher der das Lied kannte?

Bastian

#76
Zitat von: Burkhard Ihme am 25. Juni 2013, 16:12:10
Zitat von: Bastian am 25. Juni 2013, 02:37:38
Sollte es eine solche nicht geben, halte ich es alles in allem für sehr unwahrscheinlich, dass Tom Lehrer (bei aller Hochachtung vor seinem außerordentlichen musikalischen Gespür) aus einem Gedankenprotokoll eines Live-Auftritts Georg Kreislers von vor 1953 eine sprachlich und musikalisch derart baugleiche Kopie hätte anfertigen können.
Aber umgekehrt hätte also Kreisler das gekonnt. Interessanter Schluß: Weil Kreisler der bessere Musiker ist, hat er "Taubenvergiften" von Lehrer geklaut.

Nö. Ich sprach von "Die Hand" und "I Hold Your Hand In Mine", ausdrücklich nicht von den Tauben.
Auch ging es mir überhaupt nicht um einen Vergleich der Talente, wie Du den Satz umdeutest. Sondern darum, dass ich es für unwahrscheinlich halte, dass ein bis auf Zeilenebene fast deckungsgleiches Lied entsteht, nachdem Person A mal ein oder zwei Konzerte von Person B besucht hat und dann zuhause aus dem Memorierten "seine" Version schreibt. Ganz egal, wen Du jetzt für A oder B einsetzt, oder wer wie talentiert ist.

Wirkt das auf Dich wie eine sinngemäße Adaption eines Themas, oder wie eine Zeile-für-Zeile Übersetzung eines vorliegenden Textes?
Zitat von: Bastian am 25. Juni 2013, 02:37:38
My joy would be complete, dear,
If you were only here,
But still I keep your hand
As a precious souvenir.

Ach das Leben wär so wunderbar,
wärst du wirklich hier mit mir.
Doch ich will deine Hand behalten,
als mein schönstes Souvenir.

Hätte einer den anderen live gehört und dann das Thema auf seine eigene Art bedient, würde ich eine freiere Umsetzung erwarten. Erst recht, wenn beide zufällig den selben Einfall gehabt hätten. So kann ich nur zu dem Schluss kommen: Die Kopie ist zu gut. Das ist ihr Problem.

Nur wer war zuerst da?
Ähnlich wie bei der Henne und dem Ei muss man ja nur fragen: Seit wann gibt es Hennen? und: Seit wann gibt es Eier?
Nach derzeitigem Kenntnisstand hätte Kreisler eine Vorlage haben können: Tom Lehrers Platte von '53.
Im umgekehrten Fall hätte Lehrer es ziemlich schwer gehabt, wenn er der "Kopist" wäre. Entweder hätte er hellsichtig sein müssen, denn Kreislers Schallplatte kam erst vier Jahre später raus. Oder sehr hellhörig, indem er sich während eines Auftritts von Georg Kreisler einen Text von A bis Z merkt und den dann zuhause zeilengetreu ins Englische übersetzt. Samt Tonartwechsel an der gleichen Stelle.

Jagut, oder er konnte Stenographieren und hat im Konzert fleißig mitgekritzelt... Oder es gibt eine ältere Aufnahme von Kreislers "Hand". Aber was soll man Grundannahmen machen, für die kein Beleg spricht? Alles was wir haben sind Erscheinungsdaten und die Aussagen der Beteiligten. Was ist wahrscheinlicher?

Burkhard Ihme

Daß "Die Hand" eine neuvertonte Übersetzung von "I hold your hand in mine" ist, ist doch unstrittig. Beweist aber im Fall "Taubenvergiften" nichts.


Immerhin wird Kreisler in diesem zweiten Fall ja zugestanden, daß er das möglicherweise schon existierende Lied möglicherweise schon mal live gehört hat und dann (ohne möglicherweise) das Lied dann nachdichten konnte.

h-j-urmel

Verstehe ich Deinen Text richtig, Du bist der Ansicht, Kreisler habe bei Lehrer abgekupfert? Einige Beiträge zuvor formulierst Du das nicht so konkret. Du schreibst bei "I hold your hand in mine" sei das etwas kniffliger." Kniffliger" ist für mich nicht gleichzusetzen mit "unstrittig", wie Du nun erstmals, glaube ich, das Plagiat anerkennst.

"Immerhin wird Kreisler in diesem zweiten Fall ja zugestanden...." schreibst Du weiter in Deinem Beitrag. Bitte ergänze den Text bitte, durch wen zugestanden, denn sonst lässt sich diese Aussage nicht oder nur schwer prüfen.

Interessant ist ein Beitrag in diesem Forum von dem deaktiviertem Mitglied "Sandra". Dürfte Kreislers Tochter sein, sie kennt (bzw. kannte) Kreisler persönlich, sie schreibt: ..."Erstens sind sowohl Taubenvergiften als auch das Mädchen mit den 3 blauen Augen ziemliche Plagiate.  Zweitens hat er - das weiss ich von ihm persönlich - ..."

Meinst Du Burkhard, Kreisler schrieb das Lied "Das Mädchen mit den drei blauen Augen" von Abe Burrows "The Girl with the Three Blue Eyes" ab, das 1950 auf Platte erschien oder ist das für Dich Zufall oder hat Burrows das Lied in Amerika von Kreisler singen gehört?

Alle guten Dinge sind 3, vielleicht gilt es auch für Plagiate!




Burkhard Ihme

#79
Sandra kann das meinetwegen ein "ziemliches Plagiat" nennen, juristisch korrekt ist das nicht. Außer der Hookline hat Kreisler von "The Girl with the Three Blue Eyes" nichts übernommen. Das macht "Das Mädchen mit den 3 blauen Augen" weniger originell, aber es ist weit entfernt von einem Plagiat. Bob Dylan wäre sonst der größte Plagiator aller Zeiten.

"Die Hand" ist eine Übersetzung, eine ungenehmigte dazu. Aber Lehrer hat das juristisch nicht angefochten, und er (oder sein Verlag) ist der einzige, der das tun könnte. Ich habe kürzlich versucht, bei der GEMA das von mehreren Leuten bearbeitete "Volkslied" "Auf Wiedersehn, Marie" (da kassieren die Bearbeiter einen erheblichen Betrag mit, bis zu 100 %) auf die wirklichen Autoren Kurt Tucholsky und Hans May eintragen zu lassen. Das ging aber nicht, da müßte sich der Verlag melden. Und so werden Kreislers Erben – wenn sich keiner der Berechtigten wehrt – noch 68 Jahre die Tantiemen kassieren können.

Und bei "Taubenvergiften" müßte erst belegt werden, daß "Poisoning pigeons in the park" VOR Kreislers Aufnahme von 1957 entstanden ist, eigentlich VOR Kreislers Abreise nach Wien. Solange das nicht geschieht, ist all das Gerede von Plagiat (das es eh nicht ist) üble Nachrede.


Was das "kniffliger" angeht: Ich hab schon vor sechs Jahren geschrieben, daß Kreisler "I hold your hand in mine" abgekupfert hat. Aber auch da gilt: Anderer (weil deutscher) Text, andere Melodie. Das ist kniffliger (zumal in der Frage der der GEMA/AKM-Anmeldung), weil eine fast wörtliche Übersetzung, aber legt man diese Definition zugrunde, eben kein Plagiat (und knifflig wäre auch gewesen, eine Genehmigung von Lehrer zu bekommen. Das hätte im besten Fall Wochen gedauert).


h-j-urmel

Man muss den Moment erkennen, wo weiterer Kommentar sinnlos ist und Hopfen und Malz verloren sind.

Bastian

Zitat von: Burkhard Ihme am 25. Juni 2013, 22:33:07
Daß "Die Hand" eine neuvertonte Übersetzung von "I hold your hand in mine" ist, ist doch unstrittig. Beweist aber im Fall "Taubenvergiften" nichts.

Achso, ich dachte, dass wir da unterschiedlicher Meinung wären.
Ich kannte auch Deinen Beitrag von 2007 nicht. Da haben wir also so ziemlich das Gleiche geschrieben (ich bestehe aber darauf, dass mein Beitrag unabhängig von Deinem entstanden ist!). Und: Nein, es beweist nichts. Non sequitur.
Das einzige woran man nach 1957, also dem Erscheinungdatum von "Die Hand" zweifeln darf, ist Kreislers Aussage, Tom Lehrer nicht gekannt zu haben. Aber möglicherweise gibt es da auch zeitliche Verschränkungen, die das irgendwie glaubwürdig machen.

Was spricht eigentlich dagegen, nach Entlastendem zu suchen? Das früher liegende Erscheinungsdatum von Taubenvergiften ist ja tatsächlich nicht-belastend. Und immerhin sind die Erklärungen, wie Kreisler Lehrers Lied gehört haben könnte, diesem Verdacht entsprechend konstruiert. Nicht unplausibel, aber sie sind Konstrukte und belegen allenfalls, "wie man es sich erklärt", aber nicht wie es tatsächlich gewesen ist.

Wenn man sie überhaupt noch finden könnte: Was wäre denn eine Smoking Gun, bzw. der Smoking Pen?

Golch

Hi,
habe gerade interessehalber nach diesem Fall im Internet gestöbert und bin auf diesen Thread gestoßen. Das gewichtigste Argument, das im Falle Lehrer vs. Kreisler und Poisoning Pigeons aufgetaucht ist (gefunden in diesem Forum) ist die Tatsache dass Tauben vergiften nicht die dreifache Alliteration aufweist (P oisoning P igeons in the P ark). Das lässt eine Urheberschaft von Seiten Kreisler sehr unwahrscheinlich erscheinen. Das bei einer Übersetzung eine dreifache Alliteration zufällig herauskommt ist nahezu auszuschließen.

Burkhard Ihme

Sagt der Laie, der wohl selber keine Lieder schreibt.

Es wird ja wohl keiner ernsthaft behaupten, es sei unmöglich, eine Hookline wie "Tauben vergiften im Park" zu schreiben.


Wenn man Texte übersetzt und dabei eine Alliteration einbaut (was nicht immer, aber eben doch oft geht), beweist das ja auch nichts.

Und in der englischen Fassung läßt sich die englische Alliteration nicht vermeiden, außer, man vergiftet keine Tauben (die aber nun mal sehr naheliegend sind. Was soll man in einem Park denn sonst vergiften). Lehrer hat die Alliteration ja nicht absichtlich eingebaut. Wenn man nicht gerade eine Wagner-Parodie schreibt, sind Alliterationen nicht das bevorzugte Stilmittel, sonst würde es ja davon wimmeln: "Tränen trügen nich", "Griechischer Grappa", "Verdammt, ich fick dich". "Wer hat denn den Käse im Kloster verklappt", "Das bringen bloß die Beine von Babette" ...

Bastian

Hi Golch!
Mit Beweisen haben wir es eh nicht zu tun, Burkhard, nur mit Wahrscheinlichkeiten (ohne dass ich da jetzt 'ne Zahl nennen könnte).

"Griechischer Grappa" - das wäre dichterisch wohl eine Herausforderung.

Bastian

Koinzidenz:
Da sitze ich gerade für ein neues Programm an Leonard Cohens "Take this Waltz", und höre ihn singen:

"Now in Vienna there's ten pretty women
There's a shoulder where Death comes to cry
There's a lobby with nine hundred windows
There's a tree where the doves go to die"


Hat Cohen heimlich Kreisler gehört? :)

h-j-urmel

Zur Abwechslung mal eine Variation von Sarah Hackenberg!
"Hündchenlynchen in München"



Viel Vergnügen!

Burkhard Ihme

#87
Zitat von: Bastian am 04. Juni 2014, 13:08:06
Koinzidenz:
Da sitze ich gerade für ein neues Programm an Leonard Cohens "Take this Waltz", und höre ihn singen:

"Now in Vienna there's ten pretty women
There's a shoulder where Death comes to cry
There's a lobby with nine hundred windows
There's a tree where the doves go to die"
Und übersetzt du das jetzt?

Nach dem großen Cohen-Konzert am Samstag auf Tele 5 (dem Sender, der sonst die schlechtesten Filme der Welt zeigt und dazwischen dann sowas) bin ich versucht, Lieder im Stile von Cohen zu schreiben, in denen es um schöne Frauen, Jesus, Marx und Walzer in leeren Eispalästen geht.

Bastian

Kann sein, dass wir das übersetzen. Vielleicht auch nicht. Ist für ein neues Duettprogramm mit meiner längstjährigsten Kollegin Sanna. Nicht unbedingt etwas Theatröses, vielmehr soll es ein mehr-als-Barmusikprogramm für exquisite Anlässe werden - da wo es auch etwas zu verdienen gibt :)

Mit Cohen hadere ich. Von unverständlichem Schwulst bis zu tollen kleinen Geschichten ist da alles drin. Tom Waits muss auch mit rein, auch so ein Brocken.