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Silvesterfeiern

Begonnen von Sandra, 01. Januar 2005, 01:58:09

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Sandra

Dagmar, du fasst es nicht? Da hab ich noch mehr für Dich:

"In vielen Städten wurde der Jahreswechsel zum eigenartigen Spagat zwischen Partylaune und Gedenken. Zwar wurde allgemein dazu aufgerufen, Geld für die Opfer der Flutwelle zu spenden - nur die wenigsten Städte setzten jedoch entschlossene Zeichen der Betroffenheit.

Die traditionelle Silvesterparty auf dem Taksim-Platz in Istanbul wurde etwa unter Hinweis auf das Unglück gestrichen. Das teilte Bürgermeister Kadir Topbas nur wenige Stunden vor dem geplanten Beginn der traditionellen Feier mit.

Brüssel sagte ebenfalls auf Anordnung des Ministerpräsidenten der Region kurzfristig ihr Feuerwerk ab. Das Spektakel hatte in den Jahren zuvor immer deutlich mehr als 100.000 Menschen angezogen. In Paris fand umgekehrt heuer ausgerechnet erstmals ein Feuerwerk statt.

In Frankreich wird das neue Jahr gewöhnlich ohne Böller und Raketen begrüßt. Eine halbe Million Menschen trifft sich dabei regelmäßig auch ohne Knallerei auf den Champs-Elysees. Heuer hatte die Stadt jedoch beschlossen, ein Feuerwerk zu veranstalten.
Als Zeichen des Mitgefühls wurden die Champs-Elysees jedoch in Trauerflor gehüllt. 2,60 Meter lange schwarze Tücher wurden an 400 Bäumen der Prachtallee und 80 Kandelabern des angrenzenden Place de la Concorde befestigt, wo später das Feuerwerk gezündet wurde.

Auch in Berlin wurde am Ablauf von Deutschlands größter Silvesterparty kaum etwas geändert. Parallel zum Feiern, Trinken und Knallen wurde für die Opfer gesammelt. In einigen Städten - vom belgischen Antwerpen bis zum australischen Sydney - wurde zu Trauerminuten aufgerufen.

In der Ukraine herrschte bei den Silvesterfeiern uneingeschränkte Jubelstimmung. Am letzten Abend des Jahres hatte der bei der Wahl unterlegene Ministerpräsident Viktor Janukowitsch seine Niederlage endlich eingestanden.

In den von der Flutkatastrophe direkt betroffenen Ländern wie Sri Lanka, Thailand und Malaysia wurden offizielle Silvesterfeiern abgesagt. In anderen südasiatischen Ländern wurden die Bürger beim Jahreswechsel aufgerufen, zumindest der Opfer zu gedenken.
Augenzeugen berichteten jedoch, dass sich ausgerechnet manche verbliebene westliche Touristen in den zerstörten Touristenzentren Thailands nicht vom Feiern abhalten ließen und das neue Jahr inmitten der Trümmer mit Alkohol-Exzessen begrüßten."
Quelle: orf.at


Wer hat erwartet, dass blosse Ziffern irgendetwas am Verhalten der Menschen ändern?





Dagmar

#1
Ich bin noch trauriger als ohnehin schon, wenn ich das lese, was Du schreibst. Wir haben sehr still "gefeiert", und naiv wie ich manchmal sein kann dachte ich, das wäre überall auf der Welt vielleicht so.

Es sind keine Ziffern, es sind:

EINHUNDERTFÜNFZIGTAUSEND tote Menschen.

Die, die überlebt haben, sind in in gleicher Zahl in ruinöser Lebenssituation, zigtausende von Kindern haben keine Eltern mehr und zigtausende von Eltern haben keine Kinder mehr.

Ich mag nix mehr sagen zu dem, wie auf der Welt Sylvester gefeiert wurde. Ich werde zunehmend immer müder über alledem. Dazu kommen sicher alle meine Erfahrungen der letzten drei Tage, bei meinem Versuch, eine Bonner Künstlernacht zu organisieren. All die vielen Reaktionen, die ich bei grosser Hilfsbereitschaft der Künstler auf der einen Seite von "offiziellen" Stellen auf der anderen Seite eben auch gehört habe.

Müde bin ich geworden innerlich und sehr traurig und kurz vor sehr resigniert  :'(
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Sandra

Seufz.
Was  soll  ich Dir dazu sagen?Mir geht es ganz ähnlich, und zwar schon eine ganze Weile.
ich glaube nicht mehr an die "Kraft der Bürger" - von grösseren organisationen ganz zu schweigen.

Es gibt immer wieder mal einzelne Menschen, die mit Ihrer Tatkraft und Anständigkeit Anlass geben, nicht gleich ganz den Hut drauf zu hauen - aber man muss sich bewusst sein, dass das einfach nur Einzelne sind.
Wenn man sich die Blogs zum thema anschaut - überhaupt ist die Blogger-community weitgehend Vorbildlich - dann hört man nicht GANZ auf. Aber ich bin schon SEHR SEHR illusionslos.
Selber machen.
Alleine machen.
Nicht umschauen.
Der Rahmen ist kleiner, als man sich wünscht - aber da passiert dann wenigstens IRGENDWAS.

Übrigens - es geht ja auch nicht darum, dass jetzt jeder "vergisst", Silvester zu feiern - die Menschen haben nun mal verschiedene Prioritäten, und das ist ja auch okay so.
(Ich versteh schon - für mich ist es auch unbegreiflich, dass jemand lustig und unbelastet sein KANN - aber man kann es den Leuten nicht vorschreiben, was sie zu fühlen haben)
Aber dass sie unwillig sind, etwas zu TUN, ist schon auffallend.
Aber wie gesagt, alle sind nciht so.

Wenn man ein bissel Hoffnung braucht:
http:www.worldchanging.com

Bassmeister

Jetzt muß ich doch auch mal was dazu sagen, auch wenn das Eine oder Andere vielleicht provokant klingt.

Ich bin eigentlich fast ständig resigniert von dem, was da auf dieser Welt so abgeht. Diese Katastrophe, die da passiert, rückt durch ihr Ausmaß mal wieder ins Licht der Öffentlichkeit, daß es eben NICHT selbstverständlich ist, ruhig und unbehelligt sein Dasein zu führen. Mir geht dabei ein wenig auf die Nerven, daß solche Sachen immer in ein Schlagwort gepreßt werden - sei es nun Tsunami, Hartz IV oder BSE oder SARS oder nehmt was Ihr wollt. In diesem einen Wort soll dann das ganze Ausmaß des Leides drin stecken. Das kann eigentlich nicht gut gehen.

Zum Anderen: Betroffenheit oder Mitgefühl lassen sich nicht "erzeugen"! Wenn Menschen echt betroffen sind, aus ehrlichem Herzen heraus, dann merkt man das und dann gibt es auch so etwas wie eine Notgemeinschaft. Beeindruckend war das, als Dresden in den Wassermassen unterging oder auch, als die DDR ihr Leben aushauchte. Das lag dann einfach in der Luft.  Wenn jene Betroffenheit unter den Menschen nicht da ist, dann kannst du auf und nieder hüpfen, Künstlernächte und Spendengalas auf die Beine stellen, es ist mühsam, mühsam, mühsam und der Effekt verschwindend. Wenn die Energie nicht da ist, kann man eigentlich wirklich nur aufpasen, daß man selber nicht den Mut verliert. Und unter diesen Umständen: Wem nutzt es denn dann wirklich, wenn die Silvesterfeiern NICHT stattfinden? Bekommt davon ein einziges Kind was zu Essen oder seine Eltern wieder? Dann ist es doch - aus der Sicht der Leute da - besser, man feiert und sammelt wenigstens EIN BISSCHEN Geld ein.
Ich persönlich habe mit aufgesetzter oder verordneter Betroffenheit mehr Probleme, als mit gar keiner.
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Dagmar

#4
Ich verstehe nicht genau, was Du eigentlich sagen willst? Wieso in ein Wort gepresst? Was schlägst Du denn vor, wie solche Katastrophen benannt werden sollen? Und ich verstehe nicht genau, warum Du denkst, dass mit der Benennung der Katastrophe das "ganze Leid" in ein Wort gepresst werden soll? Wie kommst Du denn darauf?

Ich finde übrigens auch nicht, dass hätten keine Sylvesterfeiern statfinden sollen - ich habe auch gefeiert. Mir fehlt allerdings schon das Verständnis dafür, warum Riesenfeuerwerke von öffentlichen Geldern bezahlt wurden - solche Feuerwerke kosten hunderttausende - soviel kannste kaum sammeln während 15 Minuten Feuerwerk am Brandenburger Tor. Im übrigen bezweifele ich sehr, dass da überhaupt gesammelt wurde. DAS Geld hätte man einsparen müssen und spenden müssen! Das hat mit "verordneter Betroffenheit" doch nichts zu tun.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Sandra

Naja. Ich verstehe schon, was du meinst, und ich gebe Dir auch (bedingt) Recht, Bassmeister.
Es hat keinen Sinn, allen immer zu erzählen, wie betroffen sie doch sein müssten, wenn sie es nicht von selber sind. Stimmt irgendwie. Aber andererseits weiss ich auch von vielen, die erst durch das "Betroffenheitsgequatsche" draufgekommen sind, was da WIRKLICH passiert ist, die dann erst angefangen haben, sich auch vorzustellen, was da los ist, und es nicht nur als Rauschen im Nachrichtenwald wahrgenommen haben.
Ausserdem kann man garnicht oft genug daran erinnern, dass das alles einzelne Menschen sind, denen sowas passiert - insofern ist es sogar "gut" dass da soviele Deutsche betroffen waren - so ist es nicht so sehr eine Sache, die halt "irgendwo in Asien" passiert, da kriegt man leichter die Verbindung.
und, wenn manche menschen nicht nachvollziehen können/wollen, wie es den hungernden alten Mütterleins in Tschetschenien geht, ist das noch kein Grund, sie nicht trotzdem auf diese und andere Menschliche Katastrophen immer wieder mit Nachdruck hinzuweisen.
trotzdem, klar, jetzt GEGEN die eigenen Gefühle einfach trist rumzusitzen, obwohl man es garnicht so bedrückend findet - das ist natürlich doof.

Andrea

#6
Mir geht die Silvesterknallerei sowieso auf die Nerven.
1. haben die Hunde Angst,
2. kann ich mit dem Lärm nix anfangen
und
3. wird damit viel zu viel Geld ins Nichts geschissen. Die Leute knallen ja nicht nur zu Silvester um 0.00 Uhr - das fände ich als etwas Besonderes -, sondern sie knallen Tage davor und danach. Heute Morgen, als ich um 4.00 Uhr mit dem Auto richtung Ulm fahren wollte, sind wir noch kurz vorm Einsteigen von so beschissenen Krachern empfangen worden. Widerlich!
Und als ich vorgestern eingeladen war, saß ich eine halbe Stunde nach Mitternacht mit Smokey alleine in der Wohnung und die anderen sind knallen gegangen. Ich wollte ihnen die Freude daran nicht nehmen, aber ich wollte den Hund nicht alleine lassen, und ich wollte auch nicht dabei sein. Ich hasse es!
Derzeit finde ich es auch unpassend, dass auf Bestellung gefeiert wird. Ich finde es eh unpassend, und jetzt noch stilloser als sonst. Abgesehen davon, dass ich mit Weihnachten und Karneval nix am Hut habe, begrüße ich gern das neue Jahr. Aber bitte nicht so laut und so übertrieben witzig. Und das Geld, das für diesen Quatsch - die Knallerei - rausgehauen wurde, hätten die  Menschen in Asien gut brauchen können.
Übrigens ruft die Deutsche bahn am Kölner Hauptbahnhof zu einer Spendenaktion auf. Man kann dort am Servicepoint spenden. Heute Morgen um 8.00, als ich aus dem Zug ausstieg, habe ich das gehört und mich darüber gefreut.
Als ich vorhin im Zug saß, hab ich ganz fest an euch alle gedacht. Ich habe viel Wärme empfunden bei dem Gedanken daran, dass du, Dagmar, sofort geschaltet hast und gesagt hast: "Ich versuche ein Benefiz auf die Beine zu stellen." Ich konnte ja erst jetzt alle Mails dazu lesen, weil dein E-mail-Format und mein Handy wohl nicht zusammen passen. Aber ich habe, ohne die Mails gelesen zu haben, nicht daran gezweifelt, dass Du, Basti, Sandra, Susanne, Uli und ich tun, was wir können. Und klar, ich ertappe mich auch oft dabei zu denken: Jeder denkt nur an sich. Ich denke mir das immer dann, wenn ich alleine auf der Straße stehe und nicht weiß, wo ich bin, wenn die Leute nicht mal fähig sind, mir zu sagen, welche Hausnummer in meiner Nähe ist... Und ich hab's mir auch heute gedacht, als ich alleine an der falschen Station stand, weil bei meiner die Zugtür nicht aufgegangen ist. Vielleicht waren da auch Leute am Bahnsteig. Vielleicht war da aber auch wirklich niemand? Ich will sagen: Schon in der Handlungsweise, wenn es um kleine Gefälligkeiten geht, drückt sich aus, dass die meisten Menschen nur ihren eigenen Film fahren. Und dann passiert so eine Katastrophe wie jetzt in einem anderen Erdteil: "Das ist doch so weit weg.", denken viele und schieben von sich, dass es uns hier doch nicht anders ergehen kann. Umso schöner finde ich, dass wir hier in diesem Forum einander kennengelernt haben und uns aufeinander verlassen können, dass wir eben nicht wie viele Menschen mit Scheuklappen durch die Gegend laufen... DAS gibt mir Wärme. DAS gibt mir Zuversicht. DAS lässt mich keine Sekunde daran zweifeln, dass wir das Benefiz hin kriegen. Hätten wir denn vor einem Jahr gedacht, WER aus diesem Forum so eine gute Clique wird? Bestimmt haben alle geschrieben und geschrieben, aber hättet ihr es für möglich gehalten, dass sich hier Menschen zusammen tun, die sich gegenseitig helfen? Ich, ehrlich gesagt, bin nicht davon ausgegangen, dass dieses Forum mir ein paar Menschen schenken wird, denen ich mich anvertrauen kann, die mit mir Musik machen..., als ich meinen ersten Beitrag schrieb. Außer Sandra kannte ich hier niemanden. Und von der allgemeinen Scheuklappen-Mentalität derer, die nicht gelernt haben, was es heißt, sich für andere einzusetzen oder eben etwas zu tun, wenn die Natur sich rächt..., sollten wir uns nicht beeindrucken und schon gar nicht runterziehen lassen. Wir wissen eh, dass sie da ist, diese Mentalität, und wir können diese Menschen nicht ändern. Aber das, was wir tun können, das tun wir. Das ist wichtig, finde ich.
Ich bin jetzt wieder da. Sagt mir, was ich für die Organisation des Benefiz' tun kann, ich tu's.  
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Bassmeister

Zitatund, wenn manche menschen nicht nachvollziehen können/wollen, wie es den hungernden alten Mütterleins in Tschetschenien geht, ist das noch kein Grund, sie nicht trotzdem auf diese und andere Menschliche Katastrophen immer wieder mit Nachdruck hinzuweisen.

Das meinte ich. Die hungern nämlich auch heute und morgen weiter. Aber wenn alle Welt von der "Jahrhundertkatastrophe" redet, wird das vergessen.
Natürlich muß darauf hingewiesen werden. Das sehe ich auch so. Aber ich kann nicht, wenn ich mich nicht betroffen fühle, dann doch so tun als wäre ich es. Was nicht heißt, daß ich nicht dennoch Euros rüber schieben kann. Aber mit den Gefühlen ist das bei mir so ne Sache. Entweder sie sind da (meistens, wenn ich die nicht brauche) oder sie sind nicht da (wenn sie gerade gefragt wären).
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]