Georg Kreisler Forum

Diskussionen => Politik => Thema gestartet von: Martin am 16. Juli 2003, 13:08:06

Titel: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Martin am 16. Juli 2003, 13:08:06
Nun gut, es ist vielleicht nicht das Über-Thema, aber es geht doch um eine Sache, die ich schon länger in meinem Kopf hab. Ich weiß nicht ob es nur eine Einbildung ist, ob es mir nur so vorkommt, oder ob es in Deutschland und Österreich wirklich recht unterschiedliche Einstellungen zur Politik gibt. Nachdem hier im Forum beide Länder vertreten sind, ist die Frage so unpassend ja nicht. Hab mir da vor ein paar Tagen einmal folgende Gedanken gemacht und komm jetzt endlich dazu, das hier zu posten.

Auf Grund der aktuellen Diskussion um unseren österreichsichen Finanzminister Grasser (auf die ich hier gar nicht im Detail eingehen möchte) habe ich mir erneut folgende Frage gestellt: Welche Konsequenzen hätte er zu erwarten gehabt, wenn er sich Ähnliches in Deutschland geleistet hätte. Und ich bin mir fast sicher, dass man ihn dort längst aus seinem Amt entfernt hätte. Die öffentliche Meinung und die Medien in Deutschland dulden solche Dinge einfach nicht. Sobald auch nur etwas mehr als ein Verdacht aufkommt, setzt sich eine Maschinerie in Gange, die den Druck auf den entsprechenden Politiker so stark erhöht, dass er lieber selbst geht, bevor er mit großem Knall gegangen wird. Man kann zwar alles übertreiben, doch im Grunde finde ich es gut, wenn man an Politiker möglichst strenge Maßstäbe ansetzt. Wenn der Wähler den Verdacht hat, dass etwas vertuscht oder unter den Tisch gekehrt wird, stärkt das sicher nicht das Vertrauen in die Politik.
In Österreich allerdings sieht die Welt in dieser Hinsicht ein wenig anders aus. Da stellt sich eine ganze Regierung hinter einen Politiker, dessen Unvereinbarkeiten niemandem mehr entgangen sein können. Da hat der Finanzminister Nebeneinkünfte (oder waren es doch Spenden), die er eigentlich gar nicht haben dürfte. Da setzt eben dieser Finanzminister, was seine eigene Steuerpflicht angeht, äußerst fragwürdige Maßstäbe und die Einberufung eines klärenden Untersuchungsausschusses kommt nicht zu Stande, da es dazu die Mehrheit im Parlament braucht, die es nicht gibt, solange die Regierung hinter ihrem Finanzminister steht (Politiker die nicht parteipolitisch sondern aus Überzeugung abstimmen wird man sehr lange suchen müssen). Kurz und gut, es wird sich einmal mehr auf dem österreichischen Weg erledigen. Aussitzen, kleinreden, vergesssen. Wer einflussreiche Freunde hat, braucht nichts zu fürchten. (Auch wenn ich die Hoffnung nicht aufgebe, dass es diesmal doch anders wird.) Das ist schlimm genug. Viel schlimmer aber ist, dass der große Aufschrei in der Bevölkerung ausbleibt und viele im Finanzminister immer noch den netten Junggesellen sehen, der uns die letzten Jahre von den Titelseiten der Illustrierten angelacht hat oder sich denken: "Was interessieren mich die Politiker. Is eh egal, sind eh alle gleich". NEIN, es ist nicht egal! Man muss diesen Leuten Grenzen aufzeigen und ihnen klarmachen, dass sie sich nichnt jede Frechheit erlauben können. Doch das macht im Moment keiner.
Woran liegt es also, um nun zur eigentlichen Frage zurückzukehren, dass in Deutschland und Österreich ganz anders mit den sogenannten Polit-Skandalen umgegangen wird? Und ist dem überhaupt so, oder habe ich da einen falschen Eindruck (=einen zu guten von der Situation in Deutschland) gewonnen?
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Sandra am 16. Juli 2003, 17:50:19
Also, ich glaube, dass Du völlig recht hast - nicht nur im Bezug auf tatsächliche Verfehlungen, auch die Sprache ist in Österreich um vieles "lockerer" - was Beleidigungen und Halb- bzw Unwahrheiten angeht.
Ich glaube, das erklärt sich auch im historischen Kontext: In Deutschland wurde vergleichsweise mehr Wert auf eine Definition der Demokratie gelegt, auf Aufarbeitung der Diktatur - und damit ist ein viel stärkeres Demokratiebwusstsein erwachsen. Noch nicht so, dass man jetzt "zufrieden" sein könnte - aber doch wesentlich mehr als in Österreich, wo alle noch viel mehr dem "Die da oben wer'n scho wissen" anhängen - Kaisertreue kann man es auch nennen. Es ist natürlich auch die klassische "Wurschtigkeit" - "Wir können eh nix ändern" - aber ich glaube, dass es in Deutschland doch zB mehr den Gedanken gibt, dass Politiker "Diener des Volkes" sein sollten. Ich glaube auch, dass man in Deutschland - zum Teil auch durch das Verhalten NACH dem  WW2 ein anderes Klima für politische Diskurse geschaffen hat - die in Österreich praktisch völlig fehlen. Zuwenig Intellektuelle, zuwenig Interesse, zuvielDuckmäusertum und mangelnde demokratiepolitische Bildung  - und die sogenannten "Volksvertreter" können sich alles herausnehmen....
Nicht, wie gesagt, dass es in Deutschland alles Vorbildhaft wäre - aber besser als in Österreich allemal. Trotzdem glaube ich, es gibt in der Affaire Grasser im Moment nur zwei Möglichkeiten: Entweder, er steht es nicht durch, und muss gehen - oder "das Publikum" wird von der Medien"hatz" gelangweilt, und wendet sich dem Thema als Ganzes ab -dann hat er noch Chancen...
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: freek am 16. Juli 2003, 20:27:58
Ich bin der Meinung, dass Grasser bleibt, aber wir werden ja sehen, wie sich das ganze entwickelt!!!

Mfg

freek
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Martin am 17. Juli 2003, 10:08:58
Ich glaube es war der Peter Westenthaler, der gesat hat: Grasser wird auch in vielen Jahren noch einer der beliebtesten Politiker des Landes sein.
Und ich fürchte, er hat wieder einmal recht. Er wird vielleicht irgendwann in die Wirtschaft zurückgehen (wo er nicht ganz so viel anrichten kann), aber die jetzige Affäre wird er überleben, er ist ja schon so gut wie durch. Die Titelseiten der Zeitungen widmen sich wieder anderen Themen und dem Volk wird das Ganze mit jedem Tag noch "wurschtiger".

Ich finde, was in Österreich ganz dringend fehlt, ist eine gute politische Talkshow, gemacht von jemandem, der den Politikern, die mit ihm diskutieren

1.) rhetorisch in nichts nachsteht und das, sollte es notwendig werden, auch gnadenlos ausspielt

2.) sich nicht zurückhält, solange nachzuhaken und das Geschwafel zu unterbrechen, bis er eine Antwort auf seine Frage bekommt und der entsprechenden Person ansonsten einfach das Wort entzieht. Solche Fernsehdiskussionen müssen viel mehr auf den Punkt kommen!

3.) In einer gesicherten Position beim ORF ist (bei den Privaten hat so was im Moment kaum noch Sinn). Und damit sind wir beim nächsten österreichischen Problem. Damit meine ich, dass er nichts zu befürchten hat, wenn er einen kritischen (bösen) Kommentar über einen Regierungspolitiker von sich gibt oder einen solchen aus oben genannten Gründen kräftig zurechtstutzt. Wer sich das zu oft erlaubt, könnte die längste Zeit beim ORF gewesen sein. Die Regierung hat ja auch dort die besten (Partei-)Freunde sitzen.

Kurz und gut ein ernstzunehmender Polit-Talk (wie sie in Deutschland nur so aus dem Boden schießen) würde unserem Land ganz gut tun. Denn im Moment geht es meist nur darum die eigenen Lügen rhetorisch am besten zu verkaufen. In Deutschland redet man bei solchen Anlässen viel weniger ums Thema herum, bzw. sogar vorbei.
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Sandra am 17. Juli 2003, 11:35:18
Naja, ich glaube, Du vergisst dabei zwei Dinge:
1.) Der ORF hat eine Objektivitäts-Pflicht. Das heisst aber im Klartext, dass die Journalisten dort nicht so leicht einen Politiker "aufmachen" können - vor ein paar Jahren wurden einige gefeuert, die das versucht haben, weil sie eben die Objektivitäts-Pflicht vernächlässigt hätten. Seitdem traut sich keiner mehr, irgendwen mit schärferen Worten anzugreifen - innerhalb des ORF ist die "Schere im Kopf" ungemein stark, keiner will sich aus dem Fenster lehnen, weil das Haus enorm stark parteipolitisch gelenkt ist - überhaupt jetzt, die Lindner ist ja Schwarz-blau bis in's Mark, und die politischen Interventionen sind unglaublich stark - dazu kommt, dass man mit dem "Sparargument" die Journalisten jetzt noch "gefügiger" machen kann: Jeder hat Angst um seinen Job.
Und wie Du ganz richtig schreibst, sind die nicht-staatlichen Sender viel zu schwach, um derartiges Minderheiten-Fernsehen riskieren zu wollen - ausserdem kommen da die Leute auch meist ursprünglich vom ORF (wo sollen sie's denn sonst gelernt haben?) und haben das Duckmäusertum verinnerlicht.

und
2.) Unsere Politiker sind nicht gewillt, sich derartigen Fragen zu stellen - erinnere Dich, dass sogar das "profil" (für nicht-Ösis: die österreichische Variante vom Spiegel - will so sein, ist aber viel milder und braver) von etlichen Politikern einfach nicht mehr Gesprächstermine erhielt, weil die meinten, es sei so "feindlich" - nur weil die Fragen härter waren.

Nicht nur das österreichische Volk lebt geistig noch in der Monarchie - auch die Politiker tun es - nicht umsonst heissten Landeshauptleute hier "Landesfürsten" - wer hart fragt, kriegt einfach keine Antworten und wird ausgegrenzt...
Ich persönlich glaube, dass das etwas ist, was sich nur sehr sehr langsam ändern kann - und nicht zuletzt dadurch, dass  das politische Leben in der EU hier mehr eindringt.
(Habe  gerade ein paar der Leserbriefe in der "presse online" gelesen - da kommt einem echt das Kotzen, wenn man sieht, was viele Menschen für "Überzeugungen" haben - nicht zu überbieten an Rassismus, Antisemitismus, Denkfaulheit, und Obrigkeitshörigkeit....)
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: freek am 17. Juli 2003, 11:47:10
Ok, aber mal anderherum gefragt, nehmen wir mal an, dass du beim ORF arbeiten würdest, und würdest du dann deine Meinung öffentlich machen, 1 Woche würden sich alle um dich scharen, danach bist du vergessen und hast keinen Arbeitsplatz mehr...

oder du machst still deine Arbeit, sagst nix, alles geht normal weiter, und du behälst deine Arbeitsstelle...

wie würdest du dich entscheiden??


freek
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Sandra am 17. Juli 2003, 14:23:07
Also, da kann ich Dir ein Beispiel aus meiner Geschichte sagen. Ich BIN nämlich beim ORF - allerdings als freier Mitarbeiter. Habe mal in einer Sendung das Maul zu weit aufgerissen - und war sofort von ALLEN jobs gestrichen - inklusive schauspielerischen, was damit ja nix zu tun hat. Erst als monatelang alle Redaktéure protestierten, (weil sie meine Arbeit brauchten) wurde ich - beschränkt - wieder zugelassen. Einer Kollegin von mir ging es schlechter - die musste auswandern, weil sie hier nix mehr kriegte.

Du darfst nicht vergessen - es ist dünn besiedelt mit Jobs, für jeden guten Job gibt es tausende Anwärter.
(In Indien haben sie jetzt 170.000 (!) Beamte wegen Streik gekündigt, und einfach Zeitarbeiter eingestellt - wenn das hier Schule macht, macht niemand mehr den Mund auf!)
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: freek am 17. Juli 2003, 15:17:47
Genau das mein ich!!!

Und wie machst du jetzt weiter?? Schön still, oder sagst du immer noch, was du denkst??

freek
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Sandra am 17. Juli 2003, 20:27:01
 :) Klar - wenn man so gepolt ist, wie ich, sagt man immer noch, was man denkt - nur wird das "Publikum" das es hören kann, immer kleiner - wenn Dir die Medien "weggenommen" werden....
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Georg am 18. Juli 2003, 20:26:24
Ich finde es toll von dir, dass du mutig bist und weiter machst.

Ich glaub, ich würde nach der ersten Verwarnung lieber nichts mehr sagen.  :-/

Toll, weiter so!   :D
 :)
Georg
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Sandra am 18. Juli 2003, 22:48:18
Danke für das Lob, aber ich glaube Dir nicht. (Dass du das nicht auch machen würdest) Weisst du, ich glaube, wenn man wirklcih von etwas überzeugt ist, kann man garnicht verstehen, dass es die anderen nciht sind - und man denkt garnicht daran, was das jetzt "bringen" kann - man regt sich einfach nur auf...
Ich glaube ausserdem, dass gerade der häufige Gebrauch von Internet einen etwas freier macht, seine Meinung zu äussern.  Man gewöhnt sich daran, dass man auch als Einzelner was "ist".Und ich glaube fest daran, dass die jüngeren Menschen sich viel mehr trauen, und viel weniger Angstgesteuert sind als die älteren. (Bitte, sag, dass das stimmt!! :-/)
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: freek am 19. Juli 2003, 01:16:59
Tja, das ist jetzt blöd, denn ich weiß nicht, wie angsgesteuert die älteren Menschen sind, und ich weiß nicht wie mutig wir im verleich dazu sind....
Und ob ich, wie du so weitermachen würde, mit so einer Überzeugung, weiß ich auch nicht. Diese Erfahrung habe ich (leider ) noch nciht gemacht....kommt aber sicherlich noch.

freek
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: Sandra am 19. Juli 2003, 11:43:19
Weisste, ich denke, allein schon dass man sich mit dem Gedanken beschäftigt, nämlich  OB man  im gegebenen Fall Widerstand leisten würde, ist schon eine Errungenschaft - denn früher (und bei der älteren Generation sitzt das sicherlich oft noch  tief drin) war man sich ja garnicht so bewusst, DASS man Widerstand leisten KÖNNTE. Da war vom Lehrer aufwärts alles einfach "Respektsperson", die "werden schon wissen" - ist ja heute am Land häufig immer noch so...
Titel: Re: Politik in Österreich und Deutschland
Beitrag von: freek am 19. Juli 2003, 12:24:06
Ok, wenn es danach geht, dann denke ich, dass wir(junge Leute) nicht so ängstlich sind...


freek