Welchen Sinn hat Nichtwählen?

Begonnen von Bastian, 30. September 2013, 22:36:00

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Bastian

[adminedit]Verschoben aus "Sinnlose Mitteilungen"[/adminedit]
Und noch eine sinnlose Mitteilung.
Sinnlos, weil sie nicht dort ankommt, wo sie ankommen soll, und weil sie bis zur nächsten Bundestagswahl wohl schon wieder vergessen sein wird.

Nichtwählen hilft den Parteien mit treuer Stammwählerschaft und zementiert bestenfalls den Status quo.

Ist ganz einfach. Ein Beispiel:
Gegeben seien hundert Wahlberechtigte und eine angenommene Stammwählerschaft von absoluten 40 CDU-Wählern*:

Wenn 40 von 100 Merkel wählen, hat sie 40 Prozent.
Wenn 40 von 80 Merkel wählen (20 entscheiden sich zur Nichtwahl), hat sie 50 Prozent.

Zu glauben, durch Nichtwählen etwas Positives für sich selbst zu erreichen, ist eine reine Illusion. Mag man sich noch so schlau vorkommen. Man kann auch ziemlich klar sagen, wer vom Nichtwählen profitiert: Es profitieren die konservativen Parteien, weil deren Wähler zur Wahl gehen. Und es profitieren die Parteien mit extremistischen Forderungen, weil sie
a) einen Teil des Ärgers für sich zu nutzen wissen und b) bei niedriger Wahlbeteiligung evtl. die Fünf-Prozent-Hürde knacken können.

Will der Nichtwähler das?

Nichtwähler sind ein großer Teil genau des Problems, das sie so gerne als Grund für ihr Nichtwählen angeben. Und sollte es zu Neuwahlen kommen, hoffe ich, dass der ein oder andere das nochmal überdenkt.


*Ich wollte das Beispiel kurz und klar halten. Man kann natürlich auch SPD oder jede andere Partei mit einigermaßen treuer Wählerschaft einsetzen.

Heiko

#1
Ob es sinnvoll ist, diese Debatte hier zu führen?

Zitat von: Bastian am 30. September 2013, 22:36:00
Zu glauben, durch Nichtwählen etwas Positives für sich selbst zu erreichen, ist eine reine Illusion.
Zu verbreiten, dass durch Wählen etwas Positives für sich selbst zu erreichen wäre, ist Bauernfängerei.

Ob ein SPD-Kanzler am Status quo etwas ändern wollte, geschweige denn könnte, wage ich doch stark zu bezweifeln. Zu Wählen bewirkt bestenfalls keine Änderungen, also eine Befriedung der bestehenden Ungerechtigkeiten. Nichtwählen hingegen untergrübe die Legitimation der Politiker. Wie wollte sich Politik noch rechtfertigen, würde die Wahlbeteiligung auf, sagen wir mal, unter 20% sinken? Der elitäre Charakter dieser Veranstaltung, der heute noch bis zu einem gewissen Grad verschleiert werden kann, weil die Leute sich durch moralische Appelle an die Urne treiben lassen, würde offensichtlicher.

Nun habe ich noch nie nicht gewählt, höchstens mal eine ungültige Stimme mit politischen Statement abgeben. Hätte ich diesmal die Grünen gewählt, zum Glück habe ich es nicht, käme ich mir jetzt ziemlich verarscht vor. Denn ich hätte es natürlich wegen des Wahlprogrammes getan und nicht dafür, dass jetzt die Kretschmanns, Palmers und Habecks eine inhaltliche Kehrtwende durchdrücken wollen. Da kann ich schon verstehn, dass manchen die Lust an der Stimmabgabe vergeht.

Zitat von: Bastian am 30. September 2013, 22:36:00
Und sollte es zu Neuwahlen kommen,
wäre das ja wohl eine Bankrotterklärung der repräsentierenden Parteien. - Man kann doch nicht sagen, uns gefällt euer Wahlergebnis nicht, macht das nochmal. Nein, bevor es zu Neuwahlen käme, müsste die Union als Wahlgewinner in die Pflicht einer Minderheitsregierung genommen werden. Die handvoll Stimmen, die ihr zur Mehrheit fehlen, würde sie mit guter Politik von Fall zu Fall von der Oppostion schon bekommen.
Konsequent betrachtet, bräuchte es überhaupt keine Regierung, um Politik zu machen. Es könnten auch so Anträge ins Parlament eingebracht und darüber abgestimmt werden.
"I would prefer not to."

Bastian

Hallo Heiko,

(ich hab es mir mal erlaubt, dem Thema einen eigenen Thread zu geben)

mit dem Untergraben der Legitimation hast Du sicher Recht. Ich finde es auch interessant, dass es, soweit ich weiß, in Deutschland kein Quorum für Bundestagswahlen gibt, unter welchem eine Wahl ungültig wäre (anders als bei den nun langsam anlaufenden Bürgerentscheiden - da baut man ja noch regelrecht auf die Passivität der Bürger ).

Sicher würde es Diskussionen geben und Forderungen an die "politische Kaste", wenn die Wahlbeteiligung an der 50%-Grenze nagte. Dann setzten sich der von Arnim und der andere Runzelgesichtige (dessen Name mir gerade nicht einfällt) in die Talkshows und würden gen oben protestieren. Aber rechtlich gesehen ist es ja vollkommen klar: Es ist ja völlig wumpe, ob 40 Millionen zur Urne schreiten, oder nur Du und ich - beispielsweise.

Darum treibt's mich ja um. Ich hätte, wenn ich in Deutschland denn wählen dürfte, selbst sehr große Schwierigkeiten gehabt, eine Partei wirklich zu wollen. Und ich wäre ja mit einer 60%igen Übereinstimmung noch recht zufrieden. Ich hab mich ständig gefragt, wen ich denn wählen würde. Motivation pro Wählen sollte sich jedenfalls anders anfühlen, finde ich...

Dem gegenüber steht aber eben auch die Tatsache, dass mein Verzicht auf meine Stimme nur diejenigen begünstigen würde, die mich ja so frustrieren.
Und dann ist da natürlich noch die von mir so empfundene Pflicht oder Aufgabe, Schlimmes verhindern zu wollen, der ich gerne nachkäme (, wenn ich denn dürfte, aber lassen wir das mal beiseite). Es scheint ja ein immer Leichteres zu werden, mit extremen Forderungen in den Bundestag zu kommen. 0,3%Punkte mehr, und die AfD säße drin. Würden sich mehr Menschen an der Wahl beteiligen, wären solche Parteien weiter weg vom Einzug ins Parlament.

Da wäre natürlich noch die "Partei der Nichtwähler" (gewesen), nur wie wählt man die?

ZitatNein, bevor es zu Neuwahlen käme, müsste die Union als Wahlgewinner in die Pflicht einer Minderheitsregierung genommen werden. Die handvoll Stimmen, die ihr zur Mehrheit fehlen, würde sie mit guter Politik von Fall zu Fall von der Opposition schon bekommen.
So denke ich auch. Es wäre auch eine gute Möglichkeit für jeden einzelnen Parlamentarier, sich seinem Souverän als souverän zu präsentieren.
Nur hängt das, wenn ich das recht verstehe, an Gauck. Er wäre es, der Merkel zu ihrem Pech (oder doch Glück??) zwingen müsste, indem er keine Neuwahlen ausruft. Oder sehe ich das falsch?

Ich denke, es mangelt an direkter Bürgerbeteiligung. Und je länger ich das hinterfrage, desto klarer wird mir das. Ich meine, man könnte besseren Gewissens das geringere Übel wählen, wenn man sich sicher sein könnte, dass man Einzelentscheidungen gemeinsam korrigieren oder kippen dürfte. Aber das gehört vielleicht in den anderen Thread.

Also bleibt die Frage: Was hätten wir davon, wenn wir nicht wählten?

Burkhard Ihme

#3
Zitat von: Heiko am 02. Oktober 2013, 16:14:43Wie wollte sich Politik noch rechtfertigen, würde die Wahlbeteiligung auf, sagen wir mal, unter 20% sinken?
Und ist das nicht genauso ein sinnloses Scheinargument? Genauso gut könnte die MLPD oder die PARTEI die Stimmen der 80 % Nichtwähler bekommen. DANN würde sich was ändern!


Zitat von: Heiko am 02. Oktober 2013, 16:14:43Konsequent betrachtet, bräuchte es überhaupt keine Regierung, um Politik zu machen. Es könnten auch so Anträge ins Parlament eingebracht und darüber abgestimmt werden.
Hoppla, da hat jemand das Prinzip der Gewaltentrennung nicht durchschaut. Die Regierung ist eben gerade NICHT dazu da, Gesetze zu machen. Und der Bundestag hat wohl kaum die Befugnisse, den Beamten, die auch ohne Regierung in Berlin herumwirtschaften, irgendwelche Weisungen zu geben.

Clas

#4
Moin, moin,

offenbar geht es auch ohne Regierung. Haben die Belgier über einen längeren Zeitraum ausprobiert.  Und (edit: Die Tante hat das Wort "Beamte" verschluckt:) Also: Beamte brauchen Ruhe, nicht Weisung...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Heiko

Hallo Burkhard,
ja, mit deinem ersten Punkt hast du recht. Bin in der Nachbetrachtung auch zu dem Schluss gekommen, dass nicht jede steigende Wahlbeteiligung stabilisierend wirkt. Umgekehrt aber stimmt es, niedrige Beteiligung destabilisiert. Bastians Argument, Merkel, Lucke und NPD seien allein mit höherem Wahlanteil zu verhindern, teile ich jedenfalls nicht. Im Gegenteil.

Dein zweiter Punkt ist schwer zu verstehen. Du sprichst von einer verselbstständigten Bürokratie, die ohne Regierung nicht mehr zu beherrschen wäre?


Hi Bastian,
Nichtwähler sind ein Symptom nicht die Ursache des Problems. Ich finde es nicht ok, dass du ihnen die Schuld auflädst.

Zitat von: Bastian am 30. September 2013, 22:36:00Nichtwähler sind ein großer Teil genau des Problems, das sie so gerne als Grund für ihr Nichtwählen angeben.

Genau, und würden sie wählen, wären sie ja schließlich Wähler und kein Problem mehr. Also wenn wir nur 95% Beteiligung hätten, wäre die Demokratie gerettet und der Status-quo würde auch noch überwunden werden. Nein, wer wählt, wählt nicht nur Partei X, sondern sagt grundsätzlich JA zu einer beliebigen Regierung. Unwidersprochen ist eine gewählte Herrschaft besser als eine ohne Mitbestimmung, trägt sie jedoch gleichzeitig auch zur Verfestigung der freiwilligen Knechtschaft bei.
Nichtwähler-Bashing betreibt auch der Spiegel z.B. mit diesem Titelbild. Nichtwähler werden als dumm, faul und gefährlich dargestellt. Wer kennt sie nicht? Frustiert pöbelnd kriegen sie den Arsch nicht hoch und verstehen ihre Verantwortung nicht. Ich empfinde das als sozialchauvinistisch. Erst werden Teile der Bevölkerung ausgegrenzt, unter Wohn- und Lohnzwängen gehalten, der gerechte Anteil vorenthalten, vergiftet mit Fast-Media, dann wird ihnen gesagt, wir sind alle gleich, weil wir ja alle eine Stimme haben. Nur dass diese Stimme in einer unfreiwilligen 80-Millionen-Gemeinschaft einen billigen Spott wert ist, solange man keine ökonomischen oderund kulturellen Kapitalien besitzt. Und wenn man sowas hat, fährt man auch gut ohne Wahlrecht.

Sollte ein Selbstzweck höhere Wahlbeteiligung wirklich wünschenswert sein, würde ich als erstes eine Absenkung der Sperrhürde empfehlen. Etwa 16% ausgegrenzte Stimmen wie aktuell sind eindeutig mehr als zu viel. Dann wären eben Parteien wie ADHS oder Primaten im Parlament. Nicht mehr Weimarer Vielfalt ist die Gefahr, sondern Bonner Alternativlosigkeit. Gesellschaftliche Zersplitterung wird nicht verhindert, indem man sie strukturell verbietet.

Ach und abschließend, es ist in Ordnung und nachvollziehbar, dass du das Thema verschoben und neu betitelt hast. Auch wenn ich unter dieser Überschrift sicher anders reagiert hätte.
Weißt du, ich finde deine Frage wird schon falsch gestellt. Wahlen sind nicht der gesellschaftliche Urzustand und Nichtwähler dessen Abnormität. Die native Frage muss lauten:

Unter welchen Bedingungen ergeben Wahlen Sinn?


Moin Clas,
ja Belgien, mit seiner kulturellen Zerrissenheit sicherlich geschlagen, hat über ein Jahr lang gezeigt, weder Staat noch Nation gehen ohne Regierung sofort zugrunde.


Feine Grüße
Heiko
"I would prefer not to."

Bastian

#6
Zitat von: Heiko am 06. Oktober 2013, 16:55:18Hi Bastian,
Nichtwähler sind ein Symptom nicht die Ursache des Problems. Ich finde es nicht ok, dass du ihnen die Schuld auflädst.

Hallo Heiko,

mir geht es nicht darum, jemandem "die Schuld" aufzuladen. Nichtwählen kann ja eh Symptom und Ursache zugleich sein: Symptom als Folge der Unzufriedenheit (das würde ich als eine Frage der Motivation ansehen); Ursache insofern, als dass das Nichtwählen die bestehende, unzufriedenmachende Situation ja nur verfestigt oder gar in Richtung unkontrollierbar verschärft, ohne auf eine Veränderung hinzuarbeiten. Nichtwählen als Lösung (im Sinne von Zweck) scheidet deswegen und schon aus arithmetischen Gründen (s.o.) aus. Da mag man sich selbst oder auch anderen einreden, durch Wahlboykott die Verhältnisse zum Besseren ändern zu wollen/zu können - in meinen Augen ist das ein Selbstbetrug. Man strickt an dem eigenen Frust.

Die Analogie ist ziemlich platt, aber: Es ist vollkommen wurscht, wer Deine Bude angezündet hat. Wenn Du nicht löschst, ob aus Trotz oder Überzeugung, dann brennt deine Bude ab. Deine. Und die deiner Mitbewohner.

Nö. Frust, der sich in Passivität niederschlägt, nimmt keinen eigenen Einfluss auf die Verhältnisse. Im Gegensatz zum Henne-Ei- Problem ist der Nichtwählerfrust ein Henne-Ei-Problem, deswegen schrieb ich ja dass das Nichtwählen "Teil des Problems" ist - ohne nach "dem Schuldigen" zu suchen.



Die Frage "Unter welchen Bedingungen geben Wahlen Sinn?" hat was und lässt mich ein wenig brüten...

...

Die Frage geht davon aus, dass Bedingungen gegeben sind und nicht genommen werden. Die Vergangenheit zeigt aber, dass es unter gewissen Bedingungen gar keine Wahlen mehr gibt. Also muss man dafür sorgen, dass man auch in Zukunft die Wahl hat.

Wie Du sagst sind Wahlen eben nicht der gesellschaftliche Urzustand und Nichtwähler keine von diesem Zustand abweichende Abnormität. Ich denke, dass dieses friedenerhaltende Konstrukt von einer Generation zur Nächsten erklärt und in seiner Sinnhaftigkeit und Konsequenz dargelegt werden muss. Es ist eine Leistung, eine Entscheidung, eine Aufgabe, vor der man steht. Es fordert eine aktive Auseinandersetzung. Und die verträgt Passivität nur "in dem Rahmen, so lange es das Konstrukt noch gibt". So ungelenk würde ich das sagen. Man kann ein Wahlrecht auch verspielen.


On/Offtopic: Mehr schaff' ich heute nicht. Bin mühüüde, weil ich über's WE unterwegs war und heute früh raus musste.
Hat was mit Kreisler zu tun, mehr dazu in einem anderen Thread.

Gute Nacht allerseits!

Grüße
Bastian

Bastian

Zitat von: Heiko am 06. Oktober 2013, 16:55:18Sollte ein Selbstzweck höhere Wahlbeteiligung wirklich wünschenswert sein, würde ich als erstes eine Absenkung der Sperrhürde empfehlen. Etwa 16% ausgegrenzte Stimmen wie aktuell sind eindeutig mehr als zu viel. Dann wären eben Parteien wie ADHS oder Primaten im Parlament
Ja, ich verstehe auch nicht, wieso z.B. eine ein-Sitz-Klausel, die m.E. viel besser zu begründen wäre (schon allein aus Gründen der Bequemlichkeit) verfassungswidrig sein soll - die 5%-Klausel aber nicht als antidemokratisch erkannt wird. Schließlich wandern da Millionen von Stimmen in den Papierkorb. Abgesehen davon stelle ich mir ein Parlament mit ein paar ADHSlern und Protozoen wesentlich lebendiger vor, als diese ewige drei-vier-fünf-Parteien-Konstellation.

@Clas: Vielleicht hat die Tante es ja gar nicht verschluckt, sondern auftragsgemäß irgendwohin gebeamt?

Burkhard Ihme

Hab grad den allgemeinen Verschwörungsthread nicht gefunden.

Hier geht es um Wahlbetrug. Ich kann nicht beurteilen, ob da ein Wort wahr ist. Aber das fällt dann schon unter Verschwörungstheorie der idiotischeren Sorte:

ZitatEin Demokratieproblem sehen wir auch in der Verteilung der Sitze, denn dabei wird der Süden aufgrund der größeren Bevölkerung eindeutig bevorzugt.


Genauer gesagt dominiert er mehr als die Hälfte aller Sitze, und zwar im Bundesrat und Bundestag. Damit kontrolliert der Süden den Rest des Landes.


Es muss einen nicht wundern, dass sich ausgerechnet im Süden die meiste Industrie angesiedelt hat. Zu Deutsch: Der Norden und Osten kann wählen was er will – er wird immer verlieren, was einen weiteren Wahlbetrug darstellt.

Heiko

Was halten eigentlich US-Gangsta-Rapper vom Nichtwählen?

Zum Kontext: Stan (mit der blauen Mütze) soll sich für die Wahl zum Schulmaskottchen zwischen einer Kotstulle und einem Rieseneinlauf entscheiden. Er  will und kann das nicht und wird daraufhin unter massiven sozialen Druck gesetzt.

Die Kampagne "Vote or Die!" gab es übrigens tatsächlich!



"I would prefer not to."