Krim: die Neuauflage der Sovietunion?

Begonnen von Bastian, 14. März 2014, 12:39:36

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Bastian

Die Bewohner der Krim sind gezwungen, am Sonntag über ihre Abhängigkeit abzustimmen. Die Alternativen: Beitritt zu Russland, oder Zustimmung zur Annexion durch Russland binnen kürzester Zeit.
Ein Verbleib in der Ukraine ist nicht vorgesehen.

Ich hätte, bei all meinem Pessimismus, nicht gedacht, dass ich nach dem Zusammenbruch der Sovietunion ein solches Theater nochmal geboten bekomme...

Heiko

Tja, ohne Krim(i) wollte der Putin wohl nicht ins Bett.

Eine Neuauflage der Sovietunion sehe ich deswegen nicht, zumal die Bezeichnung "Rätevereinigung" für dieses zentralistische Monstrum schon damals eine Farce war. Es gibt auch keine grundsätzliche ideologische Gegnerschaft mehr, sondern nur noch eine der nationalistischen Interessen innerhalb einer dominanten, kapitalistischen Weltordnung.
Irritierend ist die imperiale Erweiterung des russischen Staatsgebietes zwar irgendwie schon, da man seit der deutschen Wiedervereinigung Staaten vor allem hat zersplittern sehen. Aber die medial verbreitete Frage nach einem neuen Kalten Krieg, empfinde ich als scheinheilig, da dieser doch offensichtlich nie vorbei war, angesichts der US-Militärstützpunkte in weit mehr als 100 Staaten, viele davon eben gerade an den Grenzen Russlands auf ehemaligen Sowjetgebiet.
"I would prefer not to."

Bastian

Zitat von: Heiko am 20. März 2014, 00:02:51
Es gibt auch keine grundsätzliche ideologische Gegnerschaft mehr, sondern nur noch eine der nationalistischen Interessen innerhalb einer dominanten, kapitalistischen Weltordnung.

Ja. Was mich zu der Frage bringt, ob ein Sozialismus interruptus an Stelle des Kommunismus Kapitalismus zur Folge hat? Für ein paar Wenige, versteht sich. Aber ich jongliere da mit Güterwaggons und habe zu wenig Marx gelesen, als dass ich mich da fundierter äußern könnte. Die russischen Oligarchen machen jedenfalls nicht den Anschein, dass aus Russland neue staatstragende Utopien zu erwarten sind.

Clas

Moin, moin,

dadervon mal abgesehen, scheint mir das Volk der Ukrainer auch wenige Sympathen aufzuweisen... Die Frau mit der Zopfkrone? Der Faustkämpfer? Die Svobodisten?

Nein. wirklich nicht.

Dann gab es letztens im Radio so ein Statement eines ukrainischen Oligarchen und Milliardärs, von dem im Nebensatz gesagt wurde, er habe die Demonstrationen auf dem Maidan finanziert. So als Erläuterung, man kenn die ja nicht so, die Leute da. Und die Politik hierzulande, die dann in gockelige Drohgebärde verfällt und kriegerisches Getön von sich gibt:

Nein, wirklich nicht.

Und im Schatten dieses Getöses kommt dann doch das Freihandelsabkommen, und dann muss man plötzlich dafür zahlen, dass man vielleicht mehrheitlich und rechtlich abgesichert keine, sagen wir: Gentechnisch veränderten Nutzpflanzen oder -tiere haben möchte. Oder keine AKWs.

Damit meine ich nicht, das sei alles nur dazu inszeniert, aber man wird das so nutzen wollen...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Clas

Moin, moin,

Sozialismus interruptus ist eigentlich undenkbar, weil die Geschichte ja gesetzmäßig gerichtet verläuft und ein Ziel hat...

Tut sie nicht, und hat sie nicht, aber, wenn ich richtig orieniert bin, meinte Hegel das und auch Marx, wobei die Ziele, die die beiden sahen und die Richtungen, in denen die sich fänden, sich schon unterscheiden...

Abgesehen von der Theorie, weist ja nun die Praxis die urplötzlich urzeugungshafte Entstehung des Finanzhaies aus dem Staub des Zusammenbruches aus, und dass er sich sein Ökotop nach seinen Kräften, Bedürfnissen in Windeseile richtet, wie er es braucht...

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Heiko

#5
Wenn ich richtig über Marxens Theorie der historischen Determination informiert bin, sollte der Staat nach dem Sieg des Kommunismus absterben. In der sowjetischen Praxis war man davon wohl nicht sehr begeistert und hat sich mehr an Lenins Pragmatismus und Stalins Perversitaten orientiert.

In der Ukraine gab es ab 1917 übrigens eine eigenständige revolutionäre Entwicklung der anarchistischen Selbstorganisation, die sogenannte Machno-Bewegung, die sich zunächst erfolgreich gegen die verschiedenen konterrevolutionären Kräfte gewehrt hat, um letztlich von den Bolschewiki unter Trotzkis Führung 1922 niedergeschlagen zu werden.

Man kann an dieser Episode erkennen, dass die Ukraine seit jeher Spielball der Großmöchte war - und Utopien müssen nicht immer staatstragend sein.

Arschinoff: Die Geschichte der Machno-Bewegung

Volin: Die unbekannte Revolution + Rezensionen

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"I would prefer not to."

Heiko

aus konkret 04/14, S. 10, Rubrik "Herrschaftszeiten":
Zitat"Liebe Nutzer, bitte halten Sie sich beim Verfassen von Kommentaren an unsere Nutzungsbedingungen! N24 duldet keine prorussischen bzw. antiamerikanischen Kommentare, diese werden unverzüglich von uns entfernt!"

Hinweis in der Online-Kommentarspalte des Fernsehsenders N24
"I would prefer not to."

Bastian

Ui, ist das echt?
N24 - eh schon kein Aushängeschild für Journalismus. Ich denke da nur an die eingekauften Werbefilme ("Dokus") für amerikanische Rüstungsgerätschaften. Wie die immer pünktlich zu amerikanischen Auslandseinsätzen eingespielt werden, ist schon bemerkenswert.

Wieder lese ich einen durchaus interessanten Artikel zur Frage, wie unabhängig die Ukraine überhaupt sein kann.
http://www.zeit.de/2014/14/ukraine-unabhaengigkeit
Ich finde es ohne Zweifel interessant, wie aus der Historie begründet wird, warum die Ukraineals solche eigentlich gar nicht existiere. Und dass sich "der Westen", insbesondere Deutschland, sich da zurückhalten solle. Und ich lese viel Sympathie in den Kommentarspalten. Nur frage ich mich, auf was man sich in Zukunft verlassen können soll, wenn die Integrität heutiger Grenzen in Frage gestellt wird.
Stellen diejenigen, die da applaudieren, ebenfalls in Frage, dass das Sudetenland zu Tschechien gehört? Mir ist sehr unwohl.

Und was tun, wenn "der Westen" in fernerer Zukunft eventuell Russland retten muss? Ich frage mich, ob die Aussicht darauf nicht weit demütigender sein muss, als die Tatsache, dass der Warschauer Pakt nicht gehalten hat.
http://www.nzz.ch/meinung/debatte/putins-schuss-in-den-eigenen-fuss-1.18273856

Bastian

Interessanter Artikel: Hauke Janssen von der Zeit widerlegt Helmut Schmidts Aussagen zur Annexion der Krim und kommt zu dem Schluss...

Zitat...
Fazit: Schmidt hat kein völkerrechtlich tragfähiges Argument zur Annexion der Krim.
Note: ein "Ungenügend" für den Altkanzler (6)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/faktencheck-helmut-schmidt-und-das-voelkerrecht-a-961654.html

Clas

"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

Danke, interessanter Text. Wobei ich hinterfragen würde, dass die NATO per se eine Bedrohung für Russland darstellt. Das wird so zwar nicht geschrieben, müsste aber unterstellt werden, wenn die gebrochene Übereinkunft zur Deutschen Einheit angebracht wird, und Beitritte ehemaliger Paktstaaten zur NATO als als Akt gegen den man sich (u.a. durch Annexion) wehren müsse, gewertet werden.

Clas

Moin Bastian,

per se vielleicht wohl nicht, aber traditionell und vor allem dort gefühlt wohl schon... ich könnte mir vorstellen, dass dort die Nato und die westlichen Imperialisten das Spiegelbild zum hier gefürchteten Russen sind, der dazumal durchaus Tatare oder Ukrainer sein konnte und nicht unterschieden wurde... Wobei die deutsche Einheit dafür spricht, dass die russische Sichtweise differenzierter war...

Muss los!

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...