AntiG8 Gipfel 2007 - Fight the future!

Begonnen von Lanie, 17. Mai 2007, 14:18:33

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niels

Damit, dass ja doch Arbeitsplätze geschaffen werden, scheint man ja heute fast alles legitimieren zu können. So entfällt dann auch die Frage nach Sinn oder Unsinn einer Betätigung.

Das Verhalten, das du beschreibst, also sich daneben zu benehmen, weils halt alle tun, wird ja vom aktuellen Zeitgeist noch kräftig unterstützt, mit Ich-AG, Sozialdarwinismus, Individualismuskult, homo oeconomicus usw. Der Mensch ist halt Durchschnittsegoist und jeder schaut für sich. Eine düstere Ideologie.

Guntram

Was willst du eigentlich?

Jetzt die Ich-AG  und was heißt Individualismuskult. Ich finde es gut wenn jemand selbst etwas auf die Beine stellt und wenn es noch gefördert wird, ok. Wer unabhänig von einem Arbeitgeber arbeiten kann ist doch unabhänig von wenn alle so arbeiten könnten wäre das doch das Ende der bösen Großindustrie.

Ich bin gerne ein Individuum, das individuelle Entscheidungen treffen kann. Ich hasse im Gleichschritt marschierende Massen. Sieht zwar gut aus, aber der Durchschitts IQ ist solcher Massen tendiert eher nach unten. Die Fortschritte der Menschheit seit Urzeiten begründet sich auf individuelle Leistungen, also ein Hoch auf den Individualismus. Das ist kein Kult sondern Notwendigkeit. wir brauchen mehr Individualisten, das sind zumeist kreative Denker, Künster, Genies die die Ideen der Zukunft produzieren. Die Masse bringt das nicht, die rennt nämlich diesen Vordenkern nur hinterher. Leider manchmal auch den Falschen. Aber irren ist menschlich und man kann immer aus seinen Fehlern lernen.

"Gott denkt in den Genies, träumt in den Dichtern und schläft in den übrigen Menschen." (André Heller)

Ich finde das ist ein wares Wort
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Werner

Über Heller muss man m.E. nicht allzuviele Worte verlieren, aber dieser Satz - falls er das wirklich so gesagt hat - ist in meinen Augen eine Frechheit, den ohne die "schlafenden Übrigen", bzw. deren Geld, würde sein Zirkus wohl recht zügig implodieren.
Die grössten Fortschritte der Menschheit - wiewohl fast nichts davon zu einer menschlicheren Gesellschaft beizutragen vermochte - "verdanken" wir leider der Kriegskunst, unwiderlegbar. Tröstlich wäre der Gedanke, wenn im Kern verminderte Intelligenz zugrunde läge - leider ist wohl das Gegenteil der Fall. Das gilt auch für die schönsten Bauwerke vergangener Zeiten, alle stehen auf unzähligen Knochen.

niels

#128
Ist leider so. Heisst aber nicht, dass das immer so bleiben muss.

@ Guntram:
Wir müssen unterscheiden zwischen dem Individualismus als philosophischem Anspruch und dem Individualismus als moderner propagandistischer Ideologie. Diese zwei Dinge in eins zu setzen finde ich ziemlich verheerend.

Ersterer fordert die freie Entfaltung des Individuums und seine Möglichkeit, selbständige Entscheidungen zu treffen unabhängig von Zwang oder Konformismus. Das gehört, so nehme ich doch an, zu den absoluten basics fortschrittlichen Denkens, und dass du annimst, dass ich dagegen argumentiere, finde ich befremdlich, nach alledem, was ich hier sonst so zusammengeschrieben habe.

Der Individualismus, von dem ich spreche und den ich eben als Kult bezeichne, ist aber etwas völlig anderes. Er gehört zusammen mit den anderen Begriffen, Ich-AG, homo oeconomicus usw. Er versteht den Einzelnen als prinzipiell egoistisches Konkurrenzsubjekt, das stets auf den eigenen Vorteil bedacht ist, und zu diesem Behuf alle anderen nach Möglichkeit aussticht. Die Rede von der Ich-AG legt nahe, dass ein jeder sich originell überlegen darf, wie er seine Haut am Besten zu Markte trägt. Die beste Ich-AG ist selbstverständlich jung, gesund, kreativ, flexibel, belastbar und so weiter. Hier wird bereits deutlich, dass dieses Begriffensemble mit freier Entfaltung wenig zu tun hat, sondern im Gegenteil eine neue Qualität der (Selbst-)Ausbeutung mit knusprigen Worten an den Mann bringt.

In der "Dialektik der Aufklärung" haben Adorno und Horkheimer sehr einleuchtend herausgearbeitet, dass im modernen Verständnis von Individualismus zudem eine brutale und umfassende Gleichmacherei angelegt ist. Das zeigt sich auch im Kulturbetrieb. Gerade heute, wo der grösstmögliche Pluralismus zu obwalten scheint, schmeckt einfach alles gleich. Jede Jugendkultur, die gegen die Verhältnisse protestieren und neue Perspektiven eröffnen will, wird umgehend absorbiert, vereinnahmt, vermarktet, gehypt etc. und damit wirkungsmächtig unschädlich gemacht. Zuletzt ist es dann wurscht, ob man jetzt Punk macht oder Pop oder freche Performancekunst oder anklagende politische Lieder, es sind bloss unterschiedliche Brands, Waren, Verkaufsobjekte.

Freie Individuen sind mir das wichtigste. Aber so, wie Individualismus heute zubereitet wird, führt er zur Vereinsamung (siehe Grossstadtalltag, psychiatrische Kliniken etc.). Egal wie frei wir sind, wir brauchen andere Menschen, Gemeinschaftlichkeit, Kooperation. Sonst vertrocknen wir.

PS: Zu welcher der drei Kategorien zählt sich eigentlich der Heller selbst?


whoknows

ZitatDie Rede von der Ich-AG legt nahe, dass ein jeder sich originell überlegen darf, wie er seine Haut am Besten zu Markte trägt. Die beste Ich-AG ist selbstverständlich jung, gesund, kreativ, flexibel, belastbar und so weiter. Hier wird bereits deutlich, dass dieses Begriffensemble mit freier Entfaltung wenig zu tun hat, sondern im Gegenteil eine neue Qualität der (Selbst-)Ausbeutung mit knusprigen Worten an den Mann bringt
Schön gesagt, aber Du lässt aus, dass diese Form der Individualisierung vor allem eines propagiert: den Kampf gegen andere! Es ist eben nicht ein "Jeder für sich" sondern vielmehr ein "Jeder gegen alle", und das wird befördert durch den Quacksprech, den Du so treffend zitierst.
Individualismus ist was feines - wenn er nicht, wie eben  jetzt von den sogenannten "Kräften des Marktes" für eigene Ziele instrumentalisiert wird.
Ich halte es übrigens für ziemlich fatal, wenn sich der Staat zunehmend aus den wirtschaftlichen Verantwortungen stiehlt.

Übrigens: die Jugend, denke ich, weiss sich zu helfen, und das merkt man auch: Post Punk hat es eine Weile gedauert, bis sich eine neue "Jugendkultur" gebildet hat - HipHop - und nachdem auch diese sofort vereinnahmt wurde, zeigt sich wieder mal nix Neues am Horizont. Denn die Jugend, immer bereit nicht nur Grenzen zu sprengen, erkennt, dass sie seit Jahrzehnten von der etablierten Kulturindustrie dazu benützt wird, neue Ideen zu haben - die sich dann für den Konsumenten umsetzen lassen. Es war quasi die "Aufgabe" der Jugend, die Kultur voranzutreiben. Da die Jugend in eine bestehende Kultur hineingeboren wird, ist es klar, dass es ihr Anliegen werden muss, eine neue, eigene Kultur zu schaffen - die bestehende Kultur vereinnahmt diese - und ergo ist die klassische Verweigerungshaltung, die Jugend haben MUSS, obsolet - es sei denn: die Jugend verweigert sich der Erschaffung neuer Kulturen. Und ich habe den Eindruck, das passiert jetzt. Ergo sind Shell-Studie und andere Jugendforscher völlig ratlos, hehe.

niels

Das wäre dann die politische Brisanz der Entpolitisierung. Bin ich nicht so sicher, aber ganz so traurig, wie ich das eben dargestellt habe, steht es um die Jugendkultur auch wieder nicht, da hast du wohl recht.

Kommerz bleibt ja Kommerz und als solcher zum Glück immer erkenn- und auslachbar. Der vereinnahmte, kommerzialisierte Punkrock zum Beispiel stinkt ja gegen den Wind nach Geld, er ist immer etwas zu affektiert und aufgemotzt, und man wird ihn immer unterscheiden können vom wirklich dreckigen, kaputten Anarchopunkgeröhre. Und ähnlich verhält es sich auch mit den anderen gekauften Bewegungen. Das ist irgendwie wohltuend.

whoknows

Hier in Berlin Kreuzberg bekommt man ganz und garnicht den Eindruck, die Jugend sei "Entpolitisiert" - manchmal sind sie sogar für mich persönlich ein bissel ZU sehr im 80er-Demonstrier-Modus gefangen. ;)

Und du hast Recht: Die sogenannte Entpolitisierung, das angebliche politische Desinteresse - auch das macht Druck für Veränderungen in der Politik, und nicht zu knapp. Ich würde mir ja wünschen, dass man endlich das Wahlalter auf 15 oder 16 senkt - das würde sehr schnell sehr viel Resultate bringen.

Bassmeister

Zitat...Klar, man muss dafür sorgen, dass die Menschen Jobs, Lebensqualität und arbeitsrechtliche Mindestbestimmungen behalten können - aber: wenn wir dafür sind, dass die sogenannte "dritte Welt" sich verbessert, dann müssen wir zugleich in Kauf nehmen, dass sich die Qualitäts-standards ANGLEICHEN - dh es kann nicht gehen, dass es uns weiter immer besser und besser geht, und den menschen in Afrika auch - logischer weise werden wir etwas von unserem Wohlstand abgeben müssen - und Wohlstand heisst eben auch: die Untergrenze der arbeitsrechtlichen Mindeststandards wird hier wohl etwas sinken, wenn sie sich "drüben" etwas anhebt - um der Konkurrenzfähigkeit Willen. ... Also: wir müssen uns wohl oder übel etwas einschränken, wenn wir teilen wollen. Auch wenn's schwer fällt.

Nur wird das leider wieder mal die Falschen  treffen. Wer heute 5 bis 6 Euro in der Stunde verdient, bekommt dann vielleicht noch 4,50 oder so. Während einen Manager, den 10000 weniger im Jahr nicht so jucken würden, sich da wohl kaum wird ans Bein pinkeln lassen.
Der erwähnte Streßpegel wird noch mehr steigen und die Spannung im Lande wird noch größer werden.
Man wird insgesamt - hüben wie drüben - menschenfreundlicher denken müssen, wenn wir was in Richtung Überleben erreichen wollen.

[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

whoknows

#133
Das sind aber verschiedene Probleme (auch wenn alles natürlich immer zusammenhängt) aber dass die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr aufgeht, ist eine völlig logische Folge.  Wenn es eine Schere gibt, geht sie weiter auf. (Eine einkommenssteigerung von 10% heisst bei gut Verdienenden eben viel mehr, also: Schere)
Und das muss man dann separat bearbeiten und versuchen, da entgegen zu wirken. Da ist dann eben eine staatlich geregelte Solidaritätsgegenmassnahme erforderlich. (hat ja niemand je gesagt, dass es einfach ist, Staaten zu lenken)

Ebenso übrigens mit der "Frauen-Frage". Das ist auch noch eine Schere.
Im Moment ist es nämlich nicht so, dass die Frauen, die im Westen mehr arbeiten, und also auf diesem (sic)  Gebiet langsam einer Gleichberechtigung entgegensehen können, auf Haushaltstechnischen Gebieten von den Männern entlastet werden. Entweder, sie haben eine Doppelbelastung - oder: sie engagieren andere Frauen, die diese Arbeit (Kindermädchen, Haushälterinnen) dann leisten - oft genug aus weit entfernten Ländern - so dass diese Frauen dann ihre eigenen Kinder zurücklassen müssen. Arbeitsmigration, so habe ich kürzlich gelesen, wird zu zwei Dritteln von Frauen geleistet, und zwar interessanter Weise meist relativ gut gebildeten Frauen, die dann Jobs im Westen machen, die eigentlich unter ihrem Niveau sind. Mit einem Wort: Das schadet ihren Herkunftsländern doppelt.  Und Gleichberechtigung bleibt nach wie vor ein Fremdwort - auch bei uns.

Bassmeister

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