Georg Kreisler Forum

Diskussionen => Kunst => Thema gestartet von: Sandra am 12. Oktober 2004, 18:32:57

Titel: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 12. Oktober 2004, 18:32:57
Ich hab mal eine Frage an Euch:
was, meint Ihr, hat dazu geführt, dass Kunst und Kultur in Deutschland so einen niedrigen Stellenwert haben? Dass man in Deutschland geisteswissenschaftliche Unis schliessen will, mit dem Argument, ein paar Kilometer weiter gibt es eh eine Wirtschaftsuni. Dass Kunst auf öffentlichen Plätzen so gut wie garnicht vorkommt, und wenn, dann nicht "grundlos", sondern immer weil halt irgendwas gerade gefeiert werden muss.
Dass kulturelle Ereignisse immer nur einem Spezialpublikum vorbehalten bleiben und auch nciht öffentlich rezipiert werden.
Dass die öffentlcih-rechtlichen Sender nicht mal eigene Kulturnachrichten haben.
Was hat dazu geführt - und auch: ist das wirklich so schlimm? Ist wirtschaft nicht im Mment wichtiger?
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 12. Oktober 2004, 21:31:17
Ich beobachte mit zunehmender Tendenz etwas, dass ich die Totalökonomisierung der Lebensverhältnisse nennen möchte. Egal in welchem Lebensbereich - ich finde das überall vor (und es läßt mich immer fassungsloser und wütender werden):

Ich könnte diese Wahrnehmung auch "schneller, effektiver, gewinnbringender für mich, mich, mich und nochmal mich - und dann komme nochmal ich" nennen. Was sich nicht schnell (am besten jetzt) rechnet, rentiert sich nicht. Was investiert wird, soll sofort zurück kommen, mindestens in der gleichen Höhe des Investments, eigentlich lieber mit Rendite, möglichst hoch, versteht sich. Was man abgreifen kann, wird sofort mitgenommen, wenn es nichts kostet (sei es tatsächlich Geld oder aber Energie, Kraft, Engagement, Einsatz). Dass etwas einen Selbstzweck haben kann, dass eine Sache aus sich heraus lohnend ist, dass immer etwas irgendwann irgendwo zurück kommt, wenn etwas gegeben wird, das gerät darüber völlig in den Hintergrund. Von Werten spreche ich besser erst einmal gar nicht.

Im privaten Leben ist eine unfassbare Rücksichtslosigkeit die Folge davon. Im gesellschaftlichen Leben zählt nur, was sich rechnet. Und Kultur rechnet sich nicht nach diesen seltsamen Maßstäben. Kultur ist innerhalb eines totalökonomischen Denkens und Handelns ein reiner Zuschussbetrieb: Überflüssig. Auch für den "User" ist Kultur mindestens überflüssig, wenn nicht gar lästig: Keine Zeit, man müsste sich einlassen, was bringt das? Soll man das viele Geld doch lieber nehmen, und etwas effektives damit anfangen.

Natürlich gilt das nicht für jeden, aber es ist eine zunehmende Tendenz. Nehmen wir die öffentlich-rechtlichen Sender. Ein gutes und aktuelles Beispiel, das zeigt, wie vielschichtig sich Totalökonomisierung auswirkt:

Das beginnt mit der Gebührenanpassung. Durch meine Tätigkeit für die ARD habe ich da einen recht guten Insiderblick: 88 Cent sind nach einem einjährigen Tauziehen bewilligt worden. Was hätte das ausgemacht, wenn der Bürger und die Bürgerin 11 Cent mehr im Monat hätte bezahlen müssen (ELF CENT!). nix! Die Konsequenz dieser Entscheidung ist aber, dass den öffentlich-rechtlichen durch diese 11 Cent pro Bürgerin und Bürger Millionen von Euro in den Etats fehlen. Also muss jetzt drastisch gespart werden. Es ist jetzt schon, wenige Tage nach der Entscheidung zur Gebührenanpassung klar, dass an der Kultur gespart wird. Der WDR hat angekündigt, sich deutlich aus kulturellem Engagement im Bundesland NRW zurück zu ziehen (nachzulesen im Interview mit Pleitgen im Spiegel von dieser Woche). Intern läuten da noch ganz andere Sparglocken. Da geht die Totalökonomisierung weiter. Warum Rückzug aus kulturellen Aktivitäten und nicht aus seichten Nachmittagsshows? Gefragt ist, was Quote bringt. Dies ist bekanntermassen nicht die Kultur, womit wir wieder beim Rezipienten angelangt wären.

Ich habe guten persönlichen Kontakt zu einigen Kulturredaktionen in der ARD: Deren Redakteure und Entscheidungsträger kämpfen wie die Löwen um ihre Formate und Sendeplätze. Sinnlos, wenn die Intendantenrunde beschließt Kultursendungen auf Sendeplätze zu verschieben, zu denen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung tief schnarchend im Bett liegt. Solche Sendeplatzentscheidungen gehen zu Lasten der Kultur und zu Gunsten quotenträchtiger Sendungen. Und: Solche Sendeplätze ziehen noch weniger Quote, was eine erneute Legitimierung dafür bietet, den Sendeplatz noch ungünstiger zu setzen bis zu dem Punkt, dass die Kultursendung eigentlich abgeschafft werden könnte, weil sie eh' keiner mehr guckt. Die Medaille hat zwei Seiten, die andere ist nämlich der Legitimierungsdruck Öffentlich-Rechtlicher. Wenn's eh' keiner mehr guckt, kann man die auch abschaffen. Also muss das Angebot so sein, dass die Quote die eigene Existenz legitimert. Mit Kultur ist das nicht zu machen, also wird sie in ein Ecklein verbannt, wo sie nicht allzu sehr stört, nix kostet und nicht weiter auffällt.

Der Ehrlichkeit halber muss man allerdings sagen, dass im Vergleich mit den Kommerziellen die Öffentlich-Rechtlichen immerhin überhaupt noch für ein qualitatives Kulturangebot gerade stehen.

Das Ganze ist für mich allerdings nur EIN Phänomen der Totalökonomisierung, das sich in allen anderen Lebensbereichen ebenfalls wie eine Krake breitmacht.

Ein schönes Buch zu dem Thema: Fritz Reheis, Entschleunigung. Abschied vom Turbokapitalismus.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bastian am 12. Oktober 2004, 22:29:52
Ich kann Dagmar nur zustimmen. Und was ist "Wirtschaft" eigentlich? Jetzt wo die großen Kinos verhungern- nur wenige Jahre nachdem sie die vielen Kleinen plattgetreten haben- könnte man auf den Gedanken kommen, dass dieselben zehn Euro auch in einem Theater ausgegeben werden könnten. Auch das ist "Wirtschaft". Eule nach Athen, ich weiß.

Wenn, wie ich meine, KULtur die Auseinandersetzung des Menschen mit seiner NAtur ist, dann ist wohl auch klar, was durchbricht, wenn diese Auseinandersetzung nicht mehr stattfindet. Das Privatfernsehen hat sich das Publikum herausgefiltert, das blöd genug ist jeden billigen Mist zu ertragen. Diese Zuschauer werden sich nicht mehr beschweren, wenn sie beim Bügeln irgendwann nur noch einen kostenpflichtigen Sinuston vorgesetzt bekommen. Und sie werden nicht einmal merken, dass man nachts um drei nicht mehr bügeln sollte.

Stimmen Sie diesen halbgaren Gedanken zu, dann wählen sie 0137- blabla.
Sagen sie "nein", dann wählen sie ebenfalls 0137- blabla
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 13. Oktober 2004, 16:04:31
Ich war gestern bei meiner adoptierten Familie, in der Broadway Bar. Die beiden, Bela & Marta kamen gerade aus Paris zurück. Und sind fest entschlossen, sobald sie das Lokal losgeworden sind (also kanns noch dauern ;)) nach paris zu gehen - weil:
Ich habe mir ellenlange Suadas anhören müssen, wie toll es in Paris ist (auch in Budapest - aber da wollen sie nicht hin), dass da die Künstler noch brennen für ihren Beruf, dass es jede Menge Theater gibt, und Interesse für diese Theater, und wieviel Kultur (ka wunder, die Grande Nation ist sehr beharrend auf ihrem Ruf - die wissen auch, wieviel es letztlich auch bringt) es dort noch gäbe, im Vergleich zu Wien, wo sie jetzt ein Theater mehr als Musical -bühne machen, und noch a Opernhaus, keinen Interessiert hier mehr der off-Mainstream betrieb - und wie hier alle nur auf's Geld schauen,  und immer dieselben Gesichter an den Futtertrögen sitzen, keiner versucht mehr etwas Neuem eine chance zu geben und bla.
Er hat Recht. trotzdem habe ich mir als Deutschland-geübte gesagt: Es geht uns in wien kulturell noch absolut gold gegenüber Germanien. Hier gibt es noch eine mittelschicht - etwas, was es in Berlin zb überhaupt nicht mehr gibt - die gemässigt Kulturinteressiert ist, es gibt Theater für alle Schichten ,für gutbürgerliches Publikum, für Hochkulturinteressierte - und ja, es gibt sogar noch off-bühnen und menschen, die sich für underground oder Grenzerweiterung interessieren. (Chansons allerdings nicht, leider :-[)
Ich bin immer verblüfft, wenn ich hier meine wöchentliche Kultursendung abbiege, wie viel hier los ist, subventioniert wird, auch anders wahrgenommen und gefödert - im Vergleich zu Deutschland - wo Kultur tatsächlihc als unwichtig empfunden wird (was sich bald bitter rächen wird, nb) Was es hier an ausstellungen, performances, Theater, Musikalischen Workshops, diskussionsrunden etc gibt, in den kleinsten Ortschaften - es ist immer noch ziemlcih beeindruckend, finde ich. Allein wenn man sich anschaut, was in Deutschland für Plakate hängen, und was in Österreich merkt man den Unterschied. die Menge an kulturellen Angeboten ist beachtlich. Und die Rezeption auch. Es wird WAHR-genommen. Das ist der Unterschied.
Trotzdem ist es natürlich auch in Ösiland zu merken, dass die  guten Seiten der kakanischen Sitten zunehmend nachlassen, und es immer mehr in Richtung Event-Kultur geht, anstatt gehaltvollem, interessantem theater/etc.
Die Menschen agieren, wie Dagmar richtig sagt, kurzsichtig - und ich werde dann immer wieder gefragt, warum ich so selten spiele, und wenn ich spiele, warum so wenig Leute da sind. Denn das Interesse, der Hunger nach etwas geistnahrung ist schon da - er ist halt nicht so mehrheitsfähig, dass er grosse Konzerne (und auch der Staat versteht sich als solcher) befriedigen kann.

Trotzdem war es witzig, gestern in Wien die Litanei zu hören, die ich in Deutschland immer loslasse - und zu sehen: stimmt - auch in Wien geht es bergab, ist es schwieriger geworden, in die Cliquen des Kulturbusiness reinzukommen - ich sehe oft noch Wien so, wie es vor vielelicht 5 Jahren war - aber es  gibt leider auch eine rasante Entwicklung  seichtwärts hierzulande. So gesehen beneide ich alle, die rein musikalisch arbeiten: Bela kann jederzeit überall auf der Welt was machen: er ist nciht der sprache so verhaftet.

Aber was ist das Fazit aus all dem?
ich für mich möchte versuchen, den Medien ein Schnippchen zu schlagen: äusserlich massentauglicher werden, das heisst mit beats, loops und lauter so Zeugs, das ich  eigentlcih für nicht unbedingt notwendig erachte. Aber Inhaltlich gleichbleibend - wenn geht.
Man kann natürlcih auch weiter mit dem Kopf durch die Wand wollen, künstlerisch. Aber dann sollte man - wie Dagmar - ein florierendes Nebengeschäft haben....
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 13. Oktober 2004, 16:59:28
Wie lange waren Bela und Martha in Paris? Wie oft sind sie in Paris, um wirklich Einblick in die Szene zu haben? Ich meine: Ich hab früher immer, wenn ich Freunde in Deutschland besucht habe, gesagt: Dort ist die Musikszene besser als in Österreich, und die Österreicher kommen aus ihrem Land nicht raus - auch mit Deutsch-Rock nicht, der in Deutschland eine zeitlang hoch im Kurs war. - Ich hatte immer das Gefühl, wenn man in Österreich Erfolg hat, dann nur in Österreich, und weiter kommt man nicht. Aber deutschsprachige Sängerinnen wie Jule Neigel hörten zumindestens ein paar Leute in Österreich auch. Womit man über die Grenzen hinaus bekannt werden konnte - zumindestens früher -, waren Dialekt-Lieder von z.B. Ambrosz oder Fendrich oder so. Deshalb hab ich immer gesagt: Wenn man aus Deutschland kommt, hat man den größeren Erfolg im deutschsprachigen Raum. Da will ich hin. Aber damals hab ich die Situation von außen beurteilt oder von Kurzreisen. Beim  näheren Hinschau'n ist mir dann klar geworden, dass das alles nicht generell stimmt und dass hier die Szene sich verliert, weil die Städte viel zu groß sind z.B. und aus wasweißich für anderen Gründen noch. Im Prinzip hat man's hier eventuell viel schwerer, weil hier alles nicht so überschaubar ist wie im kleinen Österreich.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 13. Oktober 2004, 19:36:09
Das ist vielleicht auch ein Punkt. ein Weiterer ist aber, dass sie - zB in Frankreich eine ziemlich hohe quote haben, was französische Musik im Radio betrifft, und eigenproduktionen beim Fernsehen. Das gibt es im deutschsprachigen Raum nicht. In frankreich - und in Italien - müssen die Radiosender mindestens 60% Muttersprachliche Musik senden - das unterstützt die heimischen Kräfte enorm.
Und in Österreich...seit Du weggegangen bist, hat sich ö3 zB geweigert, Ambros und co zu spielen - das hat sich inzwischen etwas gändert, aber damals gab es einen enormen einbruch in der Szene, und bis heute hat sie sich kaum erholt - die Liedermacherschiene, meine ich jetzt. Eben Fendrich, Danzer, Ambros - die haben einen Fankreis, der bleibt bestehen (Fendrich konnte dann als Showmaster und weil er ein paar Sommerhits hatte, wieder ein bissel reüssieren, Danzer ist bis heute total out) - aber es kommt nix nach.(Die kabarett-schiene, besser Comedy mit ein bissel kabarettistischen Anklängen, haben dann das Loch gefüllt. Hader, Dorfmeister, O.lendl, und wie sie alle heissen - es gibt tonnen von ihnen)
Die österreicher punkten gerade im englischsprachigen Ausland ganz gross mit Elektronischer Musik. Sofa Surfers, Kruder/Dorfmeister und wasweissichnochwer - die sind alle überall anders bekannter, als bei uns.

Die Zeiten haben sich total geändert, seit Du weg bist. ALS Du weg bist, da WAR in Deutschland leichter was zu erreichen als bei uns. Jetzt ist es schwieriger geworden. Auch weil die Deutschen eben ihren Kulturauftrag vergessen, vor lauter Angst vor der Rezession.
Jeder guckt nur auf seinen eigenen Stall - und da kommt dann das zum Tragen, dass es eben mehrere grosse Städte gibt die nur um ihren eigenen Bauchnabel kreisen, und nicht nur einen Wasserkopf, von dem alles ausgeht - wie Du sagst. Obwohl in Ösiland inzwischen die Bundesländer ertaunlich aktiv geworden sind.

Hier ist es aber auch nciht einfacher. Was mir gefällt, in Deutschland im Gegensatz zu Österreich: Die Deutschen nehmen als grosse Stars eher Leute, die in irgendeiner Weise ANDERS sind, als sie. Als Identifikationspunkte. Sogar der...wie hiess der komische Junge der dann gegen einen Laster geknallt ist, der mit irgendeiner Reality-Schiene plötzlich hyperpopulär war? Einer, der einfach nur jung und dumm war, und mit Charme immer zu allem und jedem seinen Senf dazu gegeben hat.  Komische Brillen, schmales Gesicht. Sogar DER hat etwas, das  Otto Normalverbraucher nicht hat. Nicht "meins" -  aber er ist ANDERS.
In Österreich wird man  ein Star, wenn man theoretisch auch der Verkäufer an der Supermarktkasse sein könnte. Nur die, die ganz besonders "normal" sind, werden vom Publikum akzeptiert. DIE Hausfrauentusse, die Elfi Ott - nur zum Beispiel.  Bei jeder Castingshow gewinnen die absolut durchscnittlichsten. Wenn man bei jemandem Ausstrahlung, Charakter oder gar Eigenheiten erkennen kann - und seien sie noch so rudimentär - der ist sofort weg vom Fenster. Aussergewöhnliche Menschen - egal ob sie unangenehm oder angenehm aussergewöhnlich sind - die werden hier abgelehnt.

Aber das grundsätzliche Phänomen, dass eben alles, was auch nur a bissel zum denken anregt, oder zur Stellungnahme , nicht mehr angenommen wird, das ist überall im deutschsprachigen Raum so. In Ösiland noch ein bissel langsamer - wie immer (es hat ja nicht nur Nachteile, wenn man alles a bissel später mitmacht) aber es kommt auch hier. Kultur und Denken und Nachhaltig arbeiten - das ist alles out. Zuschütten mit möglichst viel gleichzeitig und nur nix, was an der oberfläche kratzen könnte  - dahin geht's.
meine Hoffnung ist nur, dass das Pendel dann irgendwann wieder in die andere Richtung ausschlägt....
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 14. Oktober 2004, 02:26:26
Ich glaube, es war auch in Österreich lange Zeit so, dass soundsoviel Prozent heimische Musik gespielt werden musste - zu Zeiten, als Ö3 noch gut war. - Jetzt machen die, denk ich, nur noch Einheitsbrei. Ich fände es gut, wenn die Sender auch im deutschsprachigen raum in die Pflicht genommen würden, deutschsprachige Musik zu spielen.
Wir haben heute beim Konzert von Götz Widmann beobachtet, dass viele Leute, sobald Götz neuere Lieder mit tieferem Sinn gesungen hat, anfingen sich miteinander zu unterhalten, als käme die Musik gerade von der CD. Im ersten Teil saßen wir weiter hinten, im zweiten an der Bühne und überall das gleiche. Sobald er lustige Lieder, lieder übers Kiffen, über den Alkohol, übers Wichsen gesungen hat, die natürlich auch teilweise ihren ernsten Kern hatten, erinnerte sich das Publikum wieder an ihn. Und dann war da so eine Tusse, die lachte betont laut an den falschen Stellen und sprach mit ihrem Partner dauernd so laut, als wollte sie die ganze Zeit sagen: "Ich bin wichtig. Hört mir alle zu." Und links neben mir saß ein Pärchen, da war die Frau auch nicht besser. Ich hab mir gewünscht, nicht blind zu sein, ganz bestimmt auf die zugehen zu können und - zumindest der ersten beschriebenen Wahrscheinlichblondine - eine zu scheuern. Und hinten bekamen Dagmar und ich einen blöden Spruch von so 'nem Jungwichser rein gedrückt, weil wir erst "Psst!" sagten und ich dann: "Wenn ihr Quatschen wollt, geht in die Kneipe." hinterher warf.
Götz hat eine sehr schöne, sehr tief gehende neue CD gemacht. Er versucht auf eine sehr sensible Weise die Leute mitzunehmen auf die "andere" Seite, hab ich den Eindruck. Er und ich haben darüber auch schon einmal gesprochen, dass das schwierig werden wird, und der Großteil seiner Texte ist ja auch über Drogen usw. Aber ich glaube, die Zeit ist für ihn durch. Er ist nächstes Jahr auch 40, und irgendwann haben andere Dinge Priorität. Mal schau'n, wie sich das entwickelt, ob er irgendwann nicht mehr 300 Leute an einem Abend hat. Heute waren's 390 zahlende. Also waren wir insgesamt über 400 Leute.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Guntram am 14. Oktober 2004, 08:22:40
Traurig ist es wenn alles erst per Gesetz verordnet werden muß.

Die Radiosender sollten eher aus eigenem Antrieb (pures Wunschdenken von mir) überlegen ob sie ihr Programm nicht etwas anderes außer die Charts rauf und runter spielen. Würden sie auch mehr Sachen von außerhalb den Charts spielen kämen diese vielleicht auch dort hin, weil das Publikum dann überhaupt die Chance bekommt es zu hören.

Besonders die öffentlich rechtlichen sollten hier nicht so auf die Quoten schauen wie das Kaninchen auf die Schlange.

Auf der anderen Seite muß ich aber feststellen wer will hat heute mehr Möglichkeiten seine Kulturhunger zu stillen als früher. Man muß nur wollen. Ihr seid vielleicht ein bischen von der Großstadt verwöhnt.

Die Spartenkanäle (stehen meist in keiner Programmzeitschrift) der öffentlich rechtlichen Sender z. B. ZDF Kulturkanal, BR alpha usw. bringen heute weit mehr als früher, vor Satelit und Privatfernsehen, wo Kultur im Fernsehen meist aus Heidi Kabel, Willi Milowitsch und Komödiestadel bestand und der Rest nach Mitternacht kam.

Wenn ich mich bei uns in der Gegend so umschaue, wir sind hier zwar nur 40 km von Frankfurt weg, aber Provinz. Aschaffenburg Stadt ca. 60000 Einwohner, der Landkreis ca. genausoviel. vor 20 Jahren wurden um 9 Uhr die Gehsteige hochgeklappt. Ein Theater ohne festes Ensemble, eine kleine Kneipenszene, und ca. 3 Discos im Umkreis. Wer auf ein Konzert wollte, Jazzkeller, Theater etc. mußte nach Frankfurt oder Würzburg.

Heute hat Aschaffenburg zwei Hallen in denen Künstler aller Art stattfinden, plus zwei im Landkreis wo die Gemeinden (je ca. 7000 Einwohner) ein für ihre Verhältnisse abwechslungsreiches Kulturprogramm anbieten (lokale und überregionale Größen). Alle die früher max. nur bis Frankfurt kamen treten also auch hier auf. Dazu kommen im Sommer div. Open Air z. B. Klassik im Schloßhof, Kommz (2 Tage Kulturfestival). 2 Kleinkunstbühnen (eine ist die Heimat von Urban Priol, da wurde Diesjahr der Salzburger Stier verliehen - übrigens eine Ohrfeige für die Stadt die wollten ihm kurz vorher eine Teil der Subventionen streichen), eine  ich sag mal "Kneipe" hat fast täglich Live-Programm mit vielen bundesweit bekannten Soloisten/Gruppen. Viele andere Sachen die auf Privatinitiativen zurückgehen. Mir ist vor kurzem auf aufgefallen, welche Unmenge an Gallerien es inzwischen gibt.

Also bei uns ist der Kunstbetrieb vielfältiger als je zuvor. Natürlich geht´s auch um Geld, diejenigen die Privatbühnen betreiben kämpfen um jeden Euro Subvention, aber sie haben auch Fördervereine die zusätzlich Geld bringen oder der Mitglieder sich freiwillig ohne Vergütung abends an die Kasse setzen. Ich glaube das alles zählt mehr als staatlich geförderte Prestigeobjekte und bei denen allein die Verwaltung Unsummen verschlingt.

Der Staat muß sicher die Kultur fördern, als Gegengewicht zur rein kommerziellen Schiene, aber das Publikum muß auch bereit sein es anzunehmen und muß die Veranstaltungen besuchen. Es bringt nichts leere Sitzplätze zu fördern und volle Häuser vor die Hunde gehen zu lassen. Nur weil es die Förderrichtlinien so vorschreiben.

Noch zum Schluß: Über Kunst auf öffentlichen Plätzen kann man sicher sehr streiten. In Aschaffenburg wurde vor ein paar Jahren, im Rahmen einer Aktion Kunstobjekte in der Öffentlichkeit, in einem innerstädtischen Park ein Piano aus Beton auf die Wiese gestellt. Hat natürlich eine Riesendiskussion ausgelöst, weil am Anfang keiner wußte was das eigentlich soll (Die Aktion war wohl geheim ;D ).

Da hab auch ich mich gefragt was an dem Ding Kunst ist und vor allen Dingen so teuer sein soll. Jeder Maurer hätte mit ein paar Schaltafeln und paar Sack Zement, Sand und Wasser das Ding wesentlich billiger da hinstellen können.

Aber über Kunst und Geschmack läßt sich hervorragend streiten. :-*
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Guntram am 14. Oktober 2004, 09:12:04
Eins paßt hier vielleicht auch noch:

Oper Burg und Josefstadt

Herrscht in Indien Hungersnot, herrscht in Spanien Franco,
prügelt man die Zukunft tot, hat jedes Land sein Manko,
dämmert schon der Untergang, scheint die Welt schachmatt,
hat der Wiener Oper, Burg und Josefstadt.

Hat man in Berlin bereits Hebbel abgeschworen,
spielt man in der tiefsten Schweiz nix wie lebendige Autoren,
hat man selbst in Düsseldorf Wagner ein bissl satt,
wir ham unsere Oper, Burg und Josefstadt.

Da lassen wir nix drauf kommen,
die ham wir, die bleiben uns, die nimmt uns keiner weg.
Da lassen wir nix drauf kommen,
der Meinrad, der Reinhardt, der Liewehr, was weiß ich wer.
Man muß nichts von Kunst verstehen, wenn man keine hat,
wir ham unsere Oper, Burg und Josefstadt.

Da spielt man noch den Schmäh, genau wie eh und je,
da kann uns nix passieren, weil das kennen wir ja eh.
Wir lauschen Goethes Werken, tun unsern Pathos stärken,
und wenn wir nichts verstanden haben, dann brauchen wir uns nix merken.

Was brauch ich die Gegenwart, lassen wir die dem Broadway,
wem tat je der Muliar oder die Elfi Ott weh,
heute spielt die Degischer, früher war`s die Schratt,
wir ham unsere Oper, Burg und Kammerspiele, Raimund-, Bürger-, Volkstheater, Kärntnertor, den Löwinger, den Simpl und die Josefstadt.

Da lassen wir nix drauf kommen,
da sitzt man, da lacht man, da trifft man seine Leut.
Da lassen wir nix drauf kommen,
sobald ein Stück heraus ist, den Vorhang auf und aus ist`s.

Mögen andere Länder jetzt ihre Kunst entschleiern,
wir haben einen Mozart gehabt, heute tun wir ihn feiern,
unsere Philharmoniker spielen ihn schon vom Blatt,
wir haben unsere Oper, Burg und Josefstadt.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 14. Oktober 2004, 10:16:10
Ja, es hat sich viel getan, und wer will - und vor allem: wer es gelernt hat!!! - der kann sich schon sein Hirn füllen. Das stimmt.
Das ändert aber nichts daran, dass die Selbstausbeutung von diesen Leuten -und jenen, die die Kunst machen, bzw möglich machen, enorm sein muss. Und dass weiterhin von den Firmen und vom Staat mehr darauf gesetzt wird, K&K (Kunst&Kultur)mit Events zu ersetzen. - Die Leute LERNEN nicht mehr, WO sie ihr Hirn füllen könnten - und also tun sie's nicht.

Zum Klavier auf grüner Wiese: Es gibt viele Kunstprojekte, wo man sich fragt, was soll es. Ich denke aber, dass vor allem eine Diskussion darüber wesentlich ist - und die hat bei dem Klavier offenbar stattgefunden - und DAS bringt Leute dazu, nachzudenken.

Das Lied - das in  manchen - eher älteren - Teilen der Österreichischen Gesellschaft heute noch genauso stimmt - zielte auf einen Punkt, den GK damals in vielen Moderationen und Liedern (etwa auch Schnitzler in Hollywood) angeprangert hat: Damals hat man in österreich kaum österreichische neue Autoren gespielt. Schnitzler war das Neueste. Man hat sich überhaupt nicht um die moderne K&K gekümmert.
DAS hat sich radikal geändert. Heute werden mehrheitlich junge bzw neue Autoren auf die Bühnen gebracht, jedenfalls in Wien. Die Jelinek, der Bernhard, der Fian, der Mitterer und wie sie alle heissen - sie alle wären ohne das Burgtheater, das Volkstheater - und manchmal erstaunlicherweise sogar die Josefstadt, (als Ausnahme, die die Regel bestätigt ;) ) nicht zu ihrem Ruhm gekommen.
Erst seit etwa 2 oder 3 jahren zeigt sich hier wieder ein rückläufiger Trend. Aber grundsätzlich wird vor allem in Burg und Josefstadt schon nach modernen Autoren und Inszenierungsweisen gesucht.

Und @ Andrea - bzw Götz. Ich kenne ihn nicht. Hab von Dir das erste Mal von ihm gehört. Und bin bass erstaunt, dass er 400 Leute im Publikum hat. Wie gesagt: Ich kenne ihn nicht, und hab nix von ihm gehört. Aber ich finde, wenn jemand auf einer Bühne steht und singt - und die Leute haben notabene gezahlt, um ihn zu hören! - und dann unterhalten sie sich laut, während er singt, dann stimmt etwas mit der ART des Vortrags nicht, dann kann er die Leute nicht im Bann halten - das hat  meiner Erfahrung nach meist weniger mit dem Inhalt der Lieder zu tun, als mit der Art der Präsentation. Und auch mit dem Rahmen - wenn es ein Lokal mit tischen ist, wo es nciht dunkel wird, wenn der Vortrag beginnt, zB, dann ist es schwieriger, die Leute zu "kriegen".
wie gesagt: ich war nicht da, und ich kenne ihn nicht. Aber ich finde es sonderbar, wenn 400 Leute kommen (soviele kommen zu mir nicht, brummel.) und die dann reden.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 14. Oktober 2004, 20:46:28
Natürlich haben nicht alle geredet. Aber mir fallen die auf, die reden. Mir, die ich oft bei Götz' Konzerten war und bin, fällt eben sofort auf, wenn sich etwas ändert. Bei den liedern, die dieses Publikum mitsingen konnte, waren sie ruhig oder haben mitgesungen. Aber sobald ein ernstes Lied kam, wurde es auf jeden Fall unruhiger. Das liegt nicht an der darbietung, das liegt daran, dass die Leute von Götz Widmann nur die Lach-Nummern oder viele Lachnummern gewohnt sind., und genau die erwarten sie. Bei ihm  wird sich das Phänomen, dass weniger Leute kommen,  nicht gleich bemerkbar machen, weil die ernsteren Songs schleichend mehr und mehr werden.  Vielleicht fällt ihm zwischendurch ja wieder eine lustige nummer ein.
Bei dir zu Hause, Sandra, liegt, glaub ich eine CD von Götz Widmann. Ich glaub jedenfalls, dass ch dir eine geschenkt habe.
Und: Ich würd mir für dich ja auch die 400 oder mehr Leute wünschen. Aber dein Publikum ist ein anderes Publikum, nämlich eins, das zuhören kann. Götz' Publikum ist ein junges Publikum, das drauf eingestellt ist, zu lachen, kiffen und saufen. Davon können viele Leute nicht zuhören, sondern sie müssen sich selbst darstellen.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 14. Oktober 2004, 23:27:37
Trotzdem verstehe ich es auch nicht wirklich - ich habe die eine oder andere Spekulation, aber keine wirkliche Idee, warum das so ist:

Man könnte sagen, dass Götz als Liedermacher mit frechen Texten zu Themen, die junge Leute sehr ansprechen, ein Publikum etabliert hat. Ich bin gespannt, was er über seine Tour und die Zahlen in den anderen Städten berichten wird. Er kommt aus Bonn und ist hier sehr bekannt. Viele Leute kommen da deshalb zu seinen Konzerten.

Wir haben ja gestern abend schon darüber gesprochen, dass mit seinen neuen Liedern der Schuss nach hinten los gehen kann: Er hat sich weiter entwickelt, die Stücke sind ruhiger und nachdenklicher mit anspruchsvolleren Texten geworden. Und da hat Andrea ja schon berichtet, was während der Präsentation dieser Stücke passiert ist: Unruhe und viel Gequatsche. Das mag an Götz liegen - glaube ich aber nicht. Bei seinen "Gassenhauern" sind alle da und grölen mit. Vielleicht schafft er es, wenn er behutsam genug vorgeht, sein Publikum langsam in einer anderen Zielgruppe zu gewinnen. Ich wünsch' es ihm. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es ihm dann irgendwann auch so geht, dass da noch 60 Leute sitzen.

Es ist schon ein großer Unterschied im Anspruch - auch an das Publikum -, ob Du Stücke machst, in denen es um "Zöllner vom Vollzug abhalten auf der A4" geht (ein zwar witziger aber - ehrlich gesagt - auch recht platter Text mit sehr eingängiger Melodie). Das finden junge Leute super, auch weil es ihrer Lebensphase der Rebellion entspricht. Oder Texte wie in seinem neuen Stück "Walther von der Vogelweide" - ein Stück, das mir sehr gut gefallen hat, mit sensiblen Tönen und einem tiefer greifendem fast philosophischem Text - da quatscht dann das Publikum und hört kaum noch zu.

Ich erinnere mich noch sehr gut daran, als Flo und ich auf dem Liedermacherfestival in Kevelaer die Anna gemacht haben. Das Stück kam ja insgesamt trotz aller Schräge recht gut an. ABER: Ich hatte mich bevor Flo und ich loslegten kurz vorgestellt auch mit dem Genre, das ich eigentlich singe. Und ich habe sofort aus dem Publikum, aber auch später gehört "Chansons - ach Du Scheiße".

Ich glaube, dass es das Image ist, das Publikum zieht. Daniel Kübelböck - der Typ den Sandra erwähnt hat, der der gegen den Gurkenlaster fuhr, hat es bar jeden aber wirklich jeden musikalischen Könnens bis auf die vorderen Plätze einer gigantischen Casting-Show gebracht. Er hat einen Typus verkörpert, der bei girlies ziemlich ankam. Götz verkörpert auch einen Typus, den Typ "outlaw". Chansons haben dagegen ein Image "für alte Leute".  Ich erlebe mit meinem Programm - gerade in den letzten Wochen - "Brecht = verstaubt, sehr schwer zu verdauen" Ist einmal etwas ettikettiert, ist es immer sehr schwer, dass das Wahre oder individuell künstlerische hinter dem Ettikett noch wahrgenommen wird.

Wie gesagt: Meine Ausführungen sind nichts mehr als Spekulationen, weil ich auch rätselnd vor so einer Publikumsgröße wie gestern abend stehe.

Mich würde sehr interessieren, wie Eure Meinung dazu ist: Wir haben jetzt verschiedene Blickwinkel zu den Ursachen und Hintergründen diskutiert. Aber: Wie kann man diese Kulturmüdigkeit verändern? Kann man das überhaupt?
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 15. Oktober 2004, 01:07:40
Bisher waren in den letzten zwei Jahren immer zwischen 100 und 350 Leuten  bei Konzerten von Götz. Ich glaube nicht, dass das bei dieser Tour anders sein wird, denn noch überwiegen die leicht verdaulichen Lieder. Spannend wird's für uns Beobachter, denke ich, wenn die nächste Tour startet - die zur nächsten CD.  -
Janina, die den Suport gemacht hat, hat auch ihre erste CD vorgestellt. Die Lieder sind gut, aber sie spricht zu wenig zwischen den Songs. Das Mädel ist aber auch erst zwanzig. Die wird noch.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 15. Oktober 2004, 01:37:23
Es gibt hier eine Volksmusik-Schlager gruppe, die enorm beliebt ist - füllen Säle mit bis zu 4000 Leuten. Viertausend! Seit die angefangen haben, auch nachdenklichere Sachen zu machen, wandert das Publikum ab. Sie haben wieder aufgehört, und machen dasselbe wie bisher.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 15. Oktober 2004, 22:26:26
Und genau das würden sie wohl spielen, wenn es wirklich eine Quotenregelung für deutscheMusik im Radio geben würde. 60% des tages deutschen Schlager? Nee danke.

Ich denke in zeiten von Video und programmierbaren DVD-Recordern dürften doch wirklich interessierten Menschen Sendezeiten nichts mehr ausmachen. Wenn ich was sehen will, dann ist das  mir auch möglich.

Was das Interesse betrifft - hmm - da bin ich zum Einen ratlos, zum anderen stört mich aber auch das Gejammer etwas.
Mensch - Musik ist doch ne Lebensäußerung! Wunderbar! Jedes größere gesellschaftliche Ereignis hatte passende Lieder und Bilder und und und, die Kunst entstand aus dem Leben heraus und hat den menschen zum einen die Sinne geschmeichelt (und damit den Inhalt schmackhaft gemacht) und gleichzeitig die (moralische oder humoristische oder spirituelle) Botschaft rübergebracht. Bis... ja bis ein gewisser Historismus einsetzte. Altes wurde glorifiziert und das "neue" war herb und schwierig und so richtig wollte es keiner hören (ich rede jetzt vor allem von der Musik. In der Bildenden Kunst mag vielleicht der Photoapparat das Bild "entmenschlicht" haben, Natur und Kultur - natürliches und menschliches wurden so getrennt.)
Nun frage ich mich - warum versucht man etwas aufrecht zu halten, was man ständig irgendwie erklären, irgendwie rechtfertigen muß, vor dem geneigten Zuhörer? Ich habe an anderer Stelle schon mal geschrieben, daß ich es leid bin, meine Musik irgendwie immer jemandem "andrehen" zu müssen. Es war, ist  und bleibt ein Zuschußgeschäft. Leider (und zum Glück) ist es aber auch nicht  mit geld zu bezahlen, ich meine, wenn ein Sponsor mir für ne Konzertorganisation 10000 Euro in die Hand drückt, bedeutet das noch lange nicht, daß das Konzert auch gut wird! Und was, wenn nicht? Nicht auszudenken.
Zu diesem "Rechtfertigen müssen" gehört für mich auch, wenn die Kulturschaffenden immer wieder davon reden, wie wichtig das doch sei, daß es das gibt und wie es gebraucht werde. Vielleicht habe ich davon einfach schon zuviel gekriegt, meine Eltern arbeiten beide im Orchester, da gab es auch schon ab und an solche Gespräche.
Inzwischen fände ich es auch ziemlich ideal, wie Dagmar es macht: einen Job, der das Leben sichert (leider geht es aber derzeit  nicht nur der Kultur, sondern auch allen anderen Branchen nicht gut) und dann seine eigenen Projekte spielen, das was einem liegt, was einem auf der Seele brennt... Dagmar, Du hast meine tiefe Bewunderung!

Ich bin mal einer Frau nach Kitzbühel hinterhergereist (tragische Liebesgeschichte, doch das gehört nicht hierher) und deren Eltern waren Bauern dort. Ganz einfache Leute, aber in allen Ecken und Enden des Hauses standen Instrumente rum, jeder konnte so ziemlich alles gut sopielen und abends haben die sich hingesetzt und richtige Volksmusik gemacht. Mit Herz und ohne Mikrophon. Das hatte was!

Wie ist das mit dem Interesse? In einer Zeit, in der man mit allem "zugeschüttet" wird? Unser Hirn und unsere Seele ist noch auf "Mangelwirtschaft" eingestellt, vielleicht sogar noch letzte Kriegs-Auswirkungen... Aber inzwischen herrscht der Überfluß, es gibt von allem zuviel nur zuwenig Zeit, wahrzunehmen, zu empfinden, zu genießen. Man muß sehr sehr gründlich auswählen, was einem selber wichtig ist, aber niemand hat einem gezeigt, wie man auswählt. Denn die Vorausetzungen zu Zeiten unserer Eltern waren ganz andere.

Das hörte ich in einem Vortrag von Elisabeth Lukas. Sie beschreibt dann ganz toll und ganz ausführlich, wie jede/r Einzelne den Weg von der Selbst-Verwirklichung zur Welt-Verantwortung findet. Und wenn man sich verantwortlich fühlt ist auch wieder Interesse da...
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 15. Oktober 2004, 23:04:37
Zitat:
Und genau das würden sie wohl spielen, wenn es wirklich eine Quotenregelung für deutscheMusik im Radio geben würde. 60% des tages deutschen Schlager? Nee
danke.
Wer spricht denn von deutschen Schlagern? Die haben doch schon längst mehrere Platt- (Tschuldigung Blatt)-Form. Schon mal was von Deutsch-Pop oder Deutsch-Rock gehört? Ersterer scheint gerade wieder in zu sein. Und dann gibt's noch Liedermacher usw.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 15. Oktober 2004, 23:04:53
@ Bassmeister:Sehr schön gesagt. Danke schön :-*

Man muss die Herzen der Menschen öffnen, damit sie bereit sind, sich EINZULASSEN. Und man muss ihre Hirne öffnen - das obliegt den Eltern und der Schule.
Wenn man mal auf Kunst "angefixt" ist, kommt man eh nciht mehr davon los...
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Zyankalifreund am 25. April 2005, 15:50:17
Wie wahr, wie wahr!
Wenn es einen einmal gepackt hat, dann lässt es einen nie wieder los.
Ich glaube jedoch nicht, dass die Eltern und Schule etc. diese Öffnung zur Kunst wirklich beeinflussen können. Das ist meiner MEinung nach individuell und hängt vom Charakter, Experimentierfreude, Toleranz.. ab.

Jeder muss sich allein auf die Suche nach sich selbst machen. Bei diesem Prozess bleiben einige bei der Kunst hängen, andere jedoch finden ein anderes Plaisir.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 25. April 2005, 18:01:14
Oh nein, ich glaube schon, dass da die Eltern und die Schule Einfluss nehmen können. Denn wenn du schon als Kind "gute" Musik hörst, und sie Dir erklärt wird findest du viel schneller Spass daran. Oder  in's Theater gehst - die Schwellenangst im Erwachsenenleben ist dann nicht mehr so hoch.
Genauso, wie wenn Du als Kind zB früh übst, vieles an unbekannten Speisen auszuprobieren.
Genauso, wie man als Kind schon dazu erzogen werden kann, verschiedene Kulturen spannend zu finden, oder Fremdenscheu zu werden.
Und genauso, wie es hilft, wenn du von klein auf viele schöne Bücher zu lesen bekommst - dann liest Du als Erwachsener auch lieber.
Weisst du, klar, es gibt Menschen, die haben den Hang zum Kulturgenuss einfach in sich drin - da kommt es dann irgendwie raus. Aber es gibt auch Menschen, die müssen das lernen - und da ist es dann Glückssache: Kommen sie irgendwann drauf, dass es geil sein kann, sich eine Symphonie live anzuhören?
Wenn Du etwas schon als Kind machst, scheint es Dir eher zu einem erfüllten Leben dazu zugehören, denke ich.
Und es ist auch kein Zufall, dass  Kinder von kulturinteressierten Eltern eher auch so werden, als Kinder von Eltern, denen Kulturelle Angelegenheiten wurscht sind. Mit Glück haben die dann ein spätes Aha-Erlebnis. Oder eben auch nciht.

Klar, Du kannst der Sohn von Madam Kultur persönlich sein - wenn es Dich nicht freut, nützt das auch nix. Trotzdem wirst Du dann mit Kultur immer noch anders und respektvoller umgehen - auch wenn sie Dir wurscht ist.
 Klar, der Charakter und die persönliche Neigung spielen mit. Aber es spielt auch mir: Wann wird Dir was - und vor allem: WIE wird es Dir erkärt. Wie wird es Dir nähergebracht?
Im englischen gibt es den schönen Ausdruck "acquired taste". Zum Beispiel gibt es die Katzenminze. Die meisten Katzen sind ganz deppert drauf - WENN sie es einmal gelernt haben. Einfach so, ohne dass sie es kennen, ist es ihnen wurscht. Es ist ein acquired taste.
Und es gibt viele Dinge, schräge Musik zum Beispiel, schwierige Stücke, Gedichte lesen - das sind acquired tastes. Das muss man lernen, um es zu mögen.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 25. April 2005, 23:02:32
Ich weiß nicht, ob ich - nur weil ich Schütz und sein Umfeld mag - das nun unbedingt auch meinem Kind näher bringen will. Denn das ist was sehr sehr spezielles und unter seinen Freunden wird mein Sohn da nicht viel mit anfangen können (eigene leidvolle Erfahrung in der Kindheit) Vielmehr will ich ihn dazu bringen, wach in die Welt zu schauen und das was er sich für interessiert voll unterstützen, dabei vielleicht sogar selber noch neues kennen lernen. Von "draufgedrückter" Kultur halte ich (als Ex-DDR-Kind) nämlich überhaupt gar nix.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 26. April 2005, 01:54:04
Ich denke, es kommt darauf an, WIE man dem Kind Kultur nahe bringt. Es geht dabei gar nicht um draufgedrückte Kultur, sondern darum, Allgemeinbildung - kulturelle Allgemeinbildung - an das Kind heranzuführen. Kinder gehen gern ins Theater, wenn sie das Gefühl kriegen, etwas zu dürfen, was auch Erwachsene tun. Opern sind vielleicht zu schwer und Synfonien, aber vielleicht auch nicht. Ich mochte sowas als Kind nicht hören, und eine Oper mag ich, glaub ich, immer noch nicht. Aber ich war gern im Theater. Kinder sagen, was sie nicht mögen. Aber ausprobieren kann man's doch auf jeden Fall.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Andrea am 26. April 2005, 01:58:28
Sinfonieen? Ich kann das da oben nicht mehr ausbessern.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 26. April 2005, 01:23:08
Naja, im ersten posting war's vorne falsch, dafür im zweiten hinten. ;D

Ich meine ja auch nicht ,das Du Deinen Niclas, kaum dass er krauchen kann  in den fliegenden Holländer mitnimmst - mein Pappa hat dasbei mir gemacht, und ich hab mich für klassische Musik erst sehr sehr spät zu begeistern begonnen...Natürlich muss es Kindgerecht sein.
Aber es gibt Kinderopern, es gibt Peter und der Wolf - nur live zu empfehlen, oder sonstiges - Du gibst ja einem Kind auch nciht Schiller zu lesen, sondern Pippi Langstrumpf.
Man kann über kulturelle Dinge reden, man kann es einfach interessant finden, sich über Musik zu unterhalten (was gerade bei Dir, Bassmeister, sicherlich nicht schwer ist ;)) oder man kann Musik einfach nicht wahrnehmen, oder nur bei RTL-Radio.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 26. April 2005, 01:42:27
Was ich sagen will - irgendwie komme ich über die "Bearbeiten" funktion nicht mehr rein - wenn mein Vater mich früher kindgerecht für Klassische Musik interressiert hätte - indem er mit mir in Kinderopern geht, beispielsweise, oder mir die Oper mit Plattenspieler und auf lustig erklärt, oder mit mir in gute Konzerte geht - dann muss ich nicht als Erwachsene, zwischen Geldverdienen und Liebeskummer und Hausputz plötzlich draufkommen, dass es ja doch sehr schön sein kann, und mühsam lernen: Woran höre ich, dass dieser Geiger gut spielt, und Andre Rieux schlecht?
als Erwachsene ist es Glückssache, mal plötzlich ein Augen (bzw Ohren) öffnendes Stück zu hören, und sich zu interessieren (WENN man das "sich interessieren" als Kind gelernt hat, was ja auch noch dazu kommt, wie Du richtig sagst, Bassmeister). Und dann muss man lernen, was als Erwachsener viel schwerer ist, als als Kind. Die Zeit muss man haben, das grundsätzliche Interesse daran - und ich finde, dadurch sind mir eingentlich Jahre velroren gegangen, die ich, hätte ich mich früher damit beschäftigt, mit dem Genuss von guter Musik hätte bessser verbringen können.

Man muss lernen, dass andre Rieux ein unbegabter Geiger ist. Wir wissen, wie viele Menschen ihn für toll halten. Oder Vanessa Mae. Die halten ihn für toll, weil sie es nie besser gelernt haben.
Man hält auch holländische Supermarkttomaten für gut, wenn man nie in Spanien eine vom Strauch gepflückt hat.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bastian am 26. April 2005, 01:42:36
Ich denke Kinder suchen es sich selbst aus. Aus den Dingen, die sie bei den Eltern sehen. Kluger Satz. Niclas wir dir irgendwann ständig unten auf die Saiten hauen und am Steg rumzupfen... Bis er dann irgendwann eine eigene Band gründet, in der er dann Moped spielt.

Meine Eltern erzählen mir, dass ich in meinem Laufgitter stehend eingeschlafen sein soll, wenn mein Vater Klavier gespielt hat. Also ich fand das damals wohl so entspannend, dass es mich selbst in der Vertikalen weggehauen hat, und ich stehenblieb. Am Gitter hängend versteht sich. Und ich konnte lange Zeit nur einschlafen, wenn ich aus dem Wohnzimmer die Pastorale von Beethoven gehört hab (Nummer sechs, hä?). Also, ich bin schon direkt auf die Sümpfonien losgegangen. "Peter und der Wolf" ist auch super, oder die "Kindersinfonie". Oder "Bilder einer Ausstellung" von Murkski. Sind doch alles gute Stücke. Nicht nur zum Einschlafen ::).

Heute ist es allerdings genau andersrum: Wenn ich Musik höre, kann ich überhaupt nicht einschlafen. Und wenn ich schlafe, kann ich nicht stehen.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bastian am 26. April 2005, 01:48:13
Ich hab übrigens eine wundervolle Version von "Bilder einer Ausstellung" für Heckelphon. (Schaut selbst mal nach, wie das Ding aussieht, kennt kaum einer). Insgesamt vier Holzbläser, mehr nicht, und dann die Promenaden... Sehr frisch! Die zieh ich mir vielleicht morgen früh mal rein.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Maexl am 26. April 2005, 07:47:32
Murksky  ;D schade, dass dieser nette Kerl immer so auf seine Ausstellung fixiert wird - da gibts noch vieles anderes gutes... und weltbewegend war er für die russischen Komponisten nach ihm sowieso  ;)
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 26. April 2005, 16:41:17
Bastian un Sandra - genau so meine ich das! Unser Sohn soll schon sehen und hören und aufnehmen, aber er soll sich selbst aussuchen können, was er vertiefen will. (Ja, er schaut schon so, als ob er mir bald in die Saiten greifen wird. Wenn der könnte wie er wollte - oh oh.)

"Peter und der Wolf" fand ich von der (DDR-) Platte auch sehr sehr gut. Hab ich bis zum Abwinken und Auswengigkönnen gehört und mußte es dann im Kindergarten immer vortragen. Dasn hat man dann davon. Die Loriot-Textfassung, die live meistens geboten wird, gefällt mir degegen nicht so gut.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dorian am 26. April 2005, 16:52:47
Das ist Prokoffiev. Leider wird der auch meistens darauf reduziert. Ich liebe von ihm die Leutnant-Kije-Suite.
(Daraus wurde oft zitiert, z.B. von Greg Lake oder Sting)
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bastian am 26. April 2005, 21:01:40
Äh, weiß eigentlich noch jemand aus dem Kopf, von wem die "Kindersymphonie" ist?  ???
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Maexl am 26. April 2005, 21:08:33
die dürfte vom Leopold Mozart sein... wurde jedoch erst vor einigen jahren rausgefunden... bis dahin wurde sie einem anderen bedeutungslosen zeitgenossen zugeschrieben...
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 26. April 2005, 21:44:06
Ich habe sie als Kind schon unter dem Namen Leopold Mozart gehört. Würde sie gerne mal mitspielen.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bastian am 26. April 2005, 23:44:16
Naaa... ich glaub es ist andersrum, Maexl. Eben weil ich sie auch schon von Kindesbeinen an dem Leopold Mozart zugeschrieben kenne. Aber du hast Recht, da war irgendwas unklar. Ich denke, sie ist von diesem Dings, dessen Name mir nicht einfällt. Schande. Ich gugl mal.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bastian am 26. April 2005, 23:46:16
Edmund Angerer (1740-1794)  :-[ Hier die Quelle, aber obs stimmt, weiß ich auch nicht...
http://www.musikland-tirol.at/html/kindersinfonie.html

Also, zumindest sagen das die Tiroler!  ;D
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 27. April 2005, 12:15:22
War der Komponist von "Stille Nacht heilige Nacht" nicht auch ein tiroler pfarrer? Ein Pfarrer jedenfalls, oder ein Organist in einer Kirche, irgendein kleiner Mann....
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Alexander am 27. April 2005, 13:36:45
Franz Xaver Gruber (1787-1863)

Der Komponist von "Stille Nacht!" wurde am 25. November 1787 in Hochburg (Oberösterreich) geboren. Bereits früh erhielt er eine musikalische Ausbildung, unter anderem vom Organisten der Pfarre Burhausen. Auch wenn er eigentlich das Handwerk seines Vaters (Weber) erlernen hätte sollen, gewährte ihm dieser die Ausbildung zum Volksschullehrer. Ein Jahr nach seinem Abschluss (1806, Ried im Innkreis) erhielt er in Arnsdorf eine Stelle als Lehrer, Organist und Mesner. Ab dem Jahr 1816 bespielte er auch die Orgel von der benachbarten Gemeinde Obendorf, wo er auch auf Joseph Mohr trifft und zwei Jahre später die bekannte Weihnachts-Melodie komponierte. Seine musikalische Laufbahn setzte Gruber in Berndorf und Hallein fort, wo er schließlich im Alter von 76 Jahren an Altersschwäche starb.

http://www.stillenacht.info/de/stillenacht/d_schoepfer.htm

Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 10. Mai 2005, 16:58:09
Da sitze ich gemütlich beim Pausenkaffee und freue mich, den neuen Spielplan 05/06 bekommen zu haben. Fröhlich blättere ich darin herum, um dann sehr bald in Agonie zu verfallen:

Ich kann aussuchen, ob ich in der kommenden Theatersaison zum 377. Mal Fidelio hören will, oder vielleicht doch lieber La Triviata? Ich kann mit meinen Kindern auch in die mindestens dritte Auflage in ihrem kurzen Leben einer Vorstellung vom doppelten Lottchen gehen. Ach ja und natürlich zum jetzigen Zeitpunkt "Kabale und Liebe" - gääähn. Nicht das ich keinen respekt vor Schillers Dichtung hätte, hab's nur seit 25 Jahren schon etwa 9 Mal gesehen. Im Tanztheater bieten sie wenigstens zwei neue Sachen, die ich noch nicht kenne.

Dann läuft noch die Dreigroschenoper, nachdem seit September letzten Jahres wöchentlich 2 Mal Aturo Ui läuft (läuft immer noch - das Brecht-Publikum muss ungeahnt groß sein in Bonn). Na ja, die Dreigroschenoper kann ich ja mit meinem Sohn besuchen, der kann dann alles mitsingen, und ich guck' mal ob es bei der 768789. Interpretation was Neues zu lernen gibt.

Also guck ich bei den off-Theatern: Immerhin Ionesco - auch eine rasende Überraschung an Innovation oder Puschkin vielleicht? Ingrid Caven wird Fassbinder-Lieder singen - na ja wenigstens etwas.

Liegt's an der Provinz hier? Oder dass es kein Geld mehr für Theater gibt, so dass die alle drei Jahre ihre alten Kulissen und Kostüme wieder benutzen müssen. Oder fehlt es an Einfallsreichtum?
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Zyankalifreund am 10. Mai 2005, 17:24:33
Da ist es wieder, das alte Problem. Wir hatten ja darüber schonmal gesprochen, Dagmar.

In der tatsächlichen Theaterprovinz (da wohne ich nämlich) ist die Situation noch viel extremer, als in Bonn. Die Erklärung ist schlicht und einfach: Niemand hat so viel Geld zur Verfügung, um neue Stücke anzugehen. Solche Experimente sind den Theatern. die heute wirtschaftlicher arbeiten müssen als manches Großunternehmen, zu risokoreich.

Deswegen hält man am Altbewährten fest. Außerdem will man das Stammpublikum (Rentner) unseres Theaters nicht verärgern. Eine experimentelle Aufführung würden jene als "Störung des gemütlichen Theatergenusses" empfinden.

Ich finde es auch nicht schön, dass immer an den weit bekannten Stücken festgehalten wird. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass man in Bonn auf ein breiteres, dynamischeres und jüngeres Publikum stößt, als hier. Trotzdem heißt es im Theater viel zu oft "Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste". Wenn der Intendant dann eben denkt, mit einem speziellen Stück (und sei es ein Brecht-Abend), das Haus nicht füllen zu können, lässt er noch nichtmal ein Gastspiel zu, geschweige denn er produziert es selbst.

Die Vorsicht hast du ja selbst schon am eigenen Leibe spüren müssen, wie ich weiß.  ;)
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 10. Mai 2005, 20:25:20
Ich meine, die Theater, die solche Spielpläne bauen, sägen am Ast auf dem sie sitzen.
ja, sie machen es für die alten Leutchens, die nix Neues sehen wollen. Aber die alten Leutchens sterben alle irgendwann - und keiner hat sich drum gekümmert, dass junge Leutchens nachwachsen, die sich für Theater interessieren.
Natürlich ist es von den Proben oder so her nicht teurer, ein neues Stück zu inszenzieren, als kabale und Liebe - aber sie fürchten, sie kriegen kein Publikum.
Sie haben Angst vor der eigenen Innovationslosigkeit, von der eigenen Unfähigkeit, gut zu inszenieren.
Den gute Stücke gibt es.
In Berlin wird noch ab und zu was gutes gespielt - aber im Verhältnis 2 zu 8 mal Kabale und Ähnliches.
In Wien im Verhältnis 3 zu 7, manchmal sogar bissel mehr.

Es liegt auch daran, dass es - das Gefühl habe ich in Deutschland, vielleicht irre ich mich auch - keine (oder keine nennenswerte) gebildete MITTELschicht gibt. Es gibt Hochkulur, und Subkultur - und dazwischen gibt es fast nix. keine mittelgrossen Theater, die ganz normale urbane, relativ junge, gebildete Bürger "bedienen". Nur Staatshäuser mit Oper und Schiller - und Kellertheater mit Comedy und Komödie.
Die Leute, die das Theater bräuchte, gehen stattdessen in's Kino (und auch hier kommen immer mehr nurnoch Cineplexx mit Blockbuster-Ami-Tschinnbumm). Und das theater tut nix, um sie zu locken. Karten unter 20 euro sind eine Seltenheit.
Und so haben die Theaterleiter wieder Recht: nur die Alten ZAHLEN für das Theater, und auch nur dann, wenn sie wissen, was sie sehen werden.

die Dreigroschenoper würde ich vermutlich nicht ertragen - an den Theatern kann keiner mehr Chansons interpretieren....
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 10. Mai 2005, 22:20:01
ZitatDie Vorsicht hast du ja selbst schon am eigenen Leibe spüren müssen, wie ich weiß.

 :'( :'( :'(  ja da bin ich echt traurig (kI)

Zitatdie Dreigroschenoper würde ich vermutlich nicht ertragen - an den Theatern kann keiner mehr Chansons interpretieren....
:-*  :-*  :-*

Deswegen werde ich mir das vielleicht anschauen, aber eben auch nur deswegen. Und nur fürs selber-auf-die-Schulter-klopfen sind mir die Karten dann wirklich eigentlich zu teuer.

Ich kann das trotzdem nicht begreifen. Ich kenne ziemlich viele Leute, die so irre jung nun auch nicht mehr sind, aber eben auch noch keine Rentner. Die von all den Kellertheatern mit Comedy (hier in Bonn gibt es da fast nichts anderes außer Comedy) genug haben (das ist ja letztlich auch immer dieselbe Machart, und die Themen sind oft sehr vorhersehbar). Die aber auch nicht mit Mitte 40 immer noch die Sachen sehen wollen, die sie schon während ihrer Zeit des verbilligten Jugendabos gesehen haben. Mit dem einzigen Unterschied, jetzt in Reihe 2 statt in Reihe 31 zu sitzen. Ich kenne keinen in meinem Umfeld, der ernsthaft erwägt, sich eine dieser Sachen anzuschauen. Es gähnen alle. Warum bedient die keiner?
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 11. Mai 2005, 01:47:09
Ich habe auch den Eindruck, dass sich genau diese "intelligente Normalbürger-Mittelschicht" wieder aus ihren Löchern traut ( ::)) - aber die Veranstalter, die Medien checken's nicht - oder, wenn sie's checken, wissen sie auch, dass es zwar ein für unsereins ernstzunehmendes Publikum wären - aber in den margen, in denen DIE denken, sind es einfach zu wenige. Und das heisst, dass die Programme, die wir meinen (zum Beispiel dieser grossartige Schweizer mit dem Walser-programm oder Deines oder meines) - einfach zu schlecht angekündigt werden. Viele Leute wissen nicht ,dass es stattfindet, viele Leute ERWARTEN nicht , dass es stattfindet, viele Leute suchen auch nciht danach, und viele Leute wissen auch nciht, dass es ihnen gefallen würde - weil die Werbung, die Veranstalter, die Medien diese Events nicht promoten, oder viel zu wenig. und wir alle aber gewöhnt sind, unsere Informationen über das, was "passiert" nicht zu suchen, sondern vor die Nase geknallt zu kriegen.

erinnere Dich, Dagmar, wie lange wir gesucht haben, in den Programmen, bis wir was gefunden haben, was uns interessiert - das steht nun mal nicht an sichtbarer Stelle.Das ist ein klassischer "Catch22" - Sie erfahren's nicht, daher kommen sie nicht, daher nehmen es die Veranstalter nicht, daher lernt es niemand kennen, daher macht es niemand mehr...

An anderer Stelle haben wir über tim fischer geredet. Der hat ja auch lange getingelt. Und als er dann anfing, breitenwirksamer zu werden, und mit leichteren Programmen und Glitzerglatzer und Gschistschasti und blonden Perücken aufgetreten ist - da war auf einmal ein Publikum, da waren Veranstalter, da waren Medien.
Und jemand ohne den grossen Glamour,(wie zum beispiel Pigor) der spielt immer noch in Kellerschuppen vor 80 Leuten, die dann alle begeistert sind, und nachher sagen: wieso macht der nicht die grosse karriere?
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 12. Mai 2005, 01:01:09
Witzig: Ich habe auch gestern noch einmal an unseren Theaterbesuch bei dem Schweizer gedacht. Das war wirklich absolute Spitzenklasse. Richtig richtig gut. Und 17 Leute oder so waren im Theater  :(

Ich glaube auch, dass Marketing eine riesige Rolle spielt. Mir fällt der Wahnsinns-Werbe-Aufwand ein, den ich letzten Herbst für die Brecht-Geschichte gemacht habe - und das hat es gebracht. Ein paar hundert haben die Vorstellungen gesehen - obwohl unbekannt und so. Also was ich damit sagen will:

Vielleicht muss man einfach eine kleine Bühne fest anmieten, gute Leute einkaufen und dann dafür richtig professionelles Marketing machen. Ich überlege immer öfter, ob das nicht richtig laufen würde. Abschrecken tut mich bei so einer Idee der Aufwand - das rechnet sich am Ende dann wahrscheinlich doch nicht (was meine Brecht-Konzerte ja auch letztlich gezeigt haben).
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 12. Mai 2005, 09:33:27
Da mußt Du auch richtig Glück haben! Du mußt jemanden finden, der/die das Marketing aus dem FF beherrscht, sich in Deiner ganz speziellen Szene auskennt, die Leute kennt, mit Menschen (vor allem Veranstaltern) gut umgehen kann, sich interessant machen kann, begeistert von Deiner Musik ist.

Hinzu kommt, daß Deine Idee auf eine Sehnsucht unter den Menschen treffen muß, wenn das nicht so ist, dann nutzt das beste Marketing der Welt nichts.

Ich habe das Problem gerade, ich suche jemanden, der genau die obigen Kriterien für Musik des frühen 17. Jahrhunderts erfüllt!

Mit einem Wort - man braucht auch ne Portion Glück.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 12. Mai 2005, 10:34:20
Stimmt, Geld ist wichtig für gutes Marketing, aber wenn's das produkt nicht bringt...

erinnert Ihr Euch noch an Pia Zadora? so eine kleine blonde mit grossem Kopf, so Lolita-Schema. Die hat einen Millionär geheiratet, und der hat immense Summen in ihre Vermarktung gesteckt, eine Zeitlang waren alle Medien voll mit ihr. Und die Konzerte waren trotzdem leer. Weil sie einfach keinen Interessiert hat...

Sowas ist dann natürlich auch eine Spirale: Du musst investieren, damit Du bekannt wirst. Dann brauchst Du aber schon mal ziemlich volle Konzerte, um Deinen aufwand wieder  reinzukriegen - und dann musst Du noch mehr trommeln, und brauchst noch mehr grosse Konzerte, damit sich das rechnet. Und insofern haben die Multis schon Recht, wenn Sie nur solche Künstler pushen, die irgendwann selbstläufer werden - wie zB die Rolling Stones. Jetzt kostet es nix mehr, die zu promoten: Wenn die sagen, wir machen ne pressekonferenz, kommen alle gelaufen, und man kann sich die Medien aussuchen. Bei unsereins muss man noch nachtelefonieren, und irgendwelche "Zuckerln" anbieten, damit ein zwei-zeiler erscheint....

du hast also vermutlich ein noch grösseres problem als Dagmar, Bassmeister. Denn alte Musik, die ist für Kenner interessant, aber ein neues Publikum ist damit hölle-schwer zu erreichen. Brecht indes wird schon von der Schule aus (vermutlich?) als Name "gepusht" und da kann man noch Leute finden, die sagen: namen gehört, aber nie Sachen von dem - gucken wir uns mal an.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 12. Mai 2005, 18:19:55
Ich meinte das eigentlich grundsätzlicher, also gar nicht so sehr auf nur eine oder gar meine Sachen bezogen. Wenn es zunehmend Leute gibt, die die ewig gleichen Sachen an den Staatshäusern nicht mehr hören können und auch nicht mehr so riesig viel Lust auf die Keller-Comedy haben, die aber keiner bedient, dann müsste man vielleicht ein kleines Haus aufmachen, und verschiedenste Künstler und Genres einkaufen. Richtig gute Leute, bei denen eben sonst immer nur 17 Nasen im Theater sitzen. Mit einem sehr guten Marketing könnte es dann vielleicht gehen. Oder auch nicht. Auf die Idee sind ja andere auch schon gekommen und es dümpelt bei denen so vor sich hin.

Nur wenn es überwiegend daran liegt, dass so Leute wie der mit dem Walser-Programm außer einem Zweizeiler, den Du auch noch suchen musst, kein Marketing haben, dann liesse sich DAS doch ändern. Meine Frage war eher, ob Ihr glaubt, dass mit einem hohen Aufwand an Werbung, ÖA, Pressearbeit usw. dann da mehr sitzen würden als 17? Es muss sich ja rechnen unter'm Strich.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Sandra am 12. Mai 2005, 23:16:04
Ich denke schon. Es liegt am Haus. Ich denke, wenn er zB im Burgtheater aufgetreten wäre, wo man gewöhnt ist, sperrige Kost zu erhalten, wäre er voller gewesen.
Es muss halt ein Haus sein, das von vornherein diesen Ruf hat - wenn Du da ein Neues aufsperrst, kriegst du den altehrwürdigen Bildungs-ruf nicht so leicht, und musst daher erst mal Tonnen investieren. Und DAS ist glaube ich die Crux. Und an altehrwürdigen Häusern haben sie auch ihr Ensemble und kaufen wenig ein. Wenn er jetzt ein Star wäre, ein grosser Name, wäre er auch leichter voll geworden. Aber er war ein Niemand in einem Nichtstheater. Aber irgedwoher muss erst mal der Ruf herkommen, entweder vom haus (das sich den auch schaffen muss über jahre, und sich ein Publikum "züchten" muss) oder vom Namen. oder er tritt im Rahmen eines berühmten Festivals auf, und kriegt so Vorschusslorbeeren, das hilft wahrscheinlich auch.

Um deine Frage zu beantworten: Ich denke, als Nobody, in einem Nobodyrahmen kannst du auch viel werben, und es wird wenig helfen. Aber wenn du schon wer bist, schon Kritiken hattest, mit anderen Sachen - und dann mit viel Werbung in einem Nobodyhausspielst, dann kómmen auch da Leute. oder eben umgekehrt: Du bist an einem tollen haus, wo man erwartet, so etwas zu sehen, wo man unbesehen hingeht, weil man einfach weiss, das ist gut , was dort läuft, das hilft auch. Aber die Ideallösung ist beides nicht, nur Hilfe - denke ich mal.

Man muss Deinen Namen kennen, Dich im idealfall aus dem Fernsehen kennen - dann bist du voll.
So richtig VOLL ist man heute sehr schwer - wenn man nicht platteste Breitenwirksame Suppe macht. Alle theater kämpfen.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Dagmar am 26. Juni 2005, 02:56:02
Ich hatte einen wunderschönen Abend: Ich war auf einem Open Air auf der Museumsmeile in Bonn (DIE Bühne, die mir das Kulturamt für das Tsunami-Benefiz verwehrt hat  >:( aber das ist ein anderes Thema).

Es war die "Abschiedstournee" von B.B. King.

Meine Einschätzung:

B.B. King hat - die Kulturgötter mögen es mir verzeihen - seine Jahre hinter sich. Er hat den Zeitpunkt überschritten, an dem man besser aufhören sollte, weil die Stimme nicht mehr trägt und die Tontechnik gnadenlos die Stimme hochsteuern muss, damit man überhaupt noch etwas vom ehemaligen Volumen und Können hört. Andererseits beeindruckt und rührt es, dass ein knapp achtzig-Jähriger noch eine solche Tournee auf sich nimmt und trotz seines hohen Alters eine derartige Bühnenpräsenz erzeugt. Die frenetische Begeisterung im Publikum schien mir zum großen Teil dieser Tatsache geschuldet. Während seines Gesangs flachte das deutlich merkbar ab. Er machte das wett durch 3 Aspekte: Zum ersten spielte er in altbekannter und nicht nachlassender Qualität unendlich virtuos Gitarre. Das war genial und hat mich riesig beeindruckt.

Zum zweiten hatte er ein Aufgebot an erstklassigen und hochrangigen Musikern auf der Bühne, dass einem der Atem wegblieb: Vier Trompeten - einer besser als der nächste, ein Star-Saxophonist, ein Drummer, ein Keyboard und ein Piano. Diese Band spielte gottgleich und liess vergessen, dass die Stimme von B.B. King nicht einmal mehr ein Drittel an frühere Zeiten heran reichte.

Zum Dritten habe ich seine Management-Fähigkeiten bewundert: Er hat absolut hochrangige Künstler als "Vorgruppen" verpflichtet, so dass die Leute schon sehr zufrieden sein konnten mit dem bisher Dargebotenen als sein Auftritt kam.

Als erste spielte Renee Olstead: Ein ganz junges Mädchen mit einer hohen musikalischen Fähigkeit: Die Einsätze und das Spiel mit der Stimme zu immerhin 6 Musikern auf der Bühne waren perfekt und restlos fehlerfrei. Leider hatte ihre Stimme ein Manko: Es fehlten alle dunklen Farben vollständig. Das ließ ihren Auftritt leider farblos werden nach ca. 15 Minuten, wozu ihr schlecht gestaltetes Bühnen-outfit und ihre (sicher auf der Basis ihres noch sehr jungen Alters) geringe Bühnenpräsenz erheblich beitrug. Sicherlich eine Chance für die Zukunft mit zunehmender Erfahrung.

Danach spielte Olita Adams. Für mich der absolute Höhepunkt des ganzen Abends. Ich bin dahin geschmolzen bei DER Stimme. Alle Register waren rund und tragend und voller Farben. Ich war so etwas von fasziniert davon und - zugegebenermassen - auch super neidisch und böse auf den blöden Gott, der mir als die Stimmen verteilt wurden nur sehr viel weniger mitgegeben hat (vielleicht habe ich auch nicht laut genug "hier" geschrieen  ;) ) Olita Adams sollte meiner Meinung nach allerdings darauf verzichten selber das Piano zu spielen. Ihr Klavierspiel war durchschnittlich. Nicht schlecht, aber bei weitem nicht herausragend. Dem trug die Tonsteuerung auch hier Rechnung, in dem das Klavier völlig untersteuert war. Besser ein guter Pianist dabei und diese begnadete Sängerin konzentriert sich ausschliesslich auf ihren stimmlichen Vortrag.

Dann kam Randy Crawford. Die Leute waren hin und weg. Ich persönlich mochte noch nie dieses Hauchige in ihrer Stimme. Mit dem Älterwerden ist das sehr viel stärker hörbar. Ich fand, ihr ganzer Vortrag verlor extrem dadurch.

Na ja - und dann kam B.B. King.

Alles in allem ein wunderbarer Abend  ;)
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Alexander am 01. September 2006, 13:23:25
Heute in "Neues Deutschland":

Avantgardisten des Prekariats
Eine aktuelle Studie des Deutschen Kulturrates zeigt: Viele Künstler leben in Armut

Von Simone Schmollack

Der Maler Neo Rauch hat kürzlich ein Bild verkauft. Im Grunde ist das nichts Außergewöhnliches. Der Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig und Begründer der Neuen Leipziger Schule hat schon viele Bilder gegen Geld getauscht. Das Besondere am letzten Deal ist der Preis, den er für sein Werk bekommen hat: 663 450 Euro. Damit ist Neo Rauch auf Platz zwei der Rangliste der teuersten zeitgenössischen Künstler gerauscht. Neo Rauch ist 46 Jahre alt. Bis zum Jahre 2008 sind alle seine Bilder bestellt und verkauft. Die meisten davon sind noch nicht einmal gemalt.
Jost B. verkauft auch Bilder. Der 45-jährige Maler und Bildhauer nimmt für eine Zeichnung bis zu 800 Euro. Eine Triptychon geht für 2200 weg, Mengenrabatt muss sein. Bei jedem Verkauf hat er ein schlechtes Gewissen: »Ist das nicht zu teuer?« Der Bochumer kennt die Lage auf dem Kunstmarkt genau so gut wie die Lage auf dem Arbeitsmarkt und mag den Leuten ungern solche Summen für seine Kunst abknöpfen. Obwohl er weiß, dass sie so viel und noch mehr wert ist. Aber er kennt auch seine Situation und weiß, dass er mit dem Preis nicht weiter runter gehen kann. Er ist auf jeden Cent angewiesen. Sein Atelier kostet 400 Euro im Monat. »Das ist billig«, sagt er. Die Wohnung ist eher ein Verschlag. Deshalb schläft er öfter, als es ihm lieb ist, im Atelier. »Dort habe ich Licht und Platz.« In manchen Monaten verdient er gar nichts, in anderen bis zu 1500 Euro. Je nach Nachfrage. »Ich kann nichts planen, nichts ist sicher.« Doch die monatlichen Festkosten bleiben, auch die Abzüge für die Lebensversicherung, die seine Rente darstellt.

Kein einziges Bild
Als vor anderthalb Jahren Hartz IV in Kraft trat, war das Land verunsichert. Auch die Kunstsammler taten sich plötzlich schwer. Das hat Jost B. zu spüren bekommen. Über ein halbes Jahr hat er kein einziges Bild und keine Plastik verkauft. Nicht mal eine kleine Zeichnung für 60 Euro ist er losgeworden. Er hat sich einen Job als Taxifahrer gesucht. Fortan saß er täglich zehn Stunden in einem alten gelben Benz und hat Touristen, Kranke und Alte durch die Stadt kutschiert. Manchmal bekam er dafür ein großzügiges Trinkgeld, manchmal ein nettes Wort. Und als Lohn zwischen 900 und 1100 Euro. In dieser Zeit aber konnte er keine Kunst machen und hat sich nicht mehr als Künstler gefühlt. Eine fette Depression rückte an.

Ein niedriges Einkommen
Laut einer Studie, die der Kulturrat und die Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität jüngst durchgeführt haben, beträgt das Jahreseinkommen von Malern, Schriftstellern, Tänzern, Sängern, Schauspielern 11 000 Euro, also gerade mal 900 Euro im Monat. Nun sind die niedrigen Einkommen von Künstlern allgemein bekannt. Aber eine Studie, die exakt darüber Auskunft gibt, wie sich die Honorare mit dem Alter der Befragten verändern, wie sie sonst leben und wie hoch der gefühlte Ertrag für Kunst ist, gab es das letzte Mal 1973 in den alten Bundesländern. Offensichtlich ist der Drang groß, die Situation von Künstlern besser zu kennen, um daraus eine Idee für alternative Lebens- und Arbeitsmodelle und einen Mehrwert für die Gesamtgesellschaft abzuleiten. Das Prekariat als Avantgarde! Worüber Jost B. nur milde lächeln kann, scheint für andere einen Argumentationsreiz zu besitzen. Denn so wenig die Künstler auch verdienen, so die Studie, sind sie mit ihrer Gesamtsituation nicht unzufrieden. Sie schätzen die Selbstständigkeit und das Gefühl von Unabhängigkeit und schöpferischer Freiheit. Das sagt auch Jost B. »Eigentlich müsste ich mir mal einen Bürojob suchen, um mich einigermaßen zu sanieren und um mit 45 nicht noch immer wie ein Student zu vegetieren.« Er hat im Internet nach Stellen gefahndet. Aber als er die Angebote las, wurde ihm endgültig klar, dass er in festen Strukturen nicht arbeiten kann. »Ich bin Künstler und das bleibe ich, egal, was ich mache. Dafür muss ich dann wohl oder übel auch die Unsicherheit in Kauf nehmen.«
Finanziell ging es Künstlern – mit einigen mehr oder weniger berühmt gewordenen Ausnahmen – noch nie sonderlich gut. Doch jetzt, so scheint es, spitzt sich die Lage noch einmal zu, sie wird als prekär bezeichnet. Seit der Jahrtausendwende haben soziale Netze zunehmend größere Löcher bekommen und Künstler fallen durch die Hartz IV-Regelung mit als erste aus der letzten sozialen Sicherungsmöglichkeit heraus. Sie haben größere Schwierigkeiten als andere nachzuweisen, wovon sie gelebt haben, wenn sie bei längerer Auftragsflaute doch mal gezwungen sind, Sozialleistungen zu beantragen. Arbeitslosengeld bekommen sie nicht, denn sie arbeiten freischaffend. Gab es früher die (etwas lockerer gehandhabte) Sozialhilfe, greift nun das harte Hartz IV-Gesetz. Doch bevor die erste Zahlung fließt, müssen Sparbücher (die fast nie vorhanden sind) und Lebensversicherungen (die meist gering ausfallen) weitgehend aufgebraucht sein. Die Betroffenen werden nicht nur ihrer Würde beraubt, schlimmer noch, ihnen wird die letzte Möglichkeit genommen, sich durch die Lebensversicherungen eine Rente anzusparen.
Trotzdem ziehen Künstler ein Leben in Unsicherheit dem abgefederten Dasein vor. Nicht, weil es sonderlich attraktiv ist und besonders kreativ macht, sich von Monat zu Monat neu überlegen zu müssen, wie Miete, Kleidung und Nahrungsmittel finanziert werden, sondern weil ihre Berufe fast nur freiberuflich ausgeübt werden können.
Die Untersuchung ist zwar nur, wie die Verfasser betonen, eine Stichprobenerhebung, dennoch lässt sich ein Trend erkennen: 66 Prozent der Befragten betrachten ihre Kunst als Haupterwerb, alle anderen Tätigkeiten, die mitunter den Broterwerb bilden bzw. ergänzend wirken, sind in Künstleraugen Zu- oder Nebenerwerb. Das Einkommen unterscheidet sich je nach Sparte, Alter und Geschlecht: Je jünger die Betroffenen, desto weniger verdienen sie, Männer kriegen mehr als Frauen und Wort- und bildende Künstler etwas mehr als Musiker und darstellende Künstler. Schriftsteller unter 30 erhalten durchschnittlich 11 000 Euro jährlich, Schriftstellerinnen unter 30 bis zu 8900 Euro. Dichter zwischen 50 und 60 Jahren erschreiben sich etwa 18 000 Euro im Jahr, Dichterinnen 2000 Euro weniger. Musiker zwischen 30 und 40 verdienen rund 9000 Euro jährlich, Musikerinnen der gleichen Altersspanne rund 1500 Euro weniger. Bildhauerinnen und Malerinnen zwischen 40 und 50 leben von etwa 9000 Euro im Jahr, ihre männlichen Kollegen von knapp 12 000 Euro. Vereinfacht lässt sich sagen, dass der Verdienst der Frauen mit jedem Lebensjahrzehnt etwa um 1000 Euro jährlich steigt, der der Männer um 2000 Euro.

Kunst als Haupterwerb
Davon kann man nicht leben. Und das hat in den wenigsten Fällen etwas mit der Qualität der Kunstwerke zu tun. Konnten bis vor wenigen Jahren lediglich zwei Prozent aller Künstler von der Kunst leben, so sind es heute immerhin schon vier Prozent. Dank zahlreicher Stipendien, befristeter Werkverträge, Preisgelder, Studienaufenthalte. Inzwischen nimmt auch in Deutschland cultural sponsoring ein wenig Form an, in Amerika ist das seit Jahren ein ganzer Industriezweig. Kunstinteressierte vermögende Privatpersonen gründen Stiftungen oder stellen Preisgelder in nicht geringen Höhen zur Verfügung, lassen Künstlerhäuser bauen und unterstützen einzelne Künstler aus aller Welt. In Deutschland werden die kommunalen Ausgaben für Kunst und Kultur sowie die Zuwendungen für Frauenprojekte meist als erste gekürzt, wenn es heißt: Wir müssen sparen. Das ist ein altes Lied. Und als vor wenigen Wochen in Chemnitz Bürgermeisterwahlen stattfanden, machte der CDU-Kandidat Detlef Nonnen Kunst und Kultur zu einem Wahlkampfthema. Er könne getrost auf Kunst und Kultur verzichten, das koste doch nur Geld, sagte er. Gewonnen hat schließlich die Kandidatin der SPD Barbara Ludwig, die sich ausdrücklich für Theater, Malerei und Film aussprach.
In einem Punkt ist die Erhebung des Kulturrates ein Novum. Sie hat erstmalig untersucht, in welchen Haushalten die Befragten leben und ob sie Kinder haben. Im Alltag können auch Künstler sehr irdisch sein. Frauen leben häufiger in Zweipersonenhaushalten und zum größten Teil von ihren Partnern, Männer eher allein. Schriftstellerinnen und literarische Übersetzerinnen haben häufiger Kinder als andere Künstlerinnen. Trotzdem spielten Kinder und Kinderbetreuung beim Motiv, sich in der jeweiligen Kunstsparte selbstständig zu machen, eine eher untergeordnete Rolle. 80 Prozent der Künstler gaben an, vom Gehalt der Partner zu profitieren bzw. von ihnen durch unbezahlte Mitarbeit unterstützt zu werden.
Jost B. hat keine Kinder und zur Zeit auch keine Frau. Das ist einerseits ein Glück, »weil ich nur für mich selbst sorgen muss«. Andererseits fehlt ihm ein Stück seelische Geborgenheit, die eine Liebe bietet und die ihn in psychischen Krisensituationen stützen könnte.

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=96340&IDC=4
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 01. September 2006, 17:34:57
Heißer Artikel. Ich glaube, diese Studie habe ich damals auch mit gemacht, jedenfalls erinnnere ich mich an einen Fragebogen, der genau dieses Thema behandelte.
Also liege ich eigentlich für einen Musiker und Mann mit meinem Einkommen ganz gut.
(meinen die eigentlich das Netto- oder das Brutto-Einkommen? Das ist bei uns KünstlerInnen ja auch so n Ding mitm Pfiff, weil vieles, was man so "absetzt" ja auch Geld ist, von dem wir gleichzeitig leben.)

Ich vermisse allerdings in dem Artikel Aufklärung daüber, wie Neo Rauch das macht, daß er für ein Bild Geld bekommt, das ein "normaler" Künstler, der ja auch nichts anderes tut, in 6 Jahren verdienen muß!
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: whoknows am 02. September 2006, 12:33:25
Ich kann Dir sagen, wie er das macht (ich habe noch NIE von ihm gehört, nb): Er hat eine gute PR-Firma und ein gutes Management. Nur so geht es heutzutage, leider.

Was mich besonders fasziniert hat, ist dieser Satz:
ZitatDenn so wenig die Künstler auch verdienen, so die Studie, sind sie mit ihrer Gesamtsituation nicht unzufrieden.
Das wird ja sooo gerne als Argument benützt, um nix zu ändern: Sie wollen es ja nicht anders.....
Und es stimmt aber SO nicht. Künstler sind mit ihrer ARBEIT zufrieden, das heisst aber noch nicht, dass sie mit ihren allgemeinen Lebensbedingungen zufrieden sind: Materielle Sorgen - und das steht ja auch weiter unten - hilft absolut NICHT der kreativen Produktion.

Der Typ, der gemeint hat, es könne locker auf Kunst und Kultur verzichten....den hab ich ja besonders gern. Das ist schon interessant, dass die Leute tatsächlich nciht merken, wie sehr es auf die wirtschaftliche Kompetenz abfärbt, Kunst und Kultur wertvoll zu halten.
Die glauben echt, dass völlig entleerte Menschen-Hüllen gut produzieren können... weit gefehlt: wenn ein Land Kultur und Kunst hat, eine "Seele", ist es auch wirtschaftlich fitter.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Bassmeister am 03. September 2006, 21:14:19
Auf dem Fragebogen stand die Frage etwa so:
Sind Sie der Meinung, daß die finanzielle Situation Ihre Kreativität eher fördert, oder daß Sie unter finanziell sichereren Bedingungen besser arbeiten können?
Da ich ahnte, worauf die Frage hinauswill und eine Falle vermutete,
ZitatDas wird ja sooo gerne als Argument benützt, um nix zu ändern: Sie wollen es ja nicht anders...
habe ich letzteres angereuzt, obwohl die erste Fragestellung durchaus ihre Berechtigung hat.
Die Meisten scheinen aber in die von mir vermutete "Falle" hinein getappt zu sein.

Schrieb ich übrigens 6 Jahre für rund 600000 Euro?
Weit verrechnet, es müssen ca. 33 Jahre sein (soviel Zeit, wie ich noch bis zur Rente habe. Mein Einkommen vorausgesetzt)
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: whoknows am 04. September 2006, 00:13:16
Ist ja auch klar: wenn ich kein Geld habe, schreibe/male/komponiere ich viel, um dann DAMIT hoffentlich wieder was zu verdienen. ::) Wenn ich viel Geld habe, mache ich auch mal Urlaub - fördert die Kreativität nur mittelbar.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Werner am 10. Dezember 2006, 20:44:22
Zitatschreibe/male/komponiere ich
Privat? Oder gibts ne site mit näherem hierzu?
Würde mich interessieren.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: whoknows am 10. Dezember 2006, 21:45:13
Wen meinst Du jetzt? Bassmeister, mich oder den Fragebogen?
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Werner am 11. Dezember 2006, 05:08:45
Eigentlich dich, oder war die Formulierung nur allgemein gedacht. (Bassmeister hörte ich schon).
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: whoknows am 11. Dezember 2006, 12:58:54
War ein Zitat, wie Du aus der Verfolgung der davorstehenden Postings erkennen kannst. Malen tu ich nicht - ich war allerdings mit einem Maler verheiratet, wenn das auch zählt  ;D
Und komponieren derweil mehr in Zusammenarbeit als janzallene - aber das wird noch, das wird noch. ;)
Schreiben schon. Aber ich lass nur sehr wenig davon raus.
Titel: Re: Kunst und Kultur  in Deutschland
Beitrag von: Werner am 11. Dezember 2006, 20:20:01
Wenn er dich (also sozusagen von seiner Muse inspiriert) mit Pinsel und Farbe in ein lebendes Kunstwerk verwandelt hätte, das würde schon zählen. Obwohl dessen Haltbarkeit - ich meine damit natürlich die Farbe :) -den grossen Rest der Welt schon um den Kunstgenuss gebracht hätte (wenns nicht gestochen wäre). Lass uns lesen wenn du schreibst..