Haben die Stammtische das Fernsehkabarett übernommen?

Begonnen von Bastian, 10. Juni 2015, 13:21:37

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Bastian

Verschwörungstheorien in der "Anstalt", antisemitische Töne bei den "Mitternachtsspitzen" - und wo noch Platz ist, läuft Volker Pispers durchs Bild und rollt einen roten Teppich für Putin aus.
Ich hab mich schon länger gefragt, wieso ich so manche Begeisterung übers Fernsehkabarett nicht mehr teilen kann. Obwohl die Säle voll sind, also scheinen die "Macher" etwas richtig zu machen. Allerorts sehe ich Publikum sitzen, wie es Sätze beklatscht vor denen es mir aber ehrlich graust. Was ist da passiert?

Jan-Philipp Hein wagt sich an eine kleine Analyse.
ZitatAls Kabarett getarnt hielt Steimle eine politische Kampfrede. Höhepunkt: ,,Wieso zetteln die Amerikaner und Israelis Kriege an und wir Deutsche dürfen den Scheiß bezahlen?"" Er ist wieder wer, der Steimle. Es geht ihm offenbar gut. Der Satz gehört dechiffriert, weil er tiefe Einblicke in antisemitische Gedankengebäude zulässt. Das alles verbirgt sich hinter Steimles Showeinlage: Die Juden (Israel) setzen mal wieder die Welt in Brand. Die Mittel, das zu tun, pressen sie den Deutschen ab, die ,,den Scheiß bezahlen". Warum das bezahlt wird, ist natürlich klar: Weil die Deutschen wegen des Holocaust ein schlechtes Gewissen haben, aus dem die Juden bekanntlich seit Jahrzehnten Profit schlagen. Um das nicht auch noch explizit sagen zu müssen, kleidet Steimle seine Gedanken in eine Frage.

http://www.shz.de/top-thema/fernsehkabarett-da-wo-der-antisemitismus-blueht-id9907466.html

Heiko

Hallo Bastian,
schön mal wieder was von dir zu lesen.

Steimle fand ich vom ersten Moment an arg national. Hab ihn auch noch nie bis zum Ende aushalten können.

Was Pispers betrifft, kann ich die Kritik nachvollziehen. Rote Teppiche für Putin würde ich zwar auch nicht ausgerollt sehen wollen. Aber als Bürgerkrieg getarnte Stellvertreterkriege sind gewiss nicht Putins Erfindung. Das gehört seit Jahrzehnten zum Standardrepertoire der US-Einmischung nicht nur in Südamerika. Die Ukraine ist Kriegsspielfeld für beide Seiten und so könnte man vielleicht auch einfach beide Seiten kritisieren.

Dass mit der Anstalt sehe und verstehe ich noch nicht ganz. Weil Schramm dort mitwirkte? Weil letzte Sendung der Josef Foschepoth zitiert wurde? Das hätte ich gerne konkreter. Denn obwohl dort die Inhalte sicherlich publikumswirksam vereinfacht werden, erkenne ich insbesondere bei der Anstalt höchst aufklärerischen Anspruch im positiven Sinne.

Schätze, Publikumskabarett im Fernsehen musst ein Stück weit Stammtisch sein, um zu funktionieren. Sonst gäbe es keine Lacher und keinen Applaus. Wahrscheinlich besteht die Verantwortung gerade darin, den Stammtisch auf seine Seite zu ziehen, anstatt ihn zu bedienen.

Gruß Heiko
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

#2
ZitatAls Kabarett getarnt hielt Steimle eine politische Kampfrede. Höhepunkt: ,,Wieso zetteln die Amerikaner und Israelis Kriege an und wir Deutsche dürfen den Scheiß bezahlen?"" Er ist wieder wer, der Steimle. Es geht ihm offenbar gut. Der Satz gehört dechiffriert, weil er tiefe Einblicke in antisemitische Gedankengebäude zulässt. Das alles verbirgt sich hinter Steimles Showeinlage: Die Juden (Israel) setzen mal wieder die Welt in Brand. Die Mittel, das zu tun, pressen sie den Deutschen ab, die ,,den Scheiß bezahlen". Warum das bezahlt wird, ist natürlich klar: Weil die Deutschen wegen des Holocaust ein schlechtes Gewissen haben, aus dem die Juden bekanntlich seit Jahrzehnten Profit schlagen. Um das nicht auch noch explizit sagen zu müssen, kleidet Steimle seine Gedanken in eine Frage.

Na, da muß man aber den Antisemitismus selber reininterpretieren. Eine gerne geübte Disziplin, die aus Jakob Augstein einen der übelsten Anti-Semiten der Weltgeschichte macht.


ZitatBeispiel Georg Schramm. Der ließ 2011 in Stuttgart bei einer der vielen Protestkundgebungen gegen den unterirdischen Bahnhof seinen dunklen Gedanken freien Lauf. Das Volk sei weiter als die Herrschenden (Bahnhofsneubauer): ,,Das Volk würde liebend gern den Banken wieder zu dem Ansehen verhelfen, das sie einmal hatten, als man sie noch Geldverleiher nannte, als es noch ein dreckiges Handwerk war, das ein ehrbarer Christ gar nicht ausüben wollte." Verdikt Antisemitismus? Georg Schramm war später nicht nur als Präsidentschaftskandidat für die Linkspartei im Gespräch, sondern ist immer noch ein umjubelter Kleinkünstler und darf regelmäßig im Fernsehen auftreten.





Heiko

Zitat von: Burkhard Ihme am 11. Juni 2015, 00:17:17Na, da muß man aber den Anti-Semitismus selber reininterpretieren. Eine gerne geübte Disziplin, die aus Jacob Augstein einen der übelsten Anti-Semiten der Weltgeschichte macht.

Bzw. eine Disziplin, deren Übung vielfach verweigert wird, wo sie durchaus angebracht wäre. Für die (falsche) Aussage, Deutschland müsse die Kriege der USA und Israel bezahlen, ist diese Aufgabe noch nicht einmal besonders schwierig. Und natürlich muss dabei ein klein wenig interpretiert und decodiert werden. Es stellt sich doch niemand hin und sagt, er hasse Juden. Selbst ziemlich unzweideutige Fälle wie dieser Elschwätzer ziehen gegen solche Vorwürfe vor Gericht.

Wo beginnt denn für dich Antisemitismus? Wenn jemand Synagogen anzündet?

"I would prefer not to."

Burkhard Ihme


Von welchem unzweideutigem Fall redest du?

Falsche Behauptungen über Israel machen einen nicht zwangsläufig zum Antisemiten. Und Antisemiten sagen hin und wieder auch was richtiges über Israel.

Schramms Äußerung ist bankenfeindlich. Wer da Antisemitismus reinliest, kann ihn überall entdecken, auch in der Verfassung des Staates Israel.

Bastian

Bei der Anstalt denke ich zum Beispiel an diese Sendung, in der Uthoff und von Wagner die vermeintliche Gleichschaltung der deutschen Presse im Ukraine-Konflikt und deren angebliche NATO-Hörigkeit aufs Korn nehmen wollten. Dieser Sketch, in dem sie quasi aus dem Schützengraben heraus diktierten, wie zu berichten sei. Belegt wurden die Ergebnisse dann mit realen, aber selektiv herausgepickten Zeitungsüberschriften, zu denen man auch schon zu diesem Zeitpunkt durchaus hätte anderslautende Beispiele hätte finden können. Das war mir ziemlich zu nahe an der "Lügenpresse der Pegiden und dem "Massenmedien"-Bashing der KenFM-youtube-Uni-Absolventen... Der "Faktencheck (Propaganda)"  hatte es dann auch in sich. Nicht nur weil dort u.a. die Verschwörungspostille "Deutsche Wirtschafts-Nachrichten" als Beleg angebracht wird, sondern auch der hübschen Ironie wegen; schließlich belegen die zum anderweitigen Beleg angebrachten Artikel der Mainstreammedien ja gerade, dass es sich mit der Gleichschaltung eben nicht so verhält.

Bei Steimle muss man tatsächlich nicht tief schürfen. Man sollte ihn mal fragen, welche Kriege Israel da seiner Meinung nach ständig anzettelt, für die das gebeutelte und geknutete Deutschland aufkommen muss... 
Bei Schramm ist es etwas komplizierter. Und schmerzhafter, weil er es ist. Schramms Bild vom bösen Geldverleiher (sic!), der die Politik finanziert (sic!) und sich dem "Wirtstier" (sic!) als "Parasit" (sicsic!) anheftet und ihm schadet... Was fange ich damit an? Ich schätze Schramm sehr. Und so mag ich einerseits nicht glauben, dass es aus ihm unbewusst so spricht. Andererseits macht es die Sache auch nicht besser, wenn er sich über diese Worte im Klaren war.

Heiko

@Burkhard

Ich rede von jenem Fall, bei dem die Richterin in erster Instanz tatsächlich eine Definition zu Grunde legte, bei der Antisemitismus erst dann vorläge, wenn jemand die Gräueltaten der Nazis gegen Juden gutheiße und rechtfertige. Danach wäre Deutschland quasi frei von Antisemiten. Teilst du diese Defintion?

Zitat von: Burkhard Ihme am 12. Juni 2015, 03:00:37
Und Antisemiten sagen hin und wieder auch was richtiges über Israel.

Ja, Antisemiten äußern auch mal was Richtiges. Ich würde sogar wetten, in dem Hauptschriftstück des kleinen Mannes mit der großen Schnauze und dem kleinen Bart findet man isoliert wahre Aussagen. Würde, wenn darauf jemand besteht, es sogar überprüfen, da mir eine Ausgabe von 1943 zugänglich ist. Aber aufgrund des Gesamtkontextes wären diese Aussagen eben nichts wert.

Bei Schramm tut ich mich ebenfalls schwer, weil er es ist. Aber wenn er diese Aussage als er selber und nicht als Dombrowski geäußert hat, welchem ich als Kunstfigur verkürzte Antikapitalismuskritik noch durchgehen lassen würde, muss erkannt werden, was er da gesagt hat, gesagt haben soll.
Wen stellt er da eigentlich den "ehrbaren Christen" gegenüber? Ein ominöses Volk der Bänker?
"I would prefer not to."

Heiko

@Bastian

Die Folge habe ich irgendwie nur ganz schwach auf dem Radar. Wahrscheinlich war ich nebenbei am Arbeiten. Werde sie mir noch mal anschauen, wenn möglich.
Würde den Medien auch keine Lügen oder Gleichschaltung attestieren wollen, sondern eher Überzeugungen. Die glauben das und haben Spaß am Putin-Bashing.
"I would prefer not to."

Bastian

Musste gerade mal gucken. Es war die Anstalt vom 23.09.2014
Die da. Ganz zum Schluss:


Irgendwo gibt's auch einen zerfleddernden Zusammenschnitt mit Kommentaren. Finde ihn grad nicht.

Edit: Finde ihn doch. Ich glaub der war's, hab nicht nochmal ganz durchgeguckt.

Die Kritik muss man auch nicht in jeder Einzelheit teilen. Aber es ist schon einiges dran, finde ich.

Bastian

Für Jutta Ditfurths Prozess gegen Jürgen Elsässer kann man übrigens immer noch spenden:

ZitatDeshalb bitte ich so herzlich wie dringend um Spenden
entweder via PayPal:
e-Mail-Adresse: jutta.ditfurth [at] t-online.de (Änderung von mir)
oder
auf dieses Konto:
Kontoinhaberin: ÖkoLinX-Antirassistische Liste
Verwendungszweck: »Elsässer-Prozess«
IBAN: DE40500100600717720600
BIC: PBNKDEFF
Bank: Postbank Frankfurt/Main
Kto.-Nr.: 717720600
BLZ: 50010060

http://www.jutta-ditfurth.de/allgemein/News.htm

Heiko

Sicher erwartet niemand, die Anstalt sei unfehlbar, Und wie du schon schreibst, manches der Kritik an ihr trifft und manches nicht. Aber ich finde nicht, dass Uthoff und Anhang schon deswegen Pegidennähe zeigen, weil sie der deutschen Medienlandschaft im Fall Ukraine Einseitigkeit nachzuweisen versuchen, die ich im Prinzip auch so erkenne. denn sie werden konkret dabei, anstatt nur "Lügenpresse" zu skandieren. Manchmal schießen sie dabei daneben und das darf und soll dann auch offen angekreidet werden dürfen.
Und eben so sollte besserenfalls auch Kritik an Banken und anderen vermeintlichen Übeltätern funktionieren: konkrete Offenlegung von Praktiken und Fehlverhalten.
"I would prefer not to."

Heiko

"I would prefer not to."

Clas

Moin, moin,

die sics bei Schramm sind Dombrowski, wenn ich das nicht völlig falsch erinnere.

-

Und da ist ja nun darüber hinaus die Frage, ob Kritik an Geldverleihern oder Spekulanten und Geld- und Pfeffersäcken jeglicher Herkunft per se antisemitisch sei, oder ob nicht derjenige, der diese Verbindung über den Vorwurf des "strukturellen Antisemitismus" erst herstellt, hier das Klischee denkt?

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

Stimmt, es war tatsächlich Dombrowski. Dem Artikel nach dachte ich, es wäre Schrammself gewesen
https://www.youtube.com/watch?v=viUugfoPuSw&feature=youtu.be&t=340
Hm, schwer zu sagen, wie das Gesagte über diese Ecke zu deuten ist.

Heiko

Aber Clas, natürlich bleiben Bänker und Banken kritisierbar, ohne dass es stets antisemitisch wäre. Es geht deswegen auch nicht um "per se". Für mich ist es konkret der Hinweis auf den "ehrbaren Christen", der suspekt wirkt. Doch wegen mir zumindest soll der zornige alte Mann das sagen dürfen. Dass er damit zunächst mal ein Klischee bedient, bevor der Zuhörer es denkt, wird man hingegen auch sagen dürfen. Wie bewusst und absichtlich ersteres geschieht, das bleibt die Frage.

Gruß Heiko
"I would prefer not to."

Clas

Moin Heiko,

ich weiß das. Ich bin aber auch schon des Antisemitismus geziehen worden, des strukturellen, weil ich Gier und maximalfokussiertes Gewinnstreben sowie das Primat der Wirtschaft über die Politik bemängelt habe.

Tja. Der ehrbare Christenmensch... er schmeckt schon eigenartig. Andererseits braucht die bauchkriechende Ehrfurcht vor "Investoren" und solchen, die vorgeben, es sein zu könnten, schon einmal ein Korrektiv.

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Burkhard Ihme

#16
Paßt das Berufen auf christliche Werte zur Rolle des Dombrowski?

Andererseits ist der Antisemitismusvorwurf schon seltsam, wenn dabei sofort an Juden als Geldverleiher gedacht wird, der Grund, warum sie diese Tätitgkeit ausübten, aber nicht gedacht wird. Das Ganze ist also ein Phänomen unter Halbdeppen.

Clas

Moin, moin,

für mein Gefühl geht es da nicht um christliche Werte oder Unwerte, sondern um die Wiedergabe einer historischen Einstufung der gesellschaftlichen Wertschätzung, die sich inzwischen ins auch noch krass überhöhte Gegenteil verkehrt hat.

Vergleiche etwa das Papstzitat.

Ob da im Publikum Antisemitismen gefühlt oder gedacht werden, wäre eine zweite Frage. Es ist jedoch in Teilen nicht unmöglich.

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Heiko

Zitat von: Burkhard Ihme am 17. Juni 2015, 06:53:50
Paßt das Berufen auf christliche Werte zur Rolle des Dombrowski?

Zumindest beruft er sich für seinen Zorn auf Thomas von Aquin und Gregor den Großen.
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

Und sind die besonders als Antisemiten aufgefallen?

Heiko

Häh, war das der Frage impliziert? - Na gut, dann hab ich keine Ahnung. Nicht ob besonders oder gar nicht oder was dazwischen. Zumal ich noch nicht weiß, was nach deinem Verständnis als Antisemit durchgeht. Und mein Verständnis scheint wie ne Fremdsprache auf dich zu wirken.
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

#21
Antisemitismus ist eine Kategorie des Rassismus. Man kann gegen Banken, Israel, die jüdische Religion, Diamantenschleifer und Schläfenlocken sein (zum Teil mit plausiblen Argumenten), ohne nur im geringsten Antisemit zu sein. Und dann gibt es feine Abstufungen, die meist nicht wert sind untersucht zu werden. Ob ein Gutmensch nicht doch ein wenig Antisemit ist oder ein Rassist den Juden kein unnötiges Leiden in der Gaskammer wünscht, nebbich.
Wenn die im Zuge der Political Correctness aufgekommenen Empfindlichkeiten maßgeblich wären, wären 20 Millionen FC-Bayern-Hasser in Deutschland Antisemiten.

Clas

Moin, moin,

nö, historisch ist Antisemitismus nicht einfach eine Sonderform des Rassismus. Wenn das so wäre, wäre die Frage nach dem Antisemitismus des Aquinaten sinnlos. So sinnlos, wie die nach dem Antisemitismus Luthers. Den Judenhass gab es lange vor irgendwelchen Rassetheorien und bevor irgendjemand nachweislich Semiten postuliert hatte. Also sollte Antisemitismus verstanden werden als Synonym zu Judenhass.

Die Erweiterung des Begriffes um das Adjektiv strukturell scheint mir auch vor allem allgemeine Unschärfe zu verursachen.

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Heiko

Hallo Burkhard,
vielen Dank für deine Erläuterung. Ich stimme damit zwar nicht überein, aber weiß nun aus welcher Position du argumentierst. Ich sehe Antisemitismus nicht als untergeordnete, sondern als verwandte Form zum Rassismus mit bestimmten Spezifika.

Moin Clas,
ja absolut, es gibt Unschärfe und Missbrauch mit diesem Begriff, teilweise inflationären. Ich verstehe den Kern des strukturellen Antisemitismusvorwurf so, dass Kapitalismuskritiker, die dessen Übel nur auf Fehlverhalten einzelner Personen abladen wollen, anstatt die Fehler in Grundsatz und Konzept zu suchen, Sündenböcke konstruieren. Ein Vorgehen, das schnell in gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit umschlagen kann, so wie in der Geschichte durchaus schon vorgekommen. Das müssen nicht zwangsläufig die Juden sein, aber zu denen wäre es eben der kürzeste Weg. Vielleicht wäre eine allgemeine Neubenennung dieses Phänomens ein Ausweg.
"I would prefer not to."

Heiko

Die Anti-Antisemitismuskeule

Rhetorisches Instrument zur Unterdrückung jedes Gesprächs über Antisemitismus. Wird seit der Befreiung aus der nationalen Ecke durch Martin Walsers Friedenspreisrede 1998 auch in bürgerlichen und linken Diskursen eingesetzt.

Gängige Behauptungen sind:

  • Der Holocaust werde instrumentalisiert. [Keine Sorge, dieses Argument trifft natürlich nicht diejenigen Kritiker, die Israel vorwerfen, die Fehler der Nazis zu wiederholen.]
  • Der Antisemitismusvorwurf solle mundtot machen. [Durch dieses Opfermotiv sollte jedoch niemand sich daran gehindert fühlen, weiterhin zu sagen, was man ja wohl noch sagen dürfe.] Oder auch:
  • Der Antisemitismusvorwurf ist ein Totschlagargument. [Martialische Metapher, die Kampfbereitschaft verdeutlicht.]
  • Wer antisemitische Klischees erkennt, ist selber Antisemit. [Wesentlicher Vorteil ist die einfache Handhabung. Sogar Kinder beherrschen schon das "Selber". Zudem argumentative Pattsituation: "Wieso denn ich? Du verbreitest doch, Juden wollen die Weltherrschaft."]
Die Anti-Antisemitismuskeule ist strukturell verwandt mit der Gutmenschkeule, die sich ebenfalls eignet und eingesetzt wird, um Debatten, z. B. über Rassismus oder Homophobie, zu unterbinden, zu verlagern oder zu entsachlichen.
"I would prefer not to."