Elfriede Jelinek/Nobelpreis/Österreich

Begonnen von Choirgirl, 11. Oktober 2004, 10:30:14

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Choirgirl

Die österreichische Schriftstellerin und Dramatikerin Elfriede Jelinek erhält in diesem Jahr den Literatur-Nobelpreis. Die Schwedische Akademie in Stockholm teilte mit, Jelinek habe den Preis "für den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen" erhalten. Gelobt wurde die "sprachliche Leidenschaft" der für kontroverse Texte bekannten Autorin.

Keine "Blume im Knopfloch für Österreich"
Jelinek bezeichnete die Auszeichnung als "überraschende und große Ehre". Im schwedischen Rundfunk sagte sie, sie werde zur Verleihung am 10. Dezember nicht nach Stockholm kommen. "Ich kann mich im Moment Menschen nicht aussetzen", sagte die Autorin. "Natürlich freue ich mich, aber ich verspüre eigentlich mehr Verzweiflung als Freude", meinte sie gegenüber der österreichischen Nachrichtenagentur APA. Auch ihre letzten Auszeichnungen hatte sie nicht persönlich entgegengenommen.

Jelinek sagte weiter, sie betrachte den Nobelpreis nicht "als Blume im Knopfloch für Österreich". In ihrer Heimat war die mit den höchsten deutschen Literaturpreisen ausgezeichnete Autorin von Kritikern als "Kunst- und Kulturschänderin" oder als "rote Pornografin" angefeindet worden.

Jelinek setzte sich in ihren Werken mit Frauen- und Fremdenfeindlichkeit, Intoleranz und ökonomischer Unterdrückung auseinander. Sie prangerte die nationalsozialistische Vergangenheit berühmter Burgtheater Schauspieler an. Zweimal verbot sie, ihre Stücke in Österreich aufzuführen.


Kommentar  
Die Jelinek und Österreich  
 
Von ARD-Hörfunkkorrespondent Eberhard Nembach, Wien

Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek – das tut manchen weh in Österreich. Ausgerechnet diese Nestbeschmutzerin, die immer über die Nazivergangenheit in Österreich redet, und die – schlimmer noch – in drastischen Worten die Sexualität beschreibt, wobei Männer bei ihr ganz besonders schlecht wegkommen. Mit anderen Worten, diese Frau steht für all das, was vielen verknöchert konservativen Österreichern zuwider ist. Gerade auch der schwarz-blauen Regierung müsste diese Preisvergabe weh tun. Elfriede Jelinek hat sich immer deutlich dagegen ausgesprochen, dass der konservative Wolfgang Schüssel sich mit Jörg Haiders FPÖ einließ, um Kanzler zu werden. Ein Schlag ist die Prämierung auch für die momentane Kulturpolitik, die eher an Folklore als an kritischen Denkbeiträgen interessiert ist.

Österreich und Jelinek: ein schwieriges Verhältnis
Aber auf den zweiten Blick ist es so wie immer in Österreich: Wer vom Ausland gelobt wird, der wird am Ende auch in der Heimat geliebt. Schon kommen erste Glückwünsche aus den Reihen der Regierungskoalition an Frau Jelinek. Das ist in Österreich kein Widerspruch: Man kann es rundheraus ablehnen, dass Elfriede Jelinek, wie andere Schriftsteller auch, immer wieder daraufhin weist, dass Österreich seine braune Vergangenheit systematisch verdrängt. Aber man kann Frau Jelinek trotzdem loben, wenn sie Preise im Ausland bekommt. Das ist schließlich gut für Österreich.

Kein Wunder, dass sich Elfriede Jelinek verzweifelt gegen die beginnende Vereinnahmung wehrt: Der Preis für sie sei keine ,,Blume für Österreich". Das Nobelpreiskommitee hat sie ja auch ausdrücklich für ihre kritische Haltung in diesem Land gelobt. Den von Elfriede Jelinek kritisierten wird es aber auch in Zukunft gelingen, sie so zu ignorieren wie bisher und sie gleichzeitig zum Aushängeschild für das von ihr kritisierte Land zu machen.

Die Entscheidung für Jelinek ist auch eine politische
Trotzdem tut's natürlich ein bisschen weh – so wie Elfriede Jelinek als Stachel im konservativen Österreichischen Fleisch immer ein bisschen weh getan hat. Unbeirrbar hat sie festgehalten an einer drastischen, oft schwierigen Sprache, hat Unaussprechliches aussprechen wollen, die Gewalt zwischen Menschen, zwischen Geschlechtern, die früher war, die immer noch da ist. Zuletzt hat sie vehement gegen die amerikanische Irak-Politik angeschrieben. Insofern ist diese Preisvergabe auch eine, die gegen George Bush gerichtet ist.
 

Quelle: www.tagesschau.de


 
 

Computer says no.

Sandra

Hehe. Choirgirl - allen Ösis hier im forum hast du jetzt den berühmten Tropfen gegeben...ALLE Zeitungen haben sie auf der Titelseite, inzwischen ist jeder Furz von ihr schon beschrieben worden...

Aber mich freut's.  Alles alten Kackern auf den Kopf geschissen, die sich permanent über sie aufregen. Und sie hat extrem kluge Gedanken, was chauvinismus und sexismus angeht. Und die ÖVP windet sich jetzt, weil sie sie loben muss. Nur die Fpö - das muss man honorieren, bleibt dabei, dass sie sie nicht mögen...

Choirgirl

Haider soll sinngemäß gesagt haben, dass er für eine Kommunistin keine Blumen habe.

Leider habe ich noch nie was von ihr gelesen, aber jetzt durch den Nobelpreis viel über sie. Scheint eine tolle Frau zu sein.

Vor ein paar Jahren hab ich mal "Die Klavierspielerin" mit Isabelle Huppert gesehen. Das war mir zugegeben auch fast ein bisschen zu hart.
Computer says no.

Andrea

Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

Ihr Bücher leben von der Sprache und von der Mehrdeutigkeit der Sprache. Es ist nicht leicht zu lesen, und nicht gerade das, was man einen "spannenden roman" nennt - dazu geht es zu sehr um das Wort. Aber es sind ganz schräge Blicke auf die Art und weise, wie wir Frauen nach wie vor versächlicht und unterdrückt werden, und vor allem: was das für psychische Auswirkungen hat  (die dann wieder der Frau "helfen" sich dieser Unterdrückung freiwillig zu begeben) und - und gibt enorm viel Raum für eigene Assoziationen. "Lust" ist vielleicht das beste Buch - jedenfalls ziemlch "lesbar". Ich kann mit ihren Texten auf der bühne fast mehr anfangen, und am meisten mag ich sie in Interviews - es war jetzt gerade die Wiederholung von einem ganz tollen - weil der Interviewer auch so gut war. Einem Herrn Huemer, einem blitzgescheiten Kopf.

Nase

stellungnahme nr. 345_

obwohl ich dem alten Herrn sonst nicht gern rechtgebe, so hat Marcel Reich-Ranicki das ausgesprochen, was ich auch meine: Ich messe ihr literarisch gesehen keinen besonders hohen Wert zu, allerdings schätze ich die Radikalität ihrer Aussagen.

Nur eins, mein Bester; in der Welt ist es selten mit einem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltiglich, als Abfälle zwischen einer Habichts- und eine

Sandra

#6
Ah, doch. Ich finde schon, dass sie gerade einen hohen literarischen Wert hat. ich finde sie zwar nicht rasend LESBAR- aber wie sie mit Sprache umgeht, das hat schon was, und sie findet tolle Bilder - vor allem: die mehrdeutigkeit ihrer Worte - sagen das eine und geben ein anderes bild, oder eine andere Psychologie drunter - das ist einfach kunstvoll verarbeitete Sprache.

Lest selbst. Sie hat eine tolle homepage.
//www.elfriedejelinek.com


äh - obwohl ich dem alten Herrn sonst besonders gern recht gebe, übrigens: Ich bin von ihm und seiner Art  und seinem Witz und SEINER Radikalität hingerissen. manchmal verleitet es mich sogar, ihm recht zu geben, obwohl ich ihm garnicht recht gebe -einfach weil ich ihn so mag...

Andrea

So habe auch ich mal die Gelegenheit, Elfriede Jelinek zu lesen. "Die Erinnerung geht nach Hause" glitt mir gerade aus Stiften unter den Fingern durch und aus einer gresslichen Sprachausgabe ins Ohr. Sie spielt mit der Sprache, sie gibt dem Wort mehrere Bedeutungsalternativen, glaub ich. Ich möchte heute Nacht aber mal früher ins Bett gehen ;-). Das Schmökern heb ich mir für später auf.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Alexander

Ich finde, Elfriede Jelinek kann grandios mit Sprache umgehen.
Und sie hat Demut vor dem wirklich Wichtigen.
Einzig ihre Bemerkung, Peter Handke hätte den Nobelpreis viel mehr verdient, reicht mir schon für diese "Bewertung".
Den ersten Text den ich von ihr las, fand ich in diesem Buch:
Jelinek, Elfriede / Zellwecker, Ferdinand / Zobl, Wilhelm: Materialien zur Musiksoziologie. Jugend und Volk (Edition Literaturproduzenten), Wien-München 1972.
Ihr Aufsatz in diesem Buch ist betitelt "udo jürgens zeigt uns, wie schön diese welt ist".
Wohl sämtliche Abgründe einer Mutter-Tochter-Beziehung lebt der Leser in "Die Klavierspielerin" mit. Das Buch geht total unter die Haut. (Der Film von Haneke erscheint mir dagegen wie eine Abbildung des Buches. Haneke "schreibt ab", aber er "filmt" nicht. Trotz der grandiosen Schauspielleistungen ...)
Österreich übt sich wieder mal in der Vereinnahmung andernorts preisgekrönter Menschen, die biographisch etwas mit Österreich zu tun haben und eigentlich geliebhaßt werden.
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

Achja, in Ösiland ist es nur zur Karikatur verkommen, was es allerorten gibt: Man schlägt den Boten der schlechten Nachricht - man ist gegen den "Spiegel" anstatt gegen das, was er zeigt. Gut zu sehen an den Reaktionen auf den Spiegel-kommentar vom Sloterdijk über die Deutschen.

einzig: Ich persönlcih finde nciht, dass der Handke den Preis verdient hätte.

Maexl

österreich hat der herr aber gar nicht mit angesprochen oder?

im heutigen spiegel war eine z.T. lesenswerte seite voller leserbriefe zu ihr

Sandra

#11
Zitatösterreich hat der herr aber gar nicht mit angesprochen oder?

Nein, genau das meinte ich: jedes Land ärgert sich über Menschen, die angeblich "Nestbeschmutzer" sind, aber nur einen unangenehmen Spiegel vorhalten - nur in Ösiland ärgern sie sich halt besonders laut und anhaltend.

Aber jetzt kapier ich warum das so mist-verständlich war. Zum einem meinte ich einen echten Spiegel, zum Anderen dann die zeitung.... ::)

Andrea

Ich habe den Satz auf die Zeitung bezogen verstanden und mir dauernd überlegt, was ich da gerade überhaupt nicht kapier ;D
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Maexl

ich habe das auf einen Spiegelartikel von vor 2 wochen bezogen mit eben diesem herrn als inhalt und war deswegen verwundert