Georg Kreisler Forum

Diskussionen => Gesellschaft => Thema gestartet von: Guntram am 30. Mai 2007, 00:30:31

Titel: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 30. Mai 2007, 00:30:31
ZitatNiederlande: "Organhandel" durch SMS-Voting

29.05.2007 | 11:16 |   (DiePresse.com)

Die neueste Idee der "Big Brother"-Erfinder Endemol: Das niederländische TV-Publikum soll über die Vergabe einer Spenderniere entscheiden.
...

http://www.diepresse.com/home/panorama/welt/306945/index.do?_vl_backlink=/home/index.do

Den Rest lest im Link nach. Wieder wird eine moralisch/ethische Grenze weitergeschoben. Wo ist das Ende?


Mein schönster Urlaub aus dem Irak oder Afghanistan.
Eine Lotterie bei der der Gewinner eine Interkontinentalrakete auf ein Ziel seiner Wahl abschießen kann.
Live Übertragungen von Exekutionen (hatten wir eigentlich schon, wenn ich an Saddam Hussein denke)

Ich warte auf weitere Anregungen. Wenn ein Produzent eine unserer Ideen aufgreift springt noch was für uns dabei raus.  :peinlich
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Alexander am 30. Mai 2007, 03:12:29
Eine Anregung?
Dazu habe ich vor etwa drei Jahren eine Kabarettnummer gemacht und auf eine private CD aufgenommen.

RUSSISCHES ROULETTE

Fanfare

Fernsehmoderator:
Der Sensationskanal präsentiert: ,,Russisches Roulette", die neue Samstagabendshow!
Bewerben Sie sich jetzt! Rufen Sie an! Es geht um IHR Leben! Wir haben für Sie: Hundert Millionen! Lassen Sie sich diese Chance nicht entgehen! Rufen Sie jetzt an und werden Sie unser Kandidat!

Versoffene Wiener Musik

Kandidat (total resignativ, am Schluss ist ihm alles egal):
Ollas aus. I kaun nimma. Loßts mi in Ruah. Schleich di mit deim Handy. Geht's olle sch...
Wos wüstn mit dem Handy ollaweu? Na gib her. Ja, am Apparat. Wos .. wer ... jo. Samstag 16 Uhr Studio 7. Wos sois ...

Fanfare und Signation Fernsehshow

Fernsehmoderator:
Das ist ,,Russisches Roulette", die neue Samstagabendshow aus dem Sensationskanal, und ich führe Sie durch die Sendung. Unser erster Kandidat kommt aus Wien. Er ist noch in der Garderobe. Zeit genug, die Spielregeln zu erklären. Unser Kandidat kann hundert Millionen gewinnen – oder (sagen wir es so)  - mit dem Leben bezahlen. Die Chancen auf den Gewinn stehen gut. Es wird aus einem Revolver auf ihn geschossen. In dem Revolver gibt es sechs Patronenhülsen, aber nur eine Patrone wird darin sein. Damit es spannender ist, wird insgesamt dreimal auf den Kandidaten geschossen. Überlebt er, ist er hundertfacher Millionär. So einfach geht das. Jetzt fragen Sie: Was ist das für ein Mensch, der sich hier als Kandidat zur Verfügung stellt? Wir haben jemanden gefunden, der nichts mehr zu verlieren hat, den idealen Kandidaten also. Und dann fragen Sie: Wer wird schießen? Auch hier haben wir eine ideale Lösung gefunden. Ein sechzehnfacher Mörder, zu lebenslanger Haft verurteilt, wird – streng bewacht natürlich – der Schütze sein. Er wird von vorne auf die Stirn des Kandidaten anlegen. Freuen Sie sich mit mir auf spannende Momente! Bevor es los geht – eine kurze Unterbrechung!

Fanfare

Werbespots:
:
(Dies irae Thema) Eichensärge zum Sonderpreis – nur bei ,,Tod & Co." ((Dies irae Thema)

(Kleine Nachtmusik, slow im Hintergrund) Kommen Sie zu uns. Wir verlängern Ihr Leben. Der Deal ist einfach. Sie geben uns alles, wir geben Ihnen ein längeres Leben. Reden Sie mit uns. Ihre WIR AG.

Fanfare

Fernsehmoderator:
Der Sensationskanal präsentiert: ,,Russisches Roulette", die neue Samstagabendshow!
Bewerben Sie sich jetzt! Rufen Sie an! Es geht um IHR Leben! Wir haben für Sie: Hundert Millionen! Lassen Sie sich diese Chance nicht entgehen! Rufen Sie jetzt an und werden Sie unser zweiter Kandidat!

Fanfare Signation

Fernsehmoderator:
Und hier ist unser Schütze!

Trommelwirbel

Fernsehmoderator:
Wollen Sie etwas sagen? (Stille peinlich überspielend: ) Nein, offenbar nicht. Ein Mann der Tat. Wirklich wie gemacht für uns. Und nun meine Damen und Herren: Der Kandidat!

Trommelwirbel

Fernsehmoderator:
Herzlich willkommen bei uns. Na, wie fühlt man sich als Kandidat in einer Fernsehshow?

Kandidat (gehemmt):
Jo ... i ...

Fernsehmoderator (anzüglicher):
Waren unsere Assistentinnen auch alle nett zu Ihnen?

Kandidat (verloren):
Äh ...

Fernsehmoderator:
Wir werden schon noch was aus ihm rauskriegen. Sie kommen also aus Wien.

Kandidat (verloren):
Jo ... i ...

Fernsehmoderator:
Erzählen Sie uns was über Wien.

Kandidat (verloren):
Wos ...

Fernsehmoderator (triumphierend)::
Oder SINGEN Sie für uns, DAS wäre doch schön!

Kandidat (singt weltfremd, total verinnerlicht):

I kaun leb´n wo i wü,
und i suach oft a Zü´.
Die Wöd hob i gern -
oba sterb´n kaun i nur
in Wean!

Fernsehmoderator (die Situation überspielend):
Ja ... also ... Na wollen wir hoffen, dass Sie uns noch lange erhalten bleiben. (Sicherheit gewinnend: ) Um das sicher zu stellen, fangen wir jetzt an.

Fanfare

Fernsehmoderator:
Meine Damen und Herren, der erste Schuss – nach einer kurzen Unterbrechung.

Werbespot:

(Jamaica Music) (Wiener Proletenhochdeutsch) Traumurlaub in der Südsee. Buchen Sie jetzt. Ihr Reisebüro Nah und Fern. (Jamaica Music)

Fanfare

Fernsehmoderator:
Es ist so weit. Das Kommando gilt. Schütze frei!

Klickgeräusch.

Fernsehmoderator:
Na, da haben wir aber Glück gehabt! Und die hundert Millionen sind auch ein Stück näher gerückt. Wie fühlen Sie sich jetzt? (Stille) (Beiseite) Das nächste Mal sollte die Regie schon einen gesprächigeren Kandidaten nehmen. Was sagt der Ted? Höre ich was von der Regie? 60 % für einen gesprächigeren Kandidaten. Ja, unser Publikum ist auf Zack. Zweiter Schuss – nach einer kurzen Unterbrechung.

Werbespot:

(Schwerer Akkord) Sterben mit Genuss – die Pille, die garantiert wirkt. Rufen Sie jetzt an. Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Notar oder Notarzt. (Schwerer Akkord)

Fanfare.

Fernsehmoderator:
Es geht weiter. Das Kommando gilt wieder. Schütze frei!

Klickgeräusch.

Fernsehmoderator (erleichtert und begeistert tuend):
Puuuh, war das spannend. Jetzt hat unser Wiener zweimal Glück gehabt, die hundert Millionen sind schon greifbar nah. Bevor wir aber zum entscheidenden letzten Schuss kommen, haben wir noch unser Gewinnspiel und ein bisschen Musik für Sie.

Zweite Fanfare

Fernsehmoderator:
Ich greife tief in den Stapel mit Zusendungen. Drei Karten ziehe ich heraus. Bei den ersten beiden explodiert das Fernsehgerät im Moment der Namensnennung, der Absender der dritten Karte gewinnt eine Million. Los geht´s! Die erste Karte: Herr A aus B (Heiter) Bye bye! (Tiefer Ton) Die zweite Karte: Frau C aus D (Heiter) Und Tschüß! (Tiefer Ton) Und jetzt der Gewinner von einer Million! Das ist Frau X aus Z! Wir gratulieren! Unsere Redaktion wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen.  (Atempause) Meine Damen und Herren, wir haben keine Kosten und Mühen gescheut, Ihnen auch musikalisch Sensationelles zu bieten. Hier ist DIE MUSIK!!!!!!!!!

Musik (Bruch zwischen Harmonie und Chaos)
(Sollte keine Kopie von ,,Leute die Welt ist prima" – Udo Lindenberg – werden.)

Fernsehmoderator:
Danke der Musik! Vor dem letzten Schuss für heute noch einmal eine kurze Unterbrechung!

Werbespot:

Dies ist eine Werbung für nichts. Alles was Sie hier bekommen ist nichts. Nehmen Sie nichts. Es wird Ihnen gut tun.

Fanfare.

Fernsehmoderator:
Sie sind live dabei! Der dritte Schuss! Machen wir es kurz. Das Kommando gilt: Schütze frei!

(Offenes Ende)

Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 30. Mai 2007, 10:06:46
Gute Sache, Alexander!!  Würde mich auch nciht wundern, wenn das mal Tatsache würde.....

Hier wurde ja soweit ich mich erinnere schon vor einiger Zeit über diese Arbeitslosenshow (irgendwo in südamerika?) berichtet, wo Kandidaten um einen Job rittern - und schon damals waren wir uns einig: wie weit kann's noch gehen?
Das mit der Spenderniere ist schon unfassbar -Soll man sich mehr darüber wundern,  dass sich Leute finden, die so etwas senden würden oder dass sich Leute finden, die im Fernsehen ihre Niere verkaufen? Es ist echt ekelhaft - andererseits: seit den Snuff-Movies kann mich kaum noch etwas wundern.

Es liegt letztlich daran, dass das urbane Leben so ereignislos geworden ist bei gleichzeitiger Focussierung auf "das Ereignis" - die Menschen haben nicht mehr genug damit, einfach schön zu leben, sie müssen extreme Erlebnisse haben. Mangels derer nehmen sie virtuelle, und da nützt sich natürlich der Erlebnisgehalt ab, die Dosis muss erhöht werden.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Burkhard Ihme am 30. Mai 2007, 11:04:16
So richtig makaber wirds durch die Spenderin. Wie lange darf die dann noch leben? Was, wenn der Krebs die Niere befällt? Meines Wissens kommen Krebskranke eh nicht als Spender in Frage ...
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 30. Mai 2007, 11:19:00
Noch ein paar Ideen:

Wer darf seine Job behalten!
Ähnlich wie bei anderen Shows die Belegschaft wird in Gruppen eingeteilt, ein Promi erledigt die Aufgaben, verliert er (oder gewinnt er) verlieren die Leute ihren Job.

Selbstmordshow, wer den originellsten Selbstmord durchführt, dessen Begräbnis wird bezahlt. Könnte man ähnlich wie Herzblatt aufziehen.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Dorian am 30. Mai 2007, 11:37:33
Zitat
Selbstmordshow, wer den originellsten Selbstmord durchführt, dessen Begräbnis wird bezahlt. Könnte man ähnlich wie Herzblatt aufziehen.

Das ist nicht mehr weit von der Realität entfernt.  Produzent John de Mol meinte mal in einem Interview, wenn er eine Show machen würde mit Russischem Roulette hätte er keine Probleme, dafür Kandidaten zu finden.  :o
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 30. Mai 2007, 18:23:39
Deshalb fängt er jetzt  mit der Niere an. Ist eigentlich unrentabel. Ein/e Spender/in kann noch Hornhäute, Leber, Lunge, Herz, Knochen, etc. spenden. Da könnte man eigentlich ein Serie drauf machen. Jede Woche ein anderes Organ. Bis der/die Spedenr/in tot ist. Ärgerlich wird es nur wenn ein/e Empfänder/in vorher stirbt.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 01. Juni 2007, 00:32:40
Gestern habe ich gehört, dass der Gründer der Filmfirma, die diese Show macht (offenbar doch nciht endemol?) selbst daran gestorben ist, dass er nicht rechtzeitig ne Niere bekommen hat. Vielleicht wird das alles noch eine riesen pr sache? Warte jedenfalls gespannt, in welche Richtung sich das entwickelt.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 01. Juni 2007, 16:34:59
Es war der Chef des Fernsehsenders. Der Produzent ist Endemol.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Zyankalifreund am 01. Juni 2007, 17:54:01
Hat jemand heute nacht Deutschlandradio gehört ? Da ging es in der Sendung "2254- der Hörertalk" oder wie das heißt um genau dieses Thema. Hab leider nur die Hälfte hören können, weil ich mittendrin eingeschlafen bin. Habe aber festgestellt, dass sich die Anrufer eigentlich in zwei Gruppen aufteilten: Die einen fanden es toll, um das Thema Organspende ins Gespräch zu bringen und die Leute drauf aufmerksam zu machen, dass sie sich so einen Ausweis zulegen, die anderen fanden es einfach nur geschmacklos.

Mir isses irgendwie wuarscht. Gut, dass wir drüber gesprochen haben.  ;D
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 01. Juni 2007, 23:02:32
Die Verantwortlichen im Sender behaupten ja, sie machen das "nur" um das Thema auf, ich sag mal,  provokante Weise ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken und weil ihr Ex-Chef wegen des Mangels an an Spenderorganen. Das Ziel haben sie eindeutig erreicht. man kann schon sagen der Zweck heiligt die Mittel, aber ist diese Begründung nicht vom Tisch, da das Ziel so eindeutig erreicht ist? Sogar unsere EU-Politiker sind aufgewacht.

Warum  also noch an der Sendung festhalten?

Hat die Show auch Werbeblöcke? Werbung in Holland ist sicher so ähnlich wie bei uns. Also 3 totkranke Menschen spielen ein Spiel, dessen Preise heißt ich verlängere mein Leben. Auf Kosten eines vierten totkranken Menschen (der so und so stirbt und von dem nicht sicher ist das seine Organe überhaupt übertragen werden können, da er krebskrank ist - vielleicht gibt es Ausnahmen). Dazwischen werben gutaussehende, vor Gesundheit strotzende Menschen für Deosprays die Frauen willenlos machen oder Rum an tropischen Stränden (war da nicht was mit Hautkrebs durch UV-Strahlung) oder, oder, oder. Das ist Zynismus pur. Aber hier ist es wie immer die Realität übertrifft jede Kabarettnummer, Karikatur und was sich kreative Köpfe noch so ausdenken.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 02. Juni 2007, 01:54:51
ZitatAlso 3 totkranke Menschen spielen ein Spiel, dessen Preise heißt ich verlängere mein Leben. Auf Kosten eines vierten totkranken Menschen (der so und so stirbt
"Einer trage des anderen Last", habe ich irgendwo mal gelesen. Was hälst du davon, wenn sich zugunsten  jedes Nieren-Moribundus ein überzeugter Christ - wie der heilige Lazarus einst von der überflüssigen Hälfte seines Mantels - kostenlos von einer seiner beiden gesunden Nieren trennen würde? Für ein normales Leben braucht er sowieso nur eine Niere. (Für eine Show mit Werbeblöcken taugt das natürlich weniger).
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Bassmeister am 02. Juni 2007, 09:42:09
Der mit dem Mantel, das war der Martin. LAzarus wäre für eine derartige Show noch viel untauglicher, weil er einfach mal so durch eine Geistheilung von den Toten wieder aufersteht.

Verkaufen um jeden Preis. Das ist es doch. Man will sich auf Deibel komm raus abheben, um gesehen zu werden.
Ein Buch kriegt man ja auch nur noch unters Volk, wenn man sich als Ex-Mitglied der Waffen-SS outet.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 02. Juni 2007, 10:16:16
Aber wie zu erwarten war, hat sich das Ganze als reine Show rausgestellt. Und weltweit Wirkung erzeugt. Die Frage: ist das zulässig?
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 02. Juni 2007, 10:22:28
Übrigens - weil's ja überall jetzt Thema ist: ich bin der Meinung, dass man die Spendenregelungen dringend ändern muss - und zwar sollte man sich einen Ausweis besorgen müssen, wenn man NICHT gewillt ist, zu spenden - kein Ausweis heisst: Spender. So, wie es jetzt gehandhabt wird, das bringt einfach nix, ganz offensichtlich.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 02. Juni 2007, 13:59:43
Die Regelung ist zu !einfach! whoknows und war auch vor Jahren im Gespräch. Ich glaube da haben irgendwelche damals dagegen geklagt oder wollten klagen, was auch immer. Unsere Politiker haben es auf jeden Fall nicht auf Reihe gekriegt.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 02. Juni 2007, 14:08:09
http://www.stern.de/politik/panorama/:TV-Schwindel-Organspende-Show/590290.html

Hier die neuesten Nachrichten. Der Sender hat es also wirklich bis auf die Spitze getrieben. Für diesen Mut muß man allerdings neidlos applaudieren.

Wir sind also schon an dem Punkt, an dem man sich selbst sagt alles ist möglich. Anstatt zu glauben so weit geht keiner muß ein Fake sein.



PS: Ich habe einen Spenderausweis und bin Blutspender. Und vielleicht sind hier ein paar die falls sie keinen Spenderausweis haben sich jetzt einen besorgen.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Zyankalifreund am 02. Juni 2007, 16:05:03
Ziel erreicht (aufmerksam machen durch Schockieren) , 100 Punkte - endlich mal gutes Fernsehen.  :)
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 02. Juni 2007, 22:15:44
ZitatVerkaufen um jeden Preis. Das ist es doch.

Hast recht, auch hier werden offensichtlich nur die Highlights goutiert, die im Schatten sieht man nicht, so ist das eben.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 02. Juni 2007, 23:30:24
Ja, aber letztlich ist das die konsequente Weiterführung unserer Welt - ich hatte übrigens relativ schnell den Verdacht, dass da was faul ist - zuerst als ich hörte, der Sender hat Interesse daran, wegen des Chefs, der an fehlender Niere starb. Dann, als ich aufmerksam gemacht wurde, dass Krebskranke nicht spenden können. Aber ich war mir auch nicht sicher. Und ich bewundere den Sender auch für den Mut, das durchzuziehen, weil es ja letztlich viel mehr triggert, als "nur" ein paar Tausend Spender mehr - Wie Guntram sagt:
ZitatWir sind also schon an dem Punkt, an dem man sich selbst sagt alles ist möglich
Bleibt nur zu hoffen, dass das ganze nicht eine kurzmeldung bleibt, sondern dass man über BEIDE Problematiken - die der mangelnden Spenden und die des "anything goes" - weiter hitzig und ausgiebig diskutiert.
Übrigens - NICHT erstaunlich ist für mich, dass es ein holländischer Sender war - in einem deutschen oder österreichischen hätte sich das keine Chefität getraut.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 03. Juni 2007, 00:58:40
Zitat "Whoknows" (jetzt hätte ich doch fast knowhow geschrieben) :
ZitatÜbrigens - NICHT erstaunlich ist für mich, dass es ein holländischer Sender war - in einem deutschen oder österreichischen hätte sich das keine Chefität getraut.

Oh doch, die Holländer klopfen sich gerne und oft selbst auf die liberale Schulter - und wenn es (oder gerade deswegen) nur deshalb sein muss um die kulturelle Überlegenheit zum deutschen Nachbarn zu demonstrieren. (Das Verhältnis zu Österreich ist mir nicht geläufig). Dabei wird m.E. auch mal übers Ziel hinausgeschossen, die breite Mehrheit der Holländer ist bei weitem nicht so fortschrittlich gestimmt wie sich mancher "fortschrittliche" Holländer selbst gerne sähe. Das gewaltsame Ende der Pusherstreet im Freitstaat Christiania z.B. ist für mich  Zeichen einer Trendwende, mit der sich Holland aktiv in der eigenen Gesellschaft von manchen "Experimenten" zu verabschieden scheint . Show-Trash für Deutschland ist natürlich eine andere Sparte, die kau(f)en und verdauen eh alles. Der meiste Schund von dort ist in der Regel Abklatsch irgendwelcher US-Produktionen, wo es für die Voyeure und sonstwas dieser Welt massgeschneidert und erprobt wurde, also kaum Risiko bei der Übernahme durch holländische Weiterverwurster.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Dagmar am 03. Juni 2007, 02:49:58
Tja, da stehen sie nun alle: Die ganzen Moralapostel und Besserwisser. Da war das Ganze jetzt eine ziemlich überrumpelnde wie auch immer geplante und geartete PR-Aktion für die Notwendigkeit, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen.

Ich habe - ehrlich gesagt - mich herzlich über die ganze Aktion gefreut!!! Dies sicher auch vor dem Hintergrund eines heute in der Süddeutschen erschienenen Artikels einer Insiderin, einer Frau, die selbst Nierentransplantationen brauchte, um überleben zu können. Die in dem langen Artikel schrieb, dass sie angesichts ihrer Erkrankung sofort in einer solchen Sendung mitgemacht hätte. Die schrieb, dass es extrem einfach für absolut nicht Betroffene sei, moralisch sein zu können, und dass die Moral die Sicht der Nichtbetroffenen sei.

Wie viele hier wissen, bin ich ja beruflich u.a. bei den Medien unterwegs. Ich war den ganzen Tag heute (zufälligerweise) dort, und habe folgende Insider-Infos gehört:

Von Anfang an sei eine Aktion geplant gewesen, die möglichst breit auf Wirkung angelegt gewesen wäre. Dazu hätten die "Pro-Organspende" - Leute einen Sender gesucht, der das machen würde. Endemol erschien als breitenwirksam genug und habe auch eingewilligt. Die Schauspieler seien gut vorbereitet und geschult worden. Der eigentliche "Produzent" sei selbst indirekt vom Thema betroffen (familiäre Hintergründe).

Die ganze Sache hat geklappt: Allein heute im Laufe des Tages haben aufgrund des Zuschauens und der nach Aufdeckung ausgelösten Gefühle über 2000 Leute einen sofortigen Spenderausweis beantragt - weitere spätere Resonanzen bleiben abzuwarten.

Ich finde die ganze Inszenierung grossartig! Eine extrem kreative Idee: Superhoher Aufmerksamkeitgrad und unfassbar hohe Pressewirkung für eine bislang offenbar namenlose Organisation.

Chapeau!
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 03. Juni 2007, 03:45:31
Michael Schuhmacher hatte einst auch 5000Euro aus seinem Portokässchen für Tsunamiopfer gespendet(haha) - die Absicht Endemols, mit dieser Aktion lediglich Organspender zu rekrutieren, würde ich auf einen nachgelagerten Platz setzen. Und 2000 Organspender-Anträge spontan? Gemessen an all den Rummelbeteiligten und der konkreten Auswirkung für einen Dialysekranken praktisch nichts. Die Frage, wer zu den "ich habsgleichgewusst" etc. gehört scheint mir auch nicht der Rede wert - vielleicht die jene, die auf Lebensmüde auf Hochhäusern wetten... Natürlich ist alles gekonnt gemacht, was auch sonst: Die Beteiligten machen sowas schliesslich beruflich. Aus meiner Sicht eine Kampagne ala Raab & Konsorten. (Da gibts in aller Regel stets nur einen Gewinner, Verlierer gerne auch mal ein paar mehr).
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 03. Juni 2007, 10:26:01
ZitatDas gewaltsame Ende der Pusherstreet im Freitstaat Christiania z.B. ist für mich  Zeichen einer Trendwende, mit der sich Holland aktiv in der eigenen Gesellschaft von manchen "Experimenten" zu verabschieden scheint .

äh?
Das ist in Dänemark. Ein anderes Land. ;)

Die Holländer SIND tatsächlich in sehr vielem liberaler, einfach als Menschenschlag. Das merkt man auf Schritt und Tritt, wenn man dort ist. Liegt auch an der Religion, an der Geschichte. Dafür gibt es eine typisch protestantisch/calvinistische Art von Gruppendruck. Ähnlich wie in der Schweiz, wo es wesentlich mehr Freiheit gibt, aber die Leute trotzdem verblüffend kleinkariert denken, oder in den USA, wo sie einerseits ein "alles ist erlaubt" haben, und andererseits zu den prüdesten Menschen der Welt gehören. Aber die Holländer haben definitiv mehr "ich trau mich einfach mal" als die Deutschen, die brauchen bekanntlich einen Boss, der es ihnen anschafft, sonst geht's nicht.

Und dann, Werner, verwechsel nicht den Auftraggeber mit dem Produzenten. Klar, Endemol was in it for the money - die kriegen den Auftrag zu einer Show, egal was für einer, und produzieren die. Und manchmal holen sie sich von Erfindern von Sendungen in den Usa oder England die Rechte, produzieren und dann versuchen sie, zu verkaufen. Aber hier ist ja nicht die Rede von den Ausführenden, sondern von denen, die die Idee in Auftrag gegeben haben.
Ich denke auch, (allerdings mit Bauchweh) dass in Zeiten wie diesen solche Massnahmen  wohl zulässig sind - anders kriegt man die Aufmerksamkeit nicht zusammen.  Eigentlich war das immer schon so. Die Ohrfeige die Beate Klarsfeld dem Kiesinger verpasste, und die sie sofort hochgradig  in die Medien katapultiert und ihr Anliegen der Verfolgung von Nazis gestärkt hat, war selbstverständlich total inszenziert. (hat sie mir mal höchstpersönlich erzählt).
Ob diese Massnahmen - obgleich aufgrund der Notwendigkeit vielleicht zulässig - auch moralisch hochstehend sind, ist eine andere Frage. Und das Argument, Dagmar, das sei die "Moral der Nichtbetroffenen" ist leider auch eines, das nur auf den ersten Blick schlagkräftig ist. Denn es gibt letztlich keine Moral der Betroffenen und der Nichtbetroffenen, da sich Moral auf die GANZE Gesellschaft bezieht und hier Standards setzen will. Letztlich sind es natürlich die ZUSTÄNDE, die unmoralisch sind, nicht die Reaktionen darauf - aber irgendwann verschwimmen hier leider die Grenzen. Wenn man "anything goes" bejubelt, wird es auch in anderen Fällen angewandt werden, damit wird auch der Nutzen verschwinden.

Ob die nächsten "wir sammeln für Hilfe-shows" auch so einen Erfolg haben werden wie vor dieser inszenierten Sendung?
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 03. Juni 2007, 18:30:26
Dänemark, stimmt. War wohl viel zu früh und irgendwie voller Nebel..
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 03. Juni 2007, 19:01:21
http://www.knochenmark-spende.de/

Im Link ein Hinweis auf etwas, das partout nicht nicht zu gehen scheint, nämlich die Übernahme der Kosten einer Typisierung in Höhe von ca. 50 Euro durch die Krankenkassen zu übernehmen?!? Gehört auch zum Thema, nur sind wir dort auf der falschen Seite zur Grenze hin. Konkret gibts genug anzupacken und die Themen liegen auch nicht im Verborgenen. In Abwandlung einer "alten" Erkenntnis würde ich formulieren: "Tue Gutes und bring andere auch dazu", dann klappts vielleicht auch mit anything goes (better).
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Dagmar am 03. Juni 2007, 23:35:47
Lieber @Werner, Du bist aber extrem schlecht informiert, oder hast schlampig recherchiert:

ZitatMichael Schuhmacher hatte einst auch 5000Euro aus seinem Portokässchen für Tsunamiopfer gespendet(haha)

Ich finde Deine Ironie - allemal vor dem Hintergrund einer tatsächlich komplett falschen Informationslage - unangebracht, ehrlich gesagt. Denn erstens hat Michael Schumacher den Tsunami-Opfern 10 Millionen Dollar gespendet, und das hat er zweitens sicher nicht aus der Portokasse genommen, was ich drittens sicher weiss: Der Vater von Michael wohnt in Kerpen bei mir um die Ecke, und ich kenne die Familie zufälligerweise ganz gut. Der hat mit den 10 Millionen sicher kein Alibi "vollbracht" - ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, sondern der hat geguckt, was er irgendwie locker machen konnte. Das hat keinen Armen getroffen, aber 10 Millionen Dollar ist auch keine Armensumme!

ZitatUnd 2000 Organspender-Anträge spontan? Gemessen an all den Rummelbeteiligten und der konkreten Auswirkung für einen Dialysekranken praktisch nichts

Das verschlägt mir echt leicht die Sprache, ehrlich gesagt. Hoffentlich hängst Du nie an der Dialyse und wartest auf 'ne Niere: 2000 Nieren z.B. ist ziemlich viel mehr als "nichts". Lies mal den Artikel von Samstag von Slavenka Drakulie in der Süddeutschen, einer Betroffenen, die Jahre auf eine Niere gewartet hat und Jahre an Blutwäschegeräte hat hängen müssen. Ich wäre gespannt zu hören, ob Du dann ein paar Tausend Spender noch weiter als "Nichts" bezeichnest. Und das hat eigentlich, wenn ich die Autorin richtig verstanden habe, nix mit der Moral von Nichtbetroffenen oder Betroffenen oder was auch immer zu tun, sondern mehr mit der Frage, wie leicht oder schwer es für jemanden ist, und wie sehr sich vor dem Hintergrund die Grenzen schlagartig verschieben:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/789/116673/

ZitatIch denke auch, (allerdings mit Bauchweh) dass in Zeiten wie diesen solche Massnahmen  wohl zulässig sind - anders kriegt man die Aufmerksamkeit nicht zusammen.

Genau! Das ist es eben. Um das klarzustellen: Ich empfinde auch nicht gerade Euphorie darüber, dass man mittlerweile zu solchen drastischen Massnahmen greifen muss, um Leute wachzurütteln. Aber so ist es mal. Und weil das so ist, finde ich in diesem Fall: Der Zweck heiligt die Mittel. Das tut er nicht immer, aber in diesem Fall finde ich, dass der Erfolg nicht unbeachtlich ist. Und auf so eine Idee muss man auch erstmal kommen!
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 04. Juni 2007, 13:19:12
Für mich ist ein hochinteressanter Satz in diesem Artikel der, dass sich vor allem die ZUSEHER unmoral vorwerfen lassen müssten.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Bassmeister am 04. Juni 2007, 15:08:23
ZitatGenau! Das ist es eben. Um das klarzustellen: Ich empfinde auch nicht gerade Euphorie darüber, dass man mittlerweile zu solchen drastischen Massnahmen greifen muss, um Leute wachzurütteln. Aber so ist es mal.

Drastisch ist relativ. Die Reizschwelle wird halt immer höher.
Ich denke mal, daß zu seiner Zeit und in seinem Umfeld Jesus Christus mit seinen Gleichnissen und Kritiken ebenso eingeschlagen hat.
Sonst hätten sie ihn kaum zum, Tode verurteilt.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 04. Juni 2007, 15:58:27
Na, aber das ist es doch genau, was wir beklagen. Die nächste Reizschwelle ist dann, öffentlich im Fernsehen Leute zu verbrennen.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Werner am 04. Juni 2007, 22:12:37
Zitat Dagmar:
ZitatLieber @Werner, Du bist aber extrem schlecht informiert, oder hast schlampig recherchiert:
Nö, keineswegs, wollte nur mal die Reaktion sehen. (Das ich Schuhmacher und seinen "Umweltsport" nicht ab kann ist  eine andere Sache).
Übrigens waren die angekündigten 10 Millionen Dollar von Schuhmacher und Sauber zusammen, wer wieviel und was wo angekommen entzieht sich meiner Kenntnis. 10 Millionen sind kein Pappenstiel für einen Hartz IV-er, bei jemand der ca. eine dreiviertel Milliarde besitzt dürfte es nur einen Teil der Zinseinkünfte bedeuten. Und die spart er lässig an eingespaarten Steuern (warum ist bekannt). Mich betreffend kein Kniefall. Wenn schon Verdienstkreuz, dann eher für Bill Gates. Der zieht sogar in Erwägung seine Kinder mal mit nur 10Millonen Dollar Erbe hängen zu lassen, pro Kopf immerhin.
ZitatHoffentlich hängst Du nie an der Dialyse und wartest auf 'ne Niere: 2000 Nieren z.B. ist ziemlich viel mehr als "nichts".
Im Ernst so? Natürlich zählt jede Niere,aber durch diese 2000 Anträge, von denen hier die Rede war - falls sie tatsächlich auch mal umgesetzt werden (was denn,wenn die Angehörigen nämlich nein zur Organspende sagen, z.B.) - stehen doch aktuell keine 2000 Nieren zur Verfügung. Oder doch? Dann würde ich meinen eigenen Ausweis noch mal überdenken. Ich wollte nur mal auf die Millionen engagierter Menschen hinweisen, die - teils auf eigene Kosten und im Stillen - bedeutenderes leisten als die Protagonisten dieser Show - ein bemerkenswertes Missverhältnis finde ich. Der "Knochenmark-Link" war nur ein Hinweis in diese Richtung.(Ein kleiner Hinweis). Verglichen mit diesen Leistungen war diese "Show" in meinen Augen kommerzieller Vollschrott in unlauterer Absicht und derart was von überbewertet. Ich denke, in einem amerikanischen Wahlkampf würde sich dieser Stil trotzdem ganz gut machen.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 26. August 2007, 10:13:15
Moderne Zeiten.
http://www.orf.at/070825-15865/index.html

In Deutschland (und vermutlich vielen anderen Ländern) ärgern sich jetzt etliche Bürgermeister, dass Ihnen das nicht eingefallen ist.

Vorwärts Kameraden, wir gehen zurück. Denke ich mir da. Zurück zu den Zeiten, wo nicht der Mensch wichtig war, sondern  ausschliesslich seine Funktion in der Gesellschaft.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Anke am 26. August 2007, 23:08:12
Ist ja haarsträubend.  >:(

In München gibt es inzwischen einige Geschäftsleute (vor allem weibliche), die Obdachlose vor ihrer Ladentür schlafen lassen. Als Gegenleistung wird von ihnen damit der Laden bewacht (sofern sie keinen allzu festen Schlaf haben, nehme ich an. Oder vielleicht schlafen 2 abwechselnd.) Einer hat schon mal tatsächlich Einbrecher gestellt und sogar überwältigt.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 05. September 2007, 14:57:46
Hier wiedermal eine spannende Meldung aus der Wissenschaft - vor allem die letzten Sätze sind irgendwie erhellend...
http://www.orf.at/070905-16219/index.html
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Franz08 am 05. September 2007, 16:46:55
Apropos letzte Sätze: Die lauten in dem von knowhow angesprochenen Bericht "Zukunft der Biomedizin?", in dem es um die Zulassung von Klonexperimenten von menschlichen und tierischen Zellen geht:
ZitatSchwenk in der öffentlichen Meinung
Dem Meinungsumschwung in der britischen Öffentlichkeit waren monatelange öffentliche Debatten, Meinungsumfragen und ein masssives Lobbying der Wissenschaftler vorausgegangen.

Je mehr mehr Hintergrundinformationen die Öffentlichkeit über die Klonexperimente erhielt und je mehr das Thema öffentlich diskutiert wurde, desto stärker sei die Ablehnung gesunken, heißt es nun seitens der HFEA.
http://www.orf.at/070905-16219/index.html
Das wundert mich gar nicht, dass Information und öffentliche Diskussion die Meinung ändert. Es beruhigt mich sogar.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 05. September 2007, 23:47:08
Es wundert mich mehr, wenn es öffentliche Diskussion GIBT. ;) Ich fand's interessant - und ich möchte gerne wissen, wer es "Diskussion" nennen möchte, und wer "PR" - das ist ja auch noch so ne Sache.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Franz08 am 07. September 2007, 15:25:50
"Diskussion" hat es ein Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders genannt, der hoffentlich des Recherchierens mächtig ist. Und was ist an PR schlecht?

Dass jemand seine subjektive Meinung sagt und sein Eigeninteresse offenbart, wird ja erst zum Problem,
- wenn er/sie lügt,
- die Meinung anderer nicht gehört werden kann,
- keine offene bzw. öffentliche Diskussion möglich ist.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 18. September 2007, 17:55:58
Ich schreib es mal hier rein, die Grundfrage ist die gleiche, aber die Richtung ist etwas anders.

Gestern habe ich zufällig in die englische Comedysendung "Balls Of Steel" reingezappt die jetzt auf RTL2 läuft. Es ging irgendwie um Mutproben von Komikern und jetzt habe ich gelesen es gibt auch so was wie eine Abstimmung. Näheres siehe Link.

http://tv.intern.de/index.php?site=Detail&id=216-0-18241515&SID=6076676bb7cda4590fbe6758465c745d

Davon abgesehen das ich nicht nicht nachvollziehen konnte was eigentlich lustig sein sollte, obwohl ich den britischen Humor eigentlich nicht schlecht finde, z. B. Monty Python, war ich dann doch etwas perplex.

Zwei der sog. Komiker genannt "Pain Men" haben sich gegenseitig den Arsch mit einem Bandschleifer bearbeitet und einen Nagel durch die Hautfalte zwischen den Fingern gehauen und dann das ganze auf einer Schmerzskala bewertet. Das ganze war echt und kein Fake,  so wie das Blut geflossen ist.

Verstehe ich den Humor nicht der dahinter steckt? Wenn ja erklärt es mir. Oder werden wir noch schlimmeres zu sehen bekommen? (Was ich vorsorglich  it JA beantworte)
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 18. September 2007, 20:03:06
Lieber Franz, ich bewundere Deine Unschuld.
ZitatDiskussion" hat es ein Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders genannt, der hoffentlich des Recherchierens mächtig ist. Und was ist an PR schlecht?  
Auch Journalisten der öff-rechtlichen stehen unter Zeitdruck und Druck von oben, haben Angst um ihren Job und merken sehr schnell, dass es mit den hehren Intentionen des altehrwürden Journalismus schon längst nicht mehr weit her ist: Die dinge werden ebenso gespielt/gedruckt, wenn sie NICHT recherchieren, sondern abschreiben, sich-aus-den-fingern-saugen u.ä. - und bei einer Gage von rund 400 Euro brutto für einen 10Minuten-Beitrag (der schon OHNE grossartige Recherche bis zu 5 Tage Arbeit sein kann), sparen sie sich die Arbeit. Das Publikum merkt's nicht oder rebelliert wenigstens nicht ausreichend.
Kurz: Recherche gibt es kaum noch, und vor allem: wir alle wissen, wie leicht man im Internet "recherchieren" kann,  zB bei Wikipedia, das längst zum Spielball von Eigeninteressen geworden ist. (Das wird sich hoffentlich wieder ändern: wenn immer mehr Leute auf Podcasts etc umsteigen, werden vielleicht die RAdiostationen (auch die öff-rechtlichen) merken, dass sie wieder etwas an ihrer Qualität arbeiten könnten)

Und was an PR schlecht ist ist auch leicht erklärt: Für PR stellt man eine Firma an, der sagt man: Verkauf dieses Produkt, und das tut sie dann - da ist nix mit "Eigener Meinung" oder so. Das ist knallhartes Verkaufsbusiness. Und zunehmend geraten sogenannte "Meinungen" nur noch zur Schlacht: wer kann sich die bessere PR-Firma leisten?

Hier kann man schön nachlesen, was an PR schlecht ist: http://www.zeit.de/2000/37/PR_fuer_Schmuddelkinder?page=all
oder auch hier:http://www.zeit.de/online/2007/33/pr-journalimus
und hier:http://www.zeit.de/2006/42/Spin-Doctor-42?page=all

Es ist, wie gesagt, eine reine Geldfrage - längst nicht mehr ein "Meinung abgeben" - ALLES, was wir lesen, kommt von irgendeiner PR-Initiative.


Und @ Guntram: Die Engländer verrohen zunehmend. Kürzlich las ich irgendwo einen Artikel, in dem das mit dem Tod von Diana in eine (zumindest Zeitliche) Verbindung gebracht wurde, mit der These, dass aller Anstand flöten gegangen sei, und die Unterschichten niemanden mehr haben, zu dem sie aufschauen könnten. Ich finde diese These zwar fraglich - aber eines ist merkbar: mit dem englischen Understatement und der Noblesse ist es schon lang nicht mehr weit her - es gilt Beer und Sun (die Zeitung) über Tea und Times....
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Guntram am 18. September 2007, 21:49:34
Beer und Sun sind aber keine Thema nur der Unterschicht. Ehemalige Vorgesetzte bei meinem Ex-Arbeitgeber haben immer erzählt wenn in England Schulungen der Firma für Ärzte und Krankenhauspersonal durchgeführt wurden, war es normal das sich alle von der Krankenschwester bis zum Oberarzt sich jeden Abend in der Hotelbar ins Koma gesoffen haben. Und es hätte am nächsten Tag kein Wort darüber gegeben, weil es völlig normal und akzeptiert war.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Franz08 am 18. September 2007, 23:22:59
Hallo whoknows,

ZitatLieber Franz, ich bewundere Deine Unschuld.
Es ist weniger Unschuld als etwa 20 Jahre Berufserfahrung im Mediensektor.

ZitatAuch Journalisten der öff-rechtlichen stehen unter Zeitdruck und Druck von oben, haben Angst um ihren Job und merken sehr schnell, dass es mit den hehren Intentionen des altehrwürden Journalismus schon längst nicht mehr weit her ist: Die dinge werden ebenso gespielt/gedruckt, wenn sie NICHT recherchieren, sondern abschreiben, sich-aus-den-fingern-saugen u.ä. -
Es ist schon richtig, dass sich der Druck auf die Journalisten erhöht hat und dass die Anforderungen an "sauberes Arbeiten" (die übrigens in Österreich immer schon deutlich niedriger lagen als in D oder CH) gesunken sind. Der Generalverdacht, dass es grundsätzlich oder mehrheitlich keinen seriösen Journalismus mehr gäbe, ist allerdings falsch.    

Zitatund bei einer Gage von rund 400 Euro brutto für einen 10Minuten-Beitrag (der schon OHNE grossartige Recherche bis zu 5 Tage Arbeit sein kann), sparen sie sich die Arbeit. Das Publikum merkt's nicht oder rebelliert wenigstens nicht ausreichend.
Auch richtig: Ein Teufelskreis. Ein immer "dümmeres" (im Sinne von "Qualität nicht erkennen könnendes") Publikum erlaubt immer dümmere Medien-Produkte... Aber halt. Die letzten 20 Jahre - ist das nicht genau unsere Generation? Wo sind Kompetenz und Intelligenz hin? Verdampft? Oder haben sie sich in Nischen verkrochen?

ZitatKurz: Recherche gibt es kaum noch, und vor allem: wir alle wissen, wie leicht man im Internet "recherchieren" kann,  zB bei Wikipedia, das längst zum Spielball von Eigeninteressen geworden ist. (Das wird sich hoffentlich wieder ändern: wenn immer mehr Leute auf Podcasts etc umsteigen, werden vielleicht die RAdiostationen (auch die öff-rechtlichen) merken, dass sie wieder etwas an ihrer Qualität arbeiten könnten)
Das Internet kann aber auch beides sein: Problem und Lösung.
Übrigens: Sind Podcasts so qualitätsvoll? Wenn nicht, warum und v.a. für wen sollten die Öffentlich-Rechtlichen dann überhaupt noch Qualität produzieren? Qualität ohne Kunden dafür, wie kann das Deiner Meinung nach funktionieren?

ZitatUnd was an PR schlecht ist ist auch leicht erklärt: Für PR stellt man eine Firma an, der sagt man: Verkauf dieses Produkt, und das tut sie dann - da ist nix mit "Eigener Meinung" oder so. Das ist knallhartes Verkaufsbusiness. Und zunehmend geraten sogenannte "Meinungen" nur noch zur Schlacht: wer kann sich die bessere PR-Firma leisten?
PR ist also gleich Verkauf durch eine PR-Firma. Das mag zwar Deine Meinung und persönliche Erfahrung sein, ist aber trotzdem nichtmal die halbe Realität.
Und "sogenannte Meinungen" geraten also zur "Schlacht", wer "sich die bessere PR-Firma leisten" kann? Wer die "bessere PR-Firma" hat, hat also die "sogenannte Meinung"? Was wollen mir Deine Sätze sagen?

ZitatEs ist, wie gesagt, eine reine Geldfrage - längst nicht mehr ein "Meinung abgeben" - ALLES, was wir lesen, kommt von irgendeiner PR-Initiative.
Entschuldige, aber diese Aussage ist Unsinn. Und das weißt Du auch.

Ich diskutier' ja wirklich gerne mit Dir, wie Du weißt. Auf diesem undifferenzierten BILD-Niveau macht's allerdings wenig Freude...

Mit den besten Grüßen
Franz
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 19. September 2007, 09:50:54
ZitatWer die "bessere PR-Firma" hat, hat also die "sogenannte Meinung"?
ein bissel gar vereinfacht ausgedrückt, aber letztlich.... Du musst Dir nur mal angucken, was beispielsweise in den Medien über "gesunde" und "ungesunde" Ernährung zu lesen ist. Nämlich: Alles ist wahr und dessen Gegenteil ebenso, je nachdem, welche Studie gerade aktuell ist. Und wie glaubst Du, KOMMEN diese Studien in die Hände der Journalisten?
Seit 25 Jahren beinhaltet  ein grosser (ZU grosser) Teil meines Tages den Umgang mit Journalisten. Glaub mir, ich weiss, wie die Arbeiten. Klar, es gibt Ausnahmen - gar keine Frage. Aber die sitzen praktisch nie in den Tages- Wochen- oder Monatszeitungen von nur halbwegs wahrnehmbarer Reichweite.

Die meisten Journalisten recherchieren zudem nicht über eigene Wahrnehmung, sondern über das Auswerten von Artikeln in ANDEREN Blättern. Ein Artikel über wasweissich Medikamente wird beispielsweise recherchiert über ein Fachblatt von Ärzten oder Pharmazie, ein Artikel über neue Musik kommt von einer Musikzeitung - und die wiederum schreiben more often than not Redaktionelle Inhalte zu einem Thema nur, wenn die jeweilige Firma auch ein Inserat kauft.
Die Zeit, die FAZ die Süddeutsche schreibent Buch- oder CD-kritiken nur über Produkte, deren Verlage Inserate schalten, oder die zumindest über eine bezahlte Firma an sie herangetragen werden - achte mal drauf, meistens sogar in derselben Ausgabe ist das Inserat des Verlages, ebenso praktisch ALLE in der Branche wichtigen Musikzeitschriften. Als kleiner Buchverlag, als Independent-Label kriegst Du einen Bericht in einer Zeitung nur, wenn Du einen "Zufallserfolg" gelandet hast - und mit dem damit verdienten Geld Dir klugerweise einen stärkeren Vertrieb, einen stärkeren Verlag kaufen kannst, oder gleich ne PR-Firma engagierst. Ausser: Du kennst einen Chefredakteur oder einen höheren Schreiberling persönlich, bekniest ihn persönlich, gibst ihm/ihr das Gefühl, sie hätten die "Macht", Dich zu unterstützen. Persönliche Eitelkeit der Journalisten hilft auch etwas beim "in die Presse kommen" - aber nur dort, wo es freie Redakteure gibt, die händeringend nach "Geschichten" suchen. Die müssen diese "Geschichten" die sie anbieten, aber auch durchbringen, und wenn in der Redaktionssitzung dann aber ein Projekt mit mehr Geld dahinter ebenfalls zur Sprache kommt - beispielsweise von Böhlau oder Universal.......

PR und Werbung sind zwei unterschiedliche Dinge - in der AUSSENSICHT
.
In der Politik sind die Mechanismen andere, aber Meinungsmache (die ja auch nicht umsonst so heisst) funktioniert in den allerseltensten Fällen so, dass sich jemand eine Meinung aus reiner Überlegung heraus BILDET. Da gibt es Sektempfänge, Urlaubsreisen, Essenseinladungen, man macht sich vorgeblich privat bekannt, und zieht den Journalisten auf seine Seite.
Ich WEISS, dass es in allem (!) ausserhalb der Politik genau so funktioniert, wieso sollte ich annehmen, dass es sich ausgerechnet in diesem einen Feld anders verhalten würde? Und wenn doch, wieso brauchen Politiker dann gut organisierte und speziell trainierte Pressefuzzis, deren Aufgabe es ist, die Jounalisten GUT zu kennen, mit Namen anzusprechen, Bauchzupinseln?

(PR ist nicht gleich FIRMA, wie Du schreibst, aber sie ist tatsächlich gleich "gemacht", PR heisst: über Werbung hinausgehende Vermarktung  und Vervielfältigung einer Meinung oder eines Images,  gleich ob für Produkt oder Weltsicht  - heutzutage nahezu gleich gehandhabt - mit anderen, nicht ganz so offensichtlichen Mitteln.)

Wie gesagt: klar gibt es Ausnahmen, aber die kannste mit der Lupe suchen.

Eine Zeitung wie "Foreign Affairs" hat noch gewisse Qualitätsmerkmale, aber auch das schmilzt zunehmend, zudem: wer in Europa ausser vielleicht Habermas, Ash oder einige wenige Intellektuelle lesen die noch. Die breite Masse findet ihre Informationen (und zwar angebliche Qualitäts-Informationen) in der Süddeutschen, der FAZ oder der Zeit - nicht ahnend, dass die Journalisten dort sich auch nicht mehr "informieren, und dann einen Artikel anbieten". Da kriegt die Chefredaktion Themen auf den Tisch (von wem wohl?) und verteilt die innerhalb der Ressorts.  Und dann kommt noch dazu, dass es schon längst nicht mehr die klare Trennung zwischen "Meinung" und "Redaktionellem" in den Zeitungen gibt, dazu kommt, dass Du nicht nur im medizinischen Bereich (Thema Essen, Gentechnik, Pharmazie) für jede Richtung einen "kompetenten" Vertreter finden kannst...

Wenn Journalisten noch recherchierten, wieso muss man sie dann auf alles stoßen? Wieso finden sie die Dinge nicht von selbst heraus?
Wieso verbreiten sie  Erzählungen von Abläufen, die jedem, der dabei gewesen ist, die Haare sträuben?

Weil sie die Geschichte schreiben, die sich besser verkaufen lässt, nicht die, die passiert ist.

Oder: Wieso reicht es nicht, Informationen an Zeitungen zu schicken - und die gucken sich alles an, und recherchieren dann nach, wenn sie etwas als Schreibwürdig empfinden?
Nein: Man schickt erst mal, WENN man was schickt, in möglichst auffallenden Kuverts (ist das keine PR?), damit sie die aufmachen. Dann telefoniert man hinterher, weiss intelligenter Weise den Namen des jeweiligen Redakteurs und ein bissel was über das, was er sonst so macht, damit man ihm/ihr persönlich den Bauch pinseln kann (ist das keine PR?) Man hält Kontakt, auch wenn man nix "anzubieten" hat - auch wenn einem der Mensch eigentlich am Arsch vorbei geht. (Ist das keine PR?) Wenn man das gut macht, dann werden die was schreiben. Weil sie Dich (oder Deinen Pressefuzzi) nett finden, weil sie - wie beispielsweise im Fall des unglaublichen Aufstiegs von Tokio Hotel oder Cinema Bizarr oder Norah Jones oder Roger Cicero oder  Mia oder oder  - zu einem superteuren Rundum-gepampert-werden-Wochenende in einem Luxushotel eingeladen wurden, gleich im Pulk, 3 Tage Luxus, 15 Minuten Show-extra-für-sie angucken - und dann schreiben, wie süüüüss die Jungs sind, im Bravo, im Kiddie-Blatt. Klar, die Musikbranche, die Pharmabranche, die sind da besonders dreist - aber was lässt Dich glauben, dass es nicht in allen Branchen zu einem grossen Teil so funktioniert? Glaubst Du wirklich, dass sich im Journalismus mit Anständigkeit noch was verdienen lässt? Nämlich: in der überwiegenden Mehrzahl.

Warum - um im angeblich noch anständigen Musikbereich zu bleiben - muss man sich mit immer denselben  7 oder 8 Journalisten gut stellen, damit man zum Preis der Schallplattenkritik, zum Kleinkunstpreis , in die Liederbestenliste kommt? Glaubst Du, da ist auch nur irgendeine Fluktuation seit 20 Jahren, bei den Leuten, die sowas entscheiden? Und, da nicht, glaubst Du, da kommt irgendwer dran, der sich NICHT mit denen besonders gut stellt?(Und ist diese Art von "gut stellen" NICHT PR?)
Glaubst du, die recherchieren selbst, was neu auf dem Markt ist?
Ist das Anstellen von Menschen, die Deine Myspace oder Utube Seite als "Du" betreuen, damit es persönlich wirkt, NICHT PR?

ZitatDie letzten 20 Jahre - ist das nicht genau unsere Generation? Wo sind Kompetenz und Intelligenz hin?
Was bringt Dich zu der Annahme, die seien 'in unserer Generation' mal stark vertreten gewesen? Was bringt Dich zu der Annahme, 'unsere Generation' hätte mehrheitlich eine Bildung erhalten, die selbsttätiges Denken fördert? Weil in den 50er und 60er Jahren die Schulen so überaus freie und selbstbestimmte Stätten waren? ::)

ZitatQualität ohne Kunden dafür, wie kann das Deiner Meinung nach funktionieren?
Meine Rede. Gibtsnich.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Franz08 am 19. September 2007, 10:32:20
Hallo whoknows,

danke für die ausführliche Antwort! Wenn Du allerdings dieses schreibst:
ZitatIch WEISS, dass es in allem (!) ausserhalb der Politik genau so funktioniert, wieso sollte ich annehmen, dass es sich ausgerechnet in diesem einen Feld anders verhalten würde? Und wenn doch, wieso [...]
... was könnte ich dem erwidern, wo Du doch so sicher WEISST, wie es ist in der Politik und in allem außerhalb davon?
Ich könnte auch viele Anekdoten über andere Erfahrungen erzählen und Links setzen zu seriösen Untersuchungen der unterschiedlichsten Art. Ich schenk' mir das. Reden wir gleich über's Grundsätzliche.

Du bist also der Meinung, dass es keine unabhängige Öffentlichkeit mehr gibt. Was es gibt, sind gekaufte Medien: Gekauft von Wirtschaft und Politik. Und auf der anderen Seite gibt es das dumme resp. unwissende Publikum in Form von Konsumenten und Wählern.

Nur ganz wenige, Menschen wie Du, haben den Durchblick. Die Frage ist nun: Wie bringst Du denn Dein Exclusiv-Wissen an die überwältigende Masse der Dummen und Unwissenden?

Franz
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 19. September 2007, 14:36:45
ZitatNur ganz wenige, Menschen wie Du, haben den Durchblick.
Das habe ich nie behauptet. Den einzigen "Durchblick" den ich (gemeinsam mit vielen anderen - leider aber immer noch eine verschwindende Minderheit) habe, ist, dass eben sicherlich gut 85% der "Informationen" die wir bekommen, von jemandem lanciert wurden. Und dass etwas, das lanciert wird, auch gewissen Interessen entsprechen wird, ist naheliegend, sonst würde sich keiner darum kümmern, es zu lancieren.

Ebensowenig wie ich behaupte, dass es IMMER und ÜBERALL so ist - aber doch in der überwiegenden (und meist leider auch Umwelt-bestimmenden) Mehrheit.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Franz08 am 19. September 2007, 21:41:34
Hallo whoknows,

da stimme ich Dir zu, dass die meisten Informationen solche sind, die von jemandem "absichtsvoll lanciert" werden. Im Gegensatz zu Dir sehe ich darin allerdings kein grundsätzliches Problem, sondern einen ganz normalen Vorgang.

Oder stehen KünstlerInnen etwa nicht "absichtsvoll" auf der Bühne, um ihre Botschaft "zu lancieren"?

Kommunikation ist immer intentional. Würd' ich jetzt sagen, begänne ich eine kommunikations-wissenschaftliche Diskussion ;-)

Liebe Grüße
Franz
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 20. September 2007, 14:53:38
Ich sehe das grundsätzliche Problem darin, dass eben leider nicht immer (wie beispielsweise deutlich beim Singen eigener Lieder auf der Bühne) ein Schild für die Konsumenten dranhängt: "Achtung tendenziös verarbeitete Meinung, nicht immer Fakten!" Das Meiste, was aufgrund von guter PR zu lesen ist, ist nicht als
Zitataufgrund von guter PR
zu erkennen.

Dass man PR machen will, als Produzent von Inhalten oder Produkten, ist klar - dass es für den Rezipienten auch kenntlich ist, ob PR drin ist, wo "Inhalt" draufsteht - das ist das Wesentliche.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Anke am 21. September 2007, 10:11:48
Oh je, whoknows  :-* ,

wenn du jetzt schon von unseren gesellschaftlichen Mechanismen so frustriert bist, wie soll das dann erst in 20 Jahren werden ...  :'( 8-) Ich kann dich leider nur allzu gut verstehen. Habe mich selber in dem Bereich beruflich in gewissem Ausmaß im Auftrag schuldig gemacht (machen "müssen"  :-/ ) und konnte das ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr ertragen.


Seit einiger Zeit hat sich ja in der Kunst-PR aller Art das System der "Medienpartnerschaft" etabliert.  :-? Klingt gut, ist für die jeweiligen Veranstalterfirmen sehr praktisch und nützlich - aber für den Informationssucher und -konsumenten empfinde ich das als eine gefährliche und unangenehme Manipulation.  >:(

Hier einige Links dazu - v.a. der Artikel über NDR-Partnerschaften zeigt m.E. sehr deutlich auf, wohin das führen kann und meistens auch führt.  :-/

http://www.dasganzewerk.de/ndr_kultur/20051104-ndr-kultur-veranstaltungstipp-oktogonale.shtml
http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial&hs=dId&q=medienpartnerschaft+konzert&btnG=Suche&meta=
http://www.wein-plus.de/zusammenarbeit/pdfs/129_de_medienpartnerschaft.pdf
http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial&q=medienpartnerschaft+veranstaltung&btnG=Suche&meta=

--------------

Z.B. höre ich im Bayerischen Rundfunk neuerdings auffallend viel von der neuen CD von Anette Louisan. Ja, die Liedchen sind ganz nett, und die junge Frau ist ausgesprochen süß und redet nicht einmal ganz dumm - aber müssen deswegen an ein und demselben Vormittag mehrere dieser Lieder gespielt werden?  :o Haben wir in Deutschland wirklich derart wenig ansprechende Lieder, dass das aus künstlerischen Erwägungen heraus geschehen muss?  :o Das kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Vielmehr beschleicht mich dabei das Gefühl, dass ihre Agentur ein bestimmtes Zeit-Kontingent gekauft hat. (Oder, dass sie mit einem maßgeblichen Redakteur verwandt, verschwägert o.ä. ist).

Wo sind die Grenzen?

Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Franz08 am 23. September 2007, 00:08:39
Einen schönen Abend in die Runde!

"PR" hat mittlerweile eine mehr als 100jährige Praxis- und eine fast ebenso lange Wissenschafts-Geschichte hinter sich. Die modernen Ansätze sprechen von "Corporate Communications", das heißt von integrierter Unternehmens-Kommunikation nach innen und außen.

Die klassische Pressearbeit ist dabei nur ein Teil der Geschichte. Freilich ein entscheidender, weil die Medien eben nicht nur "Profit-Organisationen" sind, sondern zum Teil auch "öfffentliche Güter", weil sie Infrastruktur für den in demokratischen Gesellschaften wichtigen "öffentlichen Diskurs" sind.

Vieles, was "der PR" vorgeworfen wird, ist eigentlich ein Problem des immer weniger funktionierenden Diskurses im Rahmen einer "demokratischen Öffentlichkeit". Und jetzt könnten wir natürlich ewig darüber diskutieren, ob dieser Umstand eher "dem Kapitalismus", "der Politik", "dem Zeitgeist", "den Medien" oder der "Anti-Aufklärung" geschuldet ist.

Und ob die "demokratische Gegen-Öffentlichkeit" nicht gerade in den sozialen Netzwerken des Internets liegt.

Ein professioneller "PR-Mensch" wird jedenfalls von dem ausgehen, was da ist an "Persönlichkeit" einer Person oder Organisation. Und dann für einen "kommunikativen Ausgleich" zwischen dieser Organisation und deren "Anspruchsgruppen" (soziales Umfeld, Kunden/Publikum/Konsumenten, Mitarbeiter u.a.) sorgen. Kein geringer Anspruch, aber so sieht die aktuelle Situation aus.
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Burkhard Ihme am 23. September 2007, 02:16:30
Zitat
Warum - um im angeblich noch anständigen Musikbereich zu bleiben - muss man sich mit immer denselben  7 oder 8 Journalisten gut stellen, damit man zum Preis der Schallplattenkritik, zum Kleinkunstpreis , in die Liederbestenliste kommt? Glaubst Du, da ist auch nur irgendeine Fluktuation seit 20 Jahren, bei den Leuten, die sowas entscheiden? Und, da nicht, glaubst Du, da kommt irgendwer dran, der sich NICHT mit denen besonders gut stellt?(Und ist diese Art von "gut stellen" NICHT PR?)
Glaubst du, die recherchieren selbst, was neu auf dem Markt ist?
Ist das Anstellen von Menschen, die Deine Myspace oder Utube Seite als "Du" betreuen, damit es persönlich wirkt, NICHT PR?

Ich hab mal eines der Mitglieder der Liederbestenjury auf dein Posting aufmerksam gemacht. Seine Antwort:
ZitatLieber Burkhard,
wer beschwert sich denn da? Den Georg Kreisler haben wir schon beim
SWF-Liederpreis gehabt, und den kennt kein Mensch und niemand "stellt
sich mit ihm gut". In die Jury wollen viele, die eigentlich Künstler
sind oder Interessen der Industrie. vertreten. Unabhängige Journalisten
werden händeringend gesucht. Und für das Deutschsprachige Lied
interessiert sich niemand, außer ein paar Rundfunkredakteuren, die aber
unkritisch sind und nur "auflegen" und noch einer Anzahl von
kritischeren Leuten, die du an einer Hand abzählen kannst. Und die sind
meist auch unkritisch. Ich selber denke, daß ich kritisch sondiere,
stehe mit keinem "gut" sondern kriege noch böse Briefe von Leuten, die
ich über Gebühr lobe und die kein Mensch jemals sonst rezensieren würde.
(Ich will auch gar keinen freundschaftlichen Kontakt mit Liedermachern
haben, die paar, die ich kenne, reichen mir :-)


Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 23. September 2007, 09:27:58
Na, dass den Georg Kreisler "kein Mensch kennt" lassen wir mal unkommentiert stehen.  

Die Louisan, Anke, ist ein Produkt von "Us5" (ich glaube, so heissen die, irgendwas mit five) Texter Frank Ramond und Produzenten von u.a. Roger Cicero, Mia, der Ina Müller und allen anderen, die letztlich ziemlich gleich klingen (nona, derselbeTexter, derselbe Produzent)


Ansonsten kommt man in die Liederbestenliste, wenn man  konkret dafür sorgt, dass die erfahren, dass es diese Gruppe, diesen Sänger gibt - aus eigener "Recherche"  erfahren die nur von Ina Müller und anderen Produkten - ohne zu merken, dass es Produkte sind.
Das ist ein Haufen von aus den 70ern übriggebliebener  "aufrechter" Journalisten, alle durchaus ehrenwert, die Meisten völlig unbeleckt von jedem musikalischen Ohr oder Wissen um handwerkliche Qualität, aber mit durchaus intensivem GLAUBEN, sie hätten das - das finde ich im Übrigen völlig okay, sollen sie. Ich finde nur schade, dass sie  hauptsächlich Dinge gut finden, die in den 70ern neu gewesen wären, und ich finde schade, dass sie nicht mitkriegen, was Industrie ist - die mE eben NICHT besonders gefördert werden müsste - und was nicht.  Und ich finde schade, dass ihnen die Beherrschung des HANDWERKS der von ihnen ausgezeichneten nicht wichtig ist - bzw dass sie es meiner Meinung nach gar nicht beurteilen können oder wollen. Die von ihnen Gelobten beherrschen oft nicht mal die Kunst, einen Ton zu treffen, von metrischen oder gar harmonischen Hintergedanken ganz zu schweigen. Und weiters finde ich schade, dass diese "Kleinkunst- und Liedermacher-Aficionados eben geschmacklich so stehen geblieben sind. Das LIED gibt es auch im 21. Jahrhundert - wieso muss es klingen wie Biermann, um heute noch 'gut' zu sein?

Ich finde das deshalb  so schade und auch ärgerlich, WEIL diese Journalistenclique (und genau das ist es - das war es, was mein Posting meinte!!)  ja von der Intention her durchaus ehrenwert ist!  Die  glauben, sie liessen sich von Hintergründen nicht beeindrucken - sowas bräuchten wir in Deutschland, allerdings mit einem heutigen Musik- und Textverständnis.  Und mit dem nötigen Hintergrundwissen: Was ist Industrie, muss daher nicht gesondert gefördert werden, und was ist Einzelkämpfer und verdient Unterstützung.

Die sind aber nicht alleine - die Strukturen für Kleinkünstler und Liedermacher HEUTE sind entweder noch Relikte aus den 70ern oder völlig hirnverbrannt:
Guckt Euch mal beispielsweise auf der Homepage die Bedingungen an, um auf der  angeblich renommiertesten Kleinkunstmesse, der Börse in Freiburg, auftreten zu dürfen: Als Newcomer, als Einzelkämpfer ohne Geld hast Du da keine Chance. Denn für einen Kurzauftritt von 5 Minuten vor einem Fachpublikum musst Du locker erst mal 2000 Euro parat haben, für Anreise, Aufenthalt, Standmiete (zwingend für einen Auftritt!!!) und Saalmiete für Deinen Auftritt.  Da haste aber noch nicht die Garantie, dass auch die richtigen Leute just in Deinen 5 Minuten Auftritt auch zuschauen.

Wenn Du eben NICHT das Geld hast, um alle richtigen Leute zu bestücken, wenn Du auf jeder Briefmarke auftreten musst, weil Du keine Kohle hast für die richtige PR, die in Deinem Fall eben nützen würde, dann dauert es Jahrhunderte, bis Dich vielleicht wer entdeckt- Siehe Element of Crime: 15 Jahre Tingeln, oder Heinz Ratz - bis heute nur sehr wenigen bekannt, und längst nicht in der Liederbestenliste oder mit irgendeinem Chansonpreis bedacht. Punkrock-Chansons kommen im Verständnis der angeblichen Fachriege nicht vor. (Aber wenn man klassisch arbeitet wie in den 70ern, hat man mehr Chancen, wie der Wartke zB oder das von mir so verachtete Duo Sonnenschirm etc)
Rosenstolz mussten erst völlig verseichten und massenkompatibel werden, bis sie nach oben kamen. Ebenso Ina Müller, die erst zu Frank Ramond gehen musste, obwohl sie davor, als unabhängige Künstlerin, durchaus gute Sachen gemacht hat.

Wie unter diesen Bedingungen überhaupt noch Bands, Kleinkünstler, Liedermacher  ohne Firma im Hintergrund nach oben kommen können, ist mehr ein Wunder als ein "normaler Weg, den Qualität nimmt".
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: whoknows am 06. Oktober 2007, 21:44:09
http://www.orf.at/071006-17364/index.html    ::)
Titel: Re: Wo sind die Grenzen?
Beitrag von: Anke am 07. Oktober 2007, 20:35:25
Schönen Gruß von Frankenstein  :o