Wo sind die Grenzen?

Begonnen von Guntram, 30. Mai 2007, 00:30:31

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Werner

http://www.knochenmark-spende.de/

Im Link ein Hinweis auf etwas, das partout nicht nicht zu gehen scheint, nämlich die Übernahme der Kosten einer Typisierung in Höhe von ca. 50 Euro durch die Krankenkassen zu übernehmen?!? Gehört auch zum Thema, nur sind wir dort auf der falschen Seite zur Grenze hin. Konkret gibts genug anzupacken und die Themen liegen auch nicht im Verborgenen. In Abwandlung einer "alten" Erkenntnis würde ich formulieren: "Tue Gutes und bring andere auch dazu", dann klappts vielleicht auch mit anything goes (better).

Dagmar

Lieber @Werner, Du bist aber extrem schlecht informiert, oder hast schlampig recherchiert:

ZitatMichael Schuhmacher hatte einst auch 5000Euro aus seinem Portokässchen für Tsunamiopfer gespendet(haha)

Ich finde Deine Ironie - allemal vor dem Hintergrund einer tatsächlich komplett falschen Informationslage - unangebracht, ehrlich gesagt. Denn erstens hat Michael Schumacher den Tsunami-Opfern 10 Millionen Dollar gespendet, und das hat er zweitens sicher nicht aus der Portokasse genommen, was ich drittens sicher weiss: Der Vater von Michael wohnt in Kerpen bei mir um die Ecke, und ich kenne die Familie zufälligerweise ganz gut. Der hat mit den 10 Millionen sicher kein Alibi "vollbracht" - ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, sondern der hat geguckt, was er irgendwie locker machen konnte. Das hat keinen Armen getroffen, aber 10 Millionen Dollar ist auch keine Armensumme!

ZitatUnd 2000 Organspender-Anträge spontan? Gemessen an all den Rummelbeteiligten und der konkreten Auswirkung für einen Dialysekranken praktisch nichts

Das verschlägt mir echt leicht die Sprache, ehrlich gesagt. Hoffentlich hängst Du nie an der Dialyse und wartest auf 'ne Niere: 2000 Nieren z.B. ist ziemlich viel mehr als "nichts". Lies mal den Artikel von Samstag von Slavenka Drakulie in der Süddeutschen, einer Betroffenen, die Jahre auf eine Niere gewartet hat und Jahre an Blutwäschegeräte hat hängen müssen. Ich wäre gespannt zu hören, ob Du dann ein paar Tausend Spender noch weiter als "Nichts" bezeichnest. Und das hat eigentlich, wenn ich die Autorin richtig verstanden habe, nix mit der Moral von Nichtbetroffenen oder Betroffenen oder was auch immer zu tun, sondern mehr mit der Frage, wie leicht oder schwer es für jemanden ist, und wie sehr sich vor dem Hintergrund die Grenzen schlagartig verschieben:

http://www.sueddeutsche.de/kultur/artikel/789/116673/

ZitatIch denke auch, (allerdings mit Bauchweh) dass in Zeiten wie diesen solche Massnahmen  wohl zulässig sind - anders kriegt man die Aufmerksamkeit nicht zusammen.

Genau! Das ist es eben. Um das klarzustellen: Ich empfinde auch nicht gerade Euphorie darüber, dass man mittlerweile zu solchen drastischen Massnahmen greifen muss, um Leute wachzurütteln. Aber so ist es mal. Und weil das so ist, finde ich in diesem Fall: Der Zweck heiligt die Mittel. Das tut er nicht immer, aber in diesem Fall finde ich, dass der Erfolg nicht unbeachtlich ist. Und auf so eine Idee muss man auch erstmal kommen!
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

whoknows

#27
Für mich ist ein hochinteressanter Satz in diesem Artikel der, dass sich vor allem die ZUSEHER unmoral vorwerfen lassen müssten.

Bassmeister

ZitatGenau! Das ist es eben. Um das klarzustellen: Ich empfinde auch nicht gerade Euphorie darüber, dass man mittlerweile zu solchen drastischen Massnahmen greifen muss, um Leute wachzurütteln. Aber so ist es mal.

Drastisch ist relativ. Die Reizschwelle wird halt immer höher.
Ich denke mal, daß zu seiner Zeit und in seinem Umfeld Jesus Christus mit seinen Gleichnissen und Kritiken ebenso eingeschlagen hat.
Sonst hätten sie ihn kaum zum, Tode verurteilt.
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

whoknows

Na, aber das ist es doch genau, was wir beklagen. Die nächste Reizschwelle ist dann, öffentlich im Fernsehen Leute zu verbrennen.

Werner

Zitat Dagmar:
ZitatLieber @Werner, Du bist aber extrem schlecht informiert, oder hast schlampig recherchiert:
Nö, keineswegs, wollte nur mal die Reaktion sehen. (Das ich Schuhmacher und seinen "Umweltsport" nicht ab kann ist  eine andere Sache).
Übrigens waren die angekündigten 10 Millionen Dollar von Schuhmacher und Sauber zusammen, wer wieviel und was wo angekommen entzieht sich meiner Kenntnis. 10 Millionen sind kein Pappenstiel für einen Hartz IV-er, bei jemand der ca. eine dreiviertel Milliarde besitzt dürfte es nur einen Teil der Zinseinkünfte bedeuten. Und die spart er lässig an eingespaarten Steuern (warum ist bekannt). Mich betreffend kein Kniefall. Wenn schon Verdienstkreuz, dann eher für Bill Gates. Der zieht sogar in Erwägung seine Kinder mal mit nur 10Millonen Dollar Erbe hängen zu lassen, pro Kopf immerhin.
ZitatHoffentlich hängst Du nie an der Dialyse und wartest auf 'ne Niere: 2000 Nieren z.B. ist ziemlich viel mehr als "nichts".
Im Ernst so? Natürlich zählt jede Niere,aber durch diese 2000 Anträge, von denen hier die Rede war - falls sie tatsächlich auch mal umgesetzt werden (was denn,wenn die Angehörigen nämlich nein zur Organspende sagen, z.B.) - stehen doch aktuell keine 2000 Nieren zur Verfügung. Oder doch? Dann würde ich meinen eigenen Ausweis noch mal überdenken. Ich wollte nur mal auf die Millionen engagierter Menschen hinweisen, die - teils auf eigene Kosten und im Stillen - bedeutenderes leisten als die Protagonisten dieser Show - ein bemerkenswertes Missverhältnis finde ich. Der "Knochenmark-Link" war nur ein Hinweis in diese Richtung.(Ein kleiner Hinweis). Verglichen mit diesen Leistungen war diese "Show" in meinen Augen kommerzieller Vollschrott in unlauterer Absicht und derart was von überbewertet. Ich denke, in einem amerikanischen Wahlkampf würde sich dieser Stil trotzdem ganz gut machen.

whoknows

#31
Moderne Zeiten.
http://www.orf.at/070825-15865/index.html

In Deutschland (und vermutlich vielen anderen Ländern) ärgern sich jetzt etliche Bürgermeister, dass Ihnen das nicht eingefallen ist.

Vorwärts Kameraden, wir gehen zurück. Denke ich mir da. Zurück zu den Zeiten, wo nicht der Mensch wichtig war, sondern  ausschliesslich seine Funktion in der Gesellschaft.

Anke

Ist ja haarsträubend.  >:(

In München gibt es inzwischen einige Geschäftsleute (vor allem weibliche), die Obdachlose vor ihrer Ladentür schlafen lassen. Als Gegenleistung wird von ihnen damit der Laden bewacht (sofern sie keinen allzu festen Schlaf haben, nehme ich an. Oder vielleicht schlafen 2 abwechselnd.) Einer hat schon mal tatsächlich Einbrecher gestellt und sogar überwältigt.

whoknows

Hier wiedermal eine spannende Meldung aus der Wissenschaft - vor allem die letzten Sätze sind irgendwie erhellend...
http://www.orf.at/070905-16219/index.html

Franz08

Apropos letzte Sätze: Die lauten in dem von knowhow angesprochenen Bericht "Zukunft der Biomedizin?", in dem es um die Zulassung von Klonexperimenten von menschlichen und tierischen Zellen geht:
ZitatSchwenk in der öffentlichen Meinung
Dem Meinungsumschwung in der britischen Öffentlichkeit waren monatelange öffentliche Debatten, Meinungsumfragen und ein masssives Lobbying der Wissenschaftler vorausgegangen.

Je mehr mehr Hintergrundinformationen die Öffentlichkeit über die Klonexperimente erhielt und je mehr das Thema öffentlich diskutiert wurde, desto stärker sei die Ablehnung gesunken, heißt es nun seitens der HFEA.
http://www.orf.at/070905-16219/index.html
Das wundert mich gar nicht, dass Information und öffentliche Diskussion die Meinung ändert. Es beruhigt mich sogar.
Match as much as you can!

whoknows

Es wundert mich mehr, wenn es öffentliche Diskussion GIBT. ;) Ich fand's interessant - und ich möchte gerne wissen, wer es "Diskussion" nennen möchte, und wer "PR" - das ist ja auch noch so ne Sache.

Franz08

"Diskussion" hat es ein Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders genannt, der hoffentlich des Recherchierens mächtig ist. Und was ist an PR schlecht?

Dass jemand seine subjektive Meinung sagt und sein Eigeninteresse offenbart, wird ja erst zum Problem,
- wenn er/sie lügt,
- die Meinung anderer nicht gehört werden kann,
- keine offene bzw. öffentliche Diskussion möglich ist.
Match as much as you can!

Guntram

Ich schreib es mal hier rein, die Grundfrage ist die gleiche, aber die Richtung ist etwas anders.

Gestern habe ich zufällig in die englische Comedysendung "Balls Of Steel" reingezappt die jetzt auf RTL2 läuft. Es ging irgendwie um Mutproben von Komikern und jetzt habe ich gelesen es gibt auch so was wie eine Abstimmung. Näheres siehe Link.

http://tv.intern.de/index.php?site=Detail&id=216-0-18241515&SID=6076676bb7cda4590fbe6758465c745d

Davon abgesehen das ich nicht nicht nachvollziehen konnte was eigentlich lustig sein sollte, obwohl ich den britischen Humor eigentlich nicht schlecht finde, z. B. Monty Python, war ich dann doch etwas perplex.

Zwei der sog. Komiker genannt "Pain Men" haben sich gegenseitig den Arsch mit einem Bandschleifer bearbeitet und einen Nagel durch die Hautfalte zwischen den Fingern gehauen und dann das ganze auf einer Schmerzskala bewertet. Das ganze war echt und kein Fake,  so wie das Blut geflossen ist.

Verstehe ich den Humor nicht der dahinter steckt? Wenn ja erklärt es mir. Oder werden wir noch schlimmeres zu sehen bekommen? (Was ich vorsorglich  it JA beantworte)
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

whoknows

#38
Lieber Franz, ich bewundere Deine Unschuld.
ZitatDiskussion" hat es ein Journalist eines öffentlich-rechtlichen Senders genannt, der hoffentlich des Recherchierens mächtig ist. Und was ist an PR schlecht?  
Auch Journalisten der öff-rechtlichen stehen unter Zeitdruck und Druck von oben, haben Angst um ihren Job und merken sehr schnell, dass es mit den hehren Intentionen des altehrwürden Journalismus schon längst nicht mehr weit her ist: Die dinge werden ebenso gespielt/gedruckt, wenn sie NICHT recherchieren, sondern abschreiben, sich-aus-den-fingern-saugen u.ä. - und bei einer Gage von rund 400 Euro brutto für einen 10Minuten-Beitrag (der schon OHNE grossartige Recherche bis zu 5 Tage Arbeit sein kann), sparen sie sich die Arbeit. Das Publikum merkt's nicht oder rebelliert wenigstens nicht ausreichend.
Kurz: Recherche gibt es kaum noch, und vor allem: wir alle wissen, wie leicht man im Internet "recherchieren" kann,  zB bei Wikipedia, das längst zum Spielball von Eigeninteressen geworden ist. (Das wird sich hoffentlich wieder ändern: wenn immer mehr Leute auf Podcasts etc umsteigen, werden vielleicht die RAdiostationen (auch die öff-rechtlichen) merken, dass sie wieder etwas an ihrer Qualität arbeiten könnten)

Und was an PR schlecht ist ist auch leicht erklärt: Für PR stellt man eine Firma an, der sagt man: Verkauf dieses Produkt, und das tut sie dann - da ist nix mit "Eigener Meinung" oder so. Das ist knallhartes Verkaufsbusiness. Und zunehmend geraten sogenannte "Meinungen" nur noch zur Schlacht: wer kann sich die bessere PR-Firma leisten?

Hier kann man schön nachlesen, was an PR schlecht ist: http://www.zeit.de/2000/37/PR_fuer_Schmuddelkinder?page=all
oder auch hier:http://www.zeit.de/online/2007/33/pr-journalimus
und hier:http://www.zeit.de/2006/42/Spin-Doctor-42?page=all

Es ist, wie gesagt, eine reine Geldfrage - längst nicht mehr ein "Meinung abgeben" - ALLES, was wir lesen, kommt von irgendeiner PR-Initiative.


Und @ Guntram: Die Engländer verrohen zunehmend. Kürzlich las ich irgendwo einen Artikel, in dem das mit dem Tod von Diana in eine (zumindest Zeitliche) Verbindung gebracht wurde, mit der These, dass aller Anstand flöten gegangen sei, und die Unterschichten niemanden mehr haben, zu dem sie aufschauen könnten. Ich finde diese These zwar fraglich - aber eines ist merkbar: mit dem englischen Understatement und der Noblesse ist es schon lang nicht mehr weit her - es gilt Beer und Sun (die Zeitung) über Tea und Times....

Guntram

Beer und Sun sind aber keine Thema nur der Unterschicht. Ehemalige Vorgesetzte bei meinem Ex-Arbeitgeber haben immer erzählt wenn in England Schulungen der Firma für Ärzte und Krankenhauspersonal durchgeführt wurden, war es normal das sich alle von der Krankenschwester bis zum Oberarzt sich jeden Abend in der Hotelbar ins Koma gesoffen haben. Und es hätte am nächsten Tag kein Wort darüber gegeben, weil es völlig normal und akzeptiert war.
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sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Franz08

#40
Hallo whoknows,

ZitatLieber Franz, ich bewundere Deine Unschuld.
Es ist weniger Unschuld als etwa 20 Jahre Berufserfahrung im Mediensektor.

ZitatAuch Journalisten der öff-rechtlichen stehen unter Zeitdruck und Druck von oben, haben Angst um ihren Job und merken sehr schnell, dass es mit den hehren Intentionen des altehrwürden Journalismus schon längst nicht mehr weit her ist: Die dinge werden ebenso gespielt/gedruckt, wenn sie NICHT recherchieren, sondern abschreiben, sich-aus-den-fingern-saugen u.ä. -
Es ist schon richtig, dass sich der Druck auf die Journalisten erhöht hat und dass die Anforderungen an "sauberes Arbeiten" (die übrigens in Österreich immer schon deutlich niedriger lagen als in D oder CH) gesunken sind. Der Generalverdacht, dass es grundsätzlich oder mehrheitlich keinen seriösen Journalismus mehr gäbe, ist allerdings falsch.    

Zitatund bei einer Gage von rund 400 Euro brutto für einen 10Minuten-Beitrag (der schon OHNE grossartige Recherche bis zu 5 Tage Arbeit sein kann), sparen sie sich die Arbeit. Das Publikum merkt's nicht oder rebelliert wenigstens nicht ausreichend.
Auch richtig: Ein Teufelskreis. Ein immer "dümmeres" (im Sinne von "Qualität nicht erkennen könnendes") Publikum erlaubt immer dümmere Medien-Produkte... Aber halt. Die letzten 20 Jahre - ist das nicht genau unsere Generation? Wo sind Kompetenz und Intelligenz hin? Verdampft? Oder haben sie sich in Nischen verkrochen?

ZitatKurz: Recherche gibt es kaum noch, und vor allem: wir alle wissen, wie leicht man im Internet "recherchieren" kann,  zB bei Wikipedia, das längst zum Spielball von Eigeninteressen geworden ist. (Das wird sich hoffentlich wieder ändern: wenn immer mehr Leute auf Podcasts etc umsteigen, werden vielleicht die RAdiostationen (auch die öff-rechtlichen) merken, dass sie wieder etwas an ihrer Qualität arbeiten könnten)
Das Internet kann aber auch beides sein: Problem und Lösung.
Übrigens: Sind Podcasts so qualitätsvoll? Wenn nicht, warum und v.a. für wen sollten die Öffentlich-Rechtlichen dann überhaupt noch Qualität produzieren? Qualität ohne Kunden dafür, wie kann das Deiner Meinung nach funktionieren?

ZitatUnd was an PR schlecht ist ist auch leicht erklärt: Für PR stellt man eine Firma an, der sagt man: Verkauf dieses Produkt, und das tut sie dann - da ist nix mit "Eigener Meinung" oder so. Das ist knallhartes Verkaufsbusiness. Und zunehmend geraten sogenannte "Meinungen" nur noch zur Schlacht: wer kann sich die bessere PR-Firma leisten?
PR ist also gleich Verkauf durch eine PR-Firma. Das mag zwar Deine Meinung und persönliche Erfahrung sein, ist aber trotzdem nichtmal die halbe Realität.
Und "sogenannte Meinungen" geraten also zur "Schlacht", wer "sich die bessere PR-Firma leisten" kann? Wer die "bessere PR-Firma" hat, hat also die "sogenannte Meinung"? Was wollen mir Deine Sätze sagen?

ZitatEs ist, wie gesagt, eine reine Geldfrage - längst nicht mehr ein "Meinung abgeben" - ALLES, was wir lesen, kommt von irgendeiner PR-Initiative.
Entschuldige, aber diese Aussage ist Unsinn. Und das weißt Du auch.

Ich diskutier' ja wirklich gerne mit Dir, wie Du weißt. Auf diesem undifferenzierten BILD-Niveau macht's allerdings wenig Freude...

Mit den besten Grüßen
Franz
Match as much as you can!

whoknows

#41
ZitatWer die "bessere PR-Firma" hat, hat also die "sogenannte Meinung"?
ein bissel gar vereinfacht ausgedrückt, aber letztlich.... Du musst Dir nur mal angucken, was beispielsweise in den Medien über "gesunde" und "ungesunde" Ernährung zu lesen ist. Nämlich: Alles ist wahr und dessen Gegenteil ebenso, je nachdem, welche Studie gerade aktuell ist. Und wie glaubst Du, KOMMEN diese Studien in die Hände der Journalisten?
Seit 25 Jahren beinhaltet  ein grosser (ZU grosser) Teil meines Tages den Umgang mit Journalisten. Glaub mir, ich weiss, wie die Arbeiten. Klar, es gibt Ausnahmen - gar keine Frage. Aber die sitzen praktisch nie in den Tages- Wochen- oder Monatszeitungen von nur halbwegs wahrnehmbarer Reichweite.

Die meisten Journalisten recherchieren zudem nicht über eigene Wahrnehmung, sondern über das Auswerten von Artikeln in ANDEREN Blättern. Ein Artikel über wasweissich Medikamente wird beispielsweise recherchiert über ein Fachblatt von Ärzten oder Pharmazie, ein Artikel über neue Musik kommt von einer Musikzeitung - und die wiederum schreiben more often than not Redaktionelle Inhalte zu einem Thema nur, wenn die jeweilige Firma auch ein Inserat kauft.
Die Zeit, die FAZ die Süddeutsche schreibent Buch- oder CD-kritiken nur über Produkte, deren Verlage Inserate schalten, oder die zumindest über eine bezahlte Firma an sie herangetragen werden - achte mal drauf, meistens sogar in derselben Ausgabe ist das Inserat des Verlages, ebenso praktisch ALLE in der Branche wichtigen Musikzeitschriften. Als kleiner Buchverlag, als Independent-Label kriegst Du einen Bericht in einer Zeitung nur, wenn Du einen "Zufallserfolg" gelandet hast - und mit dem damit verdienten Geld Dir klugerweise einen stärkeren Vertrieb, einen stärkeren Verlag kaufen kannst, oder gleich ne PR-Firma engagierst. Ausser: Du kennst einen Chefredakteur oder einen höheren Schreiberling persönlich, bekniest ihn persönlich, gibst ihm/ihr das Gefühl, sie hätten die "Macht", Dich zu unterstützen. Persönliche Eitelkeit der Journalisten hilft auch etwas beim "in die Presse kommen" - aber nur dort, wo es freie Redakteure gibt, die händeringend nach "Geschichten" suchen. Die müssen diese "Geschichten" die sie anbieten, aber auch durchbringen, und wenn in der Redaktionssitzung dann aber ein Projekt mit mehr Geld dahinter ebenfalls zur Sprache kommt - beispielsweise von Böhlau oder Universal.......

PR und Werbung sind zwei unterschiedliche Dinge - in der AUSSENSICHT
.
In der Politik sind die Mechanismen andere, aber Meinungsmache (die ja auch nicht umsonst so heisst) funktioniert in den allerseltensten Fällen so, dass sich jemand eine Meinung aus reiner Überlegung heraus BILDET. Da gibt es Sektempfänge, Urlaubsreisen, Essenseinladungen, man macht sich vorgeblich privat bekannt, und zieht den Journalisten auf seine Seite.
Ich WEISS, dass es in allem (!) ausserhalb der Politik genau so funktioniert, wieso sollte ich annehmen, dass es sich ausgerechnet in diesem einen Feld anders verhalten würde? Und wenn doch, wieso brauchen Politiker dann gut organisierte und speziell trainierte Pressefuzzis, deren Aufgabe es ist, die Jounalisten GUT zu kennen, mit Namen anzusprechen, Bauchzupinseln?

(PR ist nicht gleich FIRMA, wie Du schreibst, aber sie ist tatsächlich gleich "gemacht", PR heisst: über Werbung hinausgehende Vermarktung  und Vervielfältigung einer Meinung oder eines Images,  gleich ob für Produkt oder Weltsicht  - heutzutage nahezu gleich gehandhabt - mit anderen, nicht ganz so offensichtlichen Mitteln.)

Wie gesagt: klar gibt es Ausnahmen, aber die kannste mit der Lupe suchen.

Eine Zeitung wie "Foreign Affairs" hat noch gewisse Qualitätsmerkmale, aber auch das schmilzt zunehmend, zudem: wer in Europa ausser vielleicht Habermas, Ash oder einige wenige Intellektuelle lesen die noch. Die breite Masse findet ihre Informationen (und zwar angebliche Qualitäts-Informationen) in der Süddeutschen, der FAZ oder der Zeit - nicht ahnend, dass die Journalisten dort sich auch nicht mehr "informieren, und dann einen Artikel anbieten". Da kriegt die Chefredaktion Themen auf den Tisch (von wem wohl?) und verteilt die innerhalb der Ressorts.  Und dann kommt noch dazu, dass es schon längst nicht mehr die klare Trennung zwischen "Meinung" und "Redaktionellem" in den Zeitungen gibt, dazu kommt, dass Du nicht nur im medizinischen Bereich (Thema Essen, Gentechnik, Pharmazie) für jede Richtung einen "kompetenten" Vertreter finden kannst...

Wenn Journalisten noch recherchierten, wieso muss man sie dann auf alles stoßen? Wieso finden sie die Dinge nicht von selbst heraus?
Wieso verbreiten sie  Erzählungen von Abläufen, die jedem, der dabei gewesen ist, die Haare sträuben?

Weil sie die Geschichte schreiben, die sich besser verkaufen lässt, nicht die, die passiert ist.

Oder: Wieso reicht es nicht, Informationen an Zeitungen zu schicken - und die gucken sich alles an, und recherchieren dann nach, wenn sie etwas als Schreibwürdig empfinden?
Nein: Man schickt erst mal, WENN man was schickt, in möglichst auffallenden Kuverts (ist das keine PR?), damit sie die aufmachen. Dann telefoniert man hinterher, weiss intelligenter Weise den Namen des jeweiligen Redakteurs und ein bissel was über das, was er sonst so macht, damit man ihm/ihr persönlich den Bauch pinseln kann (ist das keine PR?) Man hält Kontakt, auch wenn man nix "anzubieten" hat - auch wenn einem der Mensch eigentlich am Arsch vorbei geht. (Ist das keine PR?) Wenn man das gut macht, dann werden die was schreiben. Weil sie Dich (oder Deinen Pressefuzzi) nett finden, weil sie - wie beispielsweise im Fall des unglaublichen Aufstiegs von Tokio Hotel oder Cinema Bizarr oder Norah Jones oder Roger Cicero oder  Mia oder oder  - zu einem superteuren Rundum-gepampert-werden-Wochenende in einem Luxushotel eingeladen wurden, gleich im Pulk, 3 Tage Luxus, 15 Minuten Show-extra-für-sie angucken - und dann schreiben, wie süüüüss die Jungs sind, im Bravo, im Kiddie-Blatt. Klar, die Musikbranche, die Pharmabranche, die sind da besonders dreist - aber was lässt Dich glauben, dass es nicht in allen Branchen zu einem grossen Teil so funktioniert? Glaubst Du wirklich, dass sich im Journalismus mit Anständigkeit noch was verdienen lässt? Nämlich: in der überwiegenden Mehrzahl.

Warum - um im angeblich noch anständigen Musikbereich zu bleiben - muss man sich mit immer denselben  7 oder 8 Journalisten gut stellen, damit man zum Preis der Schallplattenkritik, zum Kleinkunstpreis , in die Liederbestenliste kommt? Glaubst Du, da ist auch nur irgendeine Fluktuation seit 20 Jahren, bei den Leuten, die sowas entscheiden? Und, da nicht, glaubst Du, da kommt irgendwer dran, der sich NICHT mit denen besonders gut stellt?(Und ist diese Art von "gut stellen" NICHT PR?)
Glaubst du, die recherchieren selbst, was neu auf dem Markt ist?
Ist das Anstellen von Menschen, die Deine Myspace oder Utube Seite als "Du" betreuen, damit es persönlich wirkt, NICHT PR?

ZitatDie letzten 20 Jahre - ist das nicht genau unsere Generation? Wo sind Kompetenz und Intelligenz hin?
Was bringt Dich zu der Annahme, die seien 'in unserer Generation' mal stark vertreten gewesen? Was bringt Dich zu der Annahme, 'unsere Generation' hätte mehrheitlich eine Bildung erhalten, die selbsttätiges Denken fördert? Weil in den 50er und 60er Jahren die Schulen so überaus freie und selbstbestimmte Stätten waren? ::)

ZitatQualität ohne Kunden dafür, wie kann das Deiner Meinung nach funktionieren?
Meine Rede. Gibtsnich.

Franz08

#42
Hallo whoknows,

danke für die ausführliche Antwort! Wenn Du allerdings dieses schreibst:
ZitatIch WEISS, dass es in allem (!) ausserhalb der Politik genau so funktioniert, wieso sollte ich annehmen, dass es sich ausgerechnet in diesem einen Feld anders verhalten würde? Und wenn doch, wieso [...]
... was könnte ich dem erwidern, wo Du doch so sicher WEISST, wie es ist in der Politik und in allem außerhalb davon?
Ich könnte auch viele Anekdoten über andere Erfahrungen erzählen und Links setzen zu seriösen Untersuchungen der unterschiedlichsten Art. Ich schenk' mir das. Reden wir gleich über's Grundsätzliche.

Du bist also der Meinung, dass es keine unabhängige Öffentlichkeit mehr gibt. Was es gibt, sind gekaufte Medien: Gekauft von Wirtschaft und Politik. Und auf der anderen Seite gibt es das dumme resp. unwissende Publikum in Form von Konsumenten und Wählern.

Nur ganz wenige, Menschen wie Du, haben den Durchblick. Die Frage ist nun: Wie bringst Du denn Dein Exclusiv-Wissen an die überwältigende Masse der Dummen und Unwissenden?

Franz
Match as much as you can!

whoknows

ZitatNur ganz wenige, Menschen wie Du, haben den Durchblick.
Das habe ich nie behauptet. Den einzigen "Durchblick" den ich (gemeinsam mit vielen anderen - leider aber immer noch eine verschwindende Minderheit) habe, ist, dass eben sicherlich gut 85% der "Informationen" die wir bekommen, von jemandem lanciert wurden. Und dass etwas, das lanciert wird, auch gewissen Interessen entsprechen wird, ist naheliegend, sonst würde sich keiner darum kümmern, es zu lancieren.

Ebensowenig wie ich behaupte, dass es IMMER und ÜBERALL so ist - aber doch in der überwiegenden (und meist leider auch Umwelt-bestimmenden) Mehrheit.

Franz08

Hallo whoknows,

da stimme ich Dir zu, dass die meisten Informationen solche sind, die von jemandem "absichtsvoll lanciert" werden. Im Gegensatz zu Dir sehe ich darin allerdings kein grundsätzliches Problem, sondern einen ganz normalen Vorgang.

Oder stehen KünstlerInnen etwa nicht "absichtsvoll" auf der Bühne, um ihre Botschaft "zu lancieren"?

Kommunikation ist immer intentional. Würd' ich jetzt sagen, begänne ich eine kommunikations-wissenschaftliche Diskussion ;-)

Liebe Grüße
Franz
Match as much as you can!

whoknows

#45
Ich sehe das grundsätzliche Problem darin, dass eben leider nicht immer (wie beispielsweise deutlich beim Singen eigener Lieder auf der Bühne) ein Schild für die Konsumenten dranhängt: "Achtung tendenziös verarbeitete Meinung, nicht immer Fakten!" Das Meiste, was aufgrund von guter PR zu lesen ist, ist nicht als
Zitataufgrund von guter PR
zu erkennen.

Dass man PR machen will, als Produzent von Inhalten oder Produkten, ist klar - dass es für den Rezipienten auch kenntlich ist, ob PR drin ist, wo "Inhalt" draufsteht - das ist das Wesentliche.

Anke

Oh je, whoknows  :-* ,

wenn du jetzt schon von unseren gesellschaftlichen Mechanismen so frustriert bist, wie soll das dann erst in 20 Jahren werden ...  :'( 8-) Ich kann dich leider nur allzu gut verstehen. Habe mich selber in dem Bereich beruflich in gewissem Ausmaß im Auftrag schuldig gemacht (machen "müssen"  :-/ ) und konnte das ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr ertragen.


Seit einiger Zeit hat sich ja in der Kunst-PR aller Art das System der "Medienpartnerschaft" etabliert.  :-? Klingt gut, ist für die jeweiligen Veranstalterfirmen sehr praktisch und nützlich - aber für den Informationssucher und -konsumenten empfinde ich das als eine gefährliche und unangenehme Manipulation.  >:(

Hier einige Links dazu - v.a. der Artikel über NDR-Partnerschaften zeigt m.E. sehr deutlich auf, wohin das führen kann und meistens auch führt.  :-/

http://www.dasganzewerk.de/ndr_kultur/20051104-ndr-kultur-veranstaltungstipp-oktogonale.shtml
http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial&hs=dId&q=medienpartnerschaft+konzert&btnG=Suche&meta=
http://www.wein-plus.de/zusammenarbeit/pdfs/129_de_medienpartnerschaft.pdf
http://www.google.de/search?hl=de&client=firefox-a&rls=org.mozilla%3Ade%3Aofficial&q=medienpartnerschaft+veranstaltung&btnG=Suche&meta=

--------------

Z.B. höre ich im Bayerischen Rundfunk neuerdings auffallend viel von der neuen CD von Anette Louisan. Ja, die Liedchen sind ganz nett, und die junge Frau ist ausgesprochen süß und redet nicht einmal ganz dumm - aber müssen deswegen an ein und demselben Vormittag mehrere dieser Lieder gespielt werden?  :o Haben wir in Deutschland wirklich derart wenig ansprechende Lieder, dass das aus künstlerischen Erwägungen heraus geschehen muss?  :o Das kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Vielmehr beschleicht mich dabei das Gefühl, dass ihre Agentur ein bestimmtes Zeit-Kontingent gekauft hat. (Oder, dass sie mit einem maßgeblichen Redakteur verwandt, verschwägert o.ä. ist).

Wo sind die Grenzen?


Franz08

Einen schönen Abend in die Runde!

"PR" hat mittlerweile eine mehr als 100jährige Praxis- und eine fast ebenso lange Wissenschafts-Geschichte hinter sich. Die modernen Ansätze sprechen von "Corporate Communications", das heißt von integrierter Unternehmens-Kommunikation nach innen und außen.

Die klassische Pressearbeit ist dabei nur ein Teil der Geschichte. Freilich ein entscheidender, weil die Medien eben nicht nur "Profit-Organisationen" sind, sondern zum Teil auch "öfffentliche Güter", weil sie Infrastruktur für den in demokratischen Gesellschaften wichtigen "öffentlichen Diskurs" sind.

Vieles, was "der PR" vorgeworfen wird, ist eigentlich ein Problem des immer weniger funktionierenden Diskurses im Rahmen einer "demokratischen Öffentlichkeit". Und jetzt könnten wir natürlich ewig darüber diskutieren, ob dieser Umstand eher "dem Kapitalismus", "der Politik", "dem Zeitgeist", "den Medien" oder der "Anti-Aufklärung" geschuldet ist.

Und ob die "demokratische Gegen-Öffentlichkeit" nicht gerade in den sozialen Netzwerken des Internets liegt.

Ein professioneller "PR-Mensch" wird jedenfalls von dem ausgehen, was da ist an "Persönlichkeit" einer Person oder Organisation. Und dann für einen "kommunikativen Ausgleich" zwischen dieser Organisation und deren "Anspruchsgruppen" (soziales Umfeld, Kunden/Publikum/Konsumenten, Mitarbeiter u.a.) sorgen. Kein geringer Anspruch, aber so sieht die aktuelle Situation aus.
Match as much as you can!

Burkhard Ihme

Zitat
Warum - um im angeblich noch anständigen Musikbereich zu bleiben - muss man sich mit immer denselben  7 oder 8 Journalisten gut stellen, damit man zum Preis der Schallplattenkritik, zum Kleinkunstpreis , in die Liederbestenliste kommt? Glaubst Du, da ist auch nur irgendeine Fluktuation seit 20 Jahren, bei den Leuten, die sowas entscheiden? Und, da nicht, glaubst Du, da kommt irgendwer dran, der sich NICHT mit denen besonders gut stellt?(Und ist diese Art von "gut stellen" NICHT PR?)
Glaubst du, die recherchieren selbst, was neu auf dem Markt ist?
Ist das Anstellen von Menschen, die Deine Myspace oder Utube Seite als "Du" betreuen, damit es persönlich wirkt, NICHT PR?

Ich hab mal eines der Mitglieder der Liederbestenjury auf dein Posting aufmerksam gemacht. Seine Antwort:
ZitatLieber Burkhard,
wer beschwert sich denn da? Den Georg Kreisler haben wir schon beim
SWF-Liederpreis gehabt, und den kennt kein Mensch und niemand "stellt
sich mit ihm gut". In die Jury wollen viele, die eigentlich Künstler
sind oder Interessen der Industrie. vertreten. Unabhängige Journalisten
werden händeringend gesucht. Und für das Deutschsprachige Lied
interessiert sich niemand, außer ein paar Rundfunkredakteuren, die aber
unkritisch sind und nur "auflegen" und noch einer Anzahl von
kritischeren Leuten, die du an einer Hand abzählen kannst. Und die sind
meist auch unkritisch. Ich selber denke, daß ich kritisch sondiere,
stehe mit keinem "gut" sondern kriege noch böse Briefe von Leuten, die
ich über Gebühr lobe und die kein Mensch jemals sonst rezensieren würde.
(Ich will auch gar keinen freundschaftlichen Kontakt mit Liedermachern
haben, die paar, die ich kenne, reichen mir :-)



whoknows

Na, dass den Georg Kreisler "kein Mensch kennt" lassen wir mal unkommentiert stehen.  

Die Louisan, Anke, ist ein Produkt von "Us5" (ich glaube, so heissen die, irgendwas mit five) Texter Frank Ramond und Produzenten von u.a. Roger Cicero, Mia, der Ina Müller und allen anderen, die letztlich ziemlich gleich klingen (nona, derselbeTexter, derselbe Produzent)


Ansonsten kommt man in die Liederbestenliste, wenn man  konkret dafür sorgt, dass die erfahren, dass es diese Gruppe, diesen Sänger gibt - aus eigener "Recherche"  erfahren die nur von Ina Müller und anderen Produkten - ohne zu merken, dass es Produkte sind.
Das ist ein Haufen von aus den 70ern übriggebliebener  "aufrechter" Journalisten, alle durchaus ehrenwert, die Meisten völlig unbeleckt von jedem musikalischen Ohr oder Wissen um handwerkliche Qualität, aber mit durchaus intensivem GLAUBEN, sie hätten das - das finde ich im Übrigen völlig okay, sollen sie. Ich finde nur schade, dass sie  hauptsächlich Dinge gut finden, die in den 70ern neu gewesen wären, und ich finde schade, dass sie nicht mitkriegen, was Industrie ist - die mE eben NICHT besonders gefördert werden müsste - und was nicht.  Und ich finde schade, dass ihnen die Beherrschung des HANDWERKS der von ihnen ausgezeichneten nicht wichtig ist - bzw dass sie es meiner Meinung nach gar nicht beurteilen können oder wollen. Die von ihnen Gelobten beherrschen oft nicht mal die Kunst, einen Ton zu treffen, von metrischen oder gar harmonischen Hintergedanken ganz zu schweigen. Und weiters finde ich schade, dass diese "Kleinkunst- und Liedermacher-Aficionados eben geschmacklich so stehen geblieben sind. Das LIED gibt es auch im 21. Jahrhundert - wieso muss es klingen wie Biermann, um heute noch 'gut' zu sein?

Ich finde das deshalb  so schade und auch ärgerlich, WEIL diese Journalistenclique (und genau das ist es - das war es, was mein Posting meinte!!)  ja von der Intention her durchaus ehrenwert ist!  Die  glauben, sie liessen sich von Hintergründen nicht beeindrucken - sowas bräuchten wir in Deutschland, allerdings mit einem heutigen Musik- und Textverständnis.  Und mit dem nötigen Hintergrundwissen: Was ist Industrie, muss daher nicht gesondert gefördert werden, und was ist Einzelkämpfer und verdient Unterstützung.

Die sind aber nicht alleine - die Strukturen für Kleinkünstler und Liedermacher HEUTE sind entweder noch Relikte aus den 70ern oder völlig hirnverbrannt:
Guckt Euch mal beispielsweise auf der Homepage die Bedingungen an, um auf der  angeblich renommiertesten Kleinkunstmesse, der Börse in Freiburg, auftreten zu dürfen: Als Newcomer, als Einzelkämpfer ohne Geld hast Du da keine Chance. Denn für einen Kurzauftritt von 5 Minuten vor einem Fachpublikum musst Du locker erst mal 2000 Euro parat haben, für Anreise, Aufenthalt, Standmiete (zwingend für einen Auftritt!!!) und Saalmiete für Deinen Auftritt.  Da haste aber noch nicht die Garantie, dass auch die richtigen Leute just in Deinen 5 Minuten Auftritt auch zuschauen.

Wenn Du eben NICHT das Geld hast, um alle richtigen Leute zu bestücken, wenn Du auf jeder Briefmarke auftreten musst, weil Du keine Kohle hast für die richtige PR, die in Deinem Fall eben nützen würde, dann dauert es Jahrhunderte, bis Dich vielleicht wer entdeckt- Siehe Element of Crime: 15 Jahre Tingeln, oder Heinz Ratz - bis heute nur sehr wenigen bekannt, und längst nicht in der Liederbestenliste oder mit irgendeinem Chansonpreis bedacht. Punkrock-Chansons kommen im Verständnis der angeblichen Fachriege nicht vor. (Aber wenn man klassisch arbeitet wie in den 70ern, hat man mehr Chancen, wie der Wartke zB oder das von mir so verachtete Duo Sonnenschirm etc)
Rosenstolz mussten erst völlig verseichten und massenkompatibel werden, bis sie nach oben kamen. Ebenso Ina Müller, die erst zu Frank Ramond gehen musste, obwohl sie davor, als unabhängige Künstlerin, durchaus gute Sachen gemacht hat.

Wie unter diesen Bedingungen überhaupt noch Bands, Kleinkünstler, Liedermacher  ohne Firma im Hintergrund nach oben kommen können, ist mehr ein Wunder als ein "normaler Weg, den Qualität nimmt".