Synästhetiker, bekloppt und doch normal?

Begonnen von Bastian, 13. Oktober 2005, 03:56:37

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Andrea

Zitat:
Otitis externa
Ist das so was wie eine Gehörgangentzündung? Ich hatte schon zwei Gehörgangentzündungen am rechten Ohr. Wenn ich müde bin, dann ist das rechte Ohr irgendwie zu, und wenn hinter mir ein Radfahrer klingelt, weiß ich nicht immer, ob er hinter mir oder rechts von mir ist. Außerdem finde ich seither die Akustik in großen Bahnhofshallen noch grauenhafter als ich sie je empfunden habe. Und wenn drei Geräuschquellen an einem Tisch mein Ohr überfluten (z.B. Musik, der zwischenmenschliche Dialog und unmittelbar rechts neben mir spielt noch mein Kumpel mit seinem Essbesteck, das nervt mich tierisch. Wenn ich draußen bin, dann verändern sich die Nuancen manchmal. Plötzliches Surren oder einfach, dass alles weiter weg ist... Aber damit lässt sich leben. Solange ich den Autoverkehr noch gut hören und mich selbstständig bewegen kann, kann ich nicht klagen.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Suse

Ja. Otitis externa ist eine Entzündung des äußeren Gehörganges, also vor dem Trommelfell. Damit sind dann zum Glück nicht die Regionen im Ohr betroffen, die für die eigentliche Reizleitung beim Hören zuständig sind. Wenn aber der gesamte äußere Gehörgang zugeschwollen ist, hört man wie mit Wasser im Ohr. Außerdem kann es auch auf andere Strukture übergreifen. Ich bin, wenn ich schlechter hören kann bei mehreren akustischen Reizen gleichzeitig im wahrsten Sinne gereizt; z.B. bei Nebengesprächen in Besprechungen, weil ich mich so auf diesen "Kanal" konzentrieren muß und zuviele Informationen gleichzeitig durch den "Filter" müssen. Für Dich, Andrea, muß das noch viel schwieriger sein, da Du Dein Gehör viel differenzierter nutzt als Sehende (nehme ich an). Was sagt denn Dein Ohrenarzt? Nach einer Entzündung kann es monatelang dauern, bis sich alles wieder im betroffenen Gebiet beruhigt hat. Wie lange ist die Entzündung her?

Andrea

Zitat:
Ich bin, wenn ich schlechter hören kann bei mehreren akustischen Reizen gleichzeitig im wahrsten
Sinne gereizt;
Jaja, mir geht's auch so :-).
Die letzte Entzündung ist vielleicht zwei Jahre her. Mein Ohrenarzt sagte, die erste könnte ein Tinitus gewesen sein und dass da noch so kleine Narben sind, dass sich meine Hörleistung aber (den Messungen nach) nicht verändert hat.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

angel

Hi Bastian,

ich sehe Farben zu Tönen/Musik (wenn ich die Augen schließe und mich der Musik hingebe)... Aber das für viele möglich, ist im Grunde altbekannt und wird u.a. beim autogenen Training (Traumerleben mit Musik) angewendet. D.h. aus den Farben entstehen auch verschiedene Filme...

Ich kenne Maler, die auch Musiker sind und zwischen Malerei und Komponieren abwechseln. Die kann ich auch mal fragen, wie das bei ihnen ist...

Buchstaben - Zahlen - Texte sind - sofern sie sich nicht neu verknüpfen bzw. auf Neues hindeuten für mich leider zumeist mehr grau-in-grau-Malerei.

Bastian

#29
So, jetzt hab ich mal Zeit etwas über die Studie zu erzählen. Ich bin jetzt eine Woche lang eine Stunde pro Tag dort gewesen und hab mir seltsame Geräusche angehört:
Grob geht es darum, Bilder auch für Blinde hörbar zu machen, indem man sie von links nach rechts scannt und die Formen in akustische Signale umwandelt. Dabei wird die senkrechte Lage innerhalb des Bildes durch die Frequenz, und der Grauwert durch die Lautstärke darstellt. Also schwarze Bereiche hört man nicht, ein weißer Bereich links oben, ist ein Hochfrequentes Rauschen auf dem linken Ohr. Ein grauer Bereich rechts unten ist ein leiseres, tieferes Rauschen auf dem rechten Ohr... Mir werden an einem schwarzen Bildschirm über einen Kopfhörer diese Geräusche vorgespielt, und ich soll auf einem Blatt Papier zeichnen, was ich gehört habe. Nachher bekomme ich das Bild zu sehen und bin erstaunt.
Ich suche mal ein Beispiel...

Hier (Es müsste richtigerweise ein weißer Buchstabe auf schwarzem Grund sein, ich weiß aber nicht, wie man das hier macht):
Zitat
[size=60]A[/size]
Dieser Buchstabe, uns allen unter dem Trivialnamen "A" bekannt, wird von links nach rechts akustisch dargestellt. Er klingt dann etwa so:
"Puüeii'piieüup", klar? Das kann man glaube ich nachvollziehen. Schwieriger wird die Sache dann, wenn man
"Tschhchcäächchts" hört. Das ist nämlich ein bildfüllendes
Zitat
[size=48]H[/size]
Und noch blöder Klingen Buchstaben, wie das "K" oder das "G", weil sich dort zwei oder drei verschiedene Geraden und Bögen, und somit verschiedene Frequenzen gleichzeitig oben und unten z.T. gegenläufig verändern...

Völlig skurril wird es dann, wenn sie mir echte Fotos vorspielt. Z.B. so etwas:
Da hört man erst ein helles Rauschen auf der linken Seite, dann ein abrupter Lautstärkeabfall für die Dauer des linken Kirchturmes (das Dach hört man nicht, aber man soll hören können, dass etwas dreieckiges fehlt). Dann setzt in der Mitte schlagartig wieder ein lauteres, helles Rauschen ein, weil der Turm aufhört und der Himmel dahinter heller ist- gleichzeitig dazu ein tieferes Rauschen wegen des vergleichsweise hellen Kirchenschiffs... uswusw. Wie der Baum in der linken Ecke klingt, könnt ihr euch vorstellen. Sowas, wie "Chchebrblchchschsch", oder so.

Ich hab es so verstanden, dass sie herausfinden wollen, ob Synästhetiker dieses Bilderhören schneller lernen können als Normalos. Aber ich muss sagen, dass ich skeptisch bin, ob das eine mit dem anderen überhaupt etwas zu tun hat. Ich finde es jedenfalls ziemlich schwierig, Strukturen zu erkennen, die über einfache geometrische Formen hinausgehen. Buchstaben, Ziffern und Rechtecke sind vergleichsweise eindeutig, aber in Fotos erkenne ich nur helle Bereiche und deren groben Verlauf... Ausserdem ist es mir beinahe unmöglich, z.B. ein fehlendes schmales Frequenzband innerhalb eines umfassenden weißen Rauschens zu erkennen, da schlägt mir das Auflösungsvermögen des Ohrs ein Schnippchen. Ich weiß, dass das menschliche Ohr schon Cent- schwache Frequenzunterschiede feststellen kann, das gilt aber für einzelne, klar definierte Töne, nicht für Lücken innerhalb eines vollen Rauschens.

Bin mal gespannt, wie es in der nächsten Woche weitergeht. Am Freitag hatten wir römische Ziffern und nicht- gefüllte Kreise, was sehr interessant ist, weil man zeitweise beinahe Akkorde und Zweiklänge hören kann. Was das aber mit Synästhetikern zu tun haben soll, ist mir noch nicht wirklich klar, denn die o.g. Darstellungsregeln sind klar festgelegt, und können gerade deswegen dem eigenen Empfinden auch krass widersprechen, was dann wiederum ein Nachteil ist. Ich hätte eine handvoll kritischer Fragen, aber als Proband will ich mich zunächst einmal drauf einlassen, sonst wirds ja nix. Meine Versuchsleiterin hat sich da etwas wirklich interessantes ausgedacht, und ich möche das erst einmal verfolgen und verstehen lernen. Es ist eine Supersache, und wenn ich einmal den tieferen Sinn dahinter erkennen kann- noch superer.

whoknows

Ja, das ist gut, lass Dich erst mal auf Deine Versuchsleiterin ein.

Lanie

Als einmal die BBC  Reportage im TV kamm wusste ich, ich bin neidisch! Nur nicht auf den Mann der bei Wörtern bestimmte Dinge schmeckt. Er selbst meinte nur 2% seiner Geschmäcke seine dann schön, häufig sind es solche Mischung wie Schinken mit Kaffeesatz etc. Aber missen wollte er es nicht. ... :D

Bastian

#32
Mmmh, Schinken mit Kaffeesatz...

Katinka Koschka

Klingt alles total interessant. :D
Meine "Gehörmeise" scheint auch relativ selten zu sein, nämlich dass ich bei bestimmten Liedern "vertikales Stereo" höre. Ist eine verquere Bezeichnung, ok.
Ich vermute es hängt mit Frequenzen zusammen.
Da gibt es doch dieses Lied von Peter Gabriel "More than this". Von jenem Song gibt es den sogenannten "Elbow-Mix", das ist ein Remix von der Gruppe Elbow (die mit dem trinkfreudigen Guy Garvey, der mich im Dezember so lieb umarmt hat) und bei dieser Version höre ich ganz deutlich im Refrain die unterschiedlichen Akkorde an unterschiedlichen Stellen der Ohrmuschel.
Wahrscheinlich sinds die Bässe, die sind ja am körperlastigsten, aber das Komische ist eben, es wandert an den Ohrmuscheln auf und ab.
Bei einem Konzert der Genesis-Coverband "The Musical Box" hab ich dieses Phänomen auch erlebt. Da ist während des Liedes "Firth of Fifth" eine Stelle, da kommen zwei ganz abgrundtiefe Akkorde (Synthi) und die spürte ich jeweils am Unterkiefer und am Hals  :o [smiley=old_grin.gif]
Denselben Effekt habe ich, wenn ich den Elbow-Titel "Asleep in the Back" höre, da ist kurz vor dem Ende auch ein synthetischer Basston, der kitzelt auch am Hals... ;D

Kenne kaum Leute, die das auch haben. Ich glaube, eine Freundin aus dem Peter-Gabriel-Forum hat das auch, aber sonst kaum einer...
Und ich glaube, ich kann den "Großen Abendsegler" (eine Fledermaus) hören! :o
Zumindest fiel mir vor ein paar Jahren in Kroatien folgendes auf:
ich hörte immer so ein ganz helles "Zick zick zick" und dachte erst, das ist irgendein Insekt.
Dann bemerkte ich diese kleinen Flattermänner und dachte Schwalben um die Abendzeit?? Plötzlich wurde mir klar: FLEDERMÄUSE! Und dann sah ich diese kleine Flattersilhouette auf mich zu fliegen und es tönte: zick ZICK [size=14]ZICK[/size]
:o [smiley=old_grin.gif]
Und ich kenne immerhin eine Frau aus Graz, die auch Fledermäuse hören kann... :D

Und ich gehe deshalb davon aus, dass es der "Große Abendsegler" ist, weil ich gelesen habe, dass dessen Rufe die menschliche Hörgrenze ankratzen, während alle anderen Fledermäuse oberhalb der Hörgrenze piepen....
Würde ja gerne mal einen Hörtest machen, aber ich weiß nicht wie teuer das ist, man kricht ja die Hörtests nur dann bezahlt, wenn man PROBLEME  mit dem Hören hat und ich höre eher zu gut!! :-[ :-/ ;)
Apripi -das heißt- apropos, Halli halli hallo

kampmann

Zitat.... Mir ist schon klar, dass einige Tonarten z.B. auf der Geige gespielt heller klingen als andere, weil viele Saiten mitschwingen, was aber beim Klavier wiederum nicht funktioniert.

Diese Empfindung hängt meines Wissens davon ab, dass das Klavier temperiert gestimmt ist - Geigen und andere Saiteninstrumente, auch Blasinstrumente wie Trompeten, Saxophone etc. dagegen nicht.

Aber zu dem eigentlichen Phänomen der S.: ich finde das höchst interessant. Wirklich toll. Und Versuchskarnickel zu spielen, das macht wirklich Spaß, vor allem, wenn der Proband die Methoden nachvollziehen kann etc.

Gratuliere zu dieser Begabung, Basti ...
Ein Außenseiter, der sehr neugierig ist!

Bastian

#35
(Liebes Kaffeekränzchen, liebe gerne öffentlich an enormen Zipperlein Leidende, liebe Zicken und liebe Großkopferte, liebe Aufmerksamkeitsbedürftige, liebe Desinteressierte, liebe Erregte, und die Lieben, die stets die Erregung anderer suchen. Liebe ein-Satz-Fallenlasser, liebe völlig Verschwundene! Liebe zu Recht Entrüstete, liebe zu Unrecht Entrechtete, liebe jetzt- aber- langsam- Beleidigte...

Liebes Altersheim, lieber Kindergarten,

ich versuche mal, zwischen all den eingewachsenen Zehennägeln und dem Befindlichkeitsaustausch etwas anzureissen, was zumindest ich für interessant halte. Auch über das Thema hinaus, weil es unsere Sprache betrifft.)


Also,
so ungewöhnlich ist das alles nicht. Jeder Mensch ist Fähig zur sog "intermodalen Abstraktion", d.h. zum Erkennen gemeinsamer Eigenschaften, auch bei völlig unterschiedlichen Sinneseindrücken. Eine sehr interessante Frage ist: Wieso funktionieren beispielsweise Metaphern?

Wenn man sagt "dieser Ziegenkäse ist scharf", ist dies eine Metapher. Scharf sind Klingen oder Glasscherben, ein Käse ist eher weich, gerade Ziegenkäse. Oder, wenn wir die Eigenschaften von Tönen beschreiben, benutzen wir Worte, wie "hoch", "tief", "dunkel", hell... Auch diese Worte sind Metaphern, denn sie beschreiben ursprünglich eine andere Eigenschaft. Berge sind hoch, Täler sind tief, aber Töne...? Sie unterscheiden sich in der Frequenz, aber nicht in ihrer Lage bezüglich des Meeresspiegels.

Eine dunkle Stimme verfinstert nicht den Raum, ein heller Klang hilft mir nix, wenn ich nachts etwas lesen möchte...

Also erkennt unser Gehirn auf einer anderen Abstraktionsebene eine Gemeinsamkeit, nach der es die bezeichneten Dinge offenbar gruppiert. Und- das ist interessant- dies hat nur deswegen einen Sinn, weil andere Menschen diese Metaphern ebenfalls verstehen. Wir teilen miteinander eine Fähigkeit, nämlich die, Eigenschaften von Dingen, Gefühlen, etc mit Worten zu beschreiben, die eigentlich für eine vollkommen andere Qualität stehen. Das ist genaugenommen unlogisch (weil man z.B. mit einem "scharfen" Käse nichts schneiden kann), hat aber für unser Gehirn eine große Bedeutung- es schafft einen Großteil dessen, was wir "Kultur" nennen.

Welchen Sinn hätten Metaphern, wenn kein anderer sie verstünde? Wie öd wäre Poesie, wenn alles "klar" :) ausgedrückt werden müsste? Wie könnte ein Bild zum Gespräch anregen, wenn wir seine Eigenschaften nicht sprachlich erfassen und mit Begriffen aus anderen Sinneseindrücken beschreiben könnten ("schrille", "laute" Farben?) Aber wir haben allesamt die Fähigkeit, sinnliche Eindrücke der einen Qualität (Gesichtssinn, Geruchssinn...) mit Begriffen aus anderen Sinnesbereichen (Tastsinn, Hörsinn...) zu bezeichnen. Und dies geht sogar über verschiedene Kulturkreise und Sprachen hinweg- es ist dem Menschentier offenbar eigen. Auch das ist genaugenommen "Syn- ästhesie".

Hier ein kleiner Test. Eine dieser zwei Formen solle den Namen "Kiki" tragen und eine den Namen "Booba". Was meint Ihr, welche der untenstehenden Formen könnte nach Eurem Dafürhalten "Booba", und welche "Kiki" heißen?

Und vor allem: Warum zum Teufel tendieren wir fast einstimmig zu einer bestimmten Zuordnung?!

an Andrea: beide Formen sind jeweils geschlossene Figuren. Die erstere hat eine spitz gezackte, sternförmige Kontur. Die zweite eine runde, wellenförmige Außenlinie.

whoknows

Das ist ja das Verflixte: einerseits haben wir uns auf gewisse Metaphern obeflächlich geeinigt, andererseits muss man immer wieder mit Schrecken bemerken, wie leicht man bei den kleinsten Kleinigkeiten aneinander vorbeiredet - selbst bei intimsten Freunden. Und ich frage mich immer: wie oft merken wir das NICHT, dass wir völlig unterschiedliche Vorstellungswelten haben, und GLAUBEN, dass wir uns eh verstehen....

Dagmar

ZitatWarum zum Teufel tendieren wir fast einstimmig zu einer bestimmten Zuordnung?!

Die Frage dabei ist, ob diese Zuordnung an die sprachliche Sozialisation gebunden ist: Ordnen alle Menschen, gleich welche Sprache sie sprechen, die Formen den Worten immer gleich zu (Weiche Konsonanten, weiche Formen, harte Konsonanten, harte Formen)? Es gibt in der Sprache ja viele Worte, die eine zweifache Bedeutung haben: Scharfe Klinge und scharfer Pfeffer. Ich bin fremdsprachlich leider nicht bewandert genug, um Beispiele aus anderen Sprachen nennen zu können, aber das gibt es doch in allen Sprachen, dass ein Wort mehrere Bedeutungen haben kann. Vielleicht hat das Ganze weniger mit dem Erkennen gemeinsamer Eigenschaften sondern mehr mit dem Gebrauch eines Wortes für mehrere Zustände zu tun.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

whoknows

ja, und vermutlich auch mit der vorherrschenden Empfindung im jeweiligen Kulturkreis. Es gibt ziemlich sicher auch Menschen, die "i" als rund empfinden (die es vielleicht auch in ihrer Schrift runder schreiben, als "o")
Es ist zB nur im Deutschen der Mond männlich, und im Thailändischen sagt man für "verstehe nicht": "ich bewege mein Herz nicht hinein" - das lässt viel Raum für Interpretation....

angel

Hat die Menschheit nicht die Musik deshalb hervorgebracht und verfeinert, weil die Worte und Sprache intensive Empfindungen nicht mitteilen können?

whoknows

Vielleicht - ändert aber letztlich nicht alles. Denn Didgeridoo ist für manche aufregend, für andere fad, oder der Chomei-Gesang (Oberton) oder Hard Rock.....

Bastian

#41
ZitatEs gibt ziemlich sicher auch Menschen, die "i" als rund empfinden (die es vielleicht auch in ihrer Schrift runder schreiben, als "o")
Das mag sein, ist aber nicht die Frage. Es geht hier primär um den Klang der Worte und nicht um Schrift oder einzelne Buchstaben. Bei dem "Booba- Kiki"- Test ordnen zwischen 90% und 98% aller (nicht Hirngeschädigten) der runden Form den Namen "Booba" zu und der gezackten Form den Namen "Kiki". Und dies praktisch Kulturunabhängig. Auch in Sri Lanka, obwohl das Schriftbild der tamilischen Schrift unserem nicht gleicht (rundes "B", Eckiges "K") http://en.wikipedia.org/wiki/Image:BoobaKiki.png

Man weiß, dass die Fähigkeit zum metaphorischen Sprachgebrauch angeboren ist. Es scheint dem menschen eigen zu sein, dass er Begriffe für den einen Sinneseindruck für die Beschreibung eines anderen herangezieht. Der Neurowissenschaftler und Psychologieprofessor V. S. Ramachandran vermutet, dass diese Fähigkeit im linken Gyrus angularis lokalisiert ist, weil Menschen, bei denen dieser Bereich lädiert ist, mit metaphorischen Zuordnungen nichts mehr anfangen können.

ZitatEs gibt in der Sprache ja viele Worte, die eine zweifache Bedeutung haben: Scharfe Klinge und scharfer Pfeffer.
Dingdong, Dagmar, genau dieses Phänomen bezeichnet man als "metaphorisch". Das ist doch gerade das Interessante. ::) Da solltest du dich eben fragen, wieso dieses Wort in zwei verschiedene Zusammenhängen benutzt wird. Offenbar gibt es ein Charakteristikum, das beiden Eigenschaften eigen ist. "A sharp knife", "think sharp", "scharfzüngig", "scharfsinnige Bemerkung", "scharfes Luder"... Sicher teilen wir nicht über alle Kulturen hinweg dieselben Metaphern. Der Satz "Du gehst mir auf den Senkel" hat zum Beispiel nur einen Sinn, wenn die Leute keine Mokassins tragen. Wer keine Senkel kennt, versteht diesen Satz natürlich nicht.

Aber die Fähigkeit aller Menschen, in Metaphern und Bildern zu sprechen, Analogien zwischen verschiedenen Sinneseindrücken zu ziehen, ist ein Hinweis darauf, dass wir alle im Grunde Synästhetiker sind.

Bastian

Nur manche können es einfach etwas besser. 8-) ::)

angel

#43
Zu diesem Phänomen ist in dem anthropologisch angelegten Werk "Wesen und Ursprung der Sprache" von Mendel W. Tronik Interessantes enthalten. Er beschreibt es vor dem Hintergrund des Bedürfnisses des Menschen zur Transzendenz: Der Mensch wollte/will sich aus dem Fluch der Naturabhängigkeit befreien und entwickelte deshalb eine "geflügelte" und "beflügelnde" Sprache. Eben deshalb besitzen die Mittler/Boten zwischen G'tt ("Mein Reich ist nicht von dieser Welt") und Mensch Flügel. Sie symbolisieren die Sprache.

Und nun meditiere ich noch kurz zum Präfix "syn"...
Ich denke, dass die Instumentalmusik eher zu einer Vereinheitlichung der Gattung Mensch beitragen kann als die Sprache(n).
Es scheint also auch ein Bedürfnis des Menschen nach Vereinheitlichung zu geben. Denn auch die Musik enthält dieses Bedürfnis  :)
Symbole natürlich auch...

Die primäre Vereinheitlichung, die ein Synästhetiker betreibt, ist die Abstimmung seiner vielfältigen Sinneseindrücke, d.h. er kombiniert seine Sinnesorgane bzw. läßt sie miteinander kooperieren.

Ein guter Synästhetiker ist ggf. jemand, der dieses Bestreben nach Kooperation und Transzendenz besonders stark in sich trägt und auch zum Ausdruck bringen kann. Insofern vermute ich mal, dass sich unter Künstlern ein besonders hoher Anteil von Synästhetikern befindet.

Suse

Interessante Frage, Basti. Hab nach dem Lesen Deiner Mail von gestern heute Morgen immer wieder darüber nachgedacht und zunächst versucht, das Ganze als Frage der Wortdefinition beizukommen. "Scharf" kann halt einen bestimmten Geschmack oder eine bestimmte Schneidefähigkeit bedeuten. Irgendwie war mit aber schon klar, daß ich damit nicht dem eigentlichen Problem auf der Spur war. Warscheinlich ein kleiner Eindruck von Deiner Irritation, als Du feststellen mußtest, daß andere Menschen Deine Fähigkeiten nicht haben sondern Synästhesien nennen. Es ist so selbstverständlich, es so zu erleben, wie man es halt tut. Da ich Dich ja doch ziemlich beneidet habe, bin ich jetzt etwas versöhnt mit meinem Schicksal.
Irgendwie habe ich den Eindruck von "Käse" bei meinem Geschreibsel.  :o  ;D

angel

Suse, manche sagen auch statt "Käse" "Quark". Aber ein Quark ist auch ein interessantes subatomares Teilchen.  ;)

Bastian

Ist wirklich bemerkenswert: Wir kriegen es nicht hin, mit einem Wort das zu charakterisieren, was all diese verschiedenen "Anwendungen" des Begriffes "scharf" gemeinsam haben.

Obwohl es jedem von uns absolut klar ist, dass es eine Gemeinsamkeit gibt. Sonst würden wir diesen Begriff nicht so klar und definiert als Metapher verwenden und verstehen. Es liegt uns auf der Zunge, und trotzdem tun wir uns schwer, die engstmögliche Definition von "scharf" zu geben. Es sei denn, wir ziehen erneut eine Analogie, und sagen sowas wie: "schneidend". Was natürlich tautologischer Blödsinn ist, denn dann sind wir schon wieder beim Messer...

Zum Buch "Wesen und Ursprung der Sprache": Ich bin mir nicht sicher, ob ich es gelesen habe, aber es kommt mir sehr bekannt vor. Ich meine, mich auch an recht biologisch- evolutionäre Abschnitte erinnern zu können, aber vielleicht lieg ich da schief. Aber ein Satz/ Sinn, wie: "Der Mensch wollte/will sich aus dem Fluch der Naturabhängigkeit befreien und entwickelte deshalb eine "geflügelte" und "beflügelnde" Sprache." scheint mir ziemlich eng gefasst zu sein, bzw auf die abstrakte, symbolische Sprache der Menschen beschränkt. (Und nebenbei sehr dramaturgisch formuliert, aber das mag schon durch Dich interpretiert sein, Angel)

Wenn Sprache einen aus der Naturabhängigkeit befreien können soll, dann muss sie unnatürlich sein, sonst verbliebe man in der Naturabhängigkeit. Und das anzunehmen fällt mir schwer. Demnach wären ja meine Wellensittiche und... Karl Valentin unbeweste Ausserirdische. Bei Karl Valentin bin ich mir, so lange nach seinem Tod, zugegebenermaßen nicht ganz sicher, aber meine Schreihälse sprechen laut und undeutlich ihre Sprache. Aber- wie gesagt- ich vermute, Tronik bezieht sich auf die abstrahierende Sprache des Menschen.

Aber auch da bleibt der Impetus, sich durch Sprache aus der Natur befreien zu wollen, unsinnig. Denn unsere Sprache liegt just in unserer Natur. Interessant ist halt der Grad von Abstraktheit, den wir zum Teil erreichen.

Ich glaube Pinguine belächeln uns deswegen manchmal. Aber damit kann ich leben.

Dorian

#47
Das englische Analogon zu scharf ist "hot". Was empfindungsmässig ja auch nahe liegt. Besonders scharf ist "red hot". Da ist dann sogar 'ne Farbe mit im Spiel.

angel

#48
Basti, "natürlich" existiert auch eine materialistische Sprachforschung und Tronik läßt sich mittels ihrer Methodik reflektieren.
Es existiert auch die gesellschafltiche Natur des Menschen (die er wiederum als animal laborans schuf), d.h. wir haben es immer mit 2 Naturen zu tun. Die materialistische Sprachforschung zählt Sprache zur Gesellschaft, die sich auf Basis der kollektiven Bearbeitung und Anwendung der Natur entwickelt, d.h. aus dem Produktionsprozess entspringt.
Der Mensch ist also immer sowohl Natur- wie auch Gesellschaftswesen und möchte sowohl Natur wie auch Gesellschaft (r)evolutionieren bzw. daraus transzendieren bzw. "die Welt" auf eine höhere Stufe heben.

Nun zur materialistischen Ästhetik:
Je mehr der Mensch die Natur entdeckte und allen Phänomenen einen Namen gab und je zahlreicher und vielfältiger die Dinge / Werke (egal ob Speisen, Kunstwerke, Gebrauchsgegenstände, Düfte, etc. pp.) sind, die der Mensch schuf, umso komplexer und vielfältiger ist auch auch die "Synästhetik".
Das Problem: die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit entwickelt sich aufgrund negativer / destruktiver Einflüsse regressiv zurück.
Z.B. existiert in der Natur eine ungeheure Vielfalt der Gerüche, die wir ja G'tt sei Dank noch im Frühling wahrnehmen können. Doch leider hat sich der ehemalige gut ausgeprägte Geruchssinn des Menschen stark zurückentwickelt.
Lärm und Krach der Industriekultur führen dazu, dass der Mensch seinen guten Gehörsinn verliert... Schlechte Bilder/Filme bzw. visuelle Erlebnisse verblenden den Menschen...
etc. pp.



whoknows

Wobei auch verschiedene Tierarten eine relativ hoch entwickelte Sprache haben, Wale zm Beispiel, die wir gar nicht hören können, oder Wölfe, die in der Mimik liegt. Nur - soweit der Mensch das bisher erforschen konnte (was zugegebermassen nix sagt) ist der Mensch der einzige, der abstrahieren kann. Das heisst, es liegt offenbar eben NICHT nur an der Sprache an sich, sondern auch an der Denkungsart.