Also gut - es scheint hier niemand was zu sagen zu haben.
Ich füge hier einen Artikel der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" ein (eigentlich ein eher links-liberales Blatt) und stelle ihn zur Diskussion. Ich meine, das, was der Autor für Österreich sieht, hat zwar einen aktuellen Anlass (die Österreichische Iraelitische Kultusgemeinde ist pleite - u.a. weil sie nie wirklich restitutioniert wurde, und weil sie zu wenig Zuschüsse für Sicherheit etc bekommt) - aber die Diskussion über jüdische Beiträger zur Allgemeinkultur liesse sich in Deutschland auch führen.
Hätte gerne die eine oder andere Meinung dazu...
Was wäre Wien ohne
jüdische Kultur?",
fragten österreichische
Intellektuelle unlängst
an dieser Stelle in einer
Unterstützungserklärung
*Der Autor für die Israelitische
ist Kultusgemeinde. Ähnlich
Zeithistorike auch der Tenor eines
r am Zentrum Kommentars der
für Jüdische Schriftstellerin Gabriele
Stu- dien an Braunsberg, die ihrem
der Appell u. a. mit einem
Universität Verweis auf Hugo
Graz. Bettauers Roman "Die
Stadt ohne Juden"
Nachdruck verlieh.
Bettauers Buch wie auch
andere Publikationen, die
in den 1920er-Jahren über
die kulturellen
Leistungen von Juden in
Österreich und
Deutschland erschienen,
stellten eine Reaktion
auf die antisemitisch
motivierte Ausgrenzung
der Juden dar und sollten
die Unverzichtbarkeit der
Juden für ein reges
kulturelles und geistiges
Leben herausstreichen.
All diesen Arbeiten lag
die Annahme zugrunde,
dass Juden zur Kultur der
Mehrheitsgesellschaft
beitragen, sie dadurch
bereichern und in ihrer
Bedeutung steigern.
Die Vorstellung eines
jüdischen Beitrages hat
sich bis heute erhalten;
sie findet sich
exemplarisch in vielen
Studien zur Kultur des
Wiener Fin de Siècle -
und nun auch als
Begründung für eine
Subventionserhöhung der
IKG. Der Begriff des
jüdischen Beitrages
leidet jedoch an einer
gewaltigen Unschärfe, die
seinen Gebrauch
eigentlich verleiden
müsste.
Dies zeigt sich bereits,
wenn man ergründen
möchte, was und wie viel
an einzelnen Künstlern
jüdisch ist, ob sie als
Juden oder vornehmlich
als Intellektuelle,
Kulturschaffende, tätig
sind, was es mit dem
Begriff des "getauften
Juden" auf sich hat und
worin das trotz
Konversion nicht
abzulegende Jüdische in
den einzelnen kulturellen
Leistungsträgern besteht
etc.
Verzerrte Realität
Das Konzept eines
jüdischen Beitrages (zur
österreichischen Kultur)
muss aber auch aus
anderen Überlegungen
hinterfragt werden. Es
impliziert nämlich die
Vorstellung, dass Juden
eine eigenständige
gesellschaftliche Gruppe
mit spezifischer Kultur
bilden, aus der heraus
Leistungen entstehen, die
gleichsam wie
Mosaiksteine in das Bild
einer österreichischen
Kultur eingefügt werden
können. Die Vorstellung
einer gesellschaftlichen
Sonderrolle traf
historisch aufgrund
verschiedenster
Beschränkungen und
Zwänge, denen Juden
ausgesetzt waren, in
bestimmtem Maße zu;
gleichzeitig war aber die
Interaktion zwischen
Juden und Nichtjuden
durch eine Vielzahl von
Berührungspunkten viel
enger als gemeinhin
angenommen. Juden und
Nichtjuden existierten
nicht nebeneinander, eher
miteinander - mehr noch:
Sie wirkten konstitutiv
aufeinander.
Vor diesem Hintergrund
kann es auf die eingangs
aufgeworfene Frage, was
Wien ohne jüdische Kultur
sei, im Grunde nur eine
Antwort geben, will man
nicht ins Spekulative
abgleiten: anders.
Es gibt genügend
historische Gründe für
eine Erhöhung der
öffentlichen Subventionen
an die IKG, und auch
gegenwärtige, wie den
Antisemitismus, der zu
kostenintensiven
Schutzmaßnahmen jüdischer
Einrichtungen zwingt. Der
Hinweis auf die Bedeutung
des Beitrags der
jüdischen Kultur für Wien
ist aber ein
unbefriedigendes
Argument, weil er die
Realität verzerrt und
implizit sogar einer
Stereotypisierung den Weg
bereiten könnte. (Der
Standard, Printausgabe,
12./13.07.2003)
>Juden und Kultur
Worum kann es in einer so betitelten Diskussion gehen?
Die "Fragestellung" impliziert doch, dass man den Beitrag jüdischer Mitbürger zum kulturellen Geschehen bewerten soll: Führt das nicht zwangsläufig zum Antisemitismus??
Ist nicht auch der (zuweilen sogar militante) Philosemitismus mancher Nicht-Juden nur eine weitere Spielart der Ausgrenzung, der Schubladisierung? In dem Moment, in dem wir ernsthaft die Frage stellen, welchen Beitrag Juden zur Kultur leisten, zweifeln wir automatisch an, ob es ein wesentlicher ist. Das klingt nach rhetorischer Haarspalterei, ist aber leider so.
Wieso sollte die kulturelle Leistung eines Menschen von seiner (meist "angeborenen") Religionszugehörigkeit abhängen? Und wieso sollten wir eine solche Diskussion ausgerechnet in einer Zeit führen, in der die Religion für die meisten Bewohner der westlichen Industrienationen einen immer geringer werdenden Stellenwert hat?
Ist das nicht ein Versuch die Vergangenheit zu bewältigen, während gleichzeitig die Augen vor der Gegenwart verschlossen werden? Projizieren wir damit nicht unsere aktuellen Probleme in eine übersichtlichere Zeit, nämlich die Vergangenheit, in der Hoffnung, irgendeine Lösung, irgendein Ergebnis, irgendeinen Anhaltspunkt für unser heutiges Leben zu finden?
Oder habe ich die Frage (welche eigentlich?) falsch verstanden: Dann bitte ich um Aufklärung...
Aus einem Begleittext von Georg Kreisler zu seiner CD "Fürchten wir das Beste" (1997, kip 6006) das Lied "Nur kein Jud" betreffend:
...
Zu den unabänderlichen Dingen gehört der Antisemitismus. Er ist so dumm wie unverständlich, so verbrecherisch wie mysteriös. Wir wissen nicht, woher er kommt und wohin es ihn treiben wird. Sein Resultat kann der Holocaust sein oder ein Achselzucken. Wir haben keine Ahnung, warum es ihn gibt und warum niemand von ihm verschont bleibt. Auch der Nicht-Antisemit muß ihn zur Kenntnis nehmen, versucht daher zu beweisen, daß er keiner ist, und wird dadurch einer.
...
Das mit dem Antisemitismus (und dem Rassismus genauso) ist ja eine verzwickte Sache: Sagt man, "die Juden sind anders als wir" wird man antisemitisch genannt. Sagt man aber "es gibt keine Mentalitätsunterschiede zwischen Juden und Nichtjuden" ignoriert man auch Tatsachen - und auch das ist falsch.
Natürlich gibt es Mentalitätsunterschiede, durch Erziehung, durch kollektives Unbewusstes, durch Geschichte - und ich finde, sie zu ignorieren, ist ein Fehler der nur um weniges schwerer wiegt als der, sie einfach als negativ zu WERTEN.
Ja, Philosemitismus ist auch eine Form von Rassismus - aber warum darf man alles nur so schwarz-weiss sehen? Entweder die Gesellschaft umarmte eine fremde Kultur und macht sie zur "Folklore" - oder sie leugnet sie, oder sie grenzt sie aus. Kann man nicht einfach einige der Dinge, die man positiv bewerten kann, in die eingene Kultur übernehmen -es versuchen - und andere als "Reibungsfläche" begreifen - ohne gleich Angst auf der Einen und Hass auf der Anderen Seite zu ernten?
Übrigens: Die Diskussion finde ich vor allem darum wichtig, weil sie in Zeit geführt wird, in der nicht "Religion" unwesentlich wird, sondern KULTUR.
(Dass das Judentum mehr ist als "nur" eine Religion steht doch glaube ich inzwischen ausser Frage - es auf das zu reduzieren, hiesse, eine Gemeinschaft und ihr Selbstverständnis zu ignorieren.)
Ich stehe allerdings nciht an, zuzugeben, dass der Titel provokativ gewählt ist - immerhin: es hat funktioniert, es kam eine Reaktion.
Aber mir ging es natürlich in erster Linie um diesen ominösen Artikel, der mich sehr geärgert hat.
Er hat mich geärgert, weil er
a.) versucht, das Judentum zu "gliedern", assimilierte, getaufte, vielleicht gar noch "Halbjuden"? - und durch diese Gliederung eine Gruppe zersplittert, um den Impact zu mildern. Ich halte das für einen billigen Trick. Wenn man zwar niemandes Arbeit auf das reduzieren sollte, woher er/sie kommt - so ist es doch auch ein TEIL dieser Arbeit.
Oder macht es keinen Unterschied, ob zB ein Kurde oder ein Same etwas künstlerisches produziert - auch wenn es nciht im kulturellen Zusammenhang gemacht wurde, stellt doch das historisch gewachsene Selbstverständnis in jedem Menschen auch einen wesentlichen Beitrag zu dessen Weltsicht - ebenso wie die Zeit und das Umfeld in dem das Werk geschaffen wurde...
b.) völlig ignoriert, dass es gerade vor dem 2. Weltkrieg in erster Linie das jüdische Bürgertum war, dass durch interesse, Teilnahme und nciht zuletzt auch finanzielle Mittel das kulturelle Leben im Deutschsprachigen Raum ungemein zu intensivieren vermochte. (Das beweist sich leicht: während dem Krieg war auf einmal in der Schweiz viel mehr los - während UND danach haben deutschprachige Juden in Amerika kulturell ungeheures geleistet - Nach dem Krieg kam im gesamten deutschprachigen Raum nie mehr eine solch niveauvolle Innovations- und Schaffenskraft auf - nicht nur, weil jüdische Künstler massiv fehlten, sondern eben vor allem auch die jüdischen Rezipienten und Förderer - der Staat ist bekanntlich nicht sehr daran interessiert, seine Bürger mündig und intellektuell fordernd zu machen - in der jüdischen Kultur (Stichwort: "Volk des Buches") ist es ein Teil des Selbstverständnisses, auch der ärmeren Schichten, gebildet, belesen und kulturell interessiert zu sein - das strahlt natürlich aus - und diese Ausstrahlung fehlt schon ziemlich)
aber c.) und vor allem ärgert mich dieser Artikel, weil er einer Kultusgemeinde zusätzliche Förderungen nur dann zugesteht, wenn es sich darum dreht, die Vergangenheit zu "bewältigen", und negative Aspekte anzusprechen, i.e. den Antisemitismus.
Aber eine Lanze zu brechen für eine gegenwärtige und zukünftige STÄRKUNG auch im Kulturellen Bereich, den Juden heute auch Gestaltungswillen zuzugestehen - das traut sich niemand.
Eher noch tut man so, als gäbe es sowieso keine Unterschiede - das insinuiert für mich zweierlei:
Erstens: Wenn man sie schon nicht alle umbringen konnte, so kann man sie wenigstens einfach leugnen. (Provokant gesagt.)
Und zweitens: Beten wir die Asche an - aber reichen wir bloss nicht eine Flamme weiter.
Warum wird Judentum immer nur über Negatives definiert? Antisemitismus, Tote, Krieg - jetzt auch noch Sharon - aber wo bleibt das Positive Moment, unter dem man sich einigen kann. Immer wird überall nur gesagt, was Juden NICHT sind - aus lauter (auch berechtigter!) Angst, wenn man sagt "sie sind..." kommt der Antisemitismusvorwurf.
Kann man Unterschiede nicht auch als positiv begreifen? Als fördernd und fordernd für die Gemeinschaft? Komisch: bei der Rassismusdiskussion - wenn es um Türken, Araber, Polen wasweissich geht - da kommt dieses Argument. Aber bei den Juden nicht. Warum?