Juden und jüdisch sein in D/A

Begonnen von Sandra, 29. Januar 2005, 11:45:47

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Sandra

Also, diese Diskussion, - und die anderen, die ich zu dem thema geführt habe, öffentlich, hier oder privat:
Es ist ein Thema: Wie ist man Jude/Jüdin in Deutschland und Ösiland? Wie fühlt man sich, wie fühlen sich die anderen zu einem?
In Deutschland ist das ein thema auch für Deutsche - in Österreich ist es den Leuten wurscht. Die Juden sagen: Das wiss'ma eh, dass "die" so sind. Und aus. In Deutschland diskutiert man herum, und findet nciht  wirklich zu einander. Zum Teil auch aus der Einsamkeit der wenigen Juden heraus - und aus der Übermacht der deutschen.
Ich habe heute ein sehr interessantes Gespräch zum thema gelesen, in der Zeit.http://www.zeit.de/2005/05/gespraech_joffe

Bastian

#1
Interessante Diskussion. Wenn es mir auch immer mehr klar wird, dass man zu sehr getrennt von einander diskutiert, vielmehr: Ich sehe nur Juden über Juden diskutieren. Genaugenommen war das bei Eurer Diskussion in Köln auch so. Also bleiben viele Gespräche so etwas wie Monologe, egal, wieviele Leute man einlädt...

Sandra

 Man kann ja auch nicht gleichwertig als weisser mit schwarzen diskutieren, es kann immer nur einer dem anderen erklären, wie's ihm geht, oder?

Maexl

jap... die diskussionsrunde auf phoenix war auch nur durch "jüdische" Mitbürger gesegnet...
aber der herr seeligmann hält einen vom umschalten ab.

Sandra

Nö. die Klarsfeld ist eine Nichtjüdin. Die war aber auch fad *gg* ;D

Bastian

#5
Sei doch nicht immer so semitisch... :D

Bastian

#6
ZitatMan kann ja auch nicht gleichwertig als weisser mit schwarzen diskutieren, es kann immer nur einer dem anderen erklären, wie's ihm geht, oder?
Da hast du vollkommen Recht. Aber auch das sehe ich recht selten. Noch seltener diskutieren diejenigen miteinander, die tatsächlich ein Problem mit dem jeweiligen anderen haben...

Maexl

ZitatNö. die Klarsfeld ist eine Nichtjüdin. Die war aber auch fad *gg* ;D

meinst du damit mich? ich hab mich auf phoenix bezogen, da war sie nicht... im gegensatz zu einer jüdischen autorin und dem herrn seeligmann.
habt ihr im spiegel gelesen, was prominente zu dem thema der schuld sagten? klarsfeld war auch vertreten, aber die plauderte eher aus ihrem leben, als richtig zu antworten ("ich habe nichts vorzuwerfen [blablabla] mit meinem Mann Serge [blablabla]"). wer mich verwundert hatte war Bernhardt Schlink (Der Vorleser), ein von mir eigentlich sehr geschätzter Autor. mich hat verwundert, wie drastisch er eine vererbung der schuld festgestellt haben mag... ein 3 seitiger aufsatz von ihm einige ausgaben vorher war mir noch ganz genehm (vom vorleser ganz zu schweigen).
goldhagen ist mir auch als geschichtsleistungskursler nicht genehm. ich mag diese extreme zuspitzung nicht. entweder er bezweckt eine verwerfliche selbstinszenierung oder einfach geld durch sein buch (hitlers willige vollstrecker). egal, jedenfalls ist er nicht objektiv PUNKT

Sandra

#8
Ja, ich dachte, Du beziehst Dich auf die Diskussion mit Seligmann im WDR.

Ich finde, bei dem Goldhagen-Buch geht es garnicht um Objektivität. Klar, er hat es drastisch ausgedrückt - aber seine Fakten stimmen nun mal, das kann man drehen, wie man will. Es HAt einfach die überaus grosse Mehrheit der Deutschen mitgeholfen, willig oder unbedacht oder aus wurschtigkeit - manchmal auch aus Angst - aber die war sehr oft (wie die Gegenbeispiele der wenigen Verweigerer zeigen) garnicht mal so begündet.  Meistens war es einfach : die befehlen, also muss ich das auch tun. Punkt. Und wie auch immer: sie HABEN beigetragen, ja überhaupt erst möglich gemacht.. Sie waren tatsächlich Hitlers willige Vollstrecker. Das ist leider ein Faktum. Goldhagen hat es nur mit mE verständlicher Wut ausgedrückt - aber er hat Recht.

Aber wenn Du Dir überlegst, wie weit andere menschenverachtende Systeme mit ihren Bevölkerungen kommen - und wie weit Deutsch- und Ösiland gekommen ist, wird schnell deutlich, dass die Deutsch/Österreichische Bevölkerung wesentlich mehr mitgemacht hat, ja haben MUSS, sonst hätte es nciht so weit kommen müssen.
Auch andere Länder haben mitgemacht - zT aus wirtschaftlichen Überlegungen, zT weil sie einfach die Midnerheit waren, zT weil viele in der jeweiligen Bevölkerung auch "willig" waren. Man schaue sich die Unterschiede an: Wie war es in Holland, wie war es in Italien, wie war es in Polen (wo der Antisemitismus bis heute enorm stark ist)

Aber:  "Schuld" ist auch ein doofes Wort, man ist nicht "schuld" für das, was die Eltern oder Grosseltern getan haben. Aber man hat besonders aufmerksam - aufmerksamer als andere! - darauf zu achten, dass man weit entfernt von Ähnlichkeiten bleibt. Das nennt sich "moralische Verantwortung" Und als Deutscher, als Österreicher - genau genommen als Mitteleuropäer überhaupt hat man das nun eben.
Meiner Meinung nach ist aber bei den Deutschen ein "Schuldgefühl" grösser als die Kenntnis um Verantwortung und wie man sie trägt. Meist. Nicht immer.
Aber der Flagellantismus diesbezüglich erschwert einen objektiven Umgang mit den Mechanismen - und DAS ist es, was einen sinnvollen und verantwortungsbewussten Umgang überhaupt erst ermöglichen könnte.

Maexl

eben, genau das war das nahezu einstimmige credo der versammelten - liegt ja auch nahe. keine schuld an unschuldige zeitzeugen und später zu welt gekommenen... aber eine erhöhte verantwortung....
nur 2/3 mussten eben wieder anderer meinung sein...
die sagten, dass man die schuld geerbt hat.

Sandra

#10
Das sind mir die rechten. Öh...die RECHTen.
So wie HH, der ja auch an Sippenhaftung geglaubt hat.
Oder die Armenier und Anatolier und so: blutfehde.
So'n quatsch aber auch.... *brummel*

Gut. aber davon darf man sich nciht beeindrucken lassen. Ein paar Trotteln gibt's immer.


Äh... jetzt kommt's mir erst (apropos Trotteln,*gg*)
Zitatdas war das nahezu einstimmige credo der versammelten - ....
nur 2/3 mussten eben wieder anderer meinung sein...

Hä?  ??? ::)

Aber ich nehme an, Du meinst, 2...., komma...3, oder? ;) :-*

Maexl

2 / 3 bzw. 2 oder 3... sry, hatte die 2 leerzeichen vergessen

Zyankalifreund

#12
Hm, die Diskussion um das Jüdischsein in Deutschland ist schon recht alt.
Es stellt sich mir die Frage, warum es sie überhaupt geben muss. Ich bilde mir ein, Muslime, Christen, Juden, Ungläubige... alle gleichermaßen als Menschen wie ihr und ich zu sehen.

Der Glauben ist nur eine Einstellung, jeder sollte seinen eigenen Glauben leben können.
Wütend werde ich erst dann (z.B. auf die Zeugen Jehovas), wenn ich höre, dass Menschen wegen ihres Glaubens sterben müssen. Da hört bei mir der Spaß auf. Dabei beziehe ich mich grad auf einen Fall, in dem eine großartige Frau sterben musste, weil sie bei einer Routine-Operation keine Bluttransfusion als Zeugin bekommen durfte. In diesem Moment beginnt Religion für mich zur Spinnerei zu werden, die Menschen weh tut. Die Tochter dieser Frau hat das bis heute nicht verkraftet und sich von diesem Glauben auch so weit wie möglich distanciert, schließlich hat sie deswegen ihre Mutter verloren.
Unterdessen lebt ihre Schwester diesen Glauben, genau wie ihr Vater, nach wie vor.

Ich kenne nur wenige Juden und weiß nicht, ob solche Fälle bei denen auch vorkommen. Die, die ich aber kenne, sind großartige Menschen.
Selbstverständlich haben sie es schwer in Deutschland, Antisemitismus ist immer noch weit verbreitet.

Prinzipiell glaube ich aber, dass ein Leben als Jude in Deutschland recht gut funktionieren kann, solange man sich nicht abschottet und sich stattdessen in der Gesellschaft integriert.

Für mich persönlich ist das eine wahre Bereicherung für die deutsche Kulturlandschaft. Uns würde etwas fehlen, wenn es keine Juden hier gäbe.

Sandra

ZitatDer Glauben ist nur eine Einstellung, jeder sollte seinen eigenen Glauben leben können
Das sowieso, nur ist das Judentum, bzw die Dazugehörigkeit eben nicht nur eine Frage des Glaubens. Es ist auch eine Volkszugehörigkeit, ob man das jetzt mag oder nicht. Und es gibt auch Mentalitätseigenschaften.
Vielleicht am ehesten vergleichbar mit Roma oder Sinti - die können Jugoslawen sein, oder Ungarn, oder Russen - und sind eben AUCH noch Roma oder Sinti - mit verschiedenen Eigenschaften, die dieses Volk ausmachen.
Das blöde ist ja, dass man, in dem Moment, wo man Mentalitäts-Unterschiede anspricht, sofort in eine Ecke gerückt wird, die irgendwie mit vorurteilen etc in Verbindung gebracht wird.
Ähnlich, wie, wenn man Unterschiede zwischen Männer und Frauen ausmacht, gilt man sofort als chauvinist.
Dabei ist es meiner Meinung nach nicht das ERKENNEN von "Eigenheiten" als vielmehr das BEWERTEN und das VORAUSSETZEN.

Es ist ein schwammiger Bereich. Wenn man einem Juden sagt: "Du bist Jude, und darum bist du vermutlich....." kann das falsch aufgefasst werden - wenn man aber sagt: "es gibt doch GAR KEINE Unterschiede" dann ist das auch wieder nicht ganz wahr.

Ich erlebe in Deutschland jedenfalls einen viel angenehmeren Umgang mit all diesen Fragen (bei der Mehrheit der Leute) als in Österreich. Denn ich spüre hier Interesse, und ehrliche Betroffenheit über die Vergangenheit und auch den Willen, einen vernünftigen Weg zu finden, ob nun mit Rassismus oder Antisemitismus - alles Dinge, die in Österreich mit der Lupe zu suchen sind.

Zyankalifreund

Zitat
Denn ich spüre hier Interesse, und ehrliche Betroffenheit über die Vergangenheit und auch den Willen, einen vernünftigen Weg zu finden, ob nun mit Rassismus oder Antisemitismus - alles Dinge, die in Österreich mit der Lupe zu suchen sind.

Ähh, Sandra? Tut mir leid, aber ich denke darüber so: Wer glaubt, auf der Suche nach einem vernünftigen Weg zu sein und sich dabei des Rassismus oder Antisemititsmus bedient, der ist auf dem Holzweg.

Dagmar

Nee - das hast Du völlig falsch verstanden! Sandra meinte, den Willen, einen vernünftigen Weg zu finden, um mit Rassismus oder Antisemitismus umzugehen.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Zyankalifreund

Ups  :-[
Sorry, war kein böser Wille.  ::) (wie peinlich)

Sandra

Nönö - Du hast schon Recht - ich hab mich tatsächlich besonders blöd ausgedrückt. Wenn man sowas SAGT ist es klar, aber beim Lesen kann es schon missverständlich sein.


Da gbit es doch auch dieses berühmte Beispiel aus der Germanistik, wie sehr die Kommasetzung Inhalte beeinflussen kann:
" Richter begnadigen Angeklagten, nicht einsperren."
oder "Richter begnadigen Angeklagten nicht, einsperren."

Und ich selbst hab vor Jahren vom ORF aus mal ein Kurs geben müssen für Autoren, weil man für's Lesen anders schreiben muss, als für's sprechen.
MIR muss es also peinlich sein.

Zyankalifreund

Schon okay Sandra, hätt' es mir ja denken können  ::) So eine Bemerkung aus deinem Munde hätte mich eigentlich stark wundern müssen.

Sagt mal, wie stark halten die Juden von heute, die in Deutschland leben, eigentlich z.B. den Sabbath ein? Hat sich im Judentum inzwischen auch so ein Verfall der ursprünglich strikten Regeln zu einer bloßen Idealvorstellung eingestellt, ähnlich des Christentums? Oder nimmt man die Religion schon als Jude noch sehr ernst?

(Entschuldigt diese blöden Fragen meinerseits, ich kenne mich damit echt nicht aus.  ???)

Sandra

#19
Naja, WISSEN tu ich sowas auch nicht - oder WEISST Du, wieviel Leute sich noch am Sonntag in die Kirche flüchten? - Aber ich schätze, der Prozentsatz wird ähnlich sein.
es gibt inzwischen auch viele Reformierte Synagogen, wo es Rabbinerinnen gibt und sie alles ein bissel moderner sehen, um dem Schwund einhalt zu gebieten. Die meisten Juden, die ich kenne, kriegen (so wie ich) sogar die höchsten Feiertage nur mit als "Achja, stimmt ja! Heute ist Jom Kippur" und weiter geht's mit dem normalen Tagesablauf.
Aber eben: zum Judentum gehört viel mehr. Eine Sache, die sich hartnäckig bei Juden hält, ist die Kultur des Diskurses. Alles hinterfragen. Oder die Mildtätigkeit und ein sich aktiv engagieren in gesellschaftlichen Prozessen. Das Forschen und Nachfragen - nicht grundlos sind glaube ich gut 2/3 der Nobelpreisträger Juden - die Liebe zur Literatur, zum Wort, auch ein gewisses Kunstinteresse, alles allerdings auch Sachen, die nicht Juden vorbehalten sind - aber eben in anderen Volksgemeinschaften nicht so flächendeckend vorkommen. Und der spezifische Humor natürlich. Juden lernen meist schon mit ca 4 Jahren schreiben, lesen und diskutieren. Das wirkt sich aus. ;D

Bassmeister

An die JüdInnen unter Euch:

Was hat es mit den Kabbalisten auf sich?
Kann es sein, daß Heinrich Schütz einer war? Er hat in seinem "opus ultimum" so merkwürdige Satzbezeichnungen drin ("aleph und beth", "gimel und daleth" zum Beispiel)
Google führte mich da zu den Seiten der Kabbalisten
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Guntram

Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Sandra

#22
Aleph, bet, gimel, dalet. Das heisst, genau übersetzt: a b c d. Auf hebräisch. Es geht weiter mit hej, wav, zajin, nun, etc (h w  j n) wobei es im Hebräischen ein Anfangs- und ein Schluss -n gibt.

Bin ich sehr ungebildet, wenn ich nicht weiss, wer Heinrich Schütz ist/war?

Die Kabbalistische Lehre ist die jüdische Mystik. Zahlen-weissagungen und so. wobei die hebräischen zahlen Buchstaben sind. Aleph ist 1, Bet ist zwei und so. eine Wissenschaft an sich.  Kabbalisten glauben an Wesen, die wir nicht sehen, und daran, dass die Zahlen zB in deinem Namen auch Deine Geschichte erzählen können. SEHR verkürzt gesagt, wie gesagt: es ist eine Wissenschaft. Der Golem (auch berühmtes buch von Gustav Meyrinck) ist eine Gestalt aus der Kabbalistik, der Rabbi Löw in Prag hat ein Wesen erschaffen. lange geschichte. Schöne Geschichte.

Ahja, Wikipedia ist ein guter Tipp.
http://de.wikipedia.org/wiki/Kabbala
http://de.wikipedia.org/wiki/Golem

Wobei sie beim Golem die Geschichte nur halbrichtig erzählen - was heisst bei so einer Geschichte "richtig"? Sie erzählen sie jedenfalls anders, als ich sie kenne.

Andrea

Den Artikel hab ich vor längerer Zeit hier gelesen, aber da war ich wohl nicht so aufmerksam wie gerade eben. Er enthält vieles, wozu ich nichts sagen kann, weil ich keine Jüdin bin. Ich glaube, wenn ein Loch entsteht, wenn in einer Volksgruppe menschen fehlen, dann können das in vielen Punkten die, die dieser Volksgruppe nicht angehören, einfach nur bedingt nachvollziehen. Ich glaube aber zu verstehen, was gemeint ist.

In den von mir herausgestrichenen Passagen finde ich eine Parallele zu dem, wie sich das anfühlt, wenn man blind ist:

Zitat:
BILLER: Wir sind aber anders.

ALTARAS: Das ist mir völlig egal. Ich will auf einer anderen Ebene arbeiten ...

Da kann ich mich im Bezug auf meine Blindheit ALTARAS anschließen. Damit meine ich: Man schwimmt als jemand, der blind ist und sich meistens unter Sehenden bewegt, so dazwischen. Man ist nicht die Sehende, aber gerade unter sehenden Künstlern und denkenden Menschen (wie euch) fühle ich mich näher als vielen Blinden, die genauso anders sind wie ich. In gewissem Sinne komme ich dadurch, dass ich in die ,,andere Welt" oder vielleicht die andere Volksgruppe ,,eintauche", in bestimmten Punkten dieser Welt besser klar als in der "eigenen", denn die subtilen Regeln unter den Blinden sind mir zu eng. Jedenfalls ist das für mich auf die Gruppe der Blinden übertragbar. Da ist etwas, was langweilig wird, und da ist etwas, was blinde Menschen besser verstehen, auch wenn Ihr Euch alle Mühe gebt, um es zu verstehen. Und da gibt es noch etwas, das kann ich von blinden Menschen vielleicht gar nicht lernen. Ich kann's nicht konkretisieren. Ich pendle zwischen den ,,Welten", wobei ich dieses Wort ungern verwende, mir fällt nur gerade kein passenderes ein. Und von den ,,Sehgesunden" wie Ihr in einer Diplomarbeit einer Psychologin bezeichnet werdet, denen, die mit blinden noch nie zu tun hatten, mir immer anzuhören: ,,Aber Sie SIND doch anders.", macht mich sehr oft ohnmächtig bis aggressiv.

Zitat:
ALTARAS: Dann ist das normales Benehmen. Sie nehmen mich nicht mehr als Jüdin.
Auch da eine Parallele: Man möchte von den anderen als ,,gleich" empfunden werden.

Zitat:
ALTARAS: Dann ist es wenigstens raus gekommen. Erst dann kann ich entgegnen.

BILLER: Was denn?

ALTARAS: ,,So, jetzt ist das klar, und weniger Lüge."

BILLER: Dann werden Dir irgendwann achtzig Millionen Leute sagen ,,Es ist mir egal"?

ALTARAS: Ich will es lieber wissen, als dass ich immer höre: ,,Ich bin befangen."
Warum: ,,befangen?" Was macht die Leute befangen? Leute, die den Krieg nicht erlebt haben, die später aufgewachsen sind? Und: Wären sie ohne den Krieg auch befangen? Wie kann man ihre Unbefangenheit erwirken?

Und auch hier: Mir ist recht, dass es ihnen wurscht ist, dass ich blind bin. Ich will nicht immer hören: ,,Ich hab ,,damit" noch nie zu tun gehabt." Oder: ,,Ich hab ,,das" noch nie gemacht", während ich von einem Straßenpassanten von einem Punkt zum anderen gebracht werde. Warum legt er in diesem Moment Wert darauf, mir mitzuteilen, dass man blinde Menschen doch soooo selten sieht und sooo selten in die Verlegenheit kommt, mit ihnen in Kontakt zu treten? Warum ist ihm so wichtig, seine Unsicherheit auf mich zu übertragen und mir dadurch die Verantwortung zu übergeben, dass ICH ihn (symbolisch gesehen) an die Hand nehme und ihm sage: ,,wie er's machen muss (was ich ohnehin, auch ohne diese Anmerkung mache)", anstatt unbefangen mit mir von einem Ort zum anderen zu gehen?  Ich bin es doch nicht, die ihn befangen macht. Befangen macht ihn der gedanke: ,,Wie wär's, wenn ich mal blind werden würde?", und daran möchte er nicht erinnert werden.

Könnt Ihr mir noch folgen? ;-)

@Sandra: Dieser Artikel lässt mich fühlen, wie sehr allein dich vielleicht manchmal unter uns Nicht-Juden fühlst oder fühlen könntest. Ich meine die Passage mit: ,,Dann könnte ich sagen: Was hat dieser jüdische Idiot wieder für einen Blödsinn gesagt." Usw.
UND ich frage mich: In welchen Situationen denke ich daran, dass du Jüdin bist und in welchen Zusammenhängen? Meist denke ich daran nicht. Nicht, weil's mir wurscht ist, aber weil es in der Interaktion zwischen uns – meiner Wahrnehmung nach – keine Rolle spielt. Gewiss siehst du aber die Situationen, in denen es doch eine Rolle spielt, deutlicher als ich sie erkennen würde. Ich stelle mir gerade die merkwürdige Frage, ob dein Diskussionsverhalten anders ist als das, das ich von anderen Menschen bisher wahrgenommen habe, weil du Jüdin bist, oder ob es auch so wäre, wenn nicht. Ich meine, die meisten Menschen (ich auch) neigen dazu, bevor sie eine Kritik äußern, so Sätze zu verwenden wie: ,,Vielleicht tut dir das weh, aber ich muss es dir ehrlich sagen." Oder: ,,Nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich dir das so knallhart sage." Oder: ,,Ich hoffe, du bist nicht sauer, wenn... (das ist eher meiner) Das machst du nicht. Du sagst es und rechnest damit, dass jemand anderer dir auf derselben Ebene begegnet. Auch wenn Kritik manchmal weh tut, halte ich das für die unkompliziertere Form als wenn man immer die Schlenker macht, denn da kommt nicht diese unterschwellige Angst durch, dass man jemanden beleidigen oder verlieren könnte. Und ich frage mich: Ist es für Juden ,,normaler" einander angstlos konfrontativ gegenüberzutreten? Und wenn ja, warum ist das bei Nichtjuden anders?
Klar kommt dazu, ob man in einem Umfeld aufgewachsen ist, in dem man die Gelegenheit hatte, Konflikte als zum Leben gehörend zu erlernen, oder nicht.
Und klar ist es vielleicht idiotisch, für sich selbst – wenn auch selten - zu hinterfragen: Mache ich dies oder jenes aufgrund meiner Blindheit, oder tu ich es aus meiner eigenen Identität heraus? Oder eben: Würde Sandra das auch so machen, wenn sie nicht Jüdin wäre?
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

#24
Ui. Kompliziert.
Zunächst, es ist mir recht verschwommen, auf welchen Artikel genau Du jetzt eingehst, und das Interview - iuch nehme an, einer ist der Maxim Biller, aber wer ist die Andere? Und die Zitate sind auch sehr aus dem Zusammenhang gerissen. Aber ich glaube trotzdem zu verstehen, was du meinst.
Also, ich glaube, meine FORM der Gesprächs- oder Diskussionsführung ist nicht etwas spezifisch jüdisches. Was vielen Juden gemeinsam ist, ist aber überhaupt die Lust am Diskurs und die Lust, Fragen zu stellen, und noch ein mal diese Fragen zu hinterfragen. Das ist in der Tradition, die beruht auf Diskussionen und Hinterfragungen die über ein Thema über Jahrhunderte, Jahrtausende hinweg geführt werden. Seit der Jüdischen Zeitrechnung (wir haben das Jahr 5765, glaube ich) wird über ein Buch und dessen Aussagen diskutiert. Das schlägt sich natürlich im Kollektiven Unterbewussten nieder. Und viele andere Dinge, die den Juden (wie bei allen Völkern) im Laufe der Jahrtausende passiert sind auch.

Aber in einem gewissen Sinn ist es auch sicherlich ähnlich wie bei Blinden. Ihr habt auch etwas, seid auch etwas, was andere ausschliesst. Zum Teil, weil es einfach so ist, und okay, und zum teil gegen Euren Willen. Und zum Teil FÜHLEN sich andere nur ausgeschlossen. Bei Blinden nehme ich aber doch an, kommt dann die spezifische Identität, Landsmannschaft, etc als etwas anderes dazu. Ihr habt ja keine "gemeinsame Geschichte als Volk", gemeinsame Traditionen, gemeinsame Witze - aber ihr habt wie die Juden gemeinsame Erfahrungen. Vermutlich in manchen Dingen sogar noch mehr gemeinsame Erfahrungen. In jedem Fall ähnlichere Wahrnehmungsweisen.
Und die gemeinsamen Erfahrungen und Wahrnehmungsweisen verbinden Euch - und schliessen damit andere aus. Automatisch. Und das ist in manchen Fällen "so wie es ist" und in manchen ist das "etwas, das man so nicht will".

Wärest du nicht blind und ich nicht jüdisch geboren, würden wir ja heute beide andere Menschen, andere Charaktere sein. Denn es gbit ja zwei Dinge, die sich wechselseitig beeinflussen, und die jede für sich den Charakter "baut" (lassen wir mal Gene beiseite, da weiss man nicht wirklich genug drüber): Das eine sind die Erfahrungen, die man persönlich macht, und das andere ist das kollektive Unbewusste - das ja eben auch auf die Art und Weise wie man mit Erfahrungen umgeht einwirkt, und DAZU noch manche Erfahrungen einfach BEDINGT.

Ich glaube halt, es gibt mehr als Individuen. Also, es gibt noch die Entität "volk, dem man zugehörig ist", "Land, in dem man aufwächst", "Sprache, mit der man aufwächst" und lauter so sachen, die sowohl die Erfahrungen, die man macht, beeinflussen, als auch die Art und Weise, wie man mit diesen Erfahrungen umgeht.
Und weil das alles so zerfliesst (und eben, Gene sind da auch noch irgendwo dabei) ist es irre schwer, zu sagen: Juden sind ein Volk oder: Juden sind nur Menschen mit einer bestimmten Religion, also - Defintionen von Zugehörigkeits-Gruppen können sehr schwierig sein. Aber man selber fühlt sich genau einer Gruppe zugehörig.
Schwulen geht es ähnlich, schätze ich mal. Nur zum Beispiel.
Wenn aber jemand zufällig so entstanden ist, dass er keinem dieser "Anders sein- Zwischenreiche" zuzuordnen ist, wasweissich, wenn jemand als christlicher Deutscher in Deutschland geboren und aufgewachsen ist - natürlich ist der auch einzigartig (oder empfindet sich zumindest so), und natürlich hat der auch gewisse "Gruppen" denen er sich zugehöriger fühlt als anderen. Trotzdem ist es wieder etwas anderes, als in eine Minderheit geboren zu werden, und dann kommt's eben noch darauf an, in WELCHE Minderheit, und wie sehr die kollektive Erfahrungen hat.

Es hätte ja auch sein können, dass zB Blinde  sich auch zu einem Volk zusammenschliessen - geschlossen hätten, vor hunderten, tausenden von Jahren. Und dann wäre es heute für Dich auch noch mal anders.