Fische und Fetische - Rund ums Auto

Begonnen von Fichel_Moucault, 05. Mai 2005, 20:01:16

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Fichel_Moucault

Es schmunzelt in mir immer wieder, wenn ich ein Auto mit einem dieser etwas infantil wirkenden Fische am Heck mich überholen seh (bin zur Radlerei berufen). Dass die Letzten die Ersten sein werden legt den Umkehrschluss nahe, dass die Ersten zu den Letzten zählen werden, was nun keinesfalls als Plädoyer fürs Kraftfahrzeugsteuern zu werten sein dürfte.
Aber item -darum geht's mir gar nicht, sondern viel eher schon um das Wort Fisch Fisch, das mit ein wenig Alliterationspulver zu Fetisch wird. Der gegebene Anlass: http://cgi.ebay.com/ws/eBayISAPI.dll?ViewItem&item=4545301886&rd=1&sspagename=STRK%3AMEWA%3AIT&rd=1

Ich wollte die Gelegenheit beim Schopfe packen, um etwas Marx zu zitieren; verzeiht!

"Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, dass sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. (...) Warenfetischcharakter der Warenwelt entspringt (...) aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert."
(Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Berlin, 1988, S. 85ff.)

Es klingt in diesem kurzen Auszug schon an, dass der Fetischcharakter der Ware Papstauto wohl kaum in einer geheimnisvollen Geistersphäre anzusiedeln ist, die die Produktions- und Besitzverhältnisse vernebelt, sondern dass man hier wohl Marx von den (bleiernen) Füssen zurück auf den Kopf drehen müsste.

Mag jemand anschliessen daran? Vielleicht mit der Kritischen Theorie (hier v.a. Walter Benjamin und Thedor W. Adorno und den "Fetischcharakter in der Kunst")?

Fichel_Moucault

Da steht einmal zu viel "Fisch" - dies ist keine Spitzfindigkeit des Textes, sondern Weingeist. Darum mögen auch noch mehr (Tipp)Fehler drin sein.

Maexl

#2
lusich - es scheinen in letzter zeit alle möglichen dinge vom kopf auf die füße gestellt werden... goldhagen durch aly usw.
mich wundert grade diese "historikermetapher"(habe sie jedenfalls noch nirgendwo anders gefunden - bzw nur in der philosophie) doch ein wenig.... hast du mit diesem berufsfeld gewisse verbindungen? dies sprichwort kam jedoch soweit ich weiß auch durch marx und engels erst richtig auf....

ZitatDa steht einmal zu viel "Fisch" - dies ist keine Spitzfindigkeit des Textes, sondern Weingeist. Darum mögen auch noch mehr (Tipp)Fehler drin sein.

achja, du kannst deine beiträge auch ganz ungestraft editieren... funktioniert mittels betätigen des "Bearbeiten"-Buttons. unser heiliger admin hat bereis dieses nette textanhängsel "Beitrag blablabla geändert" herausgenommen da basti und ich unsere texte gerne editieren, wenn wir beim gelegentlichen nochmaligen lesen geradezu von einem rechtschreibfehler erschlagenwerden oder uns ungespitzt trotz einsetzendem zerfließens vor scham ungespitzt in die suppe schlagen lassen.

Fichel_Moucault

Das "Auf-die-Füsse-", resp. "Auf-den-Kopf-stellen" ist natürlich bekannt geworden durch Marx, der von sich selber behauptete, Hegel vom Kopf auf die Füsse zu stellen, wobei Kopf für die Idee (marxistisch: dem überbau zugehörig) und Füsse für die (materielle) Basis steht. Marxens Kritik machte sich dabei an Hegels Geschichtsdialektik fest.
Berühmt ist der Satz "Das Sein bestimmt das Bewusstsein" (ich glaube, der stammt aus den "Feuerbach-Thesen", wenn mich mein sturmwichtiges Hirn nicht täuscht) - dieser fasst recht anschaulich, was gemeint ist mit dieser Kopffüssler-Metapher. Wobei, um einer wenigstens gewissen Genauigkeit gerecht zu werden, das Materielle (das Sein, Das Materielle, die Füsse) bei Marx im Sinne seiner Politischen Ökonomie zu verstehen ist; es handelt sich dabei also in allererster Linie um die Frage nach dem Besitz an Kapital, resp. Produktionsmitteln.

Ob Marx die Metapher sich als erster erdacht hat, das wüsste ich nicht zu sagen. Erstaunen würde es mich aber keineswegs, hatte der Olle doch ein Händchen für griffige Formulierungen aller Art (dafür hat sich seine Kritik der Politischen Ökonomie als nicht ganz wetterbeständig erwiesen ...).

Ja - ich war mal Marxist. :-) Klingt lustig, oder? "Ich war mal Marxist", das ist in etwa gleich zu setzen mit "Ich hab früher Britney Spears gehört".

Fichel_Moucault

Ach ja, die Editierfunktion. Danke für den Hinweis.

Worauf ich aber empfindlich reagiere, das ist, wenn mir jemand, kraft eines Passworts, in die Texte reinschreibt. Das empfinde ich, auch wenn's "gut gemeint" ist, als nicht statthaft und sogar unanständig. Ich respektiere die Aufgabe eines Moderators oder einer Moderatorin und denke auch, dass es Fälle gibt, wo man Beiträge löschen sollte. Auf keinen Fall, und dies ohne Ausnahme, sollte man in Texte anderer partiell eingreifen. Dies ist ein Willkürakt und es haftet ihm, vom Inhalt der Änderung ganz abgesehen, etwas Barbarisches an.  ;)

Maexl

#5
stimmt, das betraf hegel *erinner* - schiller ist jedoch ein besserer sprichwortstifter *schmunzel*

was deine 'jugendsünden' betrifft... die themen werden wieder und sind es immer: aktuell... kapitutiläster-krieg... wahlkampfs bzw. oppositionsgerecht.... und auch ich bin im glauben, dass die "lebende" politische alternative von nöten wäre... (sinngemäß:"kaptalismus ist nicht unser jetziges staatssystem, weil wir von ihm mit überwältigender überzeugung sprechen können, sondern weil es sich unter den vielen staatsforen als das verhältnismäßig beste erwiesenhat... trotz der unendlichen fehlerhaftigkeit in sich selbst")

nun, was deine auffassung von moderiender willkür angeht so teile ich diese genauso. - im gegensatz zu z.b. Alfred Schmidt.
Aber grade in dieser so belebenden Frühlings/Sommerzeit bin ich etwas naivaktiv.

Dorian

#6
ZitatEs schmunzelt in mir immer wieder, wenn ich ein Auto mit einem dieser etwas infantil wirkenden Fische am Heck mich überholen seh
Die überholen dich? Die Fischaufkleber sind doch meistens auf den Zweitautos. Und das sind so Ford Fiestas oder so.

Zitat(bin zur Radlerei berufen)
Ach so, das erklärts.

Sandra

Wir hatten sowohl die Themen Papstauto als auch "Moderator schreibt in fremde Texte - bzw löscht sie" schon durch. Beides als Quatsch entlarvt. ;D

Wer sich Fische auf's Auto klebt, glaubt vielleicht, eine religiöse Geisteshaltung zu zeigen - nicht eingedenk der Tatsache, dass das Symbol geklaut ist - zeigt aber Autofahrern wie mir nur rechtzeitig an: "Ich bin ein beschissener Fahrer".
Ähnlich bei "Ich bremse auch für..." Aufklebern.

Ich persönlich finde auch diese "Jesus loves you" und ähnliche Plakate/Aufkleber von unglaublicher Unhöflichkeit und Überheblichkeit, nachgerade respektlos anderen Menschen gegenüber.

Bassmeister

Gibt ja auch schon den Gegen-Aufkleber mit dem toten Fisch an der Angel.
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Fichel_Moucault

ZitatWir hatten sowohl die Themen Papstauto als auch "Moderator schreibt in fremde Texte - bzw löscht sie" schon durch. Beides als Quatsch entlarvt. ;D

Wer sich Fische auf's Auto klebt, glaubt vielleicht, eine religiöse Geisteshaltung zu zeigen - nicht eingedenk der Tatsache, dass das Symbol geklaut ist - zeigt aber Autofahrern wie mir nur rechtzeitig an: "Ich bin ein beschissener Fahrer".
Ähnlich bei "Ich bremse auch für..." Aufklebern.

Ich persönlich finde auch diese "Jesus loves you" und ähnliche Plakate/Aufkleber von unglaublicher Unhöflichkeit und Überheblichkeit, nachgerade respektlos anderen Menschen gegenüber.

Ist eine "religiöse Geisteshaltung" nicht per se etwas Dümmliches, Unselbständiges und Regrettiertes? Und warum sollte so ein Fisch nicht genau dies ausdrücken?
Du scheinst ja eine sportive Autofahrerin zu sein, Sandra! Vor sowas hab ich gehörigen Respekt (weil ich mir immer fast in die Hosen mach, wenn ich in so einer Karre sitz ...).

Sandra

Naja, Beifahrerin bin ich jedenfalls keine gute... 8)

Das mit der religiösen Geisteshaltung...hm...auch Ahteisten sind gläubige Menschen, ich glaube, es geht hier weniger darum, ob und was man glaubt, als eher darum, ob und wie sehr man einem Dogma verfällt.

Fichel_Moucault

ZitatNaja, Beifahrerin bin ich jedenfalls keine gute... 8)

Das mit der religiösen Geisteshaltung...hm...auch Ahteisten sind gläubige Menschen, ich glaube, es geht hier weniger darum, ob und was man glaubt, als eher darum, ob und wie sehr man einem Dogma verfällt.

Damit ich dir das GLAUBEN könnte (ein Wink mit dem Zaunpfahl), müsstest du mir diese etwas verwegene These aber erläutern.

Sandra

eecht? War der Satz nicht klar? Muss ich den noch erklären? Na, bitte:

Ich finde, es ist schon okay, wenn man was glaubt. Wenn man sich einen Glauben zusammenzimmert, aus welchen Versatzstücken auch immer, den man eben für sich als bestätigt ansieht, oder als Reibebaum, oder als Hilfslatte oder als Grundsatzthese. Jedem Tierchen sein Plaisierchen.
Mühsam wird's für mich immer dann, wenn dieser Glaube dann alles überwuchert, wenn er den Glauben der jeweils anderen abqualifiziert, wenn er vor lauter Dogma nicht mehr gehen kann. Wenn er nicht sagt - zum Beispiel - "G*tt" - sondern sagt: "Kirche", wenn er nciht sagt: "Allah" sondern "Dschihad" wenn Du so willst, eben, wenn das Dogma des eigenen Glaubens wichtiger wird als die stete Überprüfung auf die Menschlichkeit, auf die Zeitbezogenheit, auf die Freiheit der Andersdenkenden, und last not least auf die MÖGLICHKEIT, dass der Andere "rechter" hat mit seinem Glauben.

Ich würde nie jemanden seinen Glauben absprechen. Ich würde gerne diskutieren über Glauben - zB über überhöhten Glauben an die Wissenschaft (*kleiner Seitenhieb, nicht ernst gemeint, nur weil der Teppich so schön ist*) - Glauben an Mammon oder politische Utopien oder Gesellschaftsformen. Über Religion kann man schwer diskutieren - aber über die dogmatische Ausformung der Traditionen, die sich auf die Religion berufen, schon.

Bastian

#13
He, Fichel, zunächst hatte ich dich kurzzeitig mit... hm... Féon Loucault verwechselt (dem einzigen Pendler, den ich ernstnehmen kann). Aber du bist ja der andere... lang ists her.

Ja, genau: an was "glaubt" denn so ein "Atheist"? Ich höre so oft, dass "jeder Mensch an etwas glaubt", aber das weise ich- als bekennender... Stauner- von mir. Denn schon dieser Satz ist eigentlich eine ziemlich freche Einmischung in innere Angelegenheiten, die dem Gegenüber die Deutungshoheit abzunehmen trachtet. Ähnlich einer Mission, aber eben auf der begrifflichen Ebene. Wenn man so bezeichnen will, ist er exakt- dogmatisch.

Aber dieser Satz wird so oft gesagt, um das Prinzip "glauben" auf alle Menschen aufzupfropfen, und dadurch den eigenen "Glauben", oder den Drang danach, zu begründen. NICHT zu glauben stehe demnach keinem zu; als sei ausgerechnet DAS unmöglich oder unstatthaft.

Der Begriff ist leider derart schwammig...Ich versuchs mal zunächst selbst mit Vorschlägen/Fragen: bedeutet "glauben",
1. etwas für möglich halten, oder
2. etwas zu wissen, oder
3. von etwas überzeugt zu sein, ohne es zu wissen,
oder...

Ich denke, mit dieser Phraseologie kommt man leider- so oder so- nicht sonderlich weit, denn der Begriff "glauben" ist ähnlich diffus, wie die meisten leidigen Diskussionen über diesen Begriff. Oder anders formuliert: Gibt es eine Möglichkeit für einen "Atheisten", von diesem vorgegebenen Vokabular unabhängig zu bleiben, wenn alle anderen ihre Deutungshoheit ausspielen, indem sie ihren Begriff "glauben" jeweils so definieren, dass keiner mehr ohne ihn sein dürfe oder könne?

Was bau ich hier für Sätze? Ich meine: was ist, wenn einer schlicht "fragt" und "staunt"? Ist er ein Atheist? Ein Agnostiker?...

Übrigens, Fichel, um es auch von meiner Seite zu versichern: Kein Mod hat hier je Beiträge verändert oder gelöscht. Ich hab dazu schlicht keine Lust, noch fand ich es je nötig. Und ich weiß ganz sicher, dass Maexl, Nase und Lanie das auch nicht wollen. Auch wenn es hoch her geht kommt es meist irgendwann wieder tief hin. Und, selbst wenn nicht,... Wir sind stinknormale Mitglieder. Das ist alles.

Sandra

#14
 ;D hehe. Basti reitet wieder.  :-*

Ein Agnostiker lehnt "Glauben" als solches ab. Das ist eine Ansicht, kein Glaube. Aber ein Atheist glaubt, dass es G*tt nicht gibt. Und das ist genauso ein Glaube, wie der dass es "ihn" gibt. (Oder sie oder es).
Ich finde glauben durchaus nicht schwammig. Wenn man von etwas überzeugt ist, ohne es schlüssig beweisen zu können, glaubt man es. So einfach ist das.
Andererseits: es geht noch weiter: Du Glaubst, dass ein Baum grün ist. Denn tatsächlich spiegelt nur Dein Gehirn das, was Deine Nervenzellen ihm suggerieren. (geht sicher noch wissenschaftlicher ausgedrückt, aber Du weisst, was ich meine). Mit einem Wort: Nicht nur "glaube ich, also bin ich," sondern: Ich glaube, DASS ich bin.
Die Hirnforschung hat da einiges zum Wissen beigetragen: ALLES, was wir wissen, sehen, schmecken, denken, tun: GLAUBEN wir nur. Und nicht grundlos schliessen sich neurologie und psychologie inzwischen zusammen.


Übrigens:
ZitatAuch wenn es hoch her geht kommt es meist irgendwann wieder tief hin
Da hat er Recht, der heissgeliebte Bast. Es lohnt sich, hier mal ein paar der Diskussionsthreads zu lesen, finde ich...

Andrea

Bei Basti ist der Glaube sogar stärker als bei uns ;D, denn er hört dann ja auch noch Töne in Farben. Quatsch! Er sieht Töne in Farben, meinte ich. Das find ich nach wie vor total abgefahren, dass es Menschen gibt, die Stimmen, Töne usw. farblich definieren können.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Fichel_Moucault

#16
Nun, ich denke, man sollte hier den Fokus nicht verlieren. Wir reden ja nicht über die Semantik von Wörtern wie "glauben" usw., wenn wir von Atheismus, Agnostizismus oder Theismus sprechen.
Eine jede Religionskritik sollte ideologiekritisch ihren Gegenstand untersuchen. Feuerbachs Kritik am Christentum etwa, mit der die moderne Religionskritik eingeläutet wurde, geht schon so vor, indem er die Gottesvorstellungen als Projektionen von real existierenden gesellschaftlichen Verhältnissen begreift. Marx und Engels haben diese Projektionen dann (hier haben wir die Metapher wieder:) auf die Füsse gestellt und den gesellschaftlichen Grund, von dem aus die Projektionen ausgehen, weiter vergesellschaftet und an die politische Ökonomie gekoppelt. Nietzsche etwa kritisiert implizit gerade diese ideologische Aufladung, wenn er das Christentum als die Idelogie des (gesellschaftlich) Schwachen denunziert.

Es ist eine Aporie des Religiösen, die Frage nach den "Glaubenssystemen" auf dem Boden ihrer eigenen Behauptugen austragen zu wollen; Wer Religionskritik betreibt, kann nicht umhin, die Frage nach dem System des Glaubens als solche ernst zu nehmen. Daher gehört dann eben nicht eine sensualistische Mechanik, die verschiedene Ebenen durcheinanderweirbelt, wie das hier geschehen ist - die Frage, welche Wirklichkeit unseren Sinneseindrücken zukommt ist eine theologische und dadurch - eine vernebelnde. Sie fällt zurück noch hinter die Aufklärung und macht sich fest an platonischen Vorstufen der Erkenntnistheorie.
Sie verwirbelt die Ebenen auch dadurch, dass sie sensorische Eindrücke (etwa Farbe usw.) dadurch in die Potenz zu erheben versucht, indem sie stets behauptet, es gäbe ein Analogon zu den Organen, das einzig auf die Wahrnehmung von Metaphysis eingerichtet sei. Gerade dieses Organ gibt es nicht. Religionskritik ist genauso wie Erkenntnistheorie eine Reflexionsleistung und ist keine Sklavin der Empirie. Genau dies behauptet aber jede noch so verschwurbelte Esoterik und Religiosität - "Du spürst es halt nicht" oder "Glauben ist halt keine Verstandessache" heissen die Bankrotterklärungen, die dann entrichtet werden.

Was nun diese Reflexionsleistung angeht, so stellt die Moderne eine ganze Reihe von Theorien und Thesen zur Verfügung, die einem das Geschäft der Religionskritik erleichtern, untermauern, unterfüttern. Soar eine radikale kartesianische Interspektion würde, siehe Schopenhauer, zu einem Atheismus führen, doch gerade Arbeiten wie die von Sigmund Freud oder auch eine materialistische Kritik des frühen Marx, die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer / Adorno, der radikale Skeptizismus von Hans Blumenberg, die noch radikalere Kritik an Denksysystemen der Strukturalisten und Neo-Strukturalisten (Foucault, Deleuze, Derrida, Lyotard) geben nicht nur dem schönsten aller Organe viel zu tun in der noblen Beschäftigung mit sich selber, sondern erschliessen auch neue Denkräume, die unglaubich spannungsgeladen und weit, frei und doch immer wieder zurückgebunden sind. Dies ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, deren Sprache das "ich glaube" ist, meine Damen und Herren.

Mit einem Wort: Der Atheismus, wie der Agnostizismus "glauben" nicht, wie die Religion, die Metaphysik, die Esoterik, der Obskurantismus oder der Antisemitismus es tun. Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer (---> Goya) und seine Träume sind der Glauben.

Bassmeister

#17
Das Dumme dabei ist nur, daß ein Mensch eben nicht ALLES um sich herum mit seiner Vernunft und seinem Menschenverstand - sei er auch noch so gesund - erfassen KANN! Und dann bleibt ein Rest, den man vielleicht als "Glauben" definieren kann. Oder auch als "Vertrauen".
Um ein einfaches Beispiel zu nehmen: Nicht jede/r, der/die sich in eine Eisenbahn setzt, kann begreifen, wie ein Elektromotor funktioniert, wie man die Menge der Züge per Fahrplan so umeinander schachtelt, daß alles paßt und nichts kollidiert u.s.w.. Und dennoch - der Mensch setzt sich hinein und vertraut darauf, daß das ganze komplexe System so gut funktioniert, daß es ihn ans Ziel seiner Reise bringt.
Klappt ja auch meistens.
Um wieviel komplexer ist nun das gesamte System, in dem wir existieren und wieviel Glauben/Vertrauen gehört da dazu, sich darauf einzulassen? Auf all die Dinge, die wir NICHT wissen (können) und dennoch täglich "gebrauchen".

Der Unterschied ist nur: Bei der Eisenbahn habe ich die WAHL, einzusteigen oder nicht. Hier auf die Erde bin ich einfach gesetzt worden und keiner hat mich gefragt, ob ich das will und och ich das SO will. "Nun sieh mal zu, wie du hier durchkommst"...

[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Fichel_Moucault

 :) Ich sehe nun gar nicht, was diese Metapher mit dem zu haben sollte, was ich beschrieben hab - ausser vielleicht, dass sie sich dadurch verrät, das in ihr der "Motor" metaphorisch für "Gott" oder die Metaphysik steht. Die analogie darin wäre dann, dass "Gott" genau so von Menschenhand gemacht ist, wie der Elektromotor.  ;)

Maexl

Zitat
Übrigens, Fichel, um es auch von meiner Seite zu versichern: Kein Mod hat hier je Beiträge verändert oder gelöscht. Ich hab dazu schlicht keine Lust, noch fand ich es je nötig. Und ich weiß ganz sicher, dass Maexl, Nase und Lanie das auch nicht wollen. Auch wenn es hoch her geht kommt es meist irgendwann wieder tief hin. Und, selbst wenn nicht,... Wir sind stinknormale Mitglieder. Das ist alles.

vorsicht, vorsicht, ich hatte bereits 3 änderungen gemacht bzw. eine wieder rückgängig... 2 waren absolut notwendig... es wären rechtliche beanstandungen möglich gewesen (katinkas erwähnungen zu kopierprogrammen) und ich hatte (im zuge jugendlicher unachtsamkeit) seinen fisch korrigiert... und nach seinem einwand gleich wieder verschlimmbessert. (aber alle änderungen mit genauen Anmerkungen...)

Bastian

#20
Oh, das hab ich nicht gewusst. Und ich hätt's auch nicht gedacht.

Hab gerade nicht viel Zeit, aber kurz dies: Gute Gedanken und kluge Worte, Fichel! Es ist in der Diskussion wirklich äusserst wichtig zu differenzieren zwischen "Glaubenssystemen" einerseits, und reflexiven Methoden, wie Wissenschaften samt derer Anwendungen, wie z.B. Elektromotoren und Rasierapparaten andererseits.... Letztere sind deshalb denkbar schlechte Analogien zu Glaubensdingen. Es sei denn, man zieht den folgerichtigen Schluss, den du auch gezogen hast, dass dann eben Gott auch vom Menschen geschaffen worden sei und nicht umgekehrt.  ;)

Mich ärgerts grad, dass ich nicht genug Zeit hab, dies etwas klarer und differenzierter zu formulieren. Ich freue mich jedenfalls, so klare und strukturierte Gedanken lesen zu dürfen, das wollte ich kurz loswerden.

Sandra

Zitatdie Frage, welche Wirklichkeit unseren Sinneseindrücken zukommt ist eine theologische

Häh?
Das glaubst du doch wohl selbst nicht?
Nur, weil Du einfache Zusammenhänge in komplizierte Wortgeschwulbe einbaust, heisstdas  noch lange nicht, dass wir uns nicht auch naturwissenschaftlich informieren und die Erkenntnisse der Neurologie nicht in eine Diskussion über "Glauben" einfliessen lassen dürfen.

NATÜRLICH hat die Funktionweise des jeweiligen Hirnes etwas damit zu tun, ob, was und wie wir glauben.
Alles andere ist Philosophie ohne Realitätsbezug.

Im Übrigen fände ich es zielführender, hier nicht so zu reden, wie es vielleicht irgendwelche Elfenbeinturmprofessoren von Dir lesen möchten.(Obwohl ich auch das zu bezweifeln wage)  Die besten Philosophen waren immer noch die, die kurze, prägnante und vor allem mehrheitlich deutschsprachige Sätze von sich gegeben haben.
Oder, wie es mein Vater auszudrücken pflegt: Tu Dich nicht so gross, Du bist nicht so klein.


ZitatReligionskritik ist genauso wie Erkenntnistheorie eine Reflexionsleistung und ist keine Sklavin der Empirie.
Ach. Und die Animistischen Religionen?Religionen, die im Adepten die Geister schaffen, die sie rufen? Voodoo macht Menschen, die daran glauben, TATSÄCHLICH krank - reine Reflexion eines Gedankens?

Du sagst, dass man über neurologische und psychosomatische Prozesse in dieser Diskussion nicht reden darf, weil sie mit Glauben nix zu tun haben - und Du sagst aber auch, Glauben ist schlecht, weil DU glaubst zufällig an Religionskritik, an Philosohpie, (an) irgendwelche(n) grossen Denker(n). DAS ist nüchtern, aber wenn ein Hirn etwas leistet, weil sein Besitzer daran glaubt, das es funktioniert - DAS ist nicht nüchtern.

Was Du hier behauptest, ist nicht nur Dogmatismus pur, Du machst  damit auch noch genau den gleichen Fehler, den du damit kritisierst. "Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose" - seit der Postmoderne  ist allen klar, dass man damit nicht weiter kommt. Es geht nciht darum, sich selbst um den eigenen Nabel zu kreisen. Es geht darum, WEITER zu gehen.
Zitatin der noblen Beschäftigung mit sich selber, sondern erschliessen auch neue Denkräume,
Na, genau das verweigerst Du aber, wenn Du den Gedanken, dass Glaube - und ergo auch Hinwendung zu diversen Religionen - auch etwas mit Synapsen zu tun hat, von Dir weist.

Natürlich kann man nicht klaglos hinnehmen, dass der Mensch Sklave seines Hirns ist, das ist klar. Man macht sein Hirn, und sein Hirn macht einen - das ist das Spannungsfeld. Aber die völlige Ablehnung von Erkenntnissen der Hirnforschung ist auch nicht der Weisheit letzter Schluss, finde ich.

Du gibst da ziemlich zückwärtsgewandte Thesen von Dir, vermischt die Denkstile der Jahrhunderte, und kommst eineserseits zu dem Schluss, dass man Religion grundsätzlich kritisieren muss, und dem Glauben abschwören sollte, und andererseits kommt keine Richtung, kein Gedanke eines "Stattdessen" nichts, das mir erklärt, WARUM und WO Du kritisieren willst.

Mit einem Wort: Du zitierst alle möglichen Namen, und sagst dabei genau nix.

Und last not least:

Zitatdem schönsten aller Organe

Meinst Du G*tt Behüte damit das Hirn?
Blöärch. *Schüttel*

Fichel_Moucault

ZitatOder, wie es mein Vater auszudrücken pflegt: Tu Dich nicht so gross, Du bist nicht so klein.

Das sagte eigentlich Georg Lichtenberg und er sagte es so: Mach dich nicht so klein, so gross bist Du nicht.

Ansonsten finde ich Antiintellektualismus degoutant.

Sandra

#23
Na, so rasend intellektuell bist Du aber nciht, wenn Du nicht merkst, dass was Lichtenberg und was Kreisler sagte, zwei grundlegend unterschiedliche Dinge sind.;) Kreisler ist auch  etwas jiddischer in der Ausformung, das kann halt nicht jeder, das gebe ich zu.
Und im alten Duden steht unter Intellektuell: Halbintelligent.
Und ich bin nicht anti-intellektuell. Ich bin sprachorientiert. Man kann die Dinge auf verschiedene Weisen sagen. Ich bin für die klarere, weil schönere.

Sandra

ps.: bei uns in Ösiland ist Hirn übrigens eine Delikatesse.
Geröstetes Hirn mit Ei.