DDR - Nachwirkungen

Begonnen von Bassmeister, 20. Oktober 2006, 12:20:26

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Bassmeister

Eine Studie, in der es um Kindesmißhandlung in der DDR hat sehr gut auf den Punkt gebracht, was ich hier im Osten und auch am eigenen Leibe empfinde und dem ich gerne begegnen möchte, nur weiß ich leider nicht recht, wie, vielleicht hat von Euch jemand einen Tip, mit der Mischung aus Angst, schlechtem Gewissen und einer unbestimmten, nicht erklärbaren Scheu umzugehen, die die Courage tötet und u.a. hier auch schon im Zusammenhang mit Nazis Thema war:

Es ist wohl nicht vermessen zu behaupten, dass diese Geisteshaltung des Wegsehens auch heute noch nachwirkt. Die Ostberliner Psychoanalytikerin Annette Simon beklagte in einem im Jahr 2000 erschienenen Essay, im Osten habe nie ein Prozess wie der westliche Aufbruch von 1968 stattgefunden, ein Infragstellen von Autoritäten, Institutionen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Ostdeutsche hätten nie gelernt, sich bei Problemen einzubringen und durch Mitwirkung die Gesellschaft zu verändern. »Sie vertragen keine Konflikte und keinen Streit. Und bei Kritik sind sie unheimlich schnell beleidigt.«

http://www.zeit.de/2005/33/Studie
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

Dagmar

Das ist (ebenfalls als PA) nicht meine Erfahrung!! Es ist aus meiner täglichen beruflichen Praxis nicht meine Erfahrung, dass ehemalige "Ossis" keine Konflikte und keinen Streit vertragen und bei Kritik unheimlich schnell beleidigt sind. Genau das Gegenteil erlebe ich: Ein eher "überdimensioniertes" Infragestellen von allem und jedem und vor allem von sich selbst und eine eher "neurotisch" besetzte Haltung dieses "alles und jedes" zu jedem Moment bis zum Abwinken zu diskutieren.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Werner

Seltsam, wie Frau Simon die sog. 68-er mit den Ostdeutschen in Verbindung bringt. Eben diese 68-er repräsentierten doch nicht die Mehrheit ihrer Altersgenossen, deren revolüzen mit langen Haaren und Zigaretten auf dem Schulhof schon zu Ende war. Diese Mehrheit fühlte sich damals in der als übermächtig erlebten - und auch nach "Drüben" propagierten - Wirtschaft recht gut aufgehoben und wurden erwartungsgemäß doch nur jene Leute vor denen sie von ihren Eltern nie gewarnt worden wären. Die aktiven "Aufarbeiter" waren zahlenmässig eher unbedeutend und ihre Sprecher, z.B. der charismatische Rudi Dutschke wurde entweder gar nicht verstanden oder als dem neuerrungenen Wohlstand gegenüber bedrohlich empfunden. Die "Bild" Formulierung von der "klammheimlichen Freude" nach dem tödlichen Schuss auf Benno Ohnesorg war dagegen keine Befindlichkeit einer Minderheit. Die einzige politische Veränderung "von unten" waren die politischen Stömungen, die letztendlich zur Umweltpartei "Die Grünen" führte, zumindest in der Umsetzung, das geistige Material dazu ist ja schon sehr viel älter.

whoknows

#3
Über "dieOstdeutschen" kann ich nichts sagen, ich kenne zu wenige. Aber mir ist in jedem Fall sehr auffällig, dass im WESTEN unglaublich viele Leute  extrem autoritätshörig sind, sich nicht trauen, eigene Entscheidungen zu treffen, jede verdammte Fuzzibestimmung, und sei sie noch so sinnlos, bis in's I-tüpfelchen befolgen - eigenes Denken sehe ich persönlich (wenn ich es mit österreich vergleiche) sehr wenig. Gerade in den Amtsstuben. Es ist überreguliert, das wissen alle - aber ich sehe nirgends, dass auch einer Einer was dagegen tut. In Österreich gibt es auch sinnlose Regelungen - oder Regelungen, die manchmal Sinnvoll sind, manchmal nicht. Und wenn sie nicht sinnvoll sind, kann man meistens auch einen Beamten überzeugen, dass man auch andere Wege findet. Natürlich kommt's immer drauf an, in welchem Bereich und all das - aber es geht. In Deutschland sagt Dir der Beamte: Ich weiss, es ist sinnlos und kontraproduktiv - aber es ist nun mal so, da kann man nix machen. Die wenigen Kontakte, die ich bisher mit Ostdeutschen hatte, signalisieren mir eigentlich eher, dass da noch mehr "Wir können's auch umgehen" im Denken ist.

Ein Freund erzählte mir kürzlich von seinem Werbedreh für die deutsche Bahn. Sie hätten - bei einer Umentscheidung - bessere Qualität des Materials gehabt und ca 50.000.- Euro gespart -und der Vorgesetzte war nicht da, und der Untergebene traute sich nicht, zu entscheiden. Das wäre in Österreich nciht passiert.
(Generalisierungen - alles - eh klar, oder?)

Zyankalifreund

#4
ZitatDie wenigen Kontakte, die ich bisher mit Ostdeutschen hatte

Lebst nun schon im Osten und hattest nur wenige Kontakte mit Ostdeutschen ? Muddu mehr vor die Tür gehen  ;) Grad in Berlin kannst du ja "Ossis" und "Wessis" gut vergleichen, nur macht das keinen Sinn, weil die Berliner "Wessis" eh nur Inselkinder sind... wenn ich Vergleiche anzustellen versucht habe, bin ich immer wieder auf die Nase gefallen, hielt sogar mal eine Kneipe im Wedding für "Is ja noch alles DDR hier", dabei ist das Westberlin - auch die Menschen, sie sind nicht mehr Ossis oder Wessis sondern einfach nur noch Berliner, dit find ick jut.

whoknows

#5
Ist Dir gerade nochmal passiert: Kreuzberg ist Westen.  8-) Auch in Berlin ist das erstaunlicherweise immer noch ziemlich getrennt. Klar vermischt sich mehr als sagen wir zwischen Dresden und Hamburg - aber im Osten sind zB Zeitungen, die im Westen kaum gelesen werden etc.

Es gibt Ausnahmen - prenzlberg ist ziemlich wessi-verseucht, weil "in"  - aber im Grunde ist es nach wie vor erstaunlich getrennt.

Zyankalifreund

Nein, ich meine damit nicht, dass Kreuzberg Osten ist, sondern dass du an sich auf einer kleinen Wessi-Insel mitten im Osten wohnst und deswegen eigentlich von Natur aus recht viel Kontakt mit Ex-DDRlern haben solltest. Außerdem glaube ich, dass man auch zwischen Westberlinern und z.B. Kölnern Unterschiede finden kann, eben WEGEN der Insellage. Auch wenn man politisch BRD und nicht DDR in Westberlin war, so ist man da immernoch ziemlich östlich, meine ich bemerkt zu haben.

whoknows

Findst? Ich erlebe das anders. Zumal gerade wegen des Inseldaseins die Westberliner extra-krasse Wessis sind, meinem Gefühl nach - denen wurde es ja tatsächlich vorne und hinten reingeschoben.
Aber vermutlich ist es immer leichter, das zu wiederzuerkennen, das man selber am Besten kennt....

Zyankalifreund

#8
Naja, vielleicht (bzw. ganz sicher sogar) kann man das nicht so pauschalisieren. Zumindest bin ich in Westberlin unter *fast* gleichaltrigen immer wieder zur Erkenntnis gelangt: "Hey, die sind genau wie wir". Das kann sehr gut damit zu tun haben, dass ich nun gerade die erste Nach-Wende-Generation bin und wir nun schon wieder ganz anders aufwachsen. Vielleicht kann man ja den älteren Generationen in Westberlin doch stark "westliche" Eigenschaften zuordnen, das weiß ich nicht so hundert pro, aber zumindest in meiner Generation hat sich das schon wieder sehr angeglichen, finde ich. Die "schlimmsten" wenn es um typische ostdeutsche Eigenschaften wie Meckern und Klagen aber Nichtstun, sowie Pessimismus und Verbitterung geht, das sind meines Erachtens nach die nach dem 2ten WK geborenen, die also eine möglichst lange Zeit intensiv die DDR miterlebt haben - die empfinde ich manchmal als sehr "extrem". Zum Glück zeichnet es sich ab, dass die Wendekinder - wie ich - doch etwas anders ticken, weil sie nun unter fast den selben Umständen aufwachsen, wie die Kinder noch zu Zeiten der Teilung in der BRD. Entsprechend finden sich bei uns nicht so starke charakterliche Unterschiede - finde ich.
Auf jeden Fall will ich nichts pauschalisieren, es gibt immer solche und solche, aber den "Trend" empfinde ich wie beschrieben und im Übrigen recht gut, da es mich optimistisch sein lässt, dass die sogenannte "Mauer in den Köpfen" in zukunft mehr und mehr bröckeln und letztlich auch bald fallen wird.  :)

Werner

Über Berlin kann ich nichts sagen, das kenne ich nur aus der Presse als Euro-Shredder. Hier im Raum Stuttgart ist vom (manchmal  penetranten) Gejammer der Neuankömmlinge nach ersten Anpassungsproblemen nichts mehr zu hören. Sächsisch als Dialekt nimmt man durch Gewöhnung schon gar nicht mehr so wahr, bzw. wird auch nicht mehr so extrem gesprochen. Die Leute die geblieben sind haben überwiegend Arbeit, zahlen ihre Eigentumswohnung ab oder sonstwas und verschwenden nicht mehr viel Energie an die Vergangenheit, zumindest nicht mehr emotinal berührt, eher wie eine schon fernere Erinnerung. Die Integration verlief hier aufgrund der wirtschaftlichen Strukturen ganz anders  als z.B. im Ruhrpott mit 25% Arbeitslosigkeit. Wenn man bedenkt das Stuttgart zu etwa 40% von Migranten belebt wird, ohne Krawall und spezielle Stadtviertel und so dann sieht man deutlich wie wichtig ein wirtschaftliches Fundament für den Einzelnen ist um Wurzeln zu schlagen und Perspektiven für sich und seine Kinder zu entwickeln. Interessant ist die mittlerweile schon zu spürende Distanz, die die seit vielen Jahren gut integrierten "Ossis" zum Osten entwickelt haben. Nicht in Form einer Überanpassung an die hiesigen Verhältnisse aus Opportunismus, sondern ganz einfach weil  dieses Kapitipel dank der herrschenden Realität  verblasst ist. Das nach erfolgreichem Neustart auch keiner mehr Leichen im Keller suchen mag versteht sich von selbst. (Die lässt man bei den übrigen Leichen ruhen, das hat hier Tradition und nimmt auch niemand krumm).
Für die nach der Wende geborenen ist das Kapitel DDR eh nie ein besonderes gewesen. Die Mauer in den Köpfen mag es geben, vermutlich am meisten dort wo es sonst nicht viel zu holen gibt. Im direkten Kontakt mit dem Menschen hier im Südwesten spüre ich davon aber schon seit vielen Jahren nichts mehr.

Zyankalifreund

ZitatSächsisch als Dialekt nimmt man durch Gewöhnung schon gar nicht mehr so wahr, bzw. wird auch nicht mehr so extrem gesprochen.

;D :D ;D :D ;D :D ;D  :D Wenn du wüsstest  :D ;D :D ;D :D ;D :D

Guntram

Sächsisch ist ein Dialekt???? :-X



Ich dachte immer es wäre ein Sprachfehler ;D ;D ;D ;D ;D ;D ;D ;D
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Zyankalifreund

ZitatIch dachte immer es wäre ein Sprachfehler

Kommt immer drauf an, WER es spricht  8-)

whoknows

Vielleicht liegt es auch daran, dass sich in Berlin die "Ossis" ja niemals von ihrer "alten Heimat" wegbewegt haben - es ist schon was anderes, wenn man das gesamte Umfeld wechselt, als wenn man dort lebt, und plötzlich soll man sich "neu integrieren".....

Werner

Die mit Abstand meisten Halskranken findest du im Alpenraum, z.B. Schwyzer oder Schwarzenegger oder so.

whoknows

Na, die Holländer sind auch nicht schlecht. ;) Schwarzenegger weniger, Steirisch ist nicht so schlimm wie beispielsweise Tirolerisch. (übrigens auch mehr Alpen dort)