Beschneidung ist strafbar

Begonnen von Bastian, 26. Juni 2012, 18:15:05

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Bastian

Zitat,,Vorher ist eine Aufklärung über gesundheitliche Risiken zwingend notwendig", sagte der Berliner Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) am Mittwoch.

Zudem müssten die Eltern die religiöse Motivation und Notwendigkeit nachweisen - etwa durch eine Bestätigung ihrer Gemeinde. Die Beschneidung dürfe jedoch nur nach medizinisch fachgerechten Standards vorgenommen werden. ,,Wir können Ärzte mit der Sache nicht alleine lassen. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, bleibt die Beschneidung straffrei", sagte der Senator. ,,Es bedarf aber grundsätzlich einer bundesgesetzlichen Regelung." Fehle eine der Voraussetzungen, müsse die Strafbarkeit durch die Justiz geprüft werden. Nicht eingeschlossen in die Regelung seien rein hygienische Beschneidungen.
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/hauptstadt-prescht-vor-beschneidungen-bleiben-in-berlin-straffrei-11879809.html

Bastian

#51
Für Sonntag ist in Berlin eine Demo geplant (Bebelplatz, 11:00 Uhr, wer hinmöchte).

Unter dem Motto "Auf Messers Schneide: Religionsfreiheit
Juden, Muslime, Christen, für Toleranz und Menschenrechte"


(à propos Menschenrechte und Toleranz: Hat es eigentlich einen Grund, dass Bahá'í und Atheisten nicht zur Demo eingeladen sind? Ich wär ja fast gekommen, Broder bestimmt auch.)

Wie auch immer. Ich wünsche allen Beteiligten (den Angriff auf Rabbi Daniel Alter und dessen Tochter im Gedächtnis), dass es ruhig vonstatten geht und alle friedlich bleiben.

Grüße
Bastian


Bastian

#53
Wenn man mal einen Blick über den großen Teich wirft und sich anschaut, wer sich gegen Routinebeschneidung von Knaben einsetzt (z.B. nocirc.org), fällt auf, dass sich dort viele Frauen engagieren. Mütter, die ihre Söhne haben beschneiden lassen, und sich erst danach informiert haben, welche Konsequenzen das für das weitere Leben ihrer Söhne hat. Viele dieser Mütter tragen schwer an ihrer früheren Entscheidung, von der sie wissen, dass sie sie nicht mehr rückgängig machen können.

Eine von ihnen ist Miriam Pollack, Mitglied einer konservativen Synagoge, stolze Jüdin und (last but not least) Mutter zweier Söhne - eine jiddische Mame. Sie berichtet von ihrem Trauma und beschreibt auf eine bemerkenswerte Art und Weise, wie sie ihre innere Zerrissenheit überwunden hat:

Teil 1:



Teil 2:

Mit freundlicher Genehmigung/ with kind permission von/of BoNoBo3D

[Edit: Überschrift leiser gedreht.]

Bastian

#54
Auch in den USA wird die rituelle Beschneidung von Säuglingen nicht mehr so unkritisch gesehen.
New Yorks Oberbürgermeister Michael Bloomberg will klare Regeln einführen:

"... Nun legt sich Bloomberg, der selbst Jude ist, auch noch mit seinen Glaubensgenossen an. In einer neuen Verordnung möchte er das uralte Ritual der Beschneidung regulieren. Ein bestimmter Teil der Zeremonie – das metzitzah b"peh – darf in Zukunft nicht mehr ohne das Einverständnis der Eltern durchgeführt werden."

http://www.fr-online.de/politik/usa-mehr-hygiene-bei-der-beschneidung,1472596,17246008.html

Der Hintergrund: Zwischen 2000 und 2011 wurden durch diese Prozedur, bei der der Mohel das Blut mit dem Mund absaugt, elf Kinder mit Herpes infiziert. Zehn von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden, zwei erlitten bleibende Gehirnschäden und zwei weitere Babies starben an den Folgen der Infektion.

In diesem Zusammenhang ist mir Bloombergs geplante Einschränkung "nicht mehr ohne das Einverständnis der Eltern" aus mehreren Gründen unverständlich:
  • Eigentlich nahm ich an, dass niemals jemand ohne das Einverständnis der Eltern am Penis eines Kindes...
  • Nein! Ich würde annehmen, dass Eltern niemals zustimmen würden, dass ein anderer Mensch am Penis des eigenen Kindes...
  • Egal wie: Nüchtern betrachtet, und am Ziel beurteilt, ist die Einschränkung "nicht ohne Einverständnis" schlicht fahrlässig. Ändert doch Einverständnis rein gar nichts an der realen oral-genitalen Infektionsgefahr.
Während der letzte Punkt logisch und einleuchtend ist, werden die ersten beiden Punkte wohl kulturbedingt unterschiedlich gesehen. Meine diesbezüglichen Annahmen werden also durch die Realität klar widerlegt. Nichtsdestotrotz hätte ich immer noch angenommen, dass das Einverständnis der Eltern eine zumutbare Einschränkung ist, der man selbst als hochreligiöser Mensch stattgeben könnte.

Die Reaktionen der orthodoxen Rabbis spricht aber auch gegen diese Annahme:

"Die orthodoxen Rabbiner gehen allerdings gegen die geplante Maßnahme auf die Barrikaden. 200 Geistliche haben bereits angekündigt ,die Stadt zu verklagen, falls die Verordnung verabschiedet wird. Sie behaupten, Bloomberg schränke ihr Verfassungsrecht auf freie Religionsausübung ein. Eine Behauptung, die der Bürgermeister barsch abwies: ,,Das Recht auf freie Religionsausübung ist nicht absolut", ließ er die Geistlichen wissen und verwies auf ein Urteil von 1944, in dem erfolgreich gegen religiös begründete Kinderarbeit geklagt wurde."
ebda

Klagen, bzw, bitten kann man auch in Deutschland. Wer die Petition der Kinderhilfe u.v.a. mitzeichnen möchte, findet sie hier:
https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2012/_07/_23/Petition_26078.mitzeichnen.html

Clas

Moin, moin,

ohne Einverständnis der Eltern wird doch, in aller Regel, kein Säugling beschnitten...?  Oder gibt es wirklich religiöse Gründe, da zu Ersatzvornahmen zu schreiten? Doch wohl nicht...?

Ich bin verunsichert.

Eigentlich geht doch aber die Debatte um die Frage, ob die Eltern da überhaupt zustimmen können sollten, oder ob nicht besser gewartet werden muss, bis der Betroffene selber entscheiden kann.

Die Frau Pollack hat, wenn mich meine Englischkenntnisse da nicht täuschen, davon gesprochen, dass das Beschneidungserlebnis neurologisch noch nach einem halben Jahr meßbar sei. Das passt mir zwar ins Weltbild, aber ich würde es dennoch gerne nachlesen. Weiß da jemand Quellen?

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

h-j-urmel

Der Vize-Premierminister von Israel, Silvan Schalom sagt dazu gegenüber der Jüdischen Allgemeine: "Die Brit Mila ist der wichtigste Akt, der die Zugehörigkeit zum Judentum beim Neugeborenen ausdrückt. Wenn es nun wirklich so kommt, dass Juden dieses Ritual hier in Deutschland nicht mehr ausüben dürfen, bedeutet dies, dass sie hier nicht mehr leben können. Es wäre so, als wenn man ihnen sagen würde, dass sie ab sofort kein Kaschrut mehr halten dürfen. Das können wir nicht akzeptieren."

Bastian

#57
Zu der veränderten Schmerzwahrnehmung nach Beschneidung machte vor ein paar Wochen eine Aussage Boris Zernikows die Runde. Demnach zeigten (neue?) Studien, dass beschnittene Säuglinge, wenn sie Monate nach der Beschneidung geimpft werden, empfindlicher auf den Nadelstich ansprechen als Unbeschnittene. Nachgewiesen, meiner Erinnerung nach, durch Messung der Hirnströme.

Toll wäre gewesen, wenn die vielen Zeitungen, die ihn zitiert haben, auch die Studie(n) zitiert hätten. Oder zumindest die Namen der Autoren, dann könnte man selbst suchen. So ist nur Wortstaub aufgewirbelt worden, und finde da mal in der Staubwolke von Stichwort-Treffern noch die besagte Studie...

Hm,... Ha! Let's do it the Miriam Pollack way!
(Wie sagte schon mein Lehrer, Herr D.: "Try it in English, please.") Das Schlauberger-Google gibt für circumcision pain response einige Treffer aus. Da müsste doch was dabei sein.

Das obige Einverständnis bezieht sich nur auf das Metzitzah B'peh, also das Absaugen des Blutes mit dem Mund. Da sollen die Eltern künftig erst schriftlich einwilligen, dann darf es geschehen.



Ja, wenn Silvan Schalom das so sieht... Das sind die Äußerungen, die mich ernsthaft bedrücken. Und es sind ja viele, die Wohl und Wehe des jüdischen Lebens an der Brit Mila festmachen- aus ihrer Sicht mit Recht. Traurig auch, dass- so nebenbei- jüdisches Leben in den ehemaligen Sovietstaaten (in denen viele ihre Söhne- aus Angst vor Verfolgung- nicht beschneiden ließen) ausgeklammert wird. Dabei erlebt jüdisches Leben in Deutschland seine Renaissance nicht zuletzt durch die vielen, die aus dem ehemaligen "Ostblock" hierhin nach Deutschland gekommen sind.

Die Debatte hat so viele teils schmerzhafte Facetten, dass ich mich manchmal frage: Wäre Schweigen ein guter Weg?

Bastian

In der Süddeutschen ist ein Gastbeitrag des britischen Dokumentarfilmers Victor S. Schonfeld erschienen. Seine Dokumentation "It's a Boy", in der er mit muslimischen und jüdischen Gläubigen sprach und Beschneidungen filmte, hatte 1995 für Wirbel gesorgt, da es bei einem der Jungen zu schwerwiegenden Komplikationen kam. Heute verfolgt er die Beschneidungsdiskussion in Deutschland, unterstützt den alternativen Gesetzesvorschlag und hat seinen Film den Bundestagsabgeordneten zur Verfügung gestellt.

SZ: "Dieses Ritual widerspricht meinen jüdischen Werten"

ZitatIch erkläre meiner Tochter, dass es immer wieder zu Komplikationen kommt, die vertuscht werden. Zwar gibt es für kein einziges Land offizielle Zahlen, aber eine Analyse von Dr. Ronald Goldman von der gemeinnützigen US-Organisation "Jewish Circumcision Resource Centre", deutet darauf hin, dass bei den Millionen Beschneidungen, die jährlich vorgenommen werden, mit mehr als 600.000 solcher Fälle zu rechnen ist. Das bedeutet, dass Tausende Kinder unter Blutungen, Infektionen oder anderen Komplikationen zu leiden haben, etliche hundert sind von lebensbedrohlichen Folgen betroffen - und das jeden Tag.
Zitat
Nur ein kleiner Teil dieser Todesfälle kam bislang an die Öffentlichkeit. Wie soll man die wahre Zahl der Todesopfer herausfinden, wenn solche Fälle aus den Stammbäumen jüdischer Familien gelöscht wurden, wie meine Dokumentation zeigt? In den antiken Zeiten des talmudischen Judentums erlaubten die Gelehrten einer jüdischen Mutter auf die Beschneidung eines Sohnes zu verzichten, wenn sie bereits drei ihrer Kinder durch das Ritual verloren hatte. Wann hat das Schweigen über die Opfer, die die Beschneidung forderte, den offenen Umgang damit ersetzt? Das wäre eine interessante Frage für Sozialwissenschaftler.


Schonfelds Film "It's a boy" gibt es für kleines Geld im Netz zu sehen.
Einen Trailer gibt's auf Youtube: