70 Jahre nach Auschwitz: "Jetzt aber!"

Begonnen von Bastian, 06. April 2013, 12:51:02

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Bastian

Nach einigen Artikeln, die vom großen Halali gegen 50 ehemailge KZ-Aufseher des Lagers Auschwitz Birkenau berichten, bin ich gleich mehrfach erschreckt. Nicht nur darüber, dass es so lange dauert. Da ist mehr Resignation als Schrecken. Mir scheint auch, dass sich manche Berichterstatter damit schwertun, diesen Umstand einzuordnen, geschweige denn dafür ein klares Wort zu finden.

ntv:
ZitatFahnder jagen KZ-Aufseher  Der Zweite Weltkrieg liegt fast sieben Jahrzehnte zurück, die Männer sind inzwischen teilweise über 90 Jahre alt: Aber das hält die deutschen Fahnder nicht zurück.
Jawoll! Auf die deutschen Fahnder ist Verlass:
Vor zehn Jahren waren die Männer teilweise über 80 Jahre alt. Aber das hielt die Fahnder nicht zurück.
Vor zwanzig Jahren waren die Männer teilweise über 70 Jahre alt. Aber das hielt die Fahnder nicht zurück.
...
Vor 50 Jahren waren die Männer teilweise über 40 Jahre alt. Aber das hielt die Fahnder nicht zurück.


Ich will's nicht übertreiben. Aber diese wirklich seltene Form der Tapferkeit deutscher Fahnder ist einfach beeindruckend. Wie man sich so lange und unbeirrbar nicht vom Alter der Verdächtigten abschrecken lassen kann, erstaunt mich immer wieder aufs Neue.

Noch Fragen?

Wo hielten sie sich denn versteckt?

ZitatDen Ermittlern lägen die Namen und die Angaben zu den Wohnorten der Tatverdächtigen vor, bestätigte der Behördenleiter, der Leitende Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm. Die Verdächtigen lebten über ganz Deutschland verteilt.

...

Laut Leitendem Oberstaatsanwalt Kurt Schrimm ist es (erst) seit dem Urteil gegen John Demjanjuk möglich, aufgrund jeder Tätigkeit in einem Konzentrationslager wegen Beihilfe zum Mord verurteilt zu werden.

Wieso? Das Urteil gegen Demjanjuk - und das ist mit das Beschämendste daran - beweist doch gerade, dass es zuvor schon möglich gewesen ist.

[edit: Überschrift geglättet."]

Clas

Moin, moin,

irritierend ist doch eigentlich, das diese Fälle strafrechtlich nicht schon lange erledigt sind. Es ist ja nun nicht so, dass da unausgesetzt verfolgt und gefahndet wurde und diese nun leider jetzt erst dran kommen können.

Bundesdeutsche Nachkriegsjustiz und NS-Verbrecher: Da ist doch jahrzehntelang von potentiell Betroffenen über mehr oder minder nachweislich Betroffene gerichtet worden. Betroffen von Täterschaft, irgendwie, fast alle, wie sie da waren... Betroffene Betreffende.

Wenn Krähen über Krähen richten, kommt allenfalls Gekräh heraus...

Das nun zu deutscher Gründlichkeit in der Verfolgung umzudeuten: Das ist schon krass. Voll.

-

Nun ist ja aber so ein jammernder Greis, der nicht mehr versteht, was die Welt da von ihm will, ein harmloser Anblick, prima vista.

Wenn man dann sieht, was genau er da nicht mehr versteht, verstehe ich nicht mehr, warum man ihn da nicht deutlich früher konfrontierte. Das war doch eine deutsche Bürokratie mit Personalerfassung. Die hätte man längst haben können. Hätte man das gewollt. Man wollte also nicht.

Wenn es denn um Strafe oder Sühne geht, heute, und nicht um den harmlosen Anblick, den diese Greise bieten sollen, prima vista. Kann es das sein?

Gruß Clas
"Ach, das Risiko...!" sagte der Bundesbeamte für Risikoabschätzung abschätzig...

Bastian

So eine Art Menschlichkeitsdemonstration pro Altnazi? Im Sinne von: Wir warten mit der Anklage so lange, bis aus den Verbrechern von damals alte, mitleidserregende Menschen mit Schwächen oder gar Schmerzen geworden sind. Um auf diese Weise retrograde Sympathien beim Betrachter auszulösen...?
Der Gedanke hat was. Denn, auch wenn es nicht so geplant und beabsichtigt wäre: Den Mitleidseffekt gibt es wahrscheinlich fast zwangsläufig. Und je gebrechlicher, desto "ärmer dran" ist er ja. Und dann kann jeder sehen, dass die von damals "auch nur Menschen" waren. Denn natürlich ist es eine emotionale Zumutung, einen alten Menschen leiden zu sehen (Demjanjuk hat die Show ja auf die Spitze getrieben), das hat dann was von sozialem Whitewashing, wenn ein deutsches Gericht in einem solchen Fall Milde walten lässt.

Mittlerweile kann es nur noch symbolisch sein. Ich denke es läuft in Punkto Verurteilung darauf hinaus:
Entweder sind sie heute zu alt, oder sie waren damals zu jung.

Damit einer 1945 einigermaßen im Besitz geistiger Kräfte war (von Verantwortung mag ich da nicht sprechen), muss er damals um die 16 Jahre alt gewesen sein. Das letzte Aufgebot. Ein Kind. In jedem Fall jemand, der nicht schon früher den Lauf der Geschichte hätte aktiv verändern können. Und der ist heute um die 84 Jahre alt. Wie alt muss jemand heute sein, damit er damals was zu sagen und zu tun gehabt hat?

Ich fürchte, die Zeiten, in denen man ein Zeichen hätte setzen können, sind vorbei. Wie Du sagst: Man wollte nicht.