Neues (und wohl falsches) über GK

Begonnen von Burkhard Ihme, 14. Mai 2007, 19:18:24

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Burkhard Ihme

Ich war am Freitag bei einer Lesung von Thommie Bayer und Thomas C. Breuer.
Bei den Gesprächen davor, danach und in der Pause kam die Sprache auch auf Georg Kreisler.
Bernhard Lassahn (stummer Leser dieser Website) meinte, Kreisler wäre so sehr gegen alles, daß er nicht mal in der GEMA sei ("Taubenvergiften" und "Max auf der Rax" hab ich aber im Werkverzeichnis gefunden, sogar "Die Hand" wird gelistet).
Eine Konzertbesucherin erzählte von einem Kreislerauftritt so um 1975 rum, in dem er ein Lied über die RAF sang. Daß das nicht auf LP veröffentlicht ist, verwundert nicht, denn Intercord gehört zum Holzbrinck-Konzern.
Kennt jemand das Lied (ich kann ja das Werkverzeichnids nicht lesen)?

Guntram

#1
Ich hab mal durchgeschaut. In der Zeit hat GK abgesehen von den Everblack-Alben folgende LPs

1972 Vorletzte Lieder
1974 Allein wie eine Mutterseele
1975 Kreislers Purzelbäume
1976 Rette sich wer kann

Auf denen sind sehr politische Lieder drauf. Ob es ein Lied zur RAF gab, keine Ahnung wenn ja hat es keine Spuren hinterlassen. Es gibt dann noch "Wir sind alle Terroristen" von 1985 also viel zu spät. Oder "Der Gedanke ist gut" von 1968 aus der heißen Viertelstunde. Wohl im Zuge der 68er (gabs die auch in Wien?). Aber in der letzten Strophe wird sehr radikal zum Umsturz aufgerufen. Aber nicht auf die BRD speziell bezogen.

...
In Rußland herrschen Feldherrn, auch China macht sich stark.
In Spanien sind Faschisten, und in Deutschland herrscht die Mark.
Amerika führt Kriege in vielerlei Gestalt.
Und daraus folgt als letzter Schluß,
daß man das alles ändern muß,
sonst werd'n wir nicht sehr alt.
Wenn's sein muß mit Gewalt.

... aber die Ausführung läßt warten.
... aber wir kommen schwer vom Fleck.
Wenn wir nicht ihre Pläne störn,
wird die Zukunft nicht uns gehörn.
Die Generale sterben nicht von selber weg.
Der Gedanke ist gut, aber die Herrscher demagogisch.
Der Gedanke ist gut, aber die Welt ist leider trist.
Wenn ich so um mich blick, seh ich ganz logisch,
daß der Gedanke wirklich ausgezeichnet ist.
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

michael

Bernhard Lassahn
nach ein paar Minuten machte es ganz leise klick den Namen, da war doch was?
Aber ich erinnere mich an kein Lied, nur den Namen...
Was hat er denn gesungen?
Es gibt einen Artikel in Wikipedia - aber auf die Liedermacherzeit wird nicht eingegangen,
seine eigene Webseite sagt auch nichts ausser einer handvoll Titel..
Müsste so in den Siebzigern gewesen sein, oder?
(wenn man so auf die 18262 Tage zugeht, erinnert man sich an die Jugendzeit....)

whoknows

einige Lieder der damaligen Zeit wurden in den conferencen auf die Raf gemünzt - so war zum Beispiel "es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen" ziemlich radikal interpretiert - lang nicht so hoffnungslos wie heute. Und das Revolverlied - da kann ich mich gut erinnern, dass er das in der Conference irgendwie mit Raf in Zusammenhang gestellt hat.
Und: Gema Mitglied muss er nicht sein, er ist bei der AKM. (Er ist vielleicht -  "aus prinzip" wie er mal sagte -  gegen den Mainstream - aber er ist nicht blöd. Er will auch von seiner Arbeit gut leben - tut er ja auch.)

Burkhard Ihme

#4
ZitatBernhard Lassahn
nach ein paar Minuten machte es ganz leise klick den Namen, da war doch was?
Aber ich erinnere mich an kein Lied, nur den Namen...
Was hat er denn gesungen?
Er hat in erster Linie geschrieben. Als Solo-Liedermacher ist er nur bis 1974 aufgetreten. 1974-1976 war er beim Trio Kuretitsch, Lassahn und Virch (Erich Virch kennt man mittlerweile als Autor für Karat), danach hat er nur noch Lesekabarett gemacht (außer in einer kurzen Duo-Zeit mit Heiner Reiff).
Als Platte gibt es nur eine Single mit KL&V ("Ich wollte so wie Tarzan sein", "Wir Liedermacher") und eine LP mit Heiner Reiff.
Gesungen wurden seine Lieder vor allem von Thommie Bayer (z.B. "Der letzte Cowboy kommt aus Gütersloh"), Erich Virch und von Kuretitsch und Kompa (eine sehr schöne LP bei "pläne").
Seine Lieder findet man in dem Diogenes-Bändchen "Ohnmacht und Größenwahn", weitere Lese- und Liedtexte findet man in "Du hast noch ein Jahr Garantie" unbd "In der Stadt soll es Mädchen geben, die nur Vornamen haben" (beide texte verlag tübingen).
Den Rest kann er ja selber erklären, wenn er das hier liest.
Nicht unerwähnt bleiben solltge allerdings, daß Bernhard der beste mir bekannte Lieder-Texter der Nach-Waldeck-Ära war.

Zitateinige Lieder der damaligen Zeit wurden in den conferencen auf die Raf gemünzt - so war zum Beispiel "es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen" ziemlich radikal interpretiert - lang nicht so hoffnungslos wie heute. Und das Revolverlied - da kann ich mich gut erinnern, dass er das in der Conference irgendwie mit Raf in Zusammenhang gestellt hat.
Und: Gema Mitglied muss er nicht sein, er ist bei der AKM. (Er ist vielleicht -  "aus prinzip" wie er mal sagte -  gegen den Mainstream - aber er ist nicht blöd. Er will auch von seiner Arbeit gut leben - tut er ja auch.)

Der Beschreibung nach war das ein Lied, in dem es in den ersten Strophen um Gott und die Welt ging, und erst in der letzten kippte das in einen RAF-Bezug. Hatte also nichts mit der Conférence zu tun.

Kann man als Deutscher in die AKM eintreten (wenn man da tatsächlich keine Grundgebühr zahlen muß, wäre das ja was für mich)?



whoknows

#5
Keine Ahnung, ob man das kann - ich denke, es hängt damit zusammen, wo man offiziell  lebt oder wo man seine Sachen veröffentlicht, seine CDs pressen lässt, wo der Verlag sitzt oder irgendsowas - jedenfalls, GK als Amerikaner hatte keine Probleme.
Die AKM hat eine höchst lesbar gestaltete Website, wo man alle Formulare bekommt.
http://www.akm.co.at/


Wenn das so ist, dürfte es sich tatsächlich um das Lied "Der Gedanke ist gut" handeln. Oder um "Wenn's nicht wahr ist"

Guntram

"Wenn's nicht wahr ist"  ist von 1965
Aber es wäre für GK normal das er ältere Lieder in einem anderen Kontext wiedereinsetzt.

@whoknows
Was ist das Revolverlied ??? Davon höre ich zum ersten mal.
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

whoknows

äääähhhh...sorry: ich meinte das kapitalistenlied.

haftgrund

Zitat
Ob es ein Lied zur RAF gab, keine Ahnung wenn ja hat es keine Spuren hinterlassen. Es gibt dann noch "Wir sind alle Terroristen" von 1985 also viel zu spät. Oder "Der Gedanke ist gut" von 1968 aus der heißen Viertelstunde. Wohl im Zuge der 68er (gabs die auch in Wien?). Aber in der letzten Strophe wird sehr radikal zum Umsturz aufgerufen. Aber nicht auf die BRD speziell bezogen.

Zum Einen - es gab auch 68er in Wien  ;)
wobei für den "Kommune Wien"-Kreis um den später als Schriftsteller bekannt gewordenen Robert Schindel, das subversive Potential von Kreislers Texten schon seit den frühen Platten evident war. Die Auftritte im ORF und die Lieder der "Heißen Viertelstunde" waren damit nur der Höhepunkt des Bezugs zu GK.

Zum Anderen - meiner Erinnerung nach wurde "Der Gedanke ist gut" als literarische Entsprechung von Dutschkes Bejahung der Gewalt gegen Sachen, als die Zustimmung zur revolutionären Gewalt der unterdrückten Völker, aktuell der Vietnamesen und der damals stattfindende Tet-Offensive gesehen.
Von einer Zustimmung zur individuellen Gewalt a la RAF war damals noch nicht die Rede. Auch wenn später in gewissen Solidarisierungsprozessen vor dem Deutschen Herbst die Grenzen zu verschwimmen begannen, ich glaube auch bei Georg Kreisler, sodass bei späteren Auftritten dieses und andere Lieder möglicherweise im RAF-Kontext vorgebracht wurden. Davon weiß ich aber nichts.

mit den besten Grüßen
haftgrund


whoknows

Hallo Haftgrund (was für'n cooler Nick)!!
Du hast Recht. Dazu kommt noch, dass GK ja gerne auch öffentlich als "wegbereitend für den Terrorismus" bezeichnet wurd, zB von Gerhard Bronner wegen des "Vorletzten Liedes", er hat immer wieder mal Sätze in seinen Liedern, die nicht rasend von Pazifismus getragen sind - und es ist leicht, ihn da zu instumentalisieren. Ausserdem glaube ich, dass er durchaus ein lautstarker Sympathisant der RAF war, zumindest ne Zeit lang. Das finde ich allerdings nur bedingt inkriminierend, denn es gab auch viele kluge Köpfe, die ne Zeitlang mit dem real existierenden Kommunismus (nicht nur mit der Utopie) solidarisiert haben,  und sich dann - informativ erhellt - abgewandt haben.

GK hält sich selbst überdies zu Gute, dass  er stets "gegen den Mainstream" aufgetreten sei, und wenn ich auch persönlich finde, dass "Mainstream" allein noch kein Grund ist, "dagegen" zu sein, so ist das doch offenbar eine starke Triebfeder von GK.

Ich finde, man darf so ziemlich (mit betonung auf "so ZIEMLICH")  jede Meinung erstma  haben, aber man muss sie auch sorgfältig überprüfen. Und wenn man sie dann hinterfragt und sich wieder abwendet, ist das ebenso wesentlich wie die Tatsache, dass man sie mal gehabt hat.

Heiko

Hallo liebe Kreisler-Gemeinde,
trotz der scheinbar hohen Anzahl von langjährigen Experten in diesem Forum, wage ich es mich mit meinem ersten Beitrag zu beteiligen und wärme mal ein altes Thema wieder auf.

Ich musste beim Stichwort RAF-Bezug  sofort an "Dann geht´s mir gut " (1972, Vorletzte Lieder) denken, dass auch schon 1967 unter "Ich werde nicht die erste sein" im Rahmen seines Kabarettprogramms "Hurra, wir sterben!" veröffentlicht wurde.
Dieser Titel hat aber, wie alle vorangegangenen Vorschläge auch, den Nachteil, dass er eben doch auf LP erschienen ist.
Natürlich kann 1967 von einem speziellem RAF-Bezug noch keine Rede sein. Aber dass in diesem Stück die Gewalt der Entmachteten gegen beispielsweise den Herrn Staatsanwalt beschrieben wird, kann 1975 eine Konzertbesucherin schon glauben lassen, dass damit die RAF gemeint gewesen sei.

"I would prefer not to."

Heiko

ooops!
"Hurra, wir sterben!" war natürlich 1971 und nicht 1967.
Vier Jahre in denen viel passiert ist. Nämlich zuviel, als dass meine Behauptung ein RAF-Bezug wäre ausgeschlossen noch haltbar bleibt.
:-[

"I would prefer not to."

Guntram

#12
erst mal willkommen heikoholic.

ich sehe nicht so den zusammenhang mit der raf, eher einen nachklang zu 1968. die raf ist zwar ca. 1970 entstanden aber die banküberfälle würde ich eher als kriminell denn als terroristisch bezeichnen. so richtig ging es dann ab 1972 los und ob sich die raf von kreislerlieder beeinflussen lies, glaub ich kaum.

aber ich weiß das die lieder bei den 68ern beliebt warten. aber die lieder wurden eher benutzt als mittel. gk hat sie sicher nie zu diesem zweck geschrieben.

den inhalt sehe ich eher als kritik am mitläufertum der masse. siehe die textstelle

ZitatIch werde nicht der erste sein,
der Handgranaten streute.
Ich werd auch nicht der letzte sein:
Soviel weiß ich schon heute.

also immer schön den kopf unten halten  ;)
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Heiko

hallo Guntram, oller taubenvergifter, (sorry, dein pic)  ;)
danke für deine reaktion und begrüßung.

ich wollte nicht behauptet haben kreisler sei wegbereiter des terrorismus gewesen oder hätte die raf beeinflusst. das ist auch in meinen augen völlig abwegig.
er sah sich wohl laut biographie mehr als symphatisierender beobachter, denn als involvierter teilnehmer der 68er-bewegung. die in betracht gezogenen lieder dürften also eher eine reflektion der gewaltdiskussionen in der damaligen linken darstellen. so eine art künstlerischer filter.

aber warum soll ich bloß den kopf unten halten?
denke gar nicht dran!
:)
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

#14
Ich halte mittlerweile "Der Gedanke ist gut" für die wahrscheinlichste Option ("Wenn's sein muß mit Gewalt").
Es bleibt halt ergebnislos, wenn man über die Erinnerungen anderer und deren Entsprechungen in der Wirklichkeit spekuliert.

Ich hab Kreisler nur zwei mal getroffen, das aber gerade in dem genannten Jahr 1975. Er wunderte sich damals, daß die RAF unter den Festivalbesuchern (Mainz und Tübingen) kein größeres Gesprächsthema war.

Mich wunderte das nicht so. Mich haben die Folgen der Angst vor Terroristen mehr tangiert als deren politische Ziele.
Und man kam ja leicht in den Verdacht, Sympathisant zu sein.
Einerseits durch Aussehen (lange Haare, Bart), aber auch durch nicht beeinflußbare Ereignisse. So wurde damals mal ein Plakat, das zur Unterstützung der RAF aufrief, auf die Rückseite eines Konzertplakates von Thomas Friz (damals "Zupfgeigenhansel") gedruckt.




Guntram

@heikoholic

das mit dem kopf war wegen des in der masse mitschwimmen etwas ironisch gemeint.  ;)

kommt leider im text nicht so raus.

dann das gegenteil: kopf schön hoch und dann kommt die sense  ;D
Träume sind nicht Schäume, sind nicht Schall und Rauch,
sondern unser Leben so wie wache Stunden auch.
Wirklichkeit heißt Spesen, Träume sind Ertrag. Träume sind uns sicher schwarz auf weiß wie Nac

Heiko

ahhh!
nu habs sogar ich verstanden.

jedoch wenn ich den kopf unten halte, laufen auf einmal alle anderen gebückt.
das ist wie mit dem freiwilligen, der nicht den schritt zurückgetreten ist.
:D
"I would prefer not to."

Heiko

War gar nicht so einfach diesen Thread wiederzufinden ...

Auf "Rette sich wer kann" habe ich bei "Das Kabarett ist nicht tot" folgende Passage gefunden:

ZitatBaader-Meinhof tu ich gar nicht kommentieren,
denn wer weiß, für die könnt jemand applaudieren.

Sicher, zwei Zeilen sind noch kein Lied über die RAF. Der Bezug ist aber deutlicher als bei allem anderen Genannten.

Grüße Heiko
"I would prefer not to."

h-j-urmel

#18
In der Überschrift zu diesem Tread steht bewußt auch "(und wohl falsches)".

Über und zu Georg Kreisler wurde zu seinen Lebzeiten und danach viel falsch ausgesagt und geschrieben. Meistens vermutlich bewußt und vorsätzlich. Gerhard Bronner soll gesagt haben: "Georg Kreisler sei ein Troubadour des Terrors". Das aus Bronners Mund verwundert nicht.

Die Wiener Zeitung schrieb am 11.08.2009 "Daniel Kehlmann fragte Georg Kreisler nicht nach Kreislers verbürgten Sympathiekundgebungen für Ulrike Meinhof und die RAF, sondern bloß "Sind Sie Anarchist?".

Woher hat die Wiener Zeitung solch ein Wissen über Georg Kreisler? Derartige Aussagen habe ich noch nie gelesen oder gehört von Georg Kreisler.

Im Vorwärts ist ein Bericht zu einem Interview mit Georg Kreisler erschienen. Dort wurde gefragt: "Und was sind Sie? Georg Kreisler antwortet: Ich bin Anarchist.....Bitte nicht verwechseln mit Gewalt-Anarchisten. Anarchismus ist keine Macht für Niemand."........

Diese Aussage genügt mir und passt in das Bild, das ich von der Persönlichkeit Georg Kreisler habe.

In dem Lied "Das Kabarett ist nicht tot" schreibt Georg Kreisler: " Baader-Meinhof tu ich gar nicht kommentieren"
Das ist doch eine Aussage, wobei Text im Lied keine Meinung darstellt. Der Text passt nun mal zum grundsätzlichen Thema des Liedes. Man beachte, was da sonst alles aufgeführt wird.
Wünsche einen angenehmen Abend!

Bin gespannt Heiko, was Du noch so aus der Kiste alter Beiträge  :) holen wirst.


Burkhard Ihme

Zitat von: h-j-urmel am 16. August 2022, 22:55:29
Die Wiener Zeitung schrieb am 11.08.2009 "Daniel Kehlmann fragte Georg Kreisler nicht nach Kreislers verbürgten Sympathiekundgebungen für Ulrike Meinhof und die RAF, sondern bloß "Sind Sie Anarchist?".

Woher hat die Wiener Zeitung solch ein Wissen über Georg Kreisler? Derartige Aussagen habe ich noch nie gelesen oder gehört von Georg Kreisler.
Ich hab ja meine Begegnung mit Kreisler 1975 geschildert. Wahrscheinlich hat sich Kreisler damals auch anderweitig zum Thema geäußert.

Ich hab damals aus seiner Frage geschlossen, dass er von den Festivalbesuchern mehr Empörung über den Umgang mit den Verhafteten erwartet hätte. Daraus kann man eine Sympathie folgern, es kann aber auch einfach in Tübingen erstaunlich friedlich gewesen sein (wobei Kreisler erst 1976 nach Berlin zog und mehr von bundesdeutschen Befindlichkeiten mitbekam).
Ich kann mich in der Tat nicht daran erinnern, dass das Thema irgendeine Rolle spielte, auch wenn Eckart Holler, der 1968 auf der Waldeck noch gefordert hatte, man solle die Gitarren in die Ecke stellen und diskutieren, und die Waldeck zu nichts Geringerem als das Zentrum des internationalen Widerstands erklärte, der Leiter des Festivals war. Auch das Festivalprogramm gibt keine Hinweise darauf. Es gab einen Workshop von Tom Schroeder (Musikredakteur beim WDR) zum Thema "Politisches Lied", ansonsten ging es mehr um Fingerpicking und Instrumentenbau.

Ob die Diskussionen um das nicht allzu weit entfernte Stammheim Anfang Juni 1975 schon eine Rolle spielten, weiß ich nicht. Der RAF-Prozess begann zwei Wochen vorher, die Vorwürfe der Isolationsfolter wurden schon seit 1973 erhoben.

Heiko

Moin!

Einmal kurz zu dem Lied: Es steht offensichtlich in Nachfolge zu "Das Kabarett ist tot" von 1972 und kritisiert die Feigheit des zeitgenössischen Kabaretts. Kreisler schlüpft dafür in die Rolle eines angepassten Kabarettisten, was bei dem Zweizeiler schon an der schlechten Sprache ("tu ich gar nicht kommentieren") erahnt werden könnte, umso mehr aber beim Betrachten der ganzen Strophe und dem Rest des Liedes erkennbar wird.

ZitatIch bin stets gegen die Kirche, das ist heut beinah schon Pflicht,
gegen den Kapitalismus, weil das glaubt man mir ja nicht,
Baader-Meinhof tu ich gar nicht kommentieren,
denn wer weiß, für die könnt jemand applaudieren.
Ich bin gegen die Amerikaner, aber nicht mit zu viel Wut,
weil seit Vietnam vorbei ist, gibt's da Zweifel.
Ich bin gegen jede Gewalt,
nur die Staatsgewalt ist gut,
denn auch ich hab eine Villa in der Eifel.
"I would prefer not to."

Heiko

#21
Dass Kreisler ein "Troubadour des Terrors" oder Ähnliches gewesen sein soll, halte ich für ein grobes Missverständnis, dass seinen tief beleidigten Humanismus schlicht falsch deutet.

Doch wurde er tatsächlich auch von linksmilitanter Seite vereinnahmt. Mir ist vor Kurzem ein Blättchen von 1978 in die Hände gefallen. Es nennt sich Roter Zwerg  und benutzt dafür eines der typografischen Kürzel der Revolutionären Zellen. In der Mitte des Heftes sind ein paar Zeilen Kreislers aus "Noch einmal von vorn" (ebenfalls auf "Rette sich wer kann") abgedruckt.

Doch ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass es Kreisler entgangen ist, dass viele terroristische Aktionen jener Zeit einen antijüdischen Gehalt hatten, auch wenn sie sich antiimperialistisch oder antizionistisch framten. Der traurige Höhepunkt war sicherlich 1976 das Entebbe-Ereignis, an dem ja auch zwei deutsche RZ-Terroristen beteiligt waren. Ich meine, dieses ganze bewaffnete Hurra der 70er waren dem verträumten Kreisler eher fremd.

Und entsprechend beklagte er im Eingangsstück auf "Rette sich wer kann": Die Ohren der Genossen sind geschlossen. Und folgende Zeilen aus dem gleichen Lied hätte die bewaffnete Linke auch gerne auf sich beziehen dürfen, selbst wenn sie nicht zuvorderst gemeint war:

ZitatErwartet umso mehr von harten Menschen!
Wer einmal quält, wird's immer wieder tun.
Die Qual nach Plan, den Gewohnheitshaß[
lernt jeder leicht, und Nachwuchs gibt's en mass.
"I would prefer not to."

Burkhard Ihme

Gewissermaßen eine (zumindest behauptete) Gegenposition zu "Erwartet nicht zu viel von meinen Liedern" hab ich 1979 geschrieben:


Sie sehn das völlig falsch. Ich glaub, Sie sehn das zu verbissen,
Ihr Weltbild ist erschreckend schief und krumm.
Doch sollten Sie dran feilen, lassen Sie's mich ruhig wissen –
ich erkläre Ihnen ganz genau, warum.


Sie sehn das falsch, Sie sollten Ihren Standpunkt überprüfen,
gewissenhaft und ohne viel Getu,
sich gründlich informiern und Ihren Horizont vertiefen –
ich schicke Ihnen unser Merkheft zu.


Sie sehn das völlig falsch, Sie sollten Ihre Meinung ändern,
kompromißlos, ohne Zögern und Humor.
Sie solln sich ändern, aber bleiben Sie dabei von jedem Trend fern –
ich singe Ihnen meine Lieder vor.
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                         

h-j-urmel

#23
Ja Heiko, Linke haben Georg Kreisler gerne benutzt. Die Partei "Die Linke" Ortsverband Kassel feierten 2018 200 Jahre Karl Marx. Für das unterhaltsame     
Programm wurden angekündigt die "Taubenvergifter" (vermutlich eine Gesangsgruppe) mit Liedern von Georg Kreisler.
Aber auch Lisa Politt hatte als eines ihrer Kreisler Lieblingslieder "Meine Freiheit, deine Freiheit", gerne in ihrem Programm.

Antisemitismus wirst Du in allen Gesellschaftsschichten finden. Bezüglich Gruppierungen gibt es selbstverständlich Schwerpunkte. Deine Beobachtungen treffen da schon ins Schwarze. Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung insbesondere in Schulen ist notwendiger denn je.


Meine Bemerkung zu Lisa Politt hat natürlich nichts mit Antisemitismus zu tun. Da ist nur der linke Standpunkt gemeint. Lisa Politt wurde öfter vom Rundfunk bzw. TV zensiert. Hatte das Glück manch Auftritt von Lisa Politt direkt zu erleben. Bei den späteren Sendungen war Etliches rausgeschnitten , ihre Erzählungen, Kommentare und auch das das Lied "Meine Freiheit......."

Wünsche einen angenehmen Abend!


Heiko

Hallo Urmel,

dass (radikale) Linke im Allgemeinen sich gerne auf Kreisler beziehen, ist ja bekannt und natürlich bietet seine Art der Gesellschaftskritik da auch deutliche Schnittmengen an. Ob jener Teil der damaligen Linken, der bewaffneten Kampf befürwortet hat, ihn mit Berechtigung vereinnahmte, da hingegen habe ich partielle Zweifel, insbesondere zu so einem späten Zeitpunkt (1978) wie im obigen Blatt.
Andererseits gibt es ja auch die kleine Episode, dass Kommunisten Anfang der 70er Konzerte (oder zumindest eins) gestört und unterbrochen haben, weil ihnen "Allein wie eine Mutterseele" nicht in den Kram passte. (Müsste nochmal nachschlagen, wann wer wo genau.)

Und zu Lisa Politt: So vor zehnzwölf Jahren bestanden manche Programme zu 50% oder mehr aus Kreislerliedern. Das war die reinste Freude für mich, auch weil in der Programmbeschreibung vorher so nicht angekündigt.

Grüße Heiko
"I would prefer not to."