Begehen wir Georg Kreisler...

Begonnen von Dunkelblaue Dille, 22. Oktober 2004, 10:43:46

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Dunkelblaue Dille



Wie aus dem Wiesbadener Tagblatt zu erfahren ist, wird GK's Stern am 28.10. in bester Hollywood-Manier in Mainz unter die Füße kommen, der Künstler hat zugesagt, der Installation höchstpersönlich beizuwohnen.

Nachzulesen unter:
http://www.main-rheiner.de/region/objekt.php3?artikel_id=1657954


Peter Silie

Zitat Wiesbadener Tagblatt:
ZitatDer Österreicher Georg Kreisler
Autsch.[/color]

Dunkelblaue Dille

#2
Ja, so etwas ähnliches habe ich mir auch gedacht, genauer gesagt: Manche lernen's nie...  :-/

Ich vermute, die Entstehungsgeschichte ist in etwa folgende: Der Mensch muss in eine Landesschublade hinein - In die amerikanische passt er nicht ganz, in der deutschen möchte man ihn nicht haben, Schweizer war er nie - Also muss er, da er in Wien geboren wurde, Österreicher sein - Ob er will, oder nicht, ob es stimmt, oder nicht - Außerdem "heißt" es überall, der "österreichische Kabarettist" - So falsch kann es folglich nicht sein!

Dass er kein Österreicher mehr ist und nur sehr selten Kabarett im "klassichen" Sinne gemacht hat, interessiert dabei weniger. Vielleicht, weil die genauen Umstände zu kompliziert zu erklären sind. Und weil man meint, wenn man Berufsbezeichnung und Landeszugehörigkeit weglässt, wird der Artikel/die Nachricht zu kurz (und irgendwas muss man ja in seinen Text hineinschreiben).

Es widerstrebt mir etwas, die hemmungslos voneinander abschreibenden Journalisten in Schutz zu nehmen, aber: Einfach ist es wirklich nicht. Andererseits sollte es zum schreibenden Beruf dazugehören, genau und schön zu formulieren (oder es wenigstens zu versuchen). Also doch wieder: Daumen runter :(


Sandra

Man kann einen Menschen aus Wien rausbringen - aber Wien nciht aus einem Menschen.
Und insofern - ob er will oder nicht: er ist Österreicher.

Andrea

Er hat einen österreichischen Akzent, er jongliert mit der österreichischen Sprache...
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Peter Silie

...und er ist American citizen.
-> Wiesbaden hat schlecht recherchiert (siehe Dille).

Andrea

Dass Wiesbaden schlecht recherchiert hat, ändert aber nichts daran, dass wahrscheinlich viele Leute aufgrund der von mir aufgezählten Faktoren GK Österreich zuordnen.
Schön, dass du dich hier auch wieder mal einmischst Silie. :-)
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Sandra

Ach, silie - baust Du vor, wenn's dir auch mal so geht? ;D ;) Man kann auch einen amerikanischen Pass haben - oder einen deutschen, oder einen holländischen - und trotzdem das österreicher-sein nicht loswerden....

Peter Silie

Hach, Sandra, du hast mich schon wieder durchschaut.  :-[  ;)

Alexander

Ich schätze sehr den Journalisten Hans-Dieter Schütt. Er schreibt u.a. Kulturkritiken in "Neues Deutschland". Und er hat eine Eigenschaft, die ihn gegenüber fast allen anderen Journalisten der Welt sympathisch macht: Er sucht und findet den Menschen hinter der Oberflächlichkeit dieser Welt von heute.

Falls noch nicht bekannt - hier eine wo wenn nicht in diesem Forum passende Würdigung:

Everblacks
Von Hans-Dieter Schütt
 
Georg Kreisler (80) wird den Bonner Prix Pantheon 2003 bekommen, einen der renommiertesten deutschen Kleinkunstpreise.

Der Tod ist ein Wiener. Kreisler ist ein Schla-Wiener. Er zeigt dem Leben wirklich die Zähne, wenn er den Mund aufmacht. Everblacks hat man seine Evergreens genannt. Abgrundtiefe Lieder, wie Thomas Bernhard abgrundtiefe Theaterstücke schrieb. Den Finger einer Hand in die Wunden der bürgerlichen Selbstverliebtheit, einen Finger der anderen Hand zum Mahnen erhoben – trotzdem spielt dieser sehnige ältere Herr beidhändig Klavier. Kunst nennt man das (bitte nicht Kleinkunst!). Kopf und Herz – eine Achse des Bösen. Nun freilich: Nie geschieht das Böse so perfekt, als wenn es mit reinem Herzen getan wird ...
Der jüdische Wiener Rechtsanwaltssohn, der 1922 geboren wurde, wuchs auf mit Dirigententräumen. Als Sechzehnjähriger emigrierte er mit seinen Eltern in die USA, nahm die dortige Staatsbürgerschaft an, debütierte als Chansonnier in Nachtklubs, kehrte 1955 nach Wien zurück. Gründete mit Helmut Qualtinger das »Intime Theater«. Im Grunde ist dieser Kabarettist, der Romane, Erzählungen, Operetten schrieb, ein Schriftsteller hohen Grades. Ein rabenschwarzer Urenkel des bitteren Nestroy. Kreisler – das ist die skurrile, kantige Hommage an eine Kultur des jüdischen Witzes, die höchstens noch von einem Tabori gepflegt werden kann. Das Gedicht nach Auschwitz kam von Paul Celan, das Lied nach Auschwitz (»Nichtarische Arien«) komponierte und sang Kreisler: »Bayern, Hessen, Schleswig-Holstein,/ Bockwurst, Bier und Brüder Grimm,/ Mandelbaum und Kohn und Goldstein/ schlummern tief in Oswiecim«.
Das Taubenvergiften im Park wurde zum gängigsten Synonym für die grandiose Garstigkeit dieses Mannes, der auch eine Weile zu den Berliner »Wühlmäusen« gehörte. Wenn man heute die flächendeckende Comedy-Szeneristen als Satiriker, Kabarettisten und Komödianten bezeichnet, so muss man einen wie diesen großen Absurden von solcher Bezeichnung befreien. Die Gattung ist aus den Niederungen des Spaßes heraus neu besetzt worden. Gut so: Es fällt damit leichter, diesen so surreal-grellen wie dunkel-melancholischen US-Amerikaner in eine alteuropäische Tradition zu reihen, die ihm würdiger ist. Es ist dies nicht die Gilde der Gaukler, sondern die der Aufklärer: Voltaire, Wedekind, Mehring, Karl Kraus.
Heute lebt Kreisler in Basel, hängt »Klagen an die pausenlose Zeit«. Er blickt nicht auf die Welt, sondern auf ein Missgeschöpf. Ja, wieder nahe Celan, der schrieb, es seien noch Lieder zu singen, aber jenseits der Menschen. Kreisler freilich singt noch immer diesseits. Er sieht zwar schwarz, aber es werden eben immer Everblacks daraus.
(ND 08.02.03)

http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=30579&IDC=4&DB=Archiv
,,Die Kunst ist eben keine hübsche Zuwaage – sie ist die Nabelschnur, die uns mit dem Göttlichen verbindet, sie garantiert unser Mensch-Sein." (Nikolaus Harnoncourt)

Sandra

Schöner Text - ausser, dass ich diese Wiener - Schlawiner Sache nicht mehr hören/lesen kann. Es wird nicht richtiger durch ständige Wiederholung.
Es suggeriert für mich eine Leichtigkeit und eine Unehrlichkeit - die einfach nicht gegeben ist.


Bastian

...oder hab ich mich geirrt?  ???

Sandra


angel+

Hier ist ein am 8. April erschienener Artikel bezüglich Georg Kreisler:
http://www.espace.ch/artikel_199020.html

Maexl

vielen Dank für diesen sehr schönen Link...

Er macht mein Kreislerbild ein bisschen Klarer...

Alexander Sury kleidet die eine These: Taubenvergifter / Meine Tauben - weswegen? in schönere Sätze als ich als ich den Buchtitel Kreislers in diesem einen Sinne deutete...
Der Artikel zeugt von den sprachlichen Fähigkeiten des Autors, von denen Kreislers nicht zu sprechen. Er pickt sich die interessantesten Anekdoten aus dem Biografiebuch heraus, allerdings ohne auf die vorhandenen Schwächen einzugehen. Wie atm sehr beliebt (lese das häufig in verschiedener Qualität - z.B. im Spiegel) webt er das Bedeutsame z.B. zu Anfang in Nebensächliche Kleinigkeiten und schließt mit diesen (Tauben). Nur zur Diskussion regt er eher nur sekundär an da er sehr harmonisierend über die Kritik aufwerfenden Punkte seiner Persönlichkeit schreibt (vll. ein allgemeines Phänomen bei Interviews mit solchen Größen - aber andere beweisen auch (abseits der wiederum abstossenden aber nötigen verbalen Krawallisten wie z.B. Friedmann) hartnäckiges Geschick, was sowas angeht - den wahren investigativen Journalismus... gesteigert wie bis zum Hypokratischen Eid ^^). Aber alles in allem ein zwar sehr kurzes aber dafür gelungenes Portrait....

triangel

#16
Ich finde das Interview auch sehr interessant...

Doch: "Er selber bezeichnet sich – irgendwie haben wir es geahnt – als «Anarchisten»."

Nun denn, er ist als Anarchist aufgetreten und hat seinen Anarchismus, anarchistische Gesellschaftskritik in seine Lieder und sein Kabarett gesteckt, hat aber als Staats-Bürger gelebt.
Ich kenne keinen wirklichen Anarchisten, der gegen den Staat wettert, sich aber vom Staat trauen läßt und anschließend noch mit der Hilfe des Staates einen langandauernden Prozess mit seiner Ex-Ehegattin führt...
Das ist blamabel und man müsste ihn diesbezüglich mal humorvoll "auf die Schippe" nehmen.

Mag nicht jemand dazu ein Lied komponieren und texten?

Ich fang' mal mit der "Anarcho-Hymne"  ;) für ihn an:

"Gehn' wir Bräute anarchisier'n auf dem Amt..."  ;D


Dorian

#17
ZitatIch kenne keinen wirklichen Anarchisten, der gegen den Staat wettert, sich aber vom Staat trauen läßt und anschließend noch mit der Hilfe des Staates einen langandauernden Prozess mit seiner Ex-Ehegattin führt...

Was solls. Gibt ja auch Leute die kein Problem damit haben sich von dem Staat durchfüttern zu lassen gegen den sie wettern.

ZitatDas ist blamabel ...
Stimmt. Lässt sich aber ändern:

http://www.meinestadt.de/berlin/jobs

triangel

#18
Hast Du bezüglich des Staates und des Staatshaushaltes, woraus sich dieser speist und wohin die Steuergelder fließen ein paar mehr Informationen?

Ich finde, diese gehören - ebenso, wie Dein Versuch eine Stellenbörse einzurichten, in den CleanState-Thread oder in einen anderen von Gesellschaft und Gesellschaft, denn hier geht es um Georg Kreisler.

Ich liebe ihn als anarchistischen Musiker, aber als Staatsbürger nicht. Dies auch keinesfalls deshalb, weil er ggf. Frauen "falsch" behandelt (hat) und ein schlechter Ehemann war, sondern aus einem anderen Grund: Weil der zivilisierte Staatsbürger den Destruktionskomplex (Gewaltmonopol; militärische Vernichtungsmaschinerie) eben dieses Staatsapparates befürwortet.  Würde er das nicht tun, wäre er kein Staatsbürger.

Und so hat der Staatsbürger Georg Kreisler dem Krieg des Bush-Clans zugestimmt und den musischen Anarchisten Georg Kreisler verraten.

Wodurch passierte dieser Verrat?

Weil es keine reelle Bewegung gab, die es ihm erlaubte, das staatsbürgerliche Korsett abzustreifen um dann als humaner, friedlicher Anarchist, als musischer Men(t)sch zu leben und das Leben musisch zu genießen...

Insofern sollte dies ein Ansporn für alle sein, die Georg Kreisler und sein Werk lieben, tätig zu werden, damit dieser Verrat korrigiert werden kann, denn Georg Kreisler trägt diese Sehnsucht nach eben diesem Frieden und dem Humanismus (und damit menschlicher Freiheit, die Wohlbefinden bedeutet) noch in sich... wie wir auch, nicht wahr?

Doch wer ist hier (noch) "wir"? Existierte dieses "wir" hier jemals?