Ich höre, also bin ich (?)

Begonnen von Bassmeister, 28. Januar 2006, 22:12:04

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Bassmeister

Ich habe immer wieder festgestellt, daß ich mich sehr über die Ohren (auditiv) in der Welt orientiere. Immer öfter bekomme ich aber mit, daß dies keinesfalls selbstverständlich ist. Viele Menschen arbeiten hauptsächlich mit den Augen (visuell) andere wieder am meisten mit den Tastsinnen (haptisch) oder über Gerüche (olfaktorisch).
Fast immer geschieht dies unbewußt. Wie geht es Euch? Kennt jemand ein gutes Buch zu diesem Phänomen? Kann man die anderen Sinne, die man nicht so sehr nutzt, schulen, um die Vernetzung der verschiedenen Sinneseindrücke zu verbessern und wie geht das?
Um mit Beispielen zu illustrieren, zitiere ich einen Lehrer, der mal zu meinen Eltern sagte "Der hört nie zu. Aber er hat immer die richtige Antwort!" (Klar habe ich zugehört. Habe dabei bloß nicht hingeschaut. Wozu auch? Aber das wird dann sofort als "abwesend" registriert)
[size=9]Nicht alles, was zwei Backen hat, ist ein Gesicht...[/size]

whoknows

#1
Also, ich habe schon das Gefühl, das ich ursprünglich auch stärker akustisch als optisch orientiert bin - aber über meine Ehe mit einem Maler habe ich meinen Gesichtssinn schon deutlich verbessert, und so richtig GELERNT, zu schauen. Aber ich bin eine Mischung - wie vermutlich fast alle Menschen. Viel läuft bei mir nicht über beschreibbare Sinne. Ich kriege oft Stimmungen mit, zB, die in einem Raum stattfanden, BEVOR ich kam.
Allerdings, das geht nur in der Ruhe. Wenn ich zB in einen Saal mit Leuten reinkomme, kriege ich meistens NIX mit. Noch nicht mal, wer alles da ist, oder wie die Stimmung im Moment ist.

Ich sage oft etwas, noch bevor ich merke, dass ich es so empfinde - und dann stimmt's, sagen die darauf Angesprochenen. Also, ich hab ein Gespür für Menschen. Aber weil ich eben eine Multi-Mischung bin, akustisch, optisch, sensorisch - muss ich mich auf eines der drei konzentrieren, damit ich wirklcih was mitkriege....

Aber dass viele Leute glauben, man sei "abwesend" oder deppert, wenn man nicht guckt sondern nur spürt oder hört - davon wird Dir Andrea genug erzählen können....
Andersrum geht's aber auch. Ich war eine Zeit lang befreundet mit einer Frau, die war taub.Kaum hat sie in einem Laden oder so gesagt, dass sie nicht hören kann (sie konnte sprechen, weil spätertaubt) haben sie alle für debil gehalten.

Andrea

Das finde ich aber interessant, dass du nicht hin schaust, wenn jemand mit dir redet ;-). Viele Blinde drehen dem Sprechenden ihr Ohr zu und schenken ihm auf diese Weise ihre Aufmerksamkeit. Wir wurden aber schon darin geschult, dem Vortragenden oder dem Gesprächspartner das Gesicht zuzuwenden. Ich versuche immer, in die Richtung meines Gesprächspartners zu schauen. Sind es mehrere, wird's schwierig. Aber ich glaube schon, dass ich dann noch peile, wohin ich meinen Kopf drehen muss.
Bei mir finden die Menschen oft unangenehm, dass ich sie mit den Ohren beobachte. Sie spüren irgendwie, dass ich dadurch dasselbe erfasse wie andere mit ihren Augen. Ich meine natürlich nicht, dass ich hellseherische Fähigkeiten habe, aber Stimmmungen oder neben mir stattfindende Liebeleien gehen nicht an mir vorbei. Und weil ich so ein Stimmungsfänger bin, übernehme ich oft die Stimmung eines mir nahen Menschen. Anstatt dass ich ihn aufbauen kann, bin ich dann mit ihm traurig. Manchmal ist das dann für beide eine Belastung. Mittlerweilen kann ich den Menschen dann schon auch aufbauen, aber es fällt mir nach wie vor sehr schwer, weil ich mit ihm fühle. Das geht mir oft mit Freundinnen so. Manchmal werde ich als überempfindlich empfunden, weil ich Dinge, die jemand sagt, sehr schnell sensitiv verstehe. Derjenige hat etwas anders gemeint als er oder sie es gesagt hat, und bei mir kommt's schräger an als es gemeint war, weil ich sehr auf Wortwahl und Betonung achte. Das mache ich gar nicht bewusst, also nicht so, dass man immer denken müsste: "Die kriegt alles in den falschen Hals.", sondern ich spüre oft Dinge, bevor derjenige sie selbst spürt, einfach durch einen einzigen Satz.
Ich nehme wahr, also bin ich. Und das meiste geschieht natürlich übers Gehör und den Geruchssinn. Was ich anfasse kann ich mir nicht so gut merken wie das, was ich höre. Ich war doch schon in einigen Museen oder habe mir Reliefs angeschaut. Aber sowas kann ich nicht im Hirn speichern. Deshalb war ich in Geographie immer schlecht, weil ich mit den Relief-Landkarten für Blinde nicht so viel anfangen kann. Andere Blinde wieder wie Ossi, ein Freund von mir, hat derlei Karten gesammelt und sich so die Welt eingeprägt. Ich hab mich für ihn darüber gefreut, dass er daran Gefallen findet. Aber ich merk mir so Reliefzeug überhaupt nicht. Was anderes ist es, wenn etwas 3dimensional dargestellt wird. Ich werde nie vergessen, wie schön ich das fand, als Sandra und ich einander erst kurz kannten und sie mir in ihrer kleinen Wohnung lauter geschmeidige Handschmeichler in die Hand gegeben hat. Ich glaub, das müssen wir in Berlin auch nochmal machen. Ich weiß nicht mehr, WAS ich da alles in Händen hatte, aber dass ich beeindruckt war, weil sämtliche Dinge sich so schön anfühlten, das ist mir in Erinnerung geblieben, und das will was heißen. Weil sonst merk ich mir sowas ja nicht.
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

angel

Bassmeistern, ein gutes Buch zur Schulung der Sinnesorgane ist das von Heinrich Jakoby: "Jenseits von 'begabt' und 'unbegabt': http://coforum.de/index.php4?Heinrich_Jacoby


Andrea

Zitat:
Aber dass viele Leute glauben, man sei "abwesend" oder deppert, wenn man nicht guckt sondern nur spürt oder hört - davon wird Dir Andrea genug erzählen
können....
Ja, ich werde oft genug laut angesprochen, weil die Leute glauben, dass ich, wenn ich blind bin, gleichzeitig auch taub sein muss. Ja, oder deppert. Ich reagiere sofort auf Leute, die mich so behandeln und sage ihnen, dass sie mit mir bitte nicht so laut sprechen sollen, denn ich sei nur blind. Wenn Sehende dabei sind, wird meist erst mal VON und nicht MIT mir gesprochen, obwohl ich daneben stehe...
Zum Licht gehört der Schatten, zum Tag die Nacht. Das musst du dir so oft sagen, bis du es weißt und für selbstverständlich hältst. Dann kannst du nicht enttäuscht darüber sein. Denn leben heißt: Das

Suse

Ich glaube, beim NLP (neurolinguistisches Programmieren) nutzt man, daß Menschen ihre Sinneskanäle unterschiedlich ausgeprägt benutzen. Da wir ja sehr vielen Reizen gleichzeitig ausgesetzt sind, hat wohl jede(r) seinen bzw. ihren Lieblingskanal. Entsprechend formulieren wir auch besonders gern: z.B. "das schmeckt mir nicht", "ich kann den X nicht riechen", oder was weiß ich... Allerdings scheinen die am sträksten genutzten "Kanäle" flexibel zu sein, d.h., man kann weniger genutzte trainieren.
Da ich mit sehr unterschiedlichen Menschen arbeite, ist es manchmal hilfreich, sowas zu erkennen, um den jeweils am besten anzusprechenden Kanal zu nutzen.
Die Sensibilität für Stimmungen kenne ich auch, oft hab ich schon eine Vorstellung, was mich auf der Station für eine Atmosphäre erwartet, bevor ich noch das Treppenhaus unserer Klinik betrete. Bei meiner Arbeit ist es oft sehr wichtig, im Kontakt mir unseren Patienten deren Stimmung aufgrund möglichst vieler Ausdrucksmöglichkeiten zu erfassen und zu berücksichtigen. Dafür brauche ich viel Konzentration und Aufmerksamkeit auf möglichst alle "Kanäle". Welcher mein Lieblignskanal ist, weiß ich noch immer nicht sicher.
Irgendwie hab ich so viel von "Kanälen" geschrieben, als wenn ich einen Reisebericht über Amsterdam geschrieben hätte.