Gesangstechnik - Belting

Begonnen von Zyankalifreund, 03. Oktober 2005, 22:18:49

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Zyankalifreund

Jetzt mal eine Frage an euch alle die Gesangsunterricht hatten und sich ein wenig mit der Materie auskennen:

Belting ist ja unter Sängern wie Gesangspädagogen sehr umstritten. Man sagt dieser Technik nach, sie würde Gift für die Stimme sein und einige Lehrer tauen sich nichtmal zu, sie zu unterrichten.

Gibt es jemanden hier der sich damit auskennt? Was ist dran an den Vorurteilen?

(Kleine Erklärung für Nichtgesangsgelehrte: Belting findet vor Allem in den Musicals dieser Welt sein zu Hause. Diese Technik bezeichnet eine Gesangstechnik, die den Bruststimmenanteil in der Höhe im Vergleich zu klassischem Gesang erhöht. Dadurch kommt ein eigener Charakter zum tragen, der Power und Emotionalität ausdrücken kann. Dabei ist diese Art zu singen annähernd vergleichbar mit Rufen oder kraftvollem Sprechen...)


Sandra

Den Ausdruck hab ich ehrlich gesagt noch nie gehört. als ich Gesang lernte, hiess die Bruststimmen-methode noch "italienische Methode".
ichsinge nur mit Bruststimme, und wechsle Genrebestimmt immer wieder in Sprechen. Ist hölle anstrengend für die Stimme. Aber sonst kann ich da nicht viel dazu sagen, leider.

Dagmar

#2
Ich bin ja - wie unter meinen Freunden gut bekannt (kI) - ein "Opfer"  ;) eines unfähigen Gesangslehrers: Der hat nach dieser Methode unterrichtet. Also ehrlich gesagt aus heutiger Sicht: Er hat mich im verkrampften möglichst lautem Herumschreien unterrichtet. Ich habe andere Schüler von ihm gehört. U.a. ist mir eine Sopranistin in Erinnerung, die so laut schrie, dass es einem die Schuhsohlen auszog. Soviel zum Thema "Power". Die Methode ist totale Scheiße. Sorry ob der harten Worte, aber was Treffenderes fällt mir nicht dazu ein. Das Benutzen der Kopfstimme ist nicht gewünscht. Das heißt aber in der Folge, dass Du schlicht nur ein Register ausbilden lässt. Das zweite und dritte Register ist menschenunmöglich mit der Bruststimme hinzubringen.

Nun hat Sandra ja Recht: Du benutzt für den Chansonbereich eh ja meist nur die Bruststimme oder Sprechgesang. Diese "Technik" ist aber totzdem keine, weil sie den natürlichen und vor allem leichten Fluß der Stimme total hemmt. Sie ruiniert Deine Stimme, das kann ich nur bestätigen! Selbst wenn Du das zweite Register nie wirklich brauchst, tragen den freie Fluß der Stimme gerade die Zwischenbereiche zwischen den Registern (also in diesem Fall: Zwischen erstem und zweitem). Das Hauptproblem dieser Technik ist folgendes: Letztlich läuft das ganze Singen auf das möglichst ausschließliche Benutzen von zwei winzig kleinen Muskeln, den Stimmbändern, hinaus, die möglichst schließen sollen beim Singen. Bei dieser Technik arbeitest Du aber unter einem erhöhtem, teilweise massivem Körpereinsatz. Das führt dazu, dass Du alle möglichen Muskeln stark einsetzt, z.B. sämtliche Hals- und Gesichtsmuskeln. Das sieht nicht nur grausam aus, es verhindert vor allem die Konzentration aller Kraft auf nur die zwei kleinen Stimmmlippen. Anders ausgedrückt: Alles drum herum ist in mördermäßiger Bewegung und genau das verhindert, dass die Stimmlippen schließen. Die Stimme hört sich zwar enorm laut und kraftvoll an, leider aber auch restlos gepresst, gequetscht, angestrengt, meist einfach häßlich.

Ich kann Dir aus eigener ziemlich leidvoller Erfahrung sagen: Lass das bloß sein. Nach mittlerweile über eineinhalb Jahren Abschied von diesem komischen Gesangslehrer und Wechsel zu einem anderen mit weniger idiotischen Methoden, kommt seit kurzem langsam langsam langsam erst wieder so etwas wie Leichtigkeit in meine Stimme. Ich habe unendliche Übungsstunden gebraucht, nur um mir wieder abzugewöhnen, immer alle Muskeln anzuspannen, die Gesichts-, Hals-, Nacken-, Bauch-, Gesäß- und was-weiß-ich-noch-für-Muskeln einfach nur entspannt zu lassen. Und ich kämpfe bei jeder Probe erneut mit den alten Mustern. Zeitweise habe ich immer nur vor einem Spiegel geprobt, damit ich alle Muskeln NICHT total anspanne und mir das endlich abgewöhne.

Es stimmt zwar, dass meine Stimme seitdem ich mit dieser komischen Brülltechnik aufgehört habe, deutlich an Lautstärke verloren hat. Aber (habe ich mir zumindest mehrfach jetzt bestätigen lassen) sie hat an Klarheit und Schönheit gewonnen. Ich singe eh' nur mit Mikro, warum soll ich dann bis in die letzte Reihe herum schreien können?

Also von "Rufen" kann keine Rede sein, eher von "Schreien". Und es stimmt: Es ist völliges Gift für die Stimme!
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Sandra

#3
Und für die letzte Reihe muss man auch nciht schreien: Der bronner singt so leise, dass man ihn, wenn man vor ihm sitzt, kaum hört. Aber in der letzten Reihe hört man ihn sehr gut: er sendet!

Aber - ich hab auch wieder was gelernt: So wie Dagmar das beschreibt, hat Belting überhaupt nichts mit der Italienischen Methode zu tun. Die Italienische Methode, das ist das, was Caruso nützte - offenbar etwas völlig anderes.
Und ich wusste auch nicht, dass Dein ehemaliger Gesangslehrer, Dagmar (der wirklich ein Verbrecher ist!) seine Methode auch noch namentlich benannt hat. :P

Dagmar

Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Peter Silie

Wenn bei den Musicals eine Nummer "gebeltet" werden soll bedeutet das, daß die Sängerin ersucht wird, auch Töne der zweigestrichenen Oktave mit der Bruststimme zu erschreien. Gewisse Darstellerinnen haben das perfektioniert, und "gebeltete" Es oder sogar Fs hört man in Musicals immer wieder.  
Mir persönlich ist es wurscht mit welcher Technik meine Noten gesungen werden, solange es gut klingt. Ich habe bei Männern wie Frauen am liebsten eine schöne Mischung aus Kopf und Brust. Ich rede von der Stimme.

Peter Silie

Daß belten schädlich ist, glaube ich nicht. Die Gefahr beim Musical ist, daß man beim Spielen im emotionellen Überschwang auf die Stimme "drauf" singt. Aber wenn man die Grundlagen einer gesunden Gesangstechnik ausreichend verinnerlicht hat, kann man glaube ich alle Genres singen ohne daß was wehtut. Ich denke an crossover-Künstler wie Dawn Upshaw oder Patricia Nessy. Die singen Oper, Operette und Musical.

Zyankalifreund

#7
Ich denk halt auch, dass die Frage nach Schaden und Gefahr sich immer danach richtet, ob man a) gutes Basics hat im klassischen Gesang und vor allem ist es b) von der Qualität des Lehrers abhängig.

Meine Gesangslehrerin z.B. kommt aus dem Opernfach. Sie unterrichtet Belting nicht, weil sie es sich nicht zutraut und sagt: Wenn ich euch das nicht gut genug beibringe ist das ein hohes Risiko und Gift für die Stimme, deswegen lasse ich es lieber.

Ich würde es schon gern lernen, vor allem hätte ich gern mal wirklich nen GUTEN Gesangslehrer, denn momentan geht es nicht so recht voran. Wir trampeln auf der Stelle, die Lehrerin betreibt reine Demotivation weil sie auch selbst keine Lust mehr hat auf ihren Job etc...

Sie sagt zum Beispiel 15 oder 16jährigen Schülern die gerade erst aus dem Stimmbruch raus sind, aus ihnen würde mal nie ein ordentlicher Sänger. Das ist so ein Unfug, wenn man bedenkt dass sich die Stimme erst bei einem Alter von knapp 26 Jahren wirklich voll entwickelt hat. Diese Frau müsste man eigentlich auch in Rente schicken, aber irgendwie traut sich das unser Theaterleiter nicht. Die beiden sind befreundet.  :-/

NAja, "guten" Unterricht kann ich mir jedenfalls nicht leisten.  :(

Dagmar

#8
ZitatDaß belten schädlich ist, glaube ich nicht.

Ich aber für Dich mit!! Und wie gesagt, ich GLAUBE es nicht, ich WEISS es, weil ich es ausprobiert habe. Das "Schädliche" ist folgendes: Den schönsten Ton macht die Stimme, wenn die Stimmlippen vollständig schließen. Bei dieser Technik schließen die Stimmlippen aber nicht mehr vollständig. Sie können es nicht mehr, weil diese Art von Technik nur unter Einsatz hoher Muskelkraft und mit ganz anderer Atemtechnik möglich ist. Deine gesamte Energie steckst Du in die Bauch- und Gesäßmuskeln, sowie in die gesamte Hals- und Gesichtsmuskulatur, damit es gelingt den Ton rauszuschleudern. Für den Muskelschluß der Stimmlippen reicht es nur dann leider nicht mehr.

Zitatdass die Frage nach Schaden und Gefahr sich immer danach richtet, ob man a) gutes Basics hat

Eben genau diese Basics werden Dir wieder völlig abtrainiert und Du lernst Neue. Die aber führen neben dem Abhandenkommen des Stimmschlusses obendrein noch dazu, dass Deine Atemtechnik falsch wird und vor allem der gesamte Stimmsitz nicht mehr richtig ist.

Das Schädliche ist nicht, dass die Stimme dadurch völlig ruiniert wird. Das wird sie nicht. Das Schädliche ist, dass alles was wichtig ist, damit die Stimme gut klingt verloren geht (Stimmlippenschluß, Atemtechnik, Stimmsitz), und es endlos dauert, das später wieder neu zu lernen. Man fängt quasi von vorne an. Und man fängt irgendwann von vorne an, wenn man dauert hört oder liest "Warum schreit die denn so? Warum ist die denn immer so kurzatmig? Wieso singt die so nasal? Warum sieht die immer so super angestrengt aus? Warum schwitzt die ständig so?" Das Ganze hat noch andere echt unangenehme Nebeneffekte: Der ganze Bewegungsfluß auf der Bühne geht kaputt. Kein Mensch kann sich locker und aus der Mitte heraus bewegen und dabei gleichzeitig den Po anspannen, die Bauchdecke mit Luft vollpumpen, soviel Spannung wie möglich in den Körper bringen und losschreien.

Obendrein ist Singen als Leistungssport tatsächlich super anstrengend. Und völlig unnötig (Wie leicht und easy "läuft" die Stimme, wenn Du einfach "bloß" singst, die höheren Töne mit dem Zwischenregister nimmst. Und normal bewegen kannst Du Dich dann auch wieder auf der Bühne).

Mir ist es ja im Grunde egal, aber ich kann nur wirklich sehr davon abraten. Für meine Stimme ist es mir nicht egal, deshalb habe ich komplett umgelernt und bin immer noch dabei. Das war ein sehr blödes und sehr sehr teures Experiment, das mich sehr behindert und mir nichts aber auch gar nichts gebracht hat.
Je fester dir einer die Wahrheit verspricht, in Programmen und Predigten, glaube ihm nicht. Und geh' zu den Gauklern, den Clowns und den Narr'n: Dort wirst du zwar nix, doch das in Wahrheit erfahr'n.

Zyankalifreund

Dagmar, ich glaube dir was du sagst voll und ganz. BEdenke aber bitte dass du auch (wie ich gehört habe) nen furchtbaren Gesangslehrer hattest. Kein Wunder dass deine Erfahrungen so schlecht sind.

Und wenn wir mal nen Blick ins Musicalgeschäft schauen gibt es genügend Beltstimmen (Mixbelt, was du gemacht hast klingt nach strong-belt). Die hupfen rum wie blöd, singen herrlich und sehen dabei kein bisschen angespannt oder angestrengt aus.

Es strengt an, klar. Das weiß ich von meinem alten Regisseur. Der hupft und beltet bei Mamma Mia in Stuttgart ja selbst als Zweitbesetzung der 3 Väterhauptrollen und Ensemlemitglied.

Claudia, die Freundin die in Berlin wohnt, lernt alle beide Techniken. Belting bei einem Lehrer und klassischen Gesang bei nem anderen. Sie kann auf "Knopfdruck" zwischen beiden Techniken umschalten, denn sie hat die Grundlagen (klassischer Gesang) sowieso perfekt drauf und auch (trotz des Beltings) nie damit aufgehört.

Deine schlechten Erfahrungen sind wirklich schrecklich, Dagmar. Aber das muss ja nicht sein zum Glück. Gesangsunterricht hat für mich ganz viel mit Vertrauen zu tun. Es gibt gute Lehrer, denen man definitiv vertrauen kann und die einen nicht stimmlich umbringen, wie deiner.  :-*

Nase

Ich glaube es ist bei Gesangslehrern, wie bei allen andern Lehrern auch. Wenn man ein vertrauensvolles und verständiges Verhältnis hat, reichen oft wenige Korrekturen, um die richtige Übungsrichtung anzugeben.

Und alles wo man sich verkrampfen muss ist sowieso schlecht, würde ich mal sagen. Vor allem wenn etwas Kunstvolles herauskommen soll.

Morgen Abend haben wir endlich die letzte Figl-Vorstellung. Ich bin froh, das es aus ist, es reicht schon ziemlich! Unser Regisseur ist morgen übrigens im ORF - weiß aber nicht wann.
Nur eins, mein Bester; in der Welt ist es selten mit einem Entweder-Oder getan; die Empfindungen und Handlungsweisen schattieren sich so mannigfaltiglich, als Abfälle zwischen einer Habichts- und eine